Langsam wird es kalt – Herbstanfang in Belarus

Orscha, 25. September 2018. – Mit diesem Eintrag möchte ich noch über meine letzten Tage berichten, bevor das untergeht. Gestern begann für mich der „wirkliche“ Alltag, denn erst jetzt schreibe ich aus meiner Wohnung im Zentrum von Orscha, in die ich am Freitag einziehen durfte. Nur kurz dazu: die Wohnung ist ideal. Mehr als groß genug, voll ausgestattet, perfekte Lage – was das angeht, kann ich mich sehr glücklich schätzen. Außerdem: so komisch es klingt, Montag könnte mein Lieblingstag unter den Schultagen werden – könnte. Aber dazu später mehr.

Ein Blick aus meiner Wohnung

Über das Wochenende bin ich in Minsk, wo das Goethe-Institut uns Freiwillige zu einer Veranstaltung „eingeladen“ hat. Auf der Veranstaltung digital@goethe werden unterschiedliche digitale Neuerungen präsentiert, z.B. Augmented-Reality-Technik oder alternative Tastaturen aus Obst, dazu gibt es Workshops über digitale Musik, die mir zeigen – so geht es mir mit Musik immer – dass man mit Musik und mit Klängen sehr viel mehr machen kann, als man zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht glaubt. Ich denke darüber nach, was für ein Luxus es ist, dass wir uns hier im Ausland den Horizont erweitern lassen können, und frage mich, wie ich danach wohl in Deutschland weitermachen soll. Time will tell.

Nun, was war sonst noch in Minsk… am Abend essen wir in einer Pizzeria, wo eine Kellnerin nach der Bestellung kommentarlos einen Stapel mit fünf leeren Tellern auf unserem Vierertisch ablädt, den sie nach dem Essen wieder wegnimmt, ohne dass mit den Tellern bis dahin irgendetwas  passiert ist. Wenn das eine geheime Botschaft sein soll, verstehen wir sie nicht, doch vorsichtshalber geben wir etwas mehr Trinkgeld.

Wo wir gerade beim Verständnis sind – daran scheitern wir immer wieder. Ich bekomme schon viel mit, weil mein Wortschatz auf Russisch relativ groß ist und ich viele Sätze geübt habe. Somit habe ich einen gewissen Vorsprung vor den anderen und kann recht häufig helfen. Doch teilweise versagen wir auch kollektiv – woher soll z.B. irgendjemand von uns wissen, dass nur zwei der sechs Stellen auf dem Taxometer zählen?

Am Sonntag komme ich gegen 18 Uhr in der Wohnung an und sehe dem Montag entgegen. Das Besondere an diesem Tag sind für mich die Gegensätze: montags kommen alle Klassen doppelt vor. Ich bin in zwei zehnten und zwei dritten Klassen sowie in zwei Zertifikatsvorbereitungskursen (ZVKs) auf dem gleichen Niveau. Das Interessante dabei: immer ist einer der beiden Kurse um ein Vielfaches leistungsstärker als der andere. Dennoch behandeln die Kurse die gleichen Themen, was zu seltsamen Ergebnissen führt.

Gleich in der ersten Stunde am Montag stelle ich die zweite Episode meiner neuen PPPS (PowerPointPräsentationsSerie) vor, ein Zyklus, der bisher noch ohne einen konkreten Namen auskommen muss – und teilweise auch ohne Beamer, da dieser immer erst spontan entscheidet, ob er zum jeweiligen Zeitpunkt funktionieren möchte oder nicht. Da ich (wie gesagt) in zwei verschiedenen zehnten Klassen bin, wird die Präsentation kurz nach der Erstaufführung noch einmal wiederholt. In der zweiten Klasse wiederum ist eine Schülerin, die im Fakultativunterricht schon Episode 1 der PPPS  erleben durfte (Thema: „Wohnsituation und Mobbing“ – nein, das ist kein Scherz und war auch nicht meine Idee) und sich wahrscheinlich mittlerweile fragt, ob ich außer den Präsentationen nichts anderes zu tun habe.

Nächste Woche folgt dann Teil 3 der Reihe, dieses Mal für einen ZVK-Kurs.

In diesen ZVK-Kursen sitzen auch Schüler aus den Klassen, die ich kenne, was mich restlos verwirrt. Ich habe das Gefühl, den halben Kurs zu kennen, weiß aber nicht, woher genau. Vielleicht kommt das mit der Zeit, irgendwie müssen die Lehrer es ja auch schaffen. Wenig hilfreich dabei ist, dass in kaum einer Klasse nicht mindestens ein Vorname doppelt vorkommt, üblicherweise Mascha, Dascha, Nastja oder Lisa. (Das sind übrigens jeweils Rufnamen, die für Maria, Daria, Anastasia und Elisabeth stehen. Russische Namen sind ein spannendes Thema für sich.) In einem speziellen Fall gibt es unter den elf SuS im Kurs ganze drei mit Namen Mascha.

Spannend in Klasse 3 sind übrigens die Laute, die die Schüler aus dem Russischen noch nicht kennen, wie ch, st, sp und vor allem das deutsche r. ‚Pf‘ wird sicher lustig, darauf freue ich mich schon.

Ein Blick aufs „Zentrum“

Und zuletzt das Wetter: die Temperaturen variieren wenig, in etwa zwischen 6 und 10° C. Nach starkem Regen am Montag bleibt es heute zumindest teilweise trocken.

Liebe Grüße an alle!

Jonathan

P.S.: Für diesen Blogeintrag habe ich viel zu viel Zeit aufgewendet, obwohl ich eigentlich einige andere Dinge zu tun habe. Hoffentlich bekomme ich das morgen einigermaßen in den Griff.

 

2 Gedanken zu „Langsam wird es kalt – Herbstanfang in Belarus“

  1. Grüß dich Jonathan,

    bei mir ist es jetzt genau ein Jahr her, seit ich mit Kulturweit für 6 Monate nach Belarus (Pinsk) gegangen bin. Es war eine einzigartige Zeit-umso mehr freut es mich, dass ich zufällig über deinen Blog gestolpert bin! Du schreibst sehr lebhaft und anregend , ich werde gerne mitlesen! Ich finde den Blogeintrag auch keinesfalls zu lang, eher im Gegenteil ;) Mein eigener Blog ist im Nachhinein gesehen das beste Erinnerungsstück an mein Jahr in Belarus – halt also unbedingt daran fest!

    Ansonsten bleibt mir nichts weiter übrig, als die ganz viel Spaß und Erfolg zu wünschen!

    Beste Grüße aus der Heimat
    Roman

    1. Hallo Roman, ich bin tatsächlich auch schon mal auf Deinen Blog gestoßen, habe dann aber eher die „Werke“ von Chris und Anna zu Rate gezogen. Freut mich, wenn Dir der Blog gefällt :-) Der derzeitige Freiwillige in Pinsk (Leo) überlegt auch noch, einen Blog anzufangen, vor allem mit Fotos. Vielleicht kommt also noch ein Blog, der Dich interessieren könnte! Danke für die guten Wünsche und viele Grüße aus Belarus, Jonathan

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