Der anstrengendste Tag meines bisherigen Lebens

 

 

 

 

Es ist noch nicht lange her, dass ich den sowohl psychisch als auch physisch wirklich anstrengendsten Tag meines Lebens durchstehen musste. Obendrein wurde meine Haut ziemlich in Mitleidenschaft gerissen, aber dazu später mehr.

Was passiert ist, geschah aufgrund eines Missverständnisses. Meine Spanischkenntnisse sind nämlich leider noch recht spärlich – ¡Hola! und ¡Ciao! sind die Worte, die ich am häufigsten verwende, und meist verständige ich mich auf „Spinglisch“ (einer Mischung aus Spanisch und Englisch).

Mein Mitbewohner fragte mich also, ob ich nicht Lust hätte, mit auf einen „Ausflug“ zu kommen (so hatte ich das zumindest verstanden). Für mich war klar: Super! Das wird ein entspannter Tag, mit ein bisschen rumlaufen und einen Viewpoint sehen, da sagte ich natürlich gern zu.

Als ich am Abend darauf in lauschiger Kinoatmosphäre gerade immer müder werdend in meinen Sessel versank, trafen mich die Nachrichten meines Mitbewohners wie Fäuste in die Magengrube: „Hola, where are you? (…) Tomorrow at 6 in the morning we will leave to go Condoriri Mountain (…) I’ve already booked and bought food (…)!“ Für einen Moment starrte ich wie versteinert auf die Nachricht. Dann tat ich etwas, was ich lieber hätte sein lassen sollen, denn danach spürte ich tausend Kilo Gewicht auf meinen Schultern, die mich noch stärker in den Kinositz drückten. Es war ein bisschen so, als wenn man im Internet nach Krankheitssymptomen sucht und am Ende total panisch denkt, man hätte irgendeine schlimme Krankheit. So ungefähr fühlte ich mich, als ich die Informationen über den Condoriri Mountain recherchiert hatte:

Die Condoriri oder Condoririgruppe zählt zu den bekanntesten Bergregionen der Cordillera. Der höchste Gipfel ist der 5648 hohe (…)“

Ich hörte nur noch eine jämmerliche Stimme meines Unterbewusstseins schreien“: 5648m?! Neeeeeeeeiiiiiiiinnn!!!“ Doch das half nichts, der zweite Gedanke, der mir kam, war der, einfach abzuspringen. Da aber der Guide bereits gebucht und der Proviant eingekauft war, musste ich diesen wohl verwerfen und mich meinem Schicksal beugen.

Bersch hoch

 

Nach einer zu kurzen Nacht also fiel pünktlich um 6 Uhr morgens die Tür ins Schloss und wir machten uns auf den Weg, um die die Freundin meiner Mitbewohnerin (Magda ist ihr Name) und unseren Guide zu treffen. Nach ca. zwei Stunden Fahrt in mehreren Minibussen gelangten wir an unsere Einstiegsstelle, an die wir am Ende auch wieder zurückkehren sollten. Ich hatte nach einem kleinen Frühstück mittlerweile wieder erstaunlich gute Laune bekommen. Leider sollte diese nicht lange anhalten.

Als wir aus dem Auto ausstiegen, warf ich mir erstmal alle Klamotten über, die ich in meinem Rucksack finden konnte, denn wegen des Höhenunterschiedes war es bereits empfindlich kälter geworden. Um uns herum waren Berge und außer ein paar vereinzelten Hütten, und ab und zu ein paar Alpakas und Eseln, schien es, als wären wir die einzigen Menschen weit und breit. Irgendwie ganz schön ungewohnt.

Die erste Stunde liefen wir nur über Hügel, mit jedem Meter wurde es zunehmend kälter. Die Höhe und die dünner werdende Luft machten mir allerdings viel mehr zu schaffen und so war ich froh, als wir endlich unsere erste Rast einlegten. Der Ort, an dem wir uns ausruhten, lag an einer blauen Lagune, umschlossen von Bergen. Traumhaft eigentlich. Es hatte aber mittlerweile angefangen zu stürmen und zu regnen und wurde irgendwann recht unangenehm, so dass wir ziemlich schnell einpackten und weiterliefen.

Was mir bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst war, machte mir der Guide in einem kurzem Satz klar (er sprach auf englisch): “Dieser Berg da, links neben uns, auf den werden wir jetzt raufklettern“. Ich brachte zunächst nur einen hysterischen Gluckser heraus und dachte, ich hätte ihn falsch verstanden, was mir ja leider öfters passiert. Als mir dann aber bewusst wurde, dass er wirklich vorhatte, mit uns auf besagten Berg zu klettern, konnte ich es nicht fassen, und hätte mich am liebsten zum zweiten Mal einfach in Luft aufgelöst.

Ich frage mich im Nachhinein, wie ich es geschafft habe, solch höchst relevante Informationen nicht mitbekommen zu haben, das grenzt ja schon an einem Talent…

Nachdem ich mich berappelt hatte, fragte ich den Guide, wie lange es denn dauern würde, dort hinaufzuklettern. Einsilbig sagte er: „Tres horas.“ jaja, denk ich mir jetzt im Nachhinein.

Es ging gleich zur Sache, die Anstrengung nahm, aufgrund der Steigung und der immer knapper werden Luft einen so großen Raum ein, dass ich richtig wütend wurde. Wütend auf meinen Mitbewohner, der mir scheinbar falsche Informationen vermittelt hat, wütend auf den Guide, der ja wusste, dass ich erst 2 Wochen in La Paz war und Probleme mit der Höhe hatte, wütend darauf, dass ich nicht mithalten konnte und der Abstand zwischen mir und der Gruppe immer größer wurde. Vor allem aber war ich wütend auf mich selbst, weil ich ein konstantes Brett vorm Kopf habe, und wütend war ich obendrein auf das Universum!

Rückblickend weiß ich, dass alle negativen Gedanken auf die Anstrengung zurückzuführen und natürlich völliger Blödsinn waren! Ich frage mich aber trotzdem, warum es Leute gibt, die sich freiwillig solch einer derben Anstrengung hingeben, denn „einfach Spaß“ macht das nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich momentan nicht wirklich fit bin und das deswegen nicht nachvollziehen kann, wer weiß das schon…

Jedenfalls war nicht alles schlecht, ich verstand mich mit Magda erstaunlich gut, was auch daran lag, dass wir ungefähr das gleiche Schritttempo hatten und dass unser Abstand zur Gruppe zwar weiter wuchs, wir aber trotzdem zusammenblieben. Am meisten unterhielten wir uns natürlich über die Anstrengung und wie es wohl sein würde, wenn wir das alles überlebt hätten. Wir redeten auch über viele andere Dinge, was das Drumherum ein bisschen erträglicher machte. Wegen der Erschöpfung, die sich mit jedem Schritt immer breiter in mir machte, bekam ich von der Landschaft leider nicht so viel mit wie erhofft. Größtenteils passierten wir schroffe Schotterpisten oder Bergsplitter. Die Umgebung war abwechslungsreich, da wir beispielsweise Täler durchquerten, dann wieder über Wiesen oder Felsen liefen, trotzdem verspürte ich ein starkes Gefühl der Einsamkeit, und das lag nicht nur daran, dass wir nur vereinzelt auf andere (wahnsinnige) Wanderer trafen, es lag eher an der Tristheit, die die schroffe Landschaft ausstrahlte. In meiner Erinnerung war jedenfalls alles ziemlich grau und farblos.

Als wir nach fünfeinhalb Stunden, also nicht nach drei, am höchsten Punkt angelangten, hatten wir wirklich eine tolle Sicht. Ich fühlte mich ein bisschen so wie auf dem Mond, was sicherlich auch damit zusammenhing, dass ich mich von der Überanstrengung bereits in einem sehr seltsamen Zustand befand. Die braunen und türkisen Farbtöne hier oben verstärkten mein Gefühl, auf einem ganz anderen Planeten zu sein. Wir waren so hoch, dass wir auf die anderen Berge herunterschauen konnten, wie aus der Vogelperspektive, was ein unglaubliches Gefühl war.

Da wir zurück sein mussten, bevor es dunkel wurde, machten wir uns nach einer kurzen Rast, wieder auf den Weg nach unten, wobei ich wundersamerweise wieder neue Energie tankte und in einen Redesingfluss verfiel. Mit jedem Schritt während des Abstiegs nahmen wir immer mehr Sauerstoff auf, und mit der Aussicht, das Schlimmste überstanden zu haben und bald endlich am Ende der Wanderung zu sein, war ich zusätzlich motivierter. Als wir endlich im Auto saßen, redeten wir alle kein Wort mehr miteinander, außerdem wurden das derbe Hämmern in in meinem Kopf und die leichte Übelkeit immer stärker. Als wir zuhause ankamen, schaufelten wir uns erstmal alle einen großen Berg Nudeln rein, und nach der lang ersehnten Dusche erblickte ich eine Person mit hochrotem Gesicht im Spiegel: Ich hatte mir dummerweise einen fetten Sonnenbrand an Gesicht und Kopfhaut zugezogen, sodass ich ein paar Tage wie eine Pellkartoffel durch die Gegend laufen musste. Danach kaufte ich mir erst ein mal eine fette Flasche Sonnencreme mit Stärkefaktor 50, die für Sportler geeignet ist, aber nach dieser anstrengenden Wanderung bin ich das ja irgendwie auch und wer weiß, welche Wanderung als nächstes ansteht. (Übrigens sind wir gar nicht auf den Condoriri, sondern auf den Nachbarberg, den Pico Austria, mit 5320m geklettert. Was ich erst später erfuhr.)

Mein Mitbewohner hat mich seitdem noch nicht wieder gefragt, ob ich mit auf eine Wanderung kommen möchte, schade eigentlich. Ich habe viele Fotos gemacht, die ich aber wahrscheinlich gar nicht hochladen werde, da ich es viel schöner finde, sich das einfach nur vorzustellen. Falls jemand vorhat, die Wanderung selbst einmal zu machen, möchte ich mit meinen Bildern auch nichts spoilern.

Danke fürs Durchlesen 🙂