Wo ist jetzt Zuhause?

Die Frage, wo „Zuhause” ist, empfand ich, schon seit ich bei meinen Eltern ausgezogen bin, als irreführend. Letztes Jahr bin ich aus meinem Zuhause in ein neues, mein eigenes Zuhause umgezogen und direkt danach in ein vorübergehendes „Zuhause” im Ausland, auch wenn sich die Ein-Zimmer-Wohnung in Kalavryta und das Dorf an sich überhaupt nicht wie Zuhause anfühlt. Dabei erzähle ich, wenn ich in Athen bin oder mit Freunden telefoniere, wie gut die Luft in meinem Dorf ist, wie sehr ich mich freue wieder im Dorf zu sein, die Ruhe und Gelassenheit jeden Tag zu leben. 

Nach einer Woche Inselzeit mit ein paar anderen Freiwilligen kamen wir mit gemischten Gefühlen in Athen an. „Zuhause” sind wir, oder nicht? Es fühlte sich so vertraut an, wieder auf den selben riesigen Kreuzungen und Plätzen zu stehen, die gleichen Häuser und Werbeschilder willkommen zu heißen. Warum dieses Heimatgefühl? Woher kam das? „Fühlt sich an, als würden wir wieder zuhause sein” sagte einer von uns. „Und das fühlst du, obwohl du nicht einmal in Athen wohnst” Ich glaube nicht, dass es an Athens magischer Anziehung liegt. Es ist eine so gesunde Vertrautheit. In Athen weiß ich, dass es Menschen gibt, zu denen ich gehen kann. In Athen weiß ich mittlerweile wie der Weg von Monastiraki nach Omonia ist. Ich weiß, wo der Gemüseverkäufer ist, der uns alle gleich leidenschaftlich habibi nennt. Wenn ich in Athen bin, ist mein Zuhause aber dennoch im Dorf. Wenn ich in Athen bin, dann komme ich vom Dorf und ich finde es ganz lustig, weil ich sonst nie vom Dorf war oder jemals vom Dorf sein werde.

In Kalavryta kenne ich weit mehr als den Weg von der Kirche zur Bäckerei, ich kenne nicht nur den einen Gemüseverkäufer, sondern gefüllt jede dritte Person auf der Straße. Dabei laufe ich abends durch die Straßen und bin ziemlich froh, dass Kalavryta gar nicht so ein Dorf ist, w ie man es sich von brandenburgischen Dörfern vorstellen kann oder andere griechische Dörfer. Kalavryta ist ein Stadtdorf, denn es gibt ein Rathaus, es gibt ganze vier Supermärkte und zwei Bars! Es gibt ein ganz schickes Hotel und zahlreiche kleinere Unterkünfte. Es gibt Autos mit Kennzeichen aus Frankreich, Tschechien und Deutschland. Da fragen sich aber auch die Bewohner – Was wollen sie hier finden, was es sonst nirgendwo gibt? Was gibt es hier, was es anderswo nicht gibt? Berge und Dörfer gibt es mehr als genug auch anderswo, aber Kalavryta gibt es eben nirgends auf der Welt und solch schlechte Wanderwege wahrscheinlich auch. Vielleicht ist es die Art, wie die Sonne hinter den Bergen langsam verschwindet und alles in einem leichten Zartrosa aufleuchten lässt. Und das ist auch ein guter Grund für mich, kein Heimweh zu haben. Heimweh an welchen Ort? Mein Zuhause, das ist wahrscheinlich einfach dort, wo meine Yoga-Matte ist. Nur blöd, dass ich mehr als eine habe.