Ankommen vs. Angekommen

So. Nach einem Monat in Chile muss es jetzt doch mal sein. Der erste Blogeintrag.

Warum habe ich bloß noch nichts geschrieben und von all den Momenten berichtet, die schon berichtenswert waren? Ich hadere mit mir selbst und schiebe das Schreiben vor mir her, obwohl meine Handflächen kribblen und vor meinem inneren Auge Paragraphen entstehen. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, ich darf erst etwas schreiben, wenn ich das Gefühl habe, angekommen zu sein. Dass ich erst auf der sicheren Seite bin, wenn ich mich schon „zu Hause“ fühle. Aber in den letzten Tagen ist mir klar geworden, dass ich mir damit selbst im Weg stehe. Warum muss ich mir das Schreiben verdienen? Und lohnt es nicht gerade, das Zwischendrin-Sein, Schwebezustände, festzuhalten?

Sonnenuntergang auf dem Cerro Lucía

Ich bin in die Stadt eingetaucht und laufe gleichzeitig mit der imaginären Kameralinse einer Touristin durch die Straßen. In meiner Familie haben wir die Angewohnheit, uns immer darauf hinzuweisen, wenn etwas schön ist. „Haben wir’s gut?!“ Mit derselben Eintellung befürchte ich schon die Menschen zu nerven, wenn wir neue Sadtviertel erkunden oder den Sonnenuntergang, rosa festgehalten im Großstadthimmel über Santiago, vom Cerro Santa Lucía bestaunen. Ist das nicht  schön?  Schmeckt das nicht köstlich? Ist das nicht unfassbar?

Meine Streifzüge begrenzen sich natürlich auf den nordöstlichen Teil der Stadt, sodass es nicht allzu schwerfällt, dauernd seine Kamera zücken zu wollen. Ein Baustil, der an das altbekannte Europa erinnert, lässt gleich ein Wohlgefühl aufkommen, an das ich mich sicher anlehnen kann. Ob das, in meiner Mädchenschule, überhaupt mal ins Wanken gebracht wird?

Vitacura, mein derzeitiger Wohn- uns Arbeitsort, glitzert mit Boutiquen und moderner Architektur, Bankfilialen, Wohnhäusern mit Portier und zahlreichen Restaurants, in denen die Anzugträger lunchen gehen. Hier kann ich im Park joggen gehen und in der Sonne Popsicles am Food Truck kaufen. Das Zentrum und die anliegenden Viertel haben schon einen etwas lebendigeren Charme und ich treffe viele Studenten, die im Park die letzten warmen Tage genießen. Statt schicken Restaurants genehmigt man sich vielleicht eher einen „Italiano“, das typische chilenische Streetfood: Ein Hotdog mit Avocado, Tomate und einem Klecks Mayonaise.

Ich befinde mich also in diesem seltsamen Zustand – ein Alltag, der sich langsam einpendelt, gleichzeitig das Gefühl, dass die Zeit rennt und es noch viel zu viel zu sehen gibt. Dazu rücken plötzlich Studienpläne in greifbare Nähe und tragen dazu bei, dass ich schon wieder mit dem einen Ohr einer anderen Zukunftsmusik lausche.

Vielleicht könnte das mein Leitsatz für die nächste Zeit sein. Zwischendrin sein ist okay, aber versuchen, mittendrin zu sein wäre manchmal auch angemessen. Den Moment zu leben und einfach wahrzunehmen, was das mit mir macht.

Ich muss mir manchmal eben immer noch an die Nase fassen, um alles zu fassen. Dass ich jetzt hier lebe. Dass ich noch genügend Zeit habe, alle Obstsorten zu probieren, die ich noch nicht kenne. Dass das Lehrerzimmer und die Rufe der Mädchen („Frauuuu!“ ) Alltag sind. Dass das Spanisch noch immer schwerfälligüber die Lippen rollt, aber mit immer mehr Freude und chilenischen Anhängseln. Das ich einfach Glück habe, so freundlich aufgenommen worden zu sein, von Kollegen, Vermietern, Fremden.

Und trotzdem darf ich es mir erlauben, diese manchmal noch rosarote Zwischenbrille aufzuhaben. So bin ich eben noch nicht angekommen, sondern im Ankommen. Ich genieße es, durch die Stadt zu wandern – überhaupt kann man endlos gehen und gehen – liebe Menschen kennenzulernen und sie immer wieder am Ärmel zu zupfen: „Haben wir’s gut?!“

 

©Marlene

Dieser Artikel hat 6 Kommentare

  1. Liebe Lea,
    ich habe jetzt erst gesehen das du diesen Block hast da ich nicht im Mailverteiler bin. Aber ich finde es sehr schon geschrieben. 
    Jule

  2. Liebe Lea dir weiter eine schöne zeit,ich war gerade im Chile für 10 Tagen im Santiago 4 tagen,leider habe deine Eltern spät darüber berichtet .
    sino hubiese sido muy lindo encontrate.estube dos dias ocupado en conferencias al museo de LOs derechos Humanos y en el Museo Stiftung de Violeta Parra,si no los conoces puedes haserlo.muy buenos visto que la historia de chile es muy interesante.despues estube en Santiago de Atacama ;aqui estube ase 30 anhos con mi damalige Freundin ,mit Rucksack unterwegs ,heute ist viel im hande von der turismus industrie und die preisen so teuer das unmöglich ist viel zu machen.
    dir noch schöne zeit.
    Marcello

  3. Liebe Lea,
    unfassbar, einen Monat soll das schon her sein, seit wir am Tegeler Flughafen diesen sündigen Brownie zusammen vertilgt haben!?
    Du schreibst wirklich toll, danke dass ich mitlesen darf! Ich hoffe, Du kannst Dir weiter jeden Tag sagen „hab ich’s gut!“. Viel Speicher für die virtuellen Snapshots und jede Menge Wohlgefühl wünsch ich Dir im Mitten- und Zwischendrin.
    Take care
    Barbara

  4. Hallo Lea, schön von Dir zu hören, dass es Dir gut geht. Erzähl mal wie Du wohnst und was Deine Arbeit ist.

    • Lieber Ulli!
      Ich schreibe sicher nochmal einen ausführlicheren Beitrag darüber, aber die Kurzfassung ist: Assistieren im Deutschunterricht. Das heißt, ich übernehme kleine Unterrichtseinheiten, helfe bei Unklarheiten und bereite Lesestunden vor. Ab dieser Woche betreue ich auch das Jugend Debattiert Projekt! Bisher habe ich ein Zimmer bei einem bekannten älteren Ehepaar gemietet, ziehe aber jetzt in eine WG mit Studenten.
      Liebe Grüße!

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