Buenopolis e a vida social

Mit den Worten: „Jetzt wirst du das ursprünglichere Brasilien, eine andere Seite des Landes kennenlernen!“, fuhren wir vergangenen Freitag mit vollbepacktem Auto in Richtung Norden.

Da Ferienanfang war, standen wir zunächst in Stau. Davon habe ich aber wenig mitbekommen, denn dank des gemütlichen Roadtrip-Feelings habe ich den Großteil der Fahrt zwischen Kissen und Decken geschlafen. Nur an den Maut-Stellen der privatisierten Straßenabschnitte bin ich hin und wieder aufgewacht.

Nach sechs Stunden Fahrt sind wir gegen zwei Uhr morgens beim Haus der Eltern meines Gastvaters angekommen und sind alle hundemüde in die dicht an dicht stehenden Betten gefallen.

Eine erholsame Nacht war es aber leider nicht. Ab fünf Uhr waren die erste Feuerwerke zur Feier der Schutzpatronin Brasiliens „Nossa Senhora Aparecida“ zu hören und um sechs Uhr hieß es für uns auch schon aufstehen, um an der Taufe der Cousine meiner Gastschwester teilhaben zu können. Diese fand keine 200 Meter entfernt vom Haus in der blau-weißen Dorfkirche statt. (Ich sollte wohl anmerken, dass die Bezeichnung in brasilianischen Größenordnungen zu verstehen ist, immerhin hat Buenopolis grob 10.000 Einwohner).

Die Straße, in der sich sowohl das Haus der Eltern, als auch die Kirche befindet.

Obwohl ich selbst nicht sehr religiös bin, war diese Erfahrung äußerst interessant. Meiner Meinung nach war die Atmosphäre in der Kirche sehr schön. Der Live-Gesang, das gegenseitige Umarmen nach dem Gebet und nicht zuletzt die Freudentränen der Familien, deren Kinder getauft wurden, haben dazu beigetragen. Dass die katholische Kirche in vielen Teilen Brasiliens einen starken Einfluss hat, manifestiert sich in meinen Augen neben den vielen ministrierenden Kindern vor allem im alltäglichen Sprachgebrauch. „Nossa“ oder „Nossa Senhora“ bedeutet  beispielsweise so viel wie „Wow!“, „Toll!“, „Enorm!“, „Wie schön!“, „Krass!“ oder „Oha!“ und lässt sich in fast jedem Gespräch wiederfinden.

Nach der Kirche sind wir zum Frühstück ein paar Straßen weiter in das Haus des Schwagers meines Gastvaters gefahren. Leckere Pao de queijo, frischer Saft und andere Leckereien waren schon vorbereitet. Im Hof des Hauses wurden wir von zwei kleinen Welpen empfangen, die freudig an uns hochsprangen. Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt. Dank der Gastfreundschaft war es auch überhaupt nicht unangenehm mit eigentlich fremden Personen in deren Haus zu frühstücken. Im Gegenteil, fühlte ich mich stets willkommen und fast als Teil der Familie.

Im Anschluss an das Frühstück sind wir auf das Anwesen, die „Fazenda“ des Schwagers gefahren. Dort habe ich einmal mehr daran denken müssen, wie glücklich ich mich schätzen kann, das hier erleben zu dürfen und wie dankbar ich für meine Situation bin.

Einfahrt der Fazenda – eine wahre Prachtallee aus tropischen Pflanzen!

Auf der Fazenda erwartete uns ein wahres Paradies, erbaut und gepflanzt allein von einer Person, dem Schwager Luis. Das Gelände ist riesig. Neben einem Wochenendhaus und einer überdachten Terrasse befindet sich in der Mitte ein großer Badesee, in dem früher sogar mal Piranhas gelebt haben, die aber ungefährlich gewesen sind. Unter gigantischen Mangobäumen befindet sich ein großes Gehege mit bunten Kanarienvögeln, Papageien und Schildkröten. Ein paar prachtvolle Pfauen stolzierten dazwischen umher.

Weiter unten auf dem Gelände leben Hühner, Truthähne und Gänse zwischen einer unbeschreiblichen Vielfalt an Farnen, Obstbäumen und Blüten. Stauend bin ich durch die Pflanzenpracht geschlendert, habe mir alles von meinem Gastvater erklären lassen und mich wortwörtlich durchgefuttert. Angefangen bei Acerola, über Jabuticaba, süße Maracuja, Mandarinen, Orangen, Ananas und Mango, bis zu Pitanga (Surinamkirsche), Amora (maulbeerähnliche Frucht) und schließlich Avocado und Bohnen war alles dabei, was man sich wünschen könnte.

Auch im Gemüsegarten lernte ich zahlreiche neue Sorten kennen, darunter Chuchu (Chayote) und Maxixe (Antillengurke), die ich bei einem reichhaltigen Mittagessen serviert bekam, während alle anderen Grillfleisch aßen. „Churrasco“ ist eben sehr beliebt bei den Brasilianern. Am nächsten Tag aßen alle aber im Gegensatz dazu vegetarisch. „Feijao“, also Bohnen, Reis, Ei und verschiedene Gemüsegerichte wurden von einem gigantischen Salat begleitet.

Am Nachmittag habe ich außerdem die Pflanzenzucht von Luis bewundert, die von Orchideen über Farne, bis zu Nutzpflanzen alles zu bieten hat. Des Weiteren habe ich für meinen Portugiesisch-Test gelernt, dabei die traumhafte Aussicht genossen und war schließlich zusammen mit meiner Gastschwester im See baden. Über uns glitten bunte Vögel dahin, hinter uns zeigte ein Pfau seine ganze Pracht und wir redeten über die Unterschiede zwischen dem brasilianischen und deutschen Schulsystem. Zwischendurch hat uns noch einer der Hunde Gesellschaft geleistet.

Für mich war es unbeschreiblich toll, dort zwischen all den Pflanzen und Tieren sein zu können. Ich glaube ich habe es bis jetzt nicht ganz realisiert, habe noch nicht alle Eindrücke verarbeiten können.

 

Zu Abend haben wir in einem sehr stillvoll eingerichteten Vintage-Restaurant gegessen. Laut meiner Gastfamilie sei dies aber auch das einzig gute Restaurant in Buenopolis. Das erinnert mich ein wenig an die Zentralbar in der Kleinstadt Nürtingen in meiner Heimat, in der man stets gute Chancen hat, Bekannte aus allen umliegenden Dörfern zu treffen.

Am nächsten Morgen habe ich nach einem leckeren Frühstück mit frischgepressten Acerolasaft und Biscoitos de queijo zunächst in der noch angenehmen Morgensonne weiter gelernt.

Süße Maracuja sind selbst in den großen Städten Brasiliens selten zu finden.

 

Traumhafter Ausblick beim Lernen

Nach dem Mittagessen, an dessen Vorbereitung sich alle mit Schnippel-Arbeit beteiligt haben, bin ich mit meinem Gastvater und dem Sohn des Schwagers auf dessen Farm gefahren. Zunächst tauschten wir unser Auto gegen den Jeep des Schwagers ein, denn der Weg zur Farm führt zum Großteil über ungeteerte Straßen. Die Fahrt dauerte gut eine Stunde. Wir durchquerten eine enorm trockene Landschaft auf eisenhaltigem Boden, der jetzt am Ende der Trockenzeit ziemlich staubte. Der Ausblick über die „serra“, die sich tausende Kilometer weit erstreckt, war allerdings einmalig und ich bin einmal mehr fasziniert von den Anpassungsmechanismen der Natur an solch unwirtliche Bedingungen.

Auf der Farm angekommen, bekam ich zunächst ein Hemd und einen Hut, bevor wir über das Gelände spazierten, das nicht zu enden schien. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass laut Fazendeiro diese Farm eher klein sei. Die Größenverhältnisse Brasiliens sind mit nichts zu vergleichen, was ich bisher aus Europa kannte. Wir stapften über ausgetrocknete Wiesen, prüften Dämme aus gestapelten Bäumen, die die Erde bei Eintreten der Regenzeit vor dem Wegschwämmen schützen sollen, beäugten die Setzlinge, die nur mittels einer Tröpfchenbewässerungsanlage am Leben gehalten werden und kletterten über Zäune. Unterwegs konnte ich eine Grille dreifacher Größe im Vergleich zu europäischen Grillen und bunt schillernde Papageien in Mangobäumen beobachten.

Während der Fazendeiro weiter seine Setzlinge in der prallen Sonne prüfte, die ihm wenig auszumachen schien, ruhten mein Gastvater und ich uns im Schatten der Bäume aus. Wir aßen Mangos mit den Händen direkt vom Baum und pflückten dattelartige Gewächse, um unseren Durst zu stillen. Im Anschluss daran streichelte ich die Pferde und schaute mir die Kühe indischer Herkunft an, die an dieses Klima gewöhnt sind und nach der Allenschen Klimaregel über sehr große Ohren verfügen, die sie irgendwie drollig aussehen lassen.

Dann durfte ich sogar auf einem der Pferde reiten. Mit meinem Hut und dem Westernsattel kam ich mir ein bisschen wie ein Cowgril in einem (schlechten) Westernfilm vor, während ich mit meinem Gastvater durch die Kuhherden trabte. Ich lernte, dass die Pferde hier besonders angenehm zu reiten sind, da man ähnlich wie bei Islandpferden ein volles Wasserglas halten könnte, ohne es zu verschütten. Das war in Anbetracht der früheren Handelswege in diesem Land der großen Distanzen wirklich nützlich. Wie wir so einhändig mit wehendem Haar durch die „serra“ ritten, musste ich zunehmend schmunzeln. Was für einzigartige Erfahrungen ich hier machen darf und wie toll das Gefühl war, so frei von allem Stress, verbunden mit der Natur, die Augenblicke zu genießen.

Blick aus dem Tal auf die bergige Landschaft (serra)

Danach spazierten wir nochmal über das Gelände, um die Zeit bis zur Rückfahrt zu überbrücken. Auf Portugiesisch erörterten wir die Probleme der Bauern in Brasilien und Deutschland und genossen den Ausblick auf die golden schimmernde Landschaft. Dass es sich lohnt, seine Umgebung aufmerksam zu studierten, offenbarte sich mir in Form eines Tukans keine zehn Meter neben mir und der Duschschwamm-Pflanze, die in Mangobäumen wächst.

Bevor wir wieder zurück gefahren sind, habe ich den spektakulären Sonnenuntergang in rosa-rot-Farben, ebenso wie den aufgehenden Vollmond über den Bergen bewundert, während ich weiter mit den Pferden kuschelte und Kälbchen den Hügel hinauftrotteten.

Diese Bilder sind vom Sonnenuntergang am Vortag im Tal, da ich auf der Farm keinen Fotoapparat dabei hatte.

Zu Abend aßen wir im selben Restaurant wie am Vortag. Diesmal habe ich aber „mandioca com manteiga“ probiert und mitten im Gespräch realisiert, dass ich so langsam wirklich in der Sprache ankomme, von Erlebnissen berichten und mich an Konversationen mit mehr als nur ein paar Worten beteiligen kann. Beim lautstarken Konzert der Grillen und Vögel am Abend kuschelten wir uns in die Betten und ich hatte Zeit, die Eindrücke und Bilder des Tages Revue passieren zu lassen.

Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Rückweg. Aber nicht bevor wir uns mit frischem Gemüse aus dem Garten ausgestattet und uns von der Familie in ihrem Laden „casa do fazendeiro“ verabschiedet hatten. In besagtem Laden sollten wir dann auch noch Bilder mit Hut und vor Pferdestatuen oder Lederschuhen machen, um die Reise abzurunden.

Kein Kommentar 🙂

Auf dem Rückweg legten wir allerdings noch einen Stopp in einem Restaurant ein, in dem gigantische Bullenköpfe an der Wand und ein Buffet über dem offenen Feuer die Wild-West-Seite von Minas Gerais präsentierten. Im Anschluss besichtigten wir noch eine Höhle, in der ich seit Wochen das erste Mal wieder so etwas wie Kälte empfunden habe. Die sieben Säle mit erhabenen Stalagmit-, und Stalaktit-Formationen haben alle Teilnehmer der Führung beeindruckt und die schimmernden Wände boten ein tolles Ende des Ausflugs.

Meine Gastschwester hatte mich nach dem Tag auf der Farm mit den Worten „A Leah gosta das aventuras!“begrüßt. Als ich „Sim, foi otimo!“ antwortete, musste ich daran dennken, dass nicht nur dieser Tag, sondern jeder einzelne Tag hier in Brasilien ein Abenteuer mit viele Einsichten, zu revidierenden Meinungen und tollen Erfahrungen ist.

In meiner Freizeit habe ich inzwischen auch sehr tolle Leute in meinem Alter kennengelernt. Neulich habe ich mich beispielsweise mit ehemaligen Schülern des CSA in einer veganen Bar getroffen. Entgegen meiner Erwartung kannte ich niemanden in der Gruppe. Da mich ein Diego zu dem Treffen eingeladen hatte, rechnete ich mit dem mir bereits bekannten PASCH-Alumnus, den ich in Sao Paulo kennengelernt hatte. Als ich diesem schrieb, wo er denn sei, musste ich feststellen, dass es wohl noch einen anderen Diego in der Gruppe geben muss. Dass ich niemanden kannte war aber überhaupt nicht schlimm. Wir teilten uns ein Bier (chope), redeten auf Portugiesisch und Deutsch, als ob wir uns schon lange kennen würden und probierten die vegane Version der brasilianischen Spezialität „coxinha“, einer tropfenförmigen Hähnchenkrokette. Wir sprachen über die Uni, Produkte zur Plastikvermeidung und die politische Situation im Land. Die „Fora Bolsonaro“-Sticker und der Secondhand-Shop in der Bar untermauerten unsere Ansichten. Auf dem Heimweg habe ich mir mit einem der Jungen ein Uber geteilt. Er erzählte mir von seinem Traum, in Deutschland zu studieren und ich berichtete im Gegenzug von meiner Arbeit als Freiwillige.

An diesem Abend habe ich für mich erneut feststellen können, wie einfach es ist, nette Leute kennenzulernen, wenn ich mich nur auf die neue Situation einlasse und nicht so viel nachdenke. Dass Sprache ein Türöffner sein kann habe ich einmal mehr beim gestrigen Mittagessen mit der Tochter einer Lehrerin des CSA festgestellt. Ihre Mutter hatte den Kontakt hergestellt und nach einem kurzen Gespräch auf Whatsapp verabredeten wir uns in der UFMG. Wir redeten über Interessen, die Probleme der Uni und unser Leben im Allgemeinen, genauso wie all die anderen Studenten um uns herum. Das war eine schöne Erfahrung für mich. Zuvor hatte ich mit zwei Teilnehmern des Portugiesisch-Kurses jeweils auf Spanisch und Portugiesisch beziehungsweise auf Englisch über ihre Herkunft und Geschichte gesprochen. So verschiedene Lebensrealitäten- der eine aus Venezuela geflüchtet, der andere aus Kalifornien, der Liebe wegen in Brasilien- und trotzdem so ähnliche Gespräche mit offenen, sehr netten Menschen, haben mir gut gefallen. Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und sich gegenseitig zuzuhören erscheint mir heute wichtiger denn je, wenn es im Weltgeschehen an Respekt und Toleranz mangelt. Wenn ich mit so verschiedene Menschen in Kontakt komme und die Mehrsprachigkeit lebe, realisiere ich zunehmend was es bedeutet, ein Bürger der Welt zu sein.

In ein paar Tagen treffe ich mich des Weiteren zum ersten Mak mit einer Schülergruppe aus besonders interessierten Deutschlernenden. Wir haben diese Treffen völlig unabhängig von der Schule organisiert. Da wir uns alle gut verstehen wollen wir auf diese Weise in alltäglichen Situationen der Freizeit Deutsch beziehungsweise Portugiesisch sprechen und einfach Spaß zusammen haben. Wir planen Film- oder Spieleabende, wir möchten zusammen kochen und backen oder Bars besuchen. Netterweise werden mir die Schüler auch ihre Stadt zeigen. Wir fangen mit dem Stadtviertel Pampulha an…

Liebe Grüße!

 

 

4 Gedanken zu „Buenopolis e a vida social

  1. Christian

    Huhu liebe Leah,
    jetzt will ich public media Muffel mich doch auch mal auf diesem Wege melden und mich für deine bewegenden Eindrücke bedanken die du auch mir mit deinen Worten und Bildern ermöglichst 🙂
    Bin mit gekickt von deinen Schilderungen und froh dass du es dort insgesamt so positiv angetroffen hast, und darum dass du diese Gelegenheit für dich intensiv nutzt muss ich mir echt keinerlei Sorgen machen 🙂
    Ich drücke dich aus der Ferne und stimme in Stefans Worte ein dass man schon etwas gerührt sein kann vor Mitfreude und Dankbarkeit, und in Gabis Worte dass der Hut dir wirklich gut steht +lach+
    Grüße von Christian

  2. Gabriele Preisinger

    Es freut mich so sehr, dass du nun auch in meinem Wohlfühlklima „angekommen“ bist und so aufregende und außergewöhnliche Dinge erleben darfst. Diese wirst du für immer in deinem Herzen tragen.
    Du hast sehr großes Glück mit deiner Gastfamilie und ich freue mich mit dir über all die neuen und spannenden Menschen in deinem Leben.
    Und der Hut steht dir gut:-)

  3. Gabriele Preisinger

    Es freut mich so sehr dass du dich nun auch in meiner Wohlfühllandschaft so gut fühlst und du die Gelegenheit hast so wunderbare und spannende Dinge zu erleben und nette und aufgeschlossene Menschen kennenzulernen. Das ist in der Tat ein Geschenk. P.s…..der Hut steht dir gut?

  4. Stefan Preisinger

    Meine Güte, das klingt so schön, dass es sich von zuhause aus völlig surreal anfühlt, trotz oder gerade deswegen habe ich tatsächlich beim Lesen eben ein paar (Mit-) Freudentränen in den Augen gehabt. Und eine wichtige Erkenntnis hast Du da niedergeschrieben: “ Im Grunde sind wir alle gleich“.

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