„Deutsche Pünktlichkeit“ geht auch in Chile- Interview mit Honorarkonsul Eduardo Schild

Dieses Interview wurde ausschließlich auf Spanisch durchgeführt und entspricht meiner Übersetzung. 

Herr Eduardo Schild ist gebürtiger Valdivianer. Geboren 1952 hat er fast sein ganzes Leben in Valdivia verbracht. Seine schulische Laufbahn führte ihn mit an die respektiertesten Bildungseinrichtungen Valdivias unter anderem die Deutsche Schule Carlos Anwandter und die Universidad Austral de Chile in der er ein Landwirtschaftsingenieurstudium erfolgreich abschloss. Honorarkonsul ist er seit 1996 und seit jeher zuständig für die unterschiedlichsten Anliegen deutscher Staatsbürger in der Seenregion. An einem typisch verregnet Donnerstagnachmittag im August nimmt er sich die Zeit meine Fragen zu beantworten. Das Honorarkonsulat liegt zentral zwischen einer Bank und einem Schuhgeschäft- lediglich der gelbe Bundesadler lässt erahnen was sich hinter diesem doch sehr unscheinbar wirkenden Gebäude befindet. Als ich ankomme erwartet Herr Schild mich bereits.

Zunächst könnten Sie einmal kurz Ihren Werdegang schildern?

Ich bin hier in Valdivia 1952 geboren und habe hier an der Deutschen Schule Valdivia studiert und danach an der Universidad Austral hier in Chile- ich bin Landwirtschaftsingenieur. Honorarkonsul seit 1996- 21. Jahre schon.

Welche Aufgaben erfüllen Sie als Honorarkonsul und wie gestaltet sich typischerweise Ihr Alltag?

Also mal sehen- die Hauptaufgabe eines Konsuls ist die Betreung Deutscher Staatsbürger vor Ort- vor allem- auch in juristischen Angelegenheiten z.B. gestohlene Reisepässe, Krankheit, Unfälle und andere Vorfälle dieser Art- sie können sich dann an den Konsul wenden und der wird ihnen helfen die Probleme zu lösen- somit einige Aufgaben diesen Typs. Außerdem nimmt ein Konsul auch kulturelle Aufgaben war- z.B. den Erhalt und die Verbreitung der Deutschen Kultur- das gilt auch für das Colegio Aleman, das vom Deutschen Konsul betreut wird. Aber auch das Verhältnis zwischen deutschen Institutionen oder auch deutsch- chilenischen Institutionen ist Sache eines Konsuls- hier sind vor allem die Clinica Alemana, Club Deportivo Phoenix Valdivia, Club de Yacht Valdivia, der von deutschen Einwanderern ins Leben gerufen wurde, Club de La Union- der ursprünglich Club Aleman hieß, der aber 1945 sozusagen zum Ende des Krieges hin seinen Namen wechselte und sich von nun an Club de la Union nannte, und auch die Iglesia Luterana- die von dem Generalkonsulat unterstützt werden. Aber ich kümmere mich auch um die Studenten die nach Deutschland studieren gehen wollen und z.B. ein Visa brauchen.

Wodurch unterscheidet sich Ihre Arbeit von der eines Botschafters?

[Diese unterscheidet sich] doch sehr erheblich. Ich lebe von meiner Arbeit als Immobilienmakler. Die Funktion eines Konsul ist ehrenamtlich also unentgeltlich und natürlich freiwillig. Der Unterschied zwischen der Arbeit einer Botschaft und der Arbeit in einem Konsulat ist, dass die Botschaft Deutschland auf Regierungsebene vertritt, wohingegen der Konsul für das Verhältnis zwischen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland und Bürgern des Gastlandes vertritt. Ein Konsul ist kein Diplomat.

Alleine in Chile gibt es 5 Auslandschulen und 18 weitere Schulen die von der Bundesrepublik Deutschland gefördert werden. Betrachtet man den Haushaltsplan des Auswärtigen Amts für 2017 genauer fällt ins Auge, dass ein erheblicher Teil des Etats, nämlich rund 923 Mio. Euro, alleine auf den Sprach-, Forschungs- und Bildungsbereich wie z.B. ZfA , Goethe- Instiut etc. entfällt. Daher meine Frage: Was verspricht man sich eigentlich von diesem logistischen und finanziellen Aufwand und welchen Stellenwert haben die vorherig genannten Bildungs- und Kultureinrichtung für die deutsche Außenpolitik?

Mal sehen- also dieser Aufwand- größtenteils finanziell- der die Deutschen Auslandschulen unterstützt in Chile und der Welt- ich glaube es sichert zumindest hier in Valdivia sowie vermutlich überall die Existenz der Deutschen Sprache und Kultur. Man spricht vielleicht nicht überall perfektes Deutsch aber man ließt deutsche Zeitungen, sieht deutsche Nachrichten usw.- außerdem pflegt man Kontakte mit deutschen Bürgerinnen und Bürgern.
Man sieht es auch an mir- ich habe vor langer Zeit das Colegio Aleman in Valdivia besucht. Viele meiner Mitschüler, die dort studiert haben, leben heute in Deutschland, manche haben nicht einmal deutsche Vorfahren. Sie leben dort mit ihrer gesamten Familie, arbeiten dort und auch ihre Kinder wachsen dort auf.

Ich glaube heute sieht man Deutschland durch seine Vergangenheit und auch die große Anzahl der Immigranten, die sich überall angesiedelt haben. In den letzten 40-50 Jahren glaube ich kommen viele Immigranten in Deutschland auch aus Ländern wie z.B. Chile- das ist auch weil sie die deutsche Sprache und Kultur in der Schule gelernt haben.

Deutsche Auslandschulen sind größtenteils wenn nicht sogar ausnahmslos Privatschulen. Das Colegio Alemán Carlos Anwandter z.B. erhebt pro Monat ca. 300 000 (Stand August 2017) Pesos also umgerechnet 429 Euro. Das Durchschnittseinkommen in Chile beträgt aktuell jedoch nur ca. 1000 Euro. Dieser Umstand legt die Vermutung nahe, dass diese Bildung nur bestimmten Bevölkerungsschichten vorbehalten bleibt, sprich den Wohlhabenderen. Worin liegt dies Ihrer Meinung nach begründet?

Also zunächst einmal: das ist ein Problem von Deutschland und nicht von den Deutschen Schulen, die darauf keinen Einfluss haben. Die chilenische Regierung sollte sich damit befassen und mehr Geld in die Bildung stecken. Das passiert jedoch nicht weil das Geld entweder nicht da ist oder zu falschen Zwecken eingesetzt wird.

Nun würde ich gerne noch auf die Deutsch-chilenischen Beziehungen zu sprechen kommen. Beide Länder trennen mehr als 12.000 km und dennoch steht Chile Deutschland, historisch bedingt vermutlich näher als jedes andere Land in Südamerika. Im ausgehenden 19. Jhrd. suchte die chilenische Regierung ihre Territorialansprüche im Süden durch gezielt Ansiedlung zu sichern. Nach der Revolution von 1848 kam somit eine erste Einwanderungswelle in den Süden Chiles. Noch während des Zweiten Weltkrieg fanden dort viele Juden Zuflucht und viele Nazis entzogen sich später ihrer Verantwortung durch eine Flucht nach Chile. Zudem wurde Chile Anlaufpunkt für viele heimatlos gewordene Ostflüchtlinge. Könnte man Chile daher als Puffer bzw. die Auffangstation vieler politischer Krisen in Deutschland bezeichnen und wenn ja, wie setzt sich diese Geisteshaltung in den hier lebenden deutschstämmigen Chilenen fort?

Ich denke es ist gefestigt, dass es eine Zeit gab in der viele Chilenische Staatsbürger nach Deutschland und Europa geflohen sind, um dort ihr Leben fortzuführen. Es ist auch sicher, dass viele Deutsche und auch Carlos Anwandter selbst nach Chile kamen, aus Frust über die damalige politische Situation im eigenen Land. Sie suchten ein Land in dem sie und ihre Familien siedeln konnten, dass sich drastisch von Deutschland unterschied und ihnen gleichzeitig mehr Freiheiten einräumte- das ist natürlich passiert.

Mein Großvater ist zu Beginn des vorigen Jahrhunderts aus wirtschaftlichen Gründen nach Chile gekommen um hier zu arbeiten- in einem Büro für eine deutsche Firma, die im Norden Salpeter abbaut. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges schloss diese Firma – er wurde arbeitslos und kehrte nach Deutschland zurück. Dort zog er in den Süden, wo er meine Großmutter kennenlernte und heiratete. Danach zogen beide in den Süden Chiles.

[In Bezug auf Politische Einstellungen] spreche [ich] jetzt aus meiner persönlichen Erfahrung, ich habe noch nie die Erfahrung gemacht oder eine  solche Situation erlebt. Hier in der Deutschen Schule hatte ich auch Mitschüler die jüdischen Glaubens waren und auch deutsche Schüler, von dem Lehrern zum Beispiel, also die deutsch waren und auch chilenische Schüler, die ursprünglich Vorfahren in Frankreich und Spanien hatten. Eine ganz internationale Mischung. Es gab keinerlei Vorfälle- wir haben uns einfach sehr gut verstanden.

Dies ist eine Situation die vielleicht- ich gebe dir ein Beispiel- meine Frau ist palestinänsischer Abstammung- die Palästinenser sind in Chile eine sehr wichtige Gemeinschaft wie die Deutschen- aber hier in Chile gibt es keine Probleme zwischen Juden und Palästinenserin. Sie betreiben hier ihre Geschäfte, heiraten oder nehmen aktiv am Sozialleben teil und pflegen dabei weiterhin ihre Religion. In Chile befinden wir uns somit in einer ganz besondere Situation. Es treffen sich Juden mit arabischen Palästinensern. Hier ist das möglich. Natürlich hat jeder seine Ansichten aber alle leben und leben miteinander.

Mal abgesehen von der Deutschen Feuerwehr, Deutschen Straßenschildern und Familiennamen und natürlich der Cerverzeria Kunstmann in wie weit spielt die deutsche Kultur in der heutigen chilenischen Gesellschaft überhaupt noch eine Rolle?

Ich würde sagen, zumindest hier in Valdivia, allgemein im Süden existiert ein wichtiger deutscher Einfluss. Nicht nur bei Festen wie Ostern oder Weihnachten, die ja sehr deutsch sind, mit Traditionen wie dem Osterbaum zum Beispiel, der sich so gut wie in jedem Haus befindet- aber es ist nicht nur das- auf eine Art findet er sich auch bei den Leuten in der Straße- z.B. die Art und Weise, wie sie [deutsche] Nachnamen ganz natürlich aussprechen können- sehr viel korrekter als z.B. Chilenen aus Santiago. Darüber hinaus eint [die Südchilenen] eine Art die sie von dem Rest des Landes unterscheidet- die „Deutsche Pünktlichkeit“ unter anderem- Valdivianer sind sehr viel pünktlicher als im Rest des Landes. In Santiago sagt man „Wann treffen wir uns?“ „Drei bis drei Uhr dreißig“ – das gibt es bei uns in Valdivia einfach nicht. Verstehst du?

Wenn man an die Deutsch- Chilenischen Beziehungen denkt so kommt man nicht umhin auch die Schattenseiten zu diskutieren. Colonia Dignidad stellt offenkundig eine dieser Schattenseiten dar. Lange Zeit wurde von deutscher Seite aus, trotz nicht zu leugnender politischer Verantwortung, dazu geschwiegen und die Ermittlungen nur schleppend vorangetrieben. Ebenso wurden nur unzureichend Hilfsmittel für die Opfer, die gegenwärtige teilweise unter bitterer Armut leiden, zu Verfügung gestellt. Nun hat der Bundestag am 29. Juni 2017 eine überfraktionallen Antrag zur „Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad und Hilfe für die Opfer“ einstimmig beschlossen. Nun meine Frage: wie stehen Sie zu dieser Entscheidung und wie stehen die Chilenen insgesamt dazu?

Ich glaube Colonia Dignidad ist, wie du sagst, ein dunkler Teil der Geschichte- sehr bedauerlich. Aber in den letzten Jahren wurde es nicht mehr so breit in der Öffentlichkeit diskutiert, weil es eben der Vergangenheit angehört.

[Den Beschluss] finde ich korrekt aber es ist kein Thema mehr, über das heute in den Zeitungen geschrieben wird- es ist kein Thema das heute noch priorisiert wird.

Doch die Auswanderung geht auch anders herum nach dem Putsch Augosto Pinochets 1973 nahm Deutschland ca. 6000 Flüchtlinge aus Chile auf. Wie haben sich diese Entwicklungen auf die Deutsch- chilenischen Beziehungen ausgewirkt?

Ich weiß nicht ob es jetzt konkret chilenische Dörfer oder Ähnliches in Deutschland gibt aber es sind damals tatsächlich viele Chilenen nach Deutschland gegangen. Unsere Präsidentin zum Beispiel, Michelle Bachelet, ging in die damalige DDR um dort zu studieren. Klar, viele sind zurückgekehrt und haben ihre Kontakte zu Deutschland bewahrt. Ich glaube es ist einfach ein Teil der Geschichte- so wie damals Carlos Anwandter.

Zum Abschluss was müsste Ihrer Meinung nach auf einer Visite umbedingt besucht werden?

Ich finde für einen Besucher ist es wichtig unseren valdivianischen Regenwald kennenzulernen. Vielleicht um dir ein Beispiel zu geben es ist nicht unbedingt wichtig es zu sehen aber ich glaube es ist ganz schön darüber zu erfahren: In dieser Stadt die Feuer und Erdbeben und nicht zuletzt auch Zerstörungen durch die Ureinwohner ausgesetzt wurde, gibt es eine Kathedrale, die heute noch immer auf dem Hauptplatz steht. Sie ist die 17. Kathedrale, die 16 vorhergehenden Kirchen wurden alle zerstört ob nun durch Feuer oder Erdbeben oder Angriffe vor langer Zeit.

Und diese 17. Kirche war vorher die Kirche die von dem Erdbeben in den sechziger Jahren zerstört wurde und danach von einem Lutheraner angeleitet wurde, der Geld sammelte um die Kirche wieder aufzubauen. Sein Werk wurde von einem Mann jüdischen Glaubens weitergeführt und viele weiteren Personen unterschiedlichster Glaubensrichtungen, der Angelsächsischen Kirche und natürlich auch Katholiken. Diese 17. Kirche ist somit das Ergebnis einer großen Gemeinde, ohne das aufgrund von Hauptfarbe, Ethnie oder Staatsbürgerschaft oder Religion unterschieden wurde.
.