Mein Erfindergeist kennt keine Grenzen. Aber mein Erinnerungsvermögen, weshalb ich die besten meiner Improvisationen leider schon wieder vergessen habe. Ich fühle nur noch diesen fast schon mütterlichen Stolz auf mich, der mich immer zufrieden tief einatmen lässt, wenn ich in pfadfinderischer Manier Lösungen für Probleme gefunden habe, die ich vorher nie hatte. Ich setze dann einen würdevoll bis leicht zickigen Blick auf, den ich ins Nichts richte und mit dem ich, wem auch immer – vielleicht mir? – sage: „Siehste, so geht das!“
Gestern wollte ich einen Abend ohne Gift-Geruch auf meiner Haut verbringen. Das Mückenspray, dessen Inhaltsstoff meine, Moment – ich zähle –, 13 Stiche am rechten und 16 Stiche am linken Bein nicht verhindert hat, schmerzt unangenehm, wenn ich es auftrage. Es ist ja nicht so, dass die Mücke sticht, ich verantwortungsbewusst den Azaron-Stift hole, ihn über der kleinen roten Erhebung kreisen lasse, die Verschlusskappe wieder aufsetze und entspannt ein Bein über das andere schlage und schon bald gar nicht mehr weiß, auf welchem sich der Stich befindet.
Nein.
Wenn mich eine Mücke sticht, dann reibe ich erst mit der weichen Unterseite meines Zeigefingers darüber und bilde mir ein, dass ich so schonend den Juckreiz bekämpfe. Das klappt jedoch nicht, weshalb ich meinen Nagel zur Hilfe nehme, später dann mit der ganzen Hand aggressiv kratze. Der Mückenstich nässt etwas und meist lasse ich in diesem Moment von ihm ab – bis zum nächsten Morgen.
Am nächsten Tag hat sich die kleine Wasserlache in meinem Mückenstich verfestigt und an den Rändern drückt sich rindenartig die kleine Kruste nach oben, an der ich beim Lesen auf der Terrasse selbstvergessen herumspiele, sie leicht mit dem Nagel anhebe und schließlich zurückklappe. Ich schaue mir mein Werk an, diesen halbverschlossenen Mückenstich, und befinde, ich sollte das Deckelchen wieder schließen. Ich drücke es ein wenig an, wie ein frisch gepflanztes Stiefmütterchen, um es nur wenige Minuten später doch wieder zu öffnen. Das Schorfplättchen nehme ich zwischen Daumen und Zeigefinger und reiße es ab, was ein wenig, aber nicht unangenehm, ziept. Ich bearbeite Stich um Stich auf diese Weise, wiederhole es am nächsten Tag und meine Beine sehen inzwischen so zerschunden aus, dass bereits die Beignet-Frau am Rondpoint, eine Kollegin am Goethe-Institut, eine Nachbarin und zwei mir völlig unbekannte Passanten auf meine Narben gezeigt und mir einen sehr wertvollen Hinweis gegeben haben: Ich muss aufpassen, es gibt Mücken in Kamerun.
Da ich gestern auf meinen Leseabend auf der Dachterrasse nicht verzichten wollte, dafür aber auf das Mückenspray, das in meinen offenen Stichwunden brennt, war wieder mein neu erworbener Pragmatismus gefragt. Ich beratschlagte mich mit mir selbst, vielleicht ging ich dabei gemäßigten Schrittes auf der Terrasse im Kreis, um mein Denkvermögen zu steigern. Ich lief von dort in mein Schlafzimmer, stieg auf mein Bett, pflückte das Moskitonetz vom Haken und schnitt mir ein kleines Stück der Plastikschnur ab, die ich für mein mobiles Moskitonetz gekauft habe, um es jederzeit und überall an das gespannte Seil zu knüpfen, wenn es mal keinen Haken an der Decke gibt. (Das war eine meiner ersten guten Ideen hier.)
Doch zurück zu meiner neuen Herausforderung. Ich schob das Sofa unter die Neonröhre, streckte mich zur Dachverstrebung, legte die Schnur darüber, führte die Enden durch den kleinen Plastikring des Moskitonetzes und machte einen Doppelknoten. Nachdem ich das Moskitonetz über das Sofa ausgebreitet hatte, begutachtete ich mit einigem Abstand zufrieden mein Werk, hob vorsichtig den dünnen Stoff an, zog den Kopf ein und ging gebeugt darunter.
Da saß ich nun: in der kühlen Abendluft, sicher vor den Mücken, das Buch in der Hand, das Neonlicht leuchtete über mir. Ich konnte mir in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen, als in einer Tropennacht auf einem Korbsofa am Rand einer Dachterrasse in Yaoundé zu sitzen und zu lesen. Schwärmerische Gedanken zogen durch meinen Kopf und als ich gerade wieder auf mein Buch schauen wollte –, fiel der Strom aus.
das ist wirklich mal ärgerlich. Aber immerhin wurdest du nicht zerstochen.
Herrje Jule, ich hab dir doch extra die Kopflampe dagelassen. Für Notfälle wie diesen. Und da oben auf dem Dach sieht dich damit auch keiner….ich hätte dir den Mückenkrieg-Sieg gegönnt…