Der Tag am Meer und die Psychologie der kleinen Tiere

Der erste Augenaufschlag des Tages. Drei schwarze Würmer an der Wand. Tausendfüßler, korrigiere ich mich schläfrig. Aber weil sie so glänzen, als wären sie gerade aus der regennassen Erde gestoßen und eher schlängeln als laufen, macht mein Kopf sie zu Würmern. Zwei haben sich für die Deckenrichtung entschieden, einer schiebt sich nach unten und ist bei meinem zweiten Blick dieses Morgens genau vor meiner Nase. Zwischen uns das Moskitonetz, das an der Wand anliegt. Die fremde Oberfläche lockt und schon wurmt das schwarze Tier über den feinen Stoff. Wenn die Tausendfüßler noch aktiv sind, ist es zu früh, um den Tag zu beginnen. Aber ich richte mich trotzdem auf. Reibe über meine schmerzenden Oberschenkel. Die harten Fasern des Rattansofas haben ein apartes Muster in mein Fleisch geprägt. Ich denke sehnsüchtig an die Schaumstoffmatratze in Yaoundé, auf der ich längst noch nicht aufgewacht wäre. Aber hier, vier Autostunden von der Hauptstadt entfernt, in einer kleinen Bleibe im Strandort Kribi, findet mein Körper keine Lage mehr, die er ohne Protest akzeptiert.

Vorgarten in Kribi mit Strandbaum

Vorgarten in Kribi

Es ist schon hell genug draußen und so bleibt die Taschenlampe beim Gang zur Toilette auf dem Tisch liegen. In der Nacht ist sie meine einzige Waffe im Kampf gegen die daumenlangen Kakerlaken im Vorgarten. Zwischen Mangobaum, Bananenstaude und Kokospalme huschen sie dann vor meinen Füßen hin und her. Ich schlage mit dem Lichtschein auf sie ein. Sie ekeln sich vor der Helligkeit wie ich mich vor ihnen. Die Lampe in der Hand versetze ich sie in Panik. Sie hasten auf ihren kleinen Beinchen ins Dunkel und ich achte darauf, dass meine Füße nur auf erhelltem Boden stehen. Das macht sie und mich froh. Wir haben schon ein ganz gutes Verhältnis mittlerweile: ich und die Kakerlaken. So eine Kakerlake ist auch zugegebenermaßen kein sehr komplexes Wesen mit verschlungenen Gedankenpfaden. Nein, es sind Einbahnstraßen-Wesen. Immer geradeaus. Immer ins Dunkel. Sie mögen es gar nicht, wenn sie in einem beleuchteten Außentoilettenhäuschen sitzen. Genau das möchte ich aber und habe vom Haus aus das Licht angeschaltet. Die Kakerlaken-Psyche kennend, steuere ich auf die Toilette zu und mache mich stark für unser finales Aufeinandertreffen in dieser Nacht. Ich stoße die Toiletten-Tür weit auf. Jetzt schnell zwei Schritte zurück. Da wimmelt es schon vor mir.  Aus dem Innern kämpfen sie sich panisch über die hohe Stufe in die Nacht. Ich zeichne fuchtelnd einen kleinen Lichtradius vor meinen Füßen. Die Kakerlaken wuseln davon.

Piroggenstau vor dem Fischmarkt

Fischer bringen ihre Waren zum Markt

Ich ertappe mich dabei, wie ich auch am Morgen erst nach respektvollem Warten in den kleinen Betonbau gehe. Das Wasser muss aus dem Brunnen geholt werden. Ich bin sparsam und schöpfe nur einmal aus dem Eimer, um die Müdigkeit aus meinem Gesicht zu waschen. Das reicht, denn heute ist mein erster Badetag in  Kamerun. Das Meer ist trotz hoher Wellen wannenwarm. Ich lasse mir versichern, dass die meterlangen Fische für den Markt wirklich ganz weit draußen gefangen werden und stürze mich in den Atlantik.

Ich treibe auf dem Rücken. Schaue auf die wenigen Menschen am Strand. Wie sie langsam barfuß einige Meter joggen und dann Liegestütze machen. Aus dem feinen Sand ragen feste Wurzeln, verdicken sich zu einem Stamm, der das große Kuppeldach aus Blättern trägt.

Strand nahe Kribi

Strand in der Nähe von Kribi

Im Schatten plaudern zwei Mädchen und ein Mann ruht. Der Beignet-Verkäufer nähert sich ihm trotzdem. Er trägt das große runde Blech mit der Teigbällchen-Pyramide auf dem Kopf umher und sucht nach hungrigen Badegästen.

Ich bleibe in Rückenlage bis das Meer mir gurgelnd meine nächste Mitfahrgelegenheit Richtung Strand ankündigt. Es rauscht kräftig hinter mir. Ich drehe mich auf den Bauch und mache mich bereit. Ich spüre unter mir, wie die Welle wächst. Sie zieht mich kurz und kräftig an sich und trägt mich brausend ans Ufer. Das Gefühl ist unschlagbar und ich berichtige mich: Die schönste Art in Kamerun von einem Ort zum anderen gebracht zu werden, ist doch nicht die Fahrt auf dem „Moto“-Rücksitz mit tropischem Fahrtwind im Gesicht. Aber ich kann nicht immer auf die nächste große Welle warten. Leider.

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Eine Antwort zu Der Tag am Meer und die Psychologie der kleinen Tiere

  1. Micha sagt:

    Hey liebe Jule,

    wunderschön geschrieben und tolle Fotos. Freue mich sehr auf Weihnachten am Wasserfall.
    Micha

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