Die Yoga-Lehrerin

Sie zupft am Ärmel ihrer leichten Baumwollbluse und neigt den Kopf. Nachdenkliches Nicken mit wissenden blauen Augen. Ja, das hat er jetzt wirklich schön gesagt – dieser kamerunische Jazzmusiker, mit dem sie ab nächster Woche singen will. Jeder müsse seine eigene Stimme finden, philosophiert er. „Oui, oui“, stimmt sie ihm zu, und die Atmung ist wichtig. Das predigt sie auch in ihrem Yoga-Unterricht immer.

Da ist es schon vorbei mit ihrer Aufmerksamkeit für ihn. Sie muss selbst erzählen und berichtet, sie habe lange gebraucht, um ihre Stimme zu finden: „Sopran“. Das sagt ihm nichts. Er fragt einen Mann in der Runde, ob er auch Sopran singt. Ein Mann und Sopran – da muss sie ganz schnell verschämt zu Boden schauen. Sie weiß nicht, dass es in Kamerun keinen Musik-Studiengang gibt. Das ist ihr wahrscheinlich auch ganz egal. Sie hört nicht mehr zu. In ihren Gedanken ist sie schon in der nächsten Yoga-Stunde. Zwischen Lotussitz und Sonnengruß erzählt sie ihren europäischen Freundinnen von dem drolligen Kameruner, der nicht mal…

Einblicke in die High Society

Einblicke in die High Society

Oder sie hebt sich die Anekdote doch noch zwei Tage länger auf. Dann macht sie sich schick. Tauscht die Muschel-Flip-Flops gegen Hackenschuhe, schnappt sich ihre kleine Handtasche und wackelt zur Modenschau. In Deutschland, Frankreich, Italien, England oder von wo auch immer sie kommt, hätte sie nie eine Einladung zu einer solchen Veranstaltung bekommen. Hier braucht sie keine. Ihre Haut ist die Eintrittskarte. Mit eiskaltem Drink in der tropischen Nacht schaut sie gleich den Models beim Defilieren zu.

Sie gehört jetzt zur High Society. So muss es sich jedenfalls für sie anfühlen. Immerhin begrüßt sie ja auch der Botschafter persönlich. Sie schiebt sich wangenküssend von der Bar Richtung Palmenblätter-Catwalk. Sie kennt die Leute im Publikum. Sie sind fast unter „sich“. Das sind sie auch, wenn sie ihre Kinder mit dem Jeep von der internationalen Privatschule abholen. Wenn sie im Reichenviertel-Supermarkt Milch und Président kaufen oder abends ins chinesische Restaurant gehen.

Ahnen sie, was sie verpassen während sie sich schöne Mode zeigen lassen?

Ihnen entgeht ein Fischessen im Licht der zehn Meter hohen Straßenlampe am Rondpoint Nlongkak. Die Taxis rauschen hupend vorbei. Die Kellnerin bringt eine Schale Wasser zum Hände waschen. Dann kommt endlich diese große gegrillte Makrele. Ich taste mit  meinen Fingern an ihrem Bauch entlang. Ich löse das Fleisch vorsichtig von den Gräten und schiebe es mir gierig in den Mund. Ohne Stäbchen und geziertes Gerede.

Modenschau im Reichenviertel Bastos

Modenschau im Reichenviertel Bastos

Die Yoga-Lehrerin ist am anderen Ende der Stadt. Sie hatte eine heiße Dusche und liegt jetzt im klimatisierten Schlafzimmer. Ich bin noch nicht müde und schaue der Swiss-Maschine am Himmel beim Landeanflug zu. Als ich selbst noch darin saß, hatte ich keine Ahnung, wo ich mich in Yaoundé wohlfühlen werde. Inzwischen kenne ich einige Orte, an denen ich gern stundenlang bleibe, lache, nachdenke, tanze und genieße. Die Yoga-Lehrerin hat mir keinen einzigen dieser Plätze gezeigt, aber sie sagt: Wenn ich mal ein paar jungen Rasta-Männern beim Trommeln zusehen will, dann könnte sie mir einen Tipp geben. Ich lehne dankend ab. Sie setzt ihren sanften Ich-versteh-dich-Blick auf und spricht: „Naja, stimmt, vielleicht ist es dafür noch etwas früh. Komm‘ erst mal richtig an.“

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5 Antworten zu Die Yoga-Lehrerin

  1. David Zhu sagt:

    Hallo Jule!
    Vielen Dank fuer deine schoenen Blogeintraege, gib zu, du schreibst bestimmt auch sonst mal ganz gerne. 🙂 Wenn man schon nicht selber nach Kamerun kann, einen schoenen Einblick bekommt man durch dich auf jedenfall!

    @Bianca muss ich allerdings sagen: Wenn man das chinesische Engagement in Kamerum als „Eroberung“ bezeichnet, was ist dann das Kulturweitprogramm und die Goetheinstitute? Ich muss sagen, fuer mich klingt das natuerlich heftiger, weil ich gerade selbst „Chinese“ bin, aber Deutschland macht nichts anderes und das Goetheinstitut wird auch fast ausschliesslich vom Staat bezahlt. Warum darf China nicht am interkulturellen Austausch und am Welthandel teilhaben? Ist die Ausbeutung auslaendischer Rohestoffe ein Privileg Europas und der USA?

    Darueber sollte man nachdenken, wenn man Kamerum vor den Chinesischen „Eroberern“ beschuetzen will (was an sich gar keinen Sinn macht). Vor wirtschaftlichen Uebergriffen und Privatisierungen muss sich doch jedes Land schuetzen, egal woher diese kommen. Wenn man Chinesen, die chinesische Sprache und sogar chinesisches Essen unter Generalverdacht stellt, die Kameruner zu unterjochen, dann begeht man einen schweren, rassistischen Fehler.

    Das klingt wirklich ein bischen heftig, aber ich hoffe ich konnte mich damit klar ausdruecken :} Ich wuensche dir noch viel Spasz in Kamerun und dass du dich nicht von Yogalehrerinnen und Modeschauen aergern laesst! 😉

    Liebe Gruesse aus China,
    Zhuyixuan

    • Lieber Zhuyixuan (beeindruckend!),
      der Grat zwischen Aufbau und Habgier ist schmal. Deshalb die Wachsamkeit. Es überrascht mich, dass dein Kommentar nicht auf meinen Artikel „Das chinesische Raumschiff“ antwortet. Er könnte dich interessieren.
      Prinz Kum’a Ndumbe III, ein kamerunischer Geschichtsprofessor, der letztlich im Goethe-Institut zu Gast war, hat folgende Position vertreten: „Ob Chinesen in Afrika ‚Menschen guten Willens‘ oder die ’neue Plage‘ sind, steht nicht zur Debatte, denn es ist eine Schwarz-Weiß-Diskussion und die verläuft immer im Leeren. Der Schwachpunkt Afrikas ist nicht der Chinese. Der Schwachpunkt Afrikas ist die Konzeptlosigkeit unserer Politik.“

    • David Zhu sagt:

      Hallo Jule,

      deinen Artikel zum Raumschiff habe ich natuerlich auch schon gelesen! Das kommt mir sehr bekannt vor, denn so was passiert hier in China haeufiger mal. Woran das liegt kann ich dir nicht sagen, aber es ist auf jedenfall fuerchterlich fuer diejenigen die darunter leiden. Ich glaube aber, dass Planungsprobleme kein Privileg von chinesischen Behoerden sind 😉

      Dein Prinzenzitat gefaellt mir auszerordentlich! Ich wuerde nur hinzufuegen, dass der Ausdruck „Chinesen“ einen rassistischen Zusammenhang herstellt und man deshalb eher die „Chinesische Regierung“ veranwortlich machen muss. Es fuehlt sich schliesslich auch seltsam an zu fragen: „Der Einmarsch der Deutschen in Afghanistan, Plage oder guter Wille?“.

      Meine Vermutung ist, dass die Chinesen wahrscheinlich weder der Aufbau noch die Habgier nach Afrika fuehrt, sondern die Suche nach einem guten Geschaeft. Dazu gehoert fuer die Chinesen aber auch, dass man sich um seine Geschaeftspartner kuemmert. Diesen Wert sehe ich bei den sogenannten Westlichen Wirtschaftsexpansionen (auch) nicht.

      Ich hoffe du findest in Kamerum auch Beispiele fuer Politik mit Konzept, wenigstens in kleinem Maszstab! Und chinesisches Essen schmeckt sowieso nur in China richtig.

      Liebe Gruesse und eine schoene Weihnachtsstimmung… aeh, was feiert man in Kamerun nochmal? Hier ist Fruehlingsfest erst im Februar.

      David (Zhuyixuan)

  2. Bianca sagt:

    Etwas abseits vom Thema, aber: Jule, Du musst jetzt gegen die Chinesen kämpfen, die nehmen Kamerun ein.. http://www.tagesschau.de/ausland/afrika158.html (übrigens gehts uns da in Mexiko nicht viel anders, die Chinesen erobern einfach die janze weite Welt).
    Liebste Grüße in die fremde Ferne, Dein Blog ist großartig. Biggi

    • Vielen Dank für den interessanten Artikel. Ich hoffe, ich kann mich mit dem chinesischen „Engagement“ in Kamerun auch noch intensiv auseinandersetzen. Ich betaste die Oberfläche und versuche, in die Tiefe zu dringen. Aber Biggi, so weit ab vom Thema war das nicht. Die Yoga-Lehrerin geht immer mal wieder gern ins bewachte China-Restaurant.

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