Aber bei uns

Schulhof in Bafoussam

"Le Cameroun - c'est le Cameroun." (Sadou Hayatou, ehem. kamerunischer Premierminister)

„Hier haben wir nicht viel Stress“, sagt einer der Kursteilnehmer. „Das Fest beginnt um 20 Uhr, aber wir kommen dann einfach um 22 Uhr. Wir sind nicht pünktlich und haben auch nicht alle Uhren.“ Dann kommt der Satz, den ich schon mitflüstern kann: „Die Weißen haben die Uhren, die Schwarzen haben die Zeit.“

Ich warte auf die volle Stunde und da piepst und rauscht sie los: Léos Uhr. Léo ist Deutschlehrer und immer pünktlich. Das ist ihm wichtig. So wichtig, dass ihm der Blick auf das Ziffernblatt nicht genügt. Seine Uhr spricht alle 60 Minuten und sagt die Zeit an. Auch hier während des Seminars zum Thema Interkulturelle Begegnung. Trotzdem korrigiert er seine Deutsch-Kolleginnen und -Kollegen nicht und lässt sie weiter aufzählen, in welchen Bereichen sich Kamerun und Deutschland unterscheiden. Ich schreibe mit:

Verkehrsmittel: „In Deutschland reist du mit dem Taxi allein und es ist sehr gemütlich. Es gibt auch bequeme Busse. Aber bei uns ist es nicht gemütlich. Das Taxi ist ein gemeinsames Transportmittel. Man sitzt zu viert darin.“ Ein anderer Kursteilnehmer: „Oder zu acht.“ Gelächter. „Oder zu neunt.“

Familie: „In Deutschland leben Leute allein in großen Wohnungen und alte Leute kommen ins Altenheim. Bei uns bist du nie allein in einem Haus. Es sind Onkel, Tanten, Neffen da, sonst wäre es egoistisch.“

Liebe: „Als ich an einem Bahnhof in Deutschland warten musste, habe ich ganz viele Leute gesehen, die sich dort geküsst haben. Sehr lange und sehr intensiv. Das konnten alle sehen.“ Ergänzung eines anderen: „Ich habe mal vor einer Mensa gestanden in Deutschland und zwei Studenten haben sich eine halbe Stunde lang umarmt und geküsst. Danach sind sie Hand in Hand über die Straße gegangen. Auch alte Leute machen das.“ Unglaube oder verschämtes Lächeln. „Hier passiert das nicht. Alles, was mit Liebe zu tun hat, passiert hinter der geschlossenen Tür. Öffentliches Küssen oder Umarmungen vor anderen – das geht nicht.“

Essen: „In Deutschland essen die Leute oft und viele kleine Speisen. Wir essen nur zweimal und dann große Mahlzeiten. Die Deutschen trinken sehr viel. Wir nicht.“

Davor steht der Wäschekorb. Ort: Yaoundé.

Kleiderschrank meiner (kamerunischen) Mitbewohnerin

Wäsche: „In Deutschland sammeln die Menschen ihre Kleidung an einem Ort und am Wochenende oder am Ende des Monats waschen sie. Wir können jeden Tag die Wäsche waschen.“

Kleidung: „Die Deutschen haben viele Kleider. Sie können sie oft wechseln und auch junge Deutsche kleiden sich kurz und eng. Das heißt dort aber, dass sie der Mode folgen. Hier darf ein Mädchen nicht so kurz angezogen sein. Sie hat dann einen schlechten Ruf. Wir haben auch nicht viele Kleider, weil in Kamerun Armut herrscht. In Deutschland kleidet man sich nach den Jahreszeiten, aber wir hier haben fast immer dieselbe Kleidung an. Es ändern sich nur wenige Stücke in der Regenzeit.

Wasser: „Das Wasser ist teuer in Deutschland und deshalb sind die Deutschen sehr sparsam damit. Sie sparen auch Strom. Bei uns gibt es viel Wasser und wir nehmen es für alles. Zur Elektrizität: Es ist normal, dass ein Zimmer bei uns beleuchtet ist, obwohl seit Stunden keiner im Raum war.“

Öffentliches Urinieren: „In Deutschland ist es verboten, öffentlich Pipi zu machen. Bei uns auch, aber trotzdem kann man Leute auf der Straße sehen, die das in aller Ruhe tun und auch die Kinder machen das überall.“ Ergänzung eines Kursteilnehmers: „Vor allem da, wo ein Verbotenschild steht, wird viel uriniert.“ Gelächter.

Müll: „Bei uns gibt es keine Mülltrennung. Alles kommt in einen Eimer. Die Deutschen wissen deshalb hier nicht, wie sie den Müll wegwerfen sollen. Bei uns wird es einfach auf den Boden geworfen, auf die Straße. Als deutsche Schüler in Kamerun waren, fanden sie es total locker und cool, dass sie ihre Bananenschalen auf den Boden werfen durften, weil das in Deutschland nicht erlaubt ist.“

Schülerverhalten: „In Deutschland darf der Schüler mit dem Lehrer diskutieren oder sogar widersprechen. Dort fängt die Demokratie im Klassenzimmer an. Hier muss der Schüler aufstehen vor der Antwort. Der Lehrer ist der Meister. Deshalb müssen auch alle aufstehen, wenn er in den Raum kommt.“

„Also bei mir ist das nicht so.“

Ich blicke von meinem Block auf. Endlich der ersehnte Widerstand. Es muss erst ihren Beruf erreichen, bis das „Wir“ aufbricht. Die Diskussion wird schnell hitzig. Aufstehen als Unterdrückung? Als Erziehungsmethode? Das sei doch nur eine Formalität, denn Respekt sei etwas „Inneres“. Die Gruppe ist sich nicht einig und das „Bei uns“ verliert seine Kontur.

Diskussion über kulturelle Identität

Die Seminargruppe

Es gelten nicht für alle die gleichen Regeln. Nicht einmal im selben Land.

Die Frage ist: Wie finden Menschen trotzdem zueinander, um gemeinsam etwas schaffen zu können? Eine Seminarteilnehmerin hat einen Vorschlag: „Es ist wichtig, dass wir uns über unsere unterschiedlichen Regeln austauschen. Die Entspannung der Menschen auf dieser Welt hängt von ihren interkulturellen Begegnungen und ihrer Kompromissbereitschaft ab.“ Sie macht eine Pause und fügt hinzu: „Sind wir wirklich so unterschiedlich? Ich denke eher: Wir sind gleich.“

Der Satz braucht seine Stille und ich bin froh, dass noch keine Stunde um ist.

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3 Antworten zu Aber bei uns

  1. Aber bei uns.. Not so bad 🙂

  2. Uwe Jung sagt:

    Glückwunsch zum schönen Artikel …
    Mach einfach weiter so.

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