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Halbzeit

12.3.2019

Ein sehr herzliches Hallo an jeden, der sich nach fast drei Monaten der Funkstille noch für ein Lebenszeichen aus dem warmen, lebensfrohen und chaotischen Barranquilla interessiert!

Am Ende des letzten Eintrages habe ich über meine bevorstehende Reise nach Medellin gesprochen. Unglaublich! Das fühlt sich schon so lange her an, nun drei Monate sind ja auch nicht nichts!
Eine exakte chronologische Aufarbeitung der Ereignisse seitdem ist mir nicht nur durch ihren Umfang, sondern insbesondere durch das Vergessen einzelner Teilaspekte gar nicht mehr möglich. Dementsprechend wird dieser Eintrag nach inzwischen genau 6 Monaten Kolumbien(!) etwas anders aussehen als die Vorigen.

Beginnen tue ich mit einer recht knappen Zusammenfassung der Geschehnisse, die mich seit meinem letzten Eintrag ereilt haben.

Medellin: Diese etwa fünf Millionen-Einwohner-Stadt erweckte des Häufigeren in mir den Eindruck, dass ich in einem anderen Land gelandet war.
Es ist eine Stadt des Aufbruches, die ihre Vergangenheit als eine der gefährlichsten Städte der Welt am Ende des 20. Jahrhunderts eindeutig hinter sich gelassen hat.
Nun ja, perfekt ist dort sicherlich lange nicht alles und dieses Narrativ einer neuen Epoche in der Stadt, wie es einem jeden Touristen präsentiert wird, täuscht sicherlich über einiges hinweg, was man in nur zwei Wochen von der Stadt nicht sieht. Aber nichts desto trotz stellt die Stadt des ewigen Frühlings, die unter anderem die einzige Metro Kolumbiens besitzt, ein wirkliches schönes Reiseziel da.
Durch Sprach- und Tanzkurs und die vielen anderen Kulturangebote der Sprachschule konnte ich den zwei Wochen ein sehr vielseitiges Bild der Stadt kennen lernen. Insbesondere da ich über Weihnachten, Neujahr und meinen Geburtstag dort war, habe ich dort so manchen herrlichen Moment in ganz besonderer Atmosphäre erlebt.
Mit anderen Kulturweit-Freiwilligen bin ich zu einigen sehr schönen Ausflugszielen in der Umgebung der Stadt gefahren. Mein Highlight der gesamten Zeit war sicherlich das kleine und sehr ruhige Jardin, welches mitten in der Kaffeeregion liegt. Es tat sehr gut, etwas ruhige Zeit außerhalb des Großstadttrubels von Medellin und Barranquilla zu verbringen.
Nach meiner Zeit in Medellin habe ich noch eine kurze Reise in die Sierra Nevada de Santa Marta gemacht, wo ich einige weitere ruhige Tage in der Natur verbringen konnte.
Seitdem bin ich wieder in der Schule tätig. Meine Aufgaben haben sich nicht großartig geändert. Mein Musikprojekt hat jetzt doch “nur” den Umfang eines Stückes für das Orchester. Das Komponieren von über fünf Minuten Musik für ein ganz spezifisches (Schul-)Orchester mit begrenzten Fähigkeiten hat sich allerdings tatsächlich als eine nicht zu vernachlässigende Aufgabe entpuppt. Es wird sicherlich spannend, meine Musik zum ersten Mal live zu hören und dabei aktiv durch Proben und Adaptionen noch etwas verändern zu können. Noch hat dieser Prozess nicht angefangen, schließlich ist das Konzert auch erst im Juni.
Etwas unerfreulich war, dass ich sehr spontan in der letzten Woche umziehen musste. Aber dank örtlicher Kontakte habe ich zum Glück sehr schnell Lösungen zur Hand gehabt.

Ein ganz besonderes Event meiner Zeit liegt jetzt unmittelbar hinter mir, nämlich der Karneval. Er gilt als das absolute Highlight der Stadt: UNESCO-Weltkulturerbe, der zweit Größte der Welt und von den Bewohnern der Stadt das ganze Jahr sehnsüchtig erwartet. Naja, zumindest von einem gewissen Teil der Einwohner, ein nicht unerheblicher Teil nutzt nämlich die freien Tage, um dem Lärm der Stadt zu entkommen und sich woanders eine schöne Zeit zu machen.
In der Stadt wird vor allem Musik gemacht und getanzt. Selbstverständlich gibt es an jedem der vier Hauptkarnevalstage mehrere große Umzüge und ausgelassene Feiern, bei denen man allerdings leider auch schnell zum Taschendiebstahlsopfer wird, wie ich es von vielen Leuten leider hören musste.
Die Musik und der Tanz sind wirklich etwas Besonderes. Von klein auf tanzen die meisten Barranquilleros/as in ihren Familien und lernen die klassischen Musikrichtungen der Region kennen. Auch wenn ich einige Tanzstunden in Barranquilla genommen habe, bleibe ich da doch im Vergleich immer noch der dumme Deutsche, der versucht seinen steifen Glieder in Bewegung zu versetzen. Aber zumindest der gut gemeinte Versuch kommt bei vielen Leuten schon sehr gut an.
Es ist ein wunderbares Gefühl, sich gemeinsam (und das heißt in Paaren und Gruppen) zur flotten Musik zu bewegen. Es ist vor allem etwas Einzigartiges. Viele der Lieder tragen Barranquilla im Namen und werden in dieser Form nur hier gespielt. Auch besonders ist, dass diese Musik quasi durch alle Generationen hindurch Anklang findet. Wenn ich da an meine örtlichen Diskotheken in Herford denke, ist das schon etwas ganz anderes. Im Radio in Deutschland ist ein Großteil der Musik aus dem englisch sprachigen Raum und das, was aus Deutschland stammt, ist zum Großteil dem Mainstream sehr ähnlich. Damit will ich nicht sagen, dass mir diese Musik nicht auch gefällt, aber es ist gerade deshalb etwas Spannendes zu hören, dass es auch ganz andere Richtungen gibt.
Die Musik hier ist zudem zutiefst von anderen Kulturen der ganzen Welt beeinflusst und bildet daraus ihren ganz eigenen individuellen Mix. So benutzt man in Barranquilla neben afrikanischen Trommeln auch Akkordeons, die, wer hätte es gedacht, aus Deutschland stammen.
Es ist vor allem diese unglaubliche Diversität, die mir von der Hafenstadt Barranquilla aber auch von Kolumbien insgesamt im Kopf bleiben wird: Geographisch, ethnisch, kulturell, ökonomisch und in vielen weiteren Bereichen ist Kolumbien derartig vielseitig, dass man sich schon ab und an wundert, dass das alles zu einem einzigen Land gehört. Es ist eine überaus interessante Erfahrung, wenn man daran denkt, wie viele Schwierigkeiten eine nicht unerhebliche Zahl von Einwohnern des überschaubaren Europas mit neuen kulturellen Einflüssen haben.

Allerdings gibt es auch Spannungen:
Die wirtschaftliche Ungleichheit in Kolumbien ist sehr hoch (es verhungern in manchen Regionen noch immer Menschen), die Korruption gilt als eines der größten Probleme des Landes und die über eine Million Venezolaner im Land werden und können sicherlich auch nicht durch umfassende soziale Sicherungsmaßnahmen aufgenommen, wie es in Deutschland der Fall ist, was zu einer Menge verzweifelter Menschen auf den Straßen führt. Berichte wie aus der Tagesschau beschäftigen sich vor allem mit der innenpolitischen Lage in Venezuela und die außenpolitischen Einflüsse auf das Land. Die humanitäre Not der Flüchtlinge außerhalb des Landes scheint nur im begrenzten Maße adressiert zu werden.

Politik, Geschichte und Kultur des Landes sind für mich sehr schwer zu fassen. Ohnehin sind diese Bereiche in jeder Gesellschaft außerordentlich komplex, allerdings macht die Größe des Landes, seine Diversität und natürlich die immer noch bestehende Sprachbarriere jeden tiefer gehenden und umfassenderen Eindruck sehr schwierig.

Dennoch scheinen all die neuen Erfahrungen schon zum jetzigen Zeitpunkt außerordentlich wertvoll. Ich reflektiere viel und denke noch immer über eine Menge unterschiedlicher Themen nach. Ich bin sehr dankbar, die Gelegenheit dafür zu haben, ganz abseits größerer Verpflichtungen durch Prüfungen oder Geldsorgen. Ob im Cafe, an meinem Schreibtisch oder auf Reisen; immer wieder bietet sich mir die Gelegenheit in Ruhe an einem Musikstück zu arbeiten, Texte zu verfassen oder ein Buch zu lesen.
Einheimische Freunde, tolle Erfahrungen und die Aussicht, dass meine Familie mich in den kommenden Wochen besuchen wird, tuen das Übrige, sodass ich weiterhin vor allem in guter Stimmung verweile.

Ich bin gespannt auf das, was mir noch bevorsteht und blicke mit gelassenem aber auch überaus freudigem Blick auf meine nicht mehr allzu fern scheinende Heimkehr nach Deutschland!

Liebe Grüße

Jan

Aus Abenteuer wird Alltag

Hallo aus Barranquilla!

Der letzte Beitrag ist nun schon eine ganze Weile her und ein Lebenszeichen sicherlich nicht verkehrt. Tatsächlich war ich ziemlich beschäftigt und hatte so nicht die Muße, einen weiteren Beitrag zu verfassen, aber wie sich im Folgen zeigen wird, bin ich über dieses hohe Maß an Aufgaben sehr froh!
(Desweiteren hatte ich den Beitrag schon seit längerem auf meinem Computer vorbereitet, allerdings ist etwas beim Upload schief gelaufen und dementsprechend habe ich seitdem einzelne Sachen ergänzt, was ihn möglicherweise etwas chaotisch wirken lässt.)

Es geht mir hervorragend! Ich bin hier hier wirklich angekommen.
Wenn ich morgens aufwache, ist es schon so natürlich, als würde ich im guten, alten Sundern, meiner Heimat, die Augen aufschlagen. In ruhigeren Momenten, in denen ich etwas Zeit zum Nachdenken habe, wird mir natürlich durchaus bewusst, wie „anders“ mein Umfeld und Leben hier ist, aber das Wichtige ist, dass „anders“ hier definitiv nicht negativ gemeint ist.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, weshalb ich mich hier zunehmend wohler fühle. Während ich anfangs noch, dramatisch gesagt, ums Überleben gekämpft habe, sind die Probleme jetzt alltäglicher Natur, zumindest die meisten. Reisen buchen, Verständigungsprobleme oder Wasser- und Stromausfälle sind natürlich auch herausfordernd, aber sie sind eben nicht mehr jener allgemeiner und grundsätzlicher Natur wie zu Beginn.

Die Forstschritte in der Sprache erlauben inzwischen halbwegs flüssige alltägliche Konversationen. So habe ich insbesondere über ein wöchentliches Sprachtreffen, „Tandem“, eine ganze Reihe von Leuten kennengelernt, die mich sehr freundlich in ihre Kreise aufgenommen haben. So manche Nacht haben wir schon gemeinsam verbracht und gerade, wenn die zweite essentielle Fähigkeit neben der Sprache, das Tanzen, funktioniert, ist die Freude groß. Die kolumbianische Musik ist wirklich etwas Besonderes, etwas ganz anderes als der übliche amerikanisch-geprägte Mainstream in Deutschland.

Insbesondere wichtig für meine positive Stimmung im Moment ist, dass sich auch in der Schule meine Aufgaben gewandelt haben. Ich kann nun individuell und sehr frei versuchen, meine Interessen und Fähigkeiten einzubringen. So halte ich Präsentationen im deutschsprachigen Geschichts- und Physikunterricht, lese mit jungen Muttersprachlern, leite mit zwei anderen Lehrern eine Theatergruppe, arbeite mit einer amerikanischen Kollegin an einem Debattierprojekt über Migration in Lateinamerika und entwerfe nach und nach selber Projekte. So habe ich beispielsweise einige deutsche Weihnachtslieder auf die jeweiligen Blasinstrumente transponiert und über sie mit den Schülern ein. Ich spiele auch im Orchester der Schule mit und hoffe, dass ich nach und nach immer mehr Möglichkeiten im musikalischen Bereich der Schule entdecke. (So es wie ausschaut, werde ich nächstes Jahr wohl tatsächlich mein eigenes Projekt mit dem Orchester starten können.)

Ich genieße es zudem sehr, Abstand von meinem gewöhnlichen Leben in Deutschland zu haben und so sehr frei meine Gedanken schweifen zu lassen. Ich lese, schreibe und reflektiere viel. Ich merke, wie ich mein soziales Umfeld in Deutschland mit Familie und Freunden immer mehr zu schätzen weiß, wo ich im Moment so weit von ihnen weg bin.

Reflektion ist auch der stechende Begriff für das Kulturweit-Zwischenseminar, das Ende November in der Nähe von Santa Marta stattfand. Der Ort war absolut traumhaft: Eine Finca inmitten der Natur. Gutes Essen, umherschlendern im Wald, Schwimmen gehen im Meer oder einem kleinen „Naturpool“ und vor allem währenddessen stetiger Austausch mit den anderen Freiwilligen. Zudem wurde es uns vom Gastgeber und indigenen Einwohnern völlig neue Perspektiven auf Kolumbien und dessen Geschichte gegeben. Alles in allem war es eine fantastische erholsame Zeit und gerade der Austausch mit den anderen Freiwilligen und den Trainern war sehr spannend und lehrreich.

Heute geht´s mit dem Beginn der Weihnachtsferien für einen Sprach- und Tanzkurs nach Medellin, eine der spannendsten und wohl auch schönsten Städte Kolumbiens. Ich bin sehr gespannt, auf das was ich dort sehen und erleben werde! In Medellin werde ich auch Weihnachten, meinen Geburtstag und Neujahr erleben. Eine Zeit, in der sich sicherlich auch der ein oder andere sentimentale Gedanke an Zuhause in mein Gemüt schleichen wird, aber dennoch bleibt mein Blick nach vorne, ein außerordentlich optimistischer!

Beste Grüße!

Jan

 

 

 

Vom ersten Urlaub und neuen Aufgaben

Mittwoch, 24.10.2018

Hallo! Nach mehr als zwei Wochen blogfreier Zeit, möchte ich doch mal wieder von mir hören lassen.
Es ist mir schließlich auch so einiges widerfahren, was eine Erzählung wert wäre.

Zu allererst kommen mir meine ersten einwöchigen Ferien in den Sinn.

Unmittelbar am Wochenende nach Ferienbeginn begann ich meinen drei tägigen Ausflug nach Santa Marta und Tayrona. Santa Marta ist mit etwa 500.000 Einwohnern eine Großstadt etwa zwei Stunden per Bus von Barranquilla und Tayrona ist der angrenzende Nationalpark.

Die Reise war mehr oder weniger ausführlich geplant, da es Kommunikationsschwierigkeiten mit meinen beiden Mitreisenden, Praktikanten an der deutschen Schule, gab, die schon im Regenwald wandelten, der offensichtlich nicht gerade ein Paradies des Handyempfangs darstellt.
Nichtsdestotrotz verlief alles reibungslos auf der Hinreise und in der Nacht in Santa Marta. Besonders schön war, dass ich dort mehr oder weniger zufällig Paula, eine kulturweit-Freiwillige aus Bogota, getroffen habe.
Von Santa Marta habe ich nicht sehr viel gesehen, da es nach der Nacht im Hostel unmittelbar weiter nach Tayrona ging.

Bei drückender Mittagshitze (über 90% Luftfeuchtigkeit) begannen wir zu dritt unsere Wanderung. Etwa fünf Stunden konnten wir den Regenwald auf sicheren Wegen erkunden, Affen beobachten, uns über Alligator-Warn-Schilder wundern, traumhafte Strände und Ausblicke genießen, frische Säfte am Wegrand von semi-Indigenen ergattern und uns am Abend erschöpft ins Bett, ähm in die Hängematte, werfen. Letzteres wurde durch die besondere Lage der Hängematten, auf einer Anhöhe quasi im Meer, zu einem echten Highlight.

Auch wenn die Nacht mit Meeresrauschen und durchgängigem Gewitter in der Ferne ein absolut großartiges Ambiente bot, war sie für mich vor allem durch eine anrückende Krankheit geprägt.
Am nächsten Morgen wachte ich nach wenig Schlaf und offensichtlichem Fieber und Kopfschmerzen auf. Es war klar, dass eine erneute Wanderung wie am Vortag für mich nicht möglich sein würde.
Zum Glück gab es einen deutlich leichteren aber dennoch spektakulären Weg zurück. Nämlich ein Motorboot, das entlang der Küste in flottem Tempo zurückfuhr. Die neue Perspektive vom Meer auf den Regenwald war sehr beeindruckend und ein Regenbogen krönte die Fahrt.Vom Anlegeplatz ging es dann auf direktem Wege mit Taxi und Bus zurück nach Barranquilla, wo ich alles andere als gesund ankam. Da es schon spät in der Nacht war, ließ ich mich ins Bett fallen, anstatt zum Arzt zu gehen. Und siehe da, nach dreizehn Stunden erholsamen Schlafes wachte ich am nächsten Tag fieberfrei und deutlich gesünder auf.

Der Rest der Ferien war relativ unspektakulär. Einige Besuche von Orten in der Stadt (Bars, Restaurant, Museum) waren die einzigen wesentlichen Erlebnisse.
Insgesamt hatte ich also durch die Reise spannende Ferien, auch wenn die zweite Hälfte sich etwas ruhiger gestaltete.

Nach den Ferien setzte wieder schulische Normalität ein. Für mich geht es seitdem weiterhin darum, meinen Aufgabenbereich zu erweitern und zu verändern.
Es wird sich in nächster Zeit zeigen, wie genau mein Aufgabenprofil sich verändern wird. Ich freue mich sehr, dass ich neben der Grundschule zunehmend neue Tätigkeiten finde. So bin ich ab jetzt auch im MINT Bereich tätig, helfe Austauschschülern mit individuellen Projekten und werde wohl auch bei einem Debattierprojekt mithelfen.
Die neuen Aufgaben ergeben sich vor allem durch den Kontakt zu neuen Kollegen, die mir neue Türen öffnen.

Langsam kann ich zumindest sehr einfache Unterhaltungen auf Spanisch führen und verstehe vor allem etwas, was am Anfang gänzlich anders war. Da ich in der Schule vor allem Deutsch spreche und höre, bin ich darauf angewiesen, besonders außerhalb der Schule spanische Konversationen zu suchen. Gerade die täglichen Taxifahrten und abendliche Treffen mit einigen Kolumbianern, die ich kennengelernt habe, helfen sicherlich meinem weiteren Lernprozess.

Es fühlt sich inzwischen absolut normal an, hier aufzuwachen. Im Alltag weiß ich unmittelbar, was ich zu tuen habe und auch dem angesprochenen Chaos gegenüber entwickle ich langsam eine gewisse Gelassenheit.
Einen eigenen Haushalt zu führen, sich zum Großteil allein um seine Angelegenheiten zu kümmern und sich in ein neues soziales Umfeld zu integrieren, ist ohne Frage weiterhin nicht leicht. Aber gleichzeitig fasse ich hier immer mehr Halt und gerade der Blick nach vorn scheint jede Menge spannende und schöne Erfahrungen zu beinhalten.
Ob die Halloweenfeier nächstes Wochenende, der Beginn eines eigenen Projektes an der Schule oder der Karneval nächstes Jahr: So viel ist sicher, es wird eine sehr facettenreiche und einzigartige Zeit in meinem Leben sein!

 

Beste Grüße aus Barranquilla!

 

Jan

Alltag und alltägliches Chaos

Samstag, 6.10.2018

Hallo, da bin ich wieder! Was ist mir in den letzten Wochen widerfahren? Eine gute Frage, es bleibt nämlich dabei, dass die Anzahl der neuen Erfahrungen, Eindrücke und Herausforderungen absolut überwältigend ist. Bruchstückhaft versuche ich das hier nach und nach zusammen zu puzzeln.

Vielleicht zuerst einige allgemeine Dinge:

Ich habe inzwischen eine Art Rhythmus gefunden. Zumindest gibt die Schule, in der ich nach und nach neue Aufgaben und Kontakte finde, einen klaren zeitlichen Rahmen im Tagesablauf in der Woche vor. So bin ich dort, je nach Wochentag, von ungefähr 7:00-15:00/16:00. Das heißt um 5:30 aufstehen und entsprechend zwischen 15:30-16:30 zuhause sein.
Auf dem Hinweg fahre ich bei einer meiner beiden Mitbewohnerinnen, Karla (tatsächlich trotz des „K`s“ im Namen eine kolumbianische Mitarbeiterin im Kindergarten der deutschen Schule), mit und sowohl auf dem Rückweg als auch sonst zur Bewegung in der Stadt nutze ich eine Taxi App namens „InDriver“, die außerordentlich preiswert ist (2-3 Euro).

Ach ja, wo ich gerade Karla erwähnt habe, fällt mir ein, dass ich ja vor etwa zwei Wochen in eine WG mit zwei Kolumbianerinnen, beide etwa Mitte 20, umgezogen bin.
Der Wechsel tut mir sehr gut. Ich habe, neben dem Rhythmus der Schule, besonders dadurch das Gefühl hier anzukommen. Ich kann meinen eigenen Tagesablauf sehr viel freier gestalten als zuvor bei der Gastfamilie.
Zum Beispiel am letzten Wochenende konnte ich mit einigen Leuten eines Tandemtreffens (im Prinzip ein Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund) meine ersten Erfahrungen beim Salsa tanzen und vom kolumbianischen Bier machen. Mit eigenem Schlüssel in der Tasche ist das natürlich wesentlich einfacher möglich als noch in meiner Zeit bei der Gastfamilie.

Natürlich kommt mit dem alleine Leben auch eine Menge neuer Verantwortung. Ich muss selber zusehen, was ich esse, wie ich von A nach B komme oder welche Dinge ich wann und wo haben muss.
Das stellt mich zeitweise vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten, insbesondere da ich in meinem Zuhause in Herford nicht gerade ein besonders selbstständiger und sorgfältiger Mensch gewesen bin, aber bis jetzt hat dennoch alles irgendwie geklappt. Ein gewisses Maß an Improvisationstalent und Spontanität scheint hier zum Überleben sowieso zwingend erforderlich zu sein. Dazu eine kleine Geschichte, die ich letzte Woche erlebt habe:

Ein Klopfen weckt mich. Panik! Wieso Klopfen und nicht mein Wecker? Ein Blick aufs Handy. Der Wecker klingelt in ein paar Minuten, aber um 6:30 nicht um 5:30!
Hastig aufstehen, beim Umziehen ein Taxi bestellen und zur Straße hasten, das ganze natürlich ohne Frühstück.
Ich komme noch halbwegs pünktlich an der Schule an, wo ich mich gerade mit dem ersten Kaffee aufwecken will, als mich die Nachricht erreicht, dass ich heute bei einem Auftritt des Orchesters mitspielen soll.
Das wäre an sich keine große Sache, wenn ich denn meine Posaune dabei hätte. Spontan kommt mir beim Orchesterleiter, während des Schilderns meiner misslichen Lage, der Einfall, dass es in der Schule vielleicht ja ein Bariton, wenn schon keine andere Posaune, geben könnte.
Und tatsächlich sitze ich kurz darauf mit einem Bariton (ein Instrument, das ich seit Jahren nicht mehr in der Hand hatte) in einem gut gefüllten Auditorium und soll gemeinsam mit dem Orchester den Deutschlandtag (Wiedervereinigung) eröffnen.
Die Noten sehe ich teilweise zum ersten Mal und sie sind teilweise auch noch in B statt C (das heißt ich muss jeden Ton um zwei Halbtöne tiefer denken).
Nichtsdestotrotz funktionierte es sehr gut und bei der, schrecklich langsamen (BpM=60), deutschen Nationalhymne kam sogar etwas Heimatgefühl auf.

Ich habe auch bereits meinen ersten Tagesausflug mit Julian, einem Praktikanten an der Schule, unternommen. Ziel war das etwa zwei Stunden entfernte Cartagena, das sich vor allem durch seine historische Altstadt auszeichnet, die insbesondere hübsche Kolonialarchitektur vorzuweisen hat und mich an karibische Orte wie in „Fluch der Karibik“ erinnerte.

Auf der kleinen Reise wurde mir noch einmal bewusst, wie neu und anders Kolumbien im Vergleich zu meiner alt bekannten Heimat ist und dabei habe ich bisher doch nur einen kleinen Ausschnitt der Karibikküste gesehen!

Egal ob mit Buch im Café um die Ecke oder mit Rucksack auf Wanderung in den Anden, meine Zeit in Kolumbien wird mich sicherlich weiterhin viel lehren und darauf freue ich mich!

 

Beste Grüße aus Barranquilla!

 

Jan

 

 

 

In der Schule

Mittwoch, der 19.9.2018

Jetzt ist schon fast eine Woche vergangen und es stellt sich mir die Frage, was ich denn heute zu Papier bringen kann. Mein Kopf ist so voll von den Eindrücken der letzten Woche, dass es mir sehr schwerfällt, diesen Blog geeignet zu beginnen.
Ich könnte über meine Eindrücke der Stadt schreiben, wie chaotisch der Verkehr ist, wie sich Armut und Reichtum täglich sichtbar auf der Straße begegnen (wenn zum Beispiel ein Mann versucht, Geld durch das Putzen der Fenster eines modernen Mercedes vor der Ampel zu verdienen) oder über das extreme Klima. Allerdings entscheide ich mich heute lieber für das, was mich das Jahr über wohl am meisten beschäftigen wird, und das ist natürlich die Schule.

Ein Tor mit Wächtern, ein großer Parkplatz und die tempelartige Fassade eines gewaltigen Gebäudekomplexes, das sind die ersten Dinge, die einem auf dem Weg in die Schule begegnen.
Um etwa 7:00 betrete ich in der Regel diesen eindrucksvollen Komplex und durchschreite die Tür links neben dem Eingangsbereich, der erneut durch Wachen und einen Zaun geschützt ist. Naja, das „Durschreiten“ ist leider in der Praxis nicht immer so einfach, da die Tür zum Lehrerbereich, sich nur per Fingerabdruck öffnen lässt und ich dafür nicht freigegeben bin. Aber das ist halb so wild, da ich entweder durch die zufallende Tür hinter einem Lehrer huschen kann oder ein bittender Blick zur freundlichen Türwärterin reicht, um doch noch Zugang ins Reich der Lehrer zu bekommen. Das ist sehr exemplarisch für meine alltägliche Problemlösung hier.

Im Lehrerzimmer selbst fällt sofort auf, dass zwei kreisrunde Tische von einander getrennt im Raum stehen. Mir wurde beim ersten Betreten erklärt, dass es seit Jahren üblich sei, dass die Tische nach dem deutschen und kolumbianischen Kollegium aufgeteilt sind. Komische Botschaft für das deutsch-kolumbianische Zusammenleben an einem Ort des kulturellen Zusammenlebens, einer deutschen Schule in Kolumbien. Aber die Gründe dafür, die in unterschiedlichen Bezahlungen und Arbeitsrechten liegen mögen, sind für mich noch nicht klar ersichtlich.

Im Lehrerzimmer verbringe ich relativ viel Zeit, da mein Stundenplan (eine absolute Errungenschaft nach einer Woche des Chaos!) eher spärlich ausfällt.
Den Großteil meiner Zeit an der Schule habe ich bisher mit Kopieren und Grundschulunterricht verbracht. Ersteres gestaltete sich, zumindest nach einer Einführung in die Funktionsweise des Kopierers, als recht unkompliziert. Ganz im Gegenteil zum zweiten und größten Teil meiner Arbeit: Das Assistieren in der Grundschule.

Kinder sind süß, neugierig und haben viel Energie. Leider führt das Letzte dazu, dass wenn das Zweite nicht erfüllt ist, dass das Erste sich in tobende, schreiende und nervige Kreaturen verwandelt.
Und ich bin dieser Metamorphose gegenübergestellt, mit dem Auftrag, sie zu bändigen: Nicht gerade meine Stärke.
Aber nun ja, man wächst mit seinen Herausforderung, zumindest hoffe ich das.

Meine Highlights in der Schule sind bisher die Theatergruppe der Oberstufe, auch wenn sie nur aus mehr oder weniger freiwilligen und zufällig zusammen gewürfelten Personen besteht, und das große Orchester. Bei ersterem bin ich mit zwei Lehrern für das Schauspieltraining verantwortlich, das in Anbetracht des baldigen Auftritts (irgendwann im Oktober) auch dringend erforderlich ist, und bei letzterem darf ich selbst mit meiner neuen Posaune, die sehr gut und hier kostenlos geliehen ist, mitspielen. Vor allem das macht mir besonders viel Spaß und ich freue mich sehr auf das erste Konzert am achten Oktober.

 

Ich bin gespannt, wie sich meine Aufgaben in der Schule zukünftig gestalten werden. Das liegt wohl vor allem an mir, da es maßgeblich von meiner Initiative abhängt. Aber wie bei allem hier, heißt es wohl vor allem abwarten und Tee, oder vielleicht besser was Kaltes, trinken. Es bleibt weiterhin spannend!

 

Beste Grüße aus Barranquilla

 

Jan

Aller Anfang ist schwer  

Donnerstag, 13.9.2018

Ich beobachte, wie sich der Ventilator in seinem regelmäßigen Rhythmus hin und her bewegt und dabei fleißig vor sich hin dröhnt. Die Augen beginnen mir schon langsam zufallen, als mir einfällt, dass ich doch eigentlich einen Blog schreiben wollte.

Ich habe im Vorhinein beschlossen, dass ich von Zeit zu Zeit Texte über meine Erfahrungen in Kolumbien schreiben möchte. Nicht nur lässt sich so das Hundertste „Na, was machst du so“ eines Bekannten elegant beantworten, sondern stellt es auch eine praktische Form der Selbstreflexion für mich da.
Ich freue mich über jeden Leser dieses Blogs und hoffe, dass meine Erfahrungen das Interesse anderer wecken. Sollte dies der Fall sein, habe ich dann doch einige Begleiter auf meinem, zumindest zu Beginn, recht einsamen Abenteuer!

Nun ja, jetzt fange ich aber auch mal an!

Meine Reise nach Kolumbien fing am 12.9. früh morgens an. Am Flughafen in Hannover musste ich dann Abschied von meinen Eltern und meiner Schwester nehmen. Ein sehr emotionaler Moment für mich, aber für viel Trauer war keine Zeit schließlich musste ich den Rest der Reise angemessen bewältigen.
Das gelang auch sehr gut: Von Hannover nach Frankfurt, von Frankfurt nach Bogota und von Bogota nach Barranquilla. Alles in allem dauerte die Reise fast 24 h Stunden. Ich war dementsprechend sehr erleichtert als mich um 22:30 kolumbianischer Zeit endlich eine Hitzewelle in Barranquilla begrüßte, ich meinen Koffer sofort entgegennehmen und meine Gastmutter Rina und meinen Gastbruder Carlos begrüßen konnte.

Auf der Autofahrt zum Haus der Familie wurde mir sofort bewusst, dass die Herausforderung, der ich mich stelle, alles andere als einfach sein würde. Einerseits stellt die Sprachbarriere ein gewaltiges Kommunikationsproblem da (ich hatte kein Spanisch in der Schule und meine selbst beigebrachten Grundlagen sind, nun ja, eher dürftig), andererseits fuhr das Auto immer weiter in eine völlig unbekannte Stadt.

Barranquilla ist eine Millionenstadt, was für mich als Herforder (64.000 Einwohner) schon etwas ganz Neues ist. Es sollte außerdem auch klar sein, dass eine kolumbianische Großstadt sich wesentlich von einer deutschen unterscheidet. Andere Regeln (im Straßenverkehr auf den ersten Blick am ersten Tag nicht immer genau erkennbar), andere Architektur und anderes Straßennamensystem sind nur einige Beispiele.

Meinen ersten richtigen Eindruck von der Stadt konnte ich mir aber erst bei Tageslicht am Folgetag meiner Ankunft machen, unteranderem auf meinem ersten kleinen Abenteuer:

Nachdem ich den Vormittag im großen umzäunten Grundstück meiner Gastfamilie mit der Mutter meiner Gastmutter und der Reinigungskraft/Nanny Nina(?) verbrachte hatte und mich dabei wie im golden Käfig gefühlt habe, nahm mich Rafael, der Familienvater, mit, der Alejandro (mit 5 Jahren der jüngste der drei Söhne) zu einer kleinen Nachmittags-Leseeinheit am Colegio Aleman brachte. Das ist die Schule, an der ich das Jahr über arbeiten werde. Während Alejandro und Nina in der Bibliothek waren, ging ich auf dem Gelände herum und bestaunte die bestens ausgestattete Schule. Überall Grün, diverse Lerngebäude, Schwimmbecken, Bühne mit Tribüne, Fußballplatz und aus einigen Räumen hörte ich schon die ersten mehr oder weniger erfolgreichen Versuche einiger Trompeten des „Imperial Marsch(s)“ aus Star Wars. Der Schule scheint an nichts zu mangeln.
Als Alejandro fertig war, ging es dann aber auch schon wieder zurück. Da die Eltern uns jedoch nicht abholen konnten sind wir bei einem Auto zugestiegen, in dem schon vier Leute saßen. Das macht nach Adam Riese sieben Personen auf fünf Plätze. Naja, nichts weiter ungewöhnliches scheinbar.
Plötzlich winkt Nina und wir halten unmittelbar vor einem Supermarkt und ich werde darüber informiert, dass wir jetzt eine SIM-Karte kaufen wollen. Davon wusste ich vorher aber nichts und ohne Geld ist das natürlich nicht ganz einfach. Deshalb ging es zu Fuß zurück nach Hause und ich beschloss kurzer Hand meine sieben Sachen zusammenzupacken und allein noch einmal zum Supermarkt zu gehen.
Ich genoss die Freiheit, mich selbstständig bewegen zu können. Und tatsächlich kam ich nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Supermarkt heraus und zwar mit einer funktionsfähigen SIM-Karte im Handy!
Ohne der Freundlichkeit des Verkäufers wäre es mit mein Spanischklümpchen wohl sehr schwer gewesen, das Gewünschte zu erreichen. Zwischenzeitlich viel auch noch die Kasse aus, was den ganzen Prozess deutlich verlängerte.

Aber das Entscheidende ist, dass ich jetzt endlich Internet für den Kontakt nach Hause habe (das WLAN der Familie funktioniert aktuell nicht) und das habe ich ganz allein geschafft. Es mag banal, ja vielleicht sogar lächerlich klingen, aber für mich war das ein großer Erfolg. Solche kleinen Herausforderung Schritt für Schritt zu bewältigen, gibt mir Selbstvertrauen und ich lerne dabei eine ganze Menge.

Morgen ist Dienstbeginn an der Schule, worauf ich sehr gespannt bin. Hoffentlich komme ich gut mit den Kollegen aus und bekomme ein gutes Einführungsprogramm. Besonders der Spanischkurs ist dringend erforderlich!

Wie ich bereits gesagt habe, ist der Anfang meiner Zeit hier in Barranquilla eine echte Herausforderung. Ich versuche geduldig und achtsam hier Fuß zu fassen, ob mir das in ein paar Wochen, Monaten oder gar nicht so wirklich gelingt, weiß ich nicht. Es ist aber sicher, dass mich diese Erfahrung grundlegend prägen wird und ich bin guter Dinge, dass es ein spannendes und vielseitiges Jahr werden kann!

 

Beste Grüße aus Barranquilla!

 

Jan