Alltag und alltägliches Chaos

Samstag, 6.10.2018

Hallo, da bin ich wieder! Was ist mir in den letzten Wochen widerfahren? Eine gute Frage, es bleibt nämlich dabei, dass die Anzahl der neuen Erfahrungen, Eindrücke und Herausforderungen absolut überwältigend ist. Bruchstückhaft versuche ich das hier nach und nach zusammen zu puzzeln.

Vielleicht zuerst einige allgemeine Dinge:

Ich habe inzwischen eine Art Rhythmus gefunden. Zumindest gibt die Schule, in der ich nach und nach neue Aufgaben und Kontakte finde, einen klaren zeitlichen Rahmen im Tagesablauf in der Woche vor. So bin ich dort, je nach Wochentag, von ungefähr 7:00-15:00/16:00. Das heißt um 5:30 aufstehen und entsprechend zwischen 15:30-16:30 zuhause sein.
Auf dem Hinweg fahre ich bei einer meiner beiden Mitbewohnerinnen, Karla (tatsächlich trotz des „K`s“ im Namen eine kolumbianische Mitarbeiterin im Kindergarten der deutschen Schule), mit und sowohl auf dem Rückweg als auch sonst zur Bewegung in der Stadt nutze ich eine Taxi App namens „InDriver“, die außerordentlich preiswert ist (2-3 Euro).

Ach ja, wo ich gerade Karla erwähnt habe, fällt mir ein, dass ich ja vor etwa zwei Wochen in eine WG mit zwei Kolumbianerinnen, beide etwa Mitte 20, umgezogen bin.
Der Wechsel tut mir sehr gut. Ich habe, neben dem Rhythmus der Schule, besonders dadurch das Gefühl hier anzukommen. Ich kann meinen eigenen Tagesablauf sehr viel freier gestalten als zuvor bei der Gastfamilie.
Zum Beispiel am letzten Wochenende konnte ich mit einigen Leuten eines Tandemtreffens (im Prinzip ein Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund) meine ersten Erfahrungen beim Salsa tanzen und vom kolumbianischen Bier machen. Mit eigenem Schlüssel in der Tasche ist das natürlich wesentlich einfacher möglich als noch in meiner Zeit bei der Gastfamilie.

Natürlich kommt mit dem alleine Leben auch eine Menge neuer Verantwortung. Ich muss selber zusehen, was ich esse, wie ich von A nach B komme oder welche Dinge ich wann und wo haben muss.
Das stellt mich zeitweise vor nicht unerhebliche Schwierigkeiten, insbesondere da ich in meinem Zuhause in Herford nicht gerade ein besonders selbstständiger und sorgfältiger Mensch gewesen bin, aber bis jetzt hat dennoch alles irgendwie geklappt. Ein gewisses Maß an Improvisationstalent und Spontanität scheint hier zum Überleben sowieso zwingend erforderlich zu sein. Dazu eine kleine Geschichte, die ich letzte Woche erlebt habe:

Ein Klopfen weckt mich. Panik! Wieso Klopfen und nicht mein Wecker? Ein Blick aufs Handy. Der Wecker klingelt in ein paar Minuten, aber um 6:30 nicht um 5:30!
Hastig aufstehen, beim Umziehen ein Taxi bestellen und zur Straße hasten, das ganze natürlich ohne Frühstück.
Ich komme noch halbwegs pünktlich an der Schule an, wo ich mich gerade mit dem ersten Kaffee aufwecken will, als mich die Nachricht erreicht, dass ich heute bei einem Auftritt des Orchesters mitspielen soll.
Das wäre an sich keine große Sache, wenn ich denn meine Posaune dabei hätte. Spontan kommt mir beim Orchesterleiter, während des Schilderns meiner misslichen Lage, der Einfall, dass es in der Schule vielleicht ja ein Bariton, wenn schon keine andere Posaune, geben könnte.
Und tatsächlich sitze ich kurz darauf mit einem Bariton (ein Instrument, das ich seit Jahren nicht mehr in der Hand hatte) in einem gut gefüllten Auditorium und soll gemeinsam mit dem Orchester den Deutschlandtag (Wiedervereinigung) eröffnen.
Die Noten sehe ich teilweise zum ersten Mal und sie sind teilweise auch noch in B statt C (das heißt ich muss jeden Ton um zwei Halbtöne tiefer denken).
Nichtsdestotrotz funktionierte es sehr gut und bei der, schrecklich langsamen (BpM=60), deutschen Nationalhymne kam sogar etwas Heimatgefühl auf.

Ich habe auch bereits meinen ersten Tagesausflug mit Julian, einem Praktikanten an der Schule, unternommen. Ziel war das etwa zwei Stunden entfernte Cartagena, das sich vor allem durch seine historische Altstadt auszeichnet, die insbesondere hübsche Kolonialarchitektur vorzuweisen hat und mich an karibische Orte wie in „Fluch der Karibik“ erinnerte.

Auf der kleinen Reise wurde mir noch einmal bewusst, wie neu und anders Kolumbien im Vergleich zu meiner alt bekannten Heimat ist und dabei habe ich bisher doch nur einen kleinen Ausschnitt der Karibikküste gesehen!

Egal ob mit Buch im Café um die Ecke oder mit Rucksack auf Wanderung in den Anden, meine Zeit in Kolumbien wird mich sicherlich weiterhin viel lehren und darauf freue ich mich!

 

Beste Grüße aus Barranquilla!

 

Jan