Liebe auf Distanz


Vermissen, plötzlich Tränen in den Augen haben, Zeitverschiebung, tausende von Kilometern, lange Telefonate wenn man Glück hat; keine Zeit, schlechte Internetverbindung, verpixelte Bilder und eine verzerrte Stimme wenn’s mal wieder nicht so läuft wie geplant. Schweigen, Frustration, den Wunsch alles aufzugeben. Lernen mit Worten zu umarmen, mit einem Lächeln zu küssen. Tage zählen, Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Zweifel.

– 3 Monate waren mein Freund und ich im August letzten Jahres gerade einmal zusammen, da trennten sich bereits unsere Wege. Unsere Wege trennten sich, doch wir uns nicht. Wir stürzten uns in eine große Challenge: Alles das, was für uns unsere Beziehung bedeutete; Umarmungen, Küsse, durch die Haare strubbeln, einander anschauen und glücklich sein, laut gemeinsam drauf loslachen, sich gegenseitig durchkitzeln, Fahrrad fahren, ins Kino gehen, lange Spaziergänge, warmen Kakao trinken und dem Anderen die Schokoreste wegwischen, zusammen kochen und in der Küche tanzen…..- all das sollte in den kommenden Monaten durch eine einzige Sache ersetzt werden: Durch Worte.

Denn während mein Freund Corin nach Hamburg zog, entschied ich mich das kommende Jahr um die Welt zu ziehen: Erst nach Argentinien, dann nochmal zurück – ein Zwischenstopp für ein paar Monate in Deutschland – weiter in die Dominikanische Republik und schließlich nach Mexiko. Erst sollten wir also 3, dann 6 Monate getrennt voneinander sein; insgesamt sollten uns 9 Monate über 10 000km und ein riesiger Ozean trennen. Schaffbar, dachten wir. Wie naive Kleinkinder, die sich von einem Abenteuer ins nächste stürzen. Schaffbar dachten wir – challenge accepted.

Ich glaube dieses Jahr mit Liebe auf Distanz war das längste Jahr meines bisherigen Lebens und auch eines der schönsten. Wie oft habe ich mich gefragt, warum ich das eigentlich alles mache. Wie oft habe ich mich nicht verstanden gefühlt, gezweifelt und gedacht das war’s.

Aber ich habe auch oft gespürt, dass das genau die richtige Entscheidung war zu gehen; mein Ding zu machen; unabhängig zu sein und mein Leben zu leben. Ich habe oft gespürt, dass wir das schaffen und dass es das wert ist. z.B. als ich am Abendbrotstisch mit meiner argentinischen Gastfamilie saß und mit einem Lächeln im Gesicht von Corin auf Spanisch erzählt habe oder als mir meine Gastmama ein Foto von einem Brief von ihm schickte, der eingetroffen war während meiner Patagonien-Reise. Oder als ich mitten in der Nacht meinen Freund anrief weil ich während des lauten südamerikanischen Gewitters nicht schlafen konnte und er mir die Angst nahm. Oder als sich im Februar noch 6 Monate Dominikanische Republik für mich viel zu gruselig anhörten und Corin mir in langen Gesprächen Mut machte obwohl er mich am liebsten bei sich behalten wollte. Dann immer wieder, wenn ich erneut frustriert auf meinem Bett unter dem Mückennetz in Santo Domingo saß, weil ich wieder einmal gescheitert war und an mir selbst zweifelte, mich auf meinem Handy aber über FaceTime ein lächelndes Gesicht ansah und mir sagte: Ich glaub an dich.

Und was für schöne Motivationsgeschichten habe ich erzählt bekommen! Meine Gastmama hat mir von ihren Sorgen erzählt, als mein Gastpapa als Soldat in Kroatien eingesetzt war und ihre kurzen Telefongespräche abgehört wurden und jetzt sind sie lange verheiratet. Meine Mama erzählte mir von ihrer Verzweiflung als sie weit entfernt von meinem Papa studierte und später in den USA arbeitete und wie sie auf teure Telefonzellen geflucht hatte.

Von meinem Opi weiß ich, wie er selbst in meinem Alter um die Welt, auf hoher See, gereist ist und trotz wochenlanger Postwege der Briefe die Liebe zu meiner Omi niemals aufhörte.

Diese Geschichten und Menschen geben mir die ganze Zeit lang Mut und Kraft, weil sie auch mal in meiner Situation waren und mich bestärken. Wer weiß, vielleicht erzähle ich auch irgendwann meinen Kindern so eine Geschichte. Selbst wenn nicht, selbst wenn sich die Wege von mir und meinem Freund irgendwann wirklich trennen sollten und ich jemanden ganz anders und dann wieder jemand anders kennenlernen sollte und dann erst glücklich verheiratet bin oder es vielleicht auch nie sein werde – denn wer weiß das schon – selbst dann weiß ich, dass das hier etwas Einzigartiges und Einmaliges ist, was wir durchleben und teilen und das macht mich glücklich.

Es war Ende Juni als Corin und ich uns schon wieder 4 Monate lang nicht gesehen hatten. Wieder trennten uns tausende von Kilometern, wieder schien der Countdown zum Wiedersehen stehen geblieben und die Tränen immer noch nicht leer zu sein.

Doch mein Freund hatte mir ein großartiges Versprechen gegeben, welches er wahr machte.

Auf einmal, am 27. Juni um 4 Uhr morgens kam der Junge, den ich in den vergangenen Monaten nur auf meinem Handybildschirm und auf Fotos gesehen hatte, etwas verschlafen aber mit einem großen Grinsen durch die automatischen Schiebetüren in der Ankunftshalle des Flughafens in Santo Domingo. Ich konnte es nicht glauben. Ich lief auf ihn zu und in seine offenen Arme. Hier war er nun. Mit mir in meinem derzeitigen Zuhause. Wie komisch und schön!

Wir hatten uns in den kommenden 3 Wochen, die er mich besuchte, so viel zu erzählen und gleichzeitig wussten wir gefühlt schon so viel aus dem Leben des Anderen der letzten Monate. Es fühlte sich so besonders an, wieder Zeit miteinander verbringen zu können.

Die erste Woche zeigte ich ihm mein Zuhause der vergangenen Monate; wir besichtigten die Zona Colonial und mein Viertel Piantini, nahmen Tanzstunden, kochten in meiner WG auf Spanisch, deutsch und englisch, lachten, sprangen in den Pool, machten zusammen Sport, schauten einen schrecklichen Tatort und erzählten uns lange Geschichten.

Dann ging es ins Paradies an die Ostküste der Dominikanischen Republik; in die Region Punta Cana. Hier genossen wir die Zweisamkeit, den weißen Sandstrand, die Karibik und die Sonne jeden Tag aufs Neue. Von dort ging unsere Inseltour weiter gen Norden auf die Halbinsel Samaná, wo wir sehr romantisch in Palmenhütten schliefen, umgeben von tausenden von Mücken und morgens die Früchte von den Bäumen frühstückten. Wir schnorchelten, fuhren Boot, wanderten, diskutierten und sonnten uns. Sooo viel Glück auf einmal 🙂
Doch auch die schönste Zeit hat irgendwann ein Ende.

So plötzlich wie mein Freund am Flughafen aufgetaucht war, so schnell verschluckten ihn die großen Schiebetüren drei Wochen später wieder, diesmal zur Abflughalle zurück Richtung Heimat.

Die Tränen liefen und einige Stunden später fühlte ich mich als wäre ich gerade aus einem Traum erwacht. Zwei Tage später verschwand jedoch auch ich hinter denselben Schiebetüren des Flughafens, jedoch mit dem Ziel Mexiko Stadt – wieder ein neuer Umzug; wieder in ein neues Land; wieder Kopfüber in ein neues Abenteuer. Aber das hieß auch wieder weit entfernt von Corin zu sein. Doch uns bleiben die Erinnerungen, die Vorfreude, denn in 5 Wochen würde uns nicht mehr eine lange Flugreise trennen, sondern nur noch eine Fahrradfahrt durch den Hamburger Park Planten un Bloomen und noch etwas:

Die Erkenntins, dass Liebe auf Distanz eine Geheimformel ist. Die Liebe wächst nämlich exponentiell mit der gemeinsam durchlebten Distanz. Challenge completed.

4 Mädchen mit 4 großen Rucksäcken durch Mexiko

Am Freitag, 31.05. machten wir uns auf den Weg Mexiko gen Süden zu erkunden. Wir, das waren die Halb-Marokkanerin Anissa, die Bayerin Kathrin, die „Könnte auch Brasilianerin sein“ Evita und ich, die Clichée-Deutsche (ich galt meist als Spielverderberin mit hell blonden Haaren und blauen Augen). Wir waren also eine ziemlich coole Truppe 🙂 .

Unser erstes Ziel war Puebla de Zaragoza, eine 1,6 Millionen Stadt in Zentralmexiko. VW ist hier der größte Arbeitgeber. Kein Wunder, ich hätte das „mexikanische Wolfsburg“ auch hier her gelegt: Eine gemütliche Innenstadt mit netten Geschäften und Cafés und eine riesige Kathedrale, die sogar höher sein soll als die in Mexiko-Stadt. Aber das ist nicht die einzige Kirche in Puebla! Die Stadt hat 365 Kirchen. Ein spannender Grund für mich als Protestantin mit meinen Mitreisenden, einer Muslimin und zwei Katholiken, über den katholischen Glauben und die Rolle von Geld und Prunk zu diskutieren.

Am Abend fragten wir den Rezeptionisten unseres Hostels nach Möglichkeiten in der Stadt feiern zu gehen. Er verstand zunächst nicht was wir wollten. Als wir ihm erklärten, dass wir tanzen wollten, sagte er: „In der Innenstadt sind einige Cafés, da gibt es auch manchmal Musik.“ Ok, wir waren definitiv an den Falschen geraten. Auf der Suche nach einer netten Abendbeschäftigung landeten wir dann in einem Kino – ein cooles Erlebnis. Denn in Mexiko ist die Kinokultur sehr ausgeprägt. Wir bezahlten rund 3€ für Eintritt und eine riesige Portion karamellisiertes Popcorn und schauten Alladin auf Spanisch. Der Kinosaal war voll! Mitten im Film stand auf einmal vorn vor der Leinwand eine Frau, die uns lautstark von ihrer Lebensphilosophie überzeugen wollte. Wenig später wurde sie von dem Kinopersonal raus begleitet. Klar, bei so niedrigen Preisen hat fast jeder Zutritt ins Kino, aber so hat der Kinosaal in Mexiko auch eine ganz andere Bedeutung als in Deutschland: Es ist DER socialising-Raum schlecht hin: Hier trifft man sich, plaudert und lernt neue Leute kennen.

Am Tag darauf nahmen wir einen ziemlich klapprigen Bus, der uns in die benachbarte Stadt Cholula chauffierte. Hier tobt das Leben auf der Straße: Es wird gegessen, verkauft, gerufen und gelacht. Bereits aus der Innenstadt sieht man eine riesige Kirche auf einem Berg prangen. Diese Kirche befindet sich auf den Ruinen der größten Pyramide der Welt. Nach einem Mittag auf der Straße (Essen ist Priorität Nummer 1 in Mexiko, weshalb das wohl auch das Land mit der größten Diabetis- und Fettleibigkeitsrate ist), bestiegen wir die Pyramide bis zur Kirche. Von dort aus hatten wir einen fantastischen Blick auf Cholula und den riesigen, aktiven Vulkan hinter der Pyramide. Es gibt außerdem einen Tunnel durch die Pyramide, den wir auch passierten. Wirklich ein gigantisches Bauwerk, und sehr schade, dass es durch den Bau der Kirche so zerstört wurde. Angesteckt von dem Essenswahn Mexikos fuhren wir erst wieder aus Cholula, nachdem wir auf einem kleinen Jahrmarkt einen leckeren Crêpe verzehrt hatten.

Am Abend trafen wir eine Bekannte einer Mitreisenden, die in Puebla wohnt, mit ihren Freunden. Sie zeigten uns den hippen, neuen Stadtteil Pueblas. Dort fuhren wir Riesenrad, hinein in den Nachthimmel der Stadt mit all ihren Lichtern. Danach ließen wir den Abend in einem netten Restaurant bei angeregten spanischen Gesprächen ausklingen. Anissa meinte die Anderen vor mir warnen zu müssen: „Sie sieht zwar so Deutsch aus, wie man nur aussehen kann, aber ihr Herz ist so was von Latina, keine Sorge!“

Am Tag darauf ging unsere Reise weiter. Ein Bus brachte uns auf einer 5-stündigen Fahrt nach Veracruz, an den Golf von Mexiko. Leider erwartete uns die Stadt mit Regenwetter. Trotzdem trauten wir uns am darauffolgenden Tag raus und ans Wasser. Die Promenade der Stadt, die uns von unserem Hotel, das etwas außerhalb lag, in die Innenstadt führte, ist voller Kontraste in der Baukultur: Da ist eine Ruine mit einem „zu vermieten“-Schild neben einem hochmodernen neuen Bankgebäude von Santander und danach folgt ein halb abgerissenes Haus. In Veracruz gibt es leider wenig kulturelle Sehenswürdigkeiten und die Strände, die wir aufgrund des Unwetters auch nicht aufsuchten, befinden sich wohl eher außerhalb der Stadt. In den zwei Tagen in Veracruz besichtigten wir die Festung und das kleine Stadtzentrum. Dank unserer Rezeptionistin und dem Machismos kamen wir sogar in den Marinestützpunkt des Atlantiks und bekamen von zwei gut aussehenden uniformierten Marine-Soldaten eine private Führung – ziemlich cool.

Die Küste bei Veracruz

Und dann stand die Reise zu unserem letzten Reiseziel und wohl dem beliebtesten und bekanntesten Reiseziel Mexikos an: Cancún. Diesmal flogen wir und das sollte ein Abenteuer werden. Pünktlich, wie es sich für uns kulturweit-Freiwillige nun mal gehört, fanden wir uns an dem kleinen Provinzflughafen in Veracruz ein. Die Gepäckaufgabe und die Sicherheitskontrolle passierten wir schnell und überlegten uns gerade – wir waren schließlich in Mexiko – was wir zu Abend essen sollten (obwohl niemand von uns mehr von „Hunger“ sprechen konnte 🙂 ), da kam eine Durchsage, die uns eine 2-stündige Verspätung unseres Fluges verkündete, der um 22 Uhr hätte gehen sollen. Auf Nachfrage bei dem Personal der Fluggesellschaft erfuhren wir, dass es erst ab einer Verspätung von 3 Stunden eine Entschädigung für die Fluggäste gäbe. Also entschieden wir uns mit Abendbrotessen und „Stadt-Land-Fluß“ auf Spanisch spielen die Zeit zu vertreiben. Währenddessen schlossen langsam die wenigen Geschäfte, die der Flughafen zu bieten hatte. Im letzten Moment ergatterten wir noch eine Flasche Wasser, dann waren wir mit den anderen Fluggästen allein in der Wartehalle. Weder Personal, noch Lebensmittel waren aufzufinden. Als die nächste Verspätung angesagt wurde, fanden wir vor der Sicherheitskontrolle doch noch einen Angestellten unserer Fluggesellschaft. Er erwiderte unsere Beschwerden mit Unverständnis und sagte die Verspätungen lägen am „Wetter“, weshalb uns keine Entschädigung zustünde. Wir probierten noch zu diskutieren, doch kamen zu keinem Ergebnis.

Endlich, um 2 Uhr morgens. startete das Flugzeug dann und wundersamer Weise landeten wir auch sicher in Cancún. Unser nächstes Problem: Morgens um 4 fuhren keine Taxis mehr, sondern nur super teure Shuttles, die uns, dank unseres Aussehens, noch extra über das Ohr ziehen wollten. Nach langem Hin und Her fanden wir endlich eine Möglichkeit in unser Hostel zu gelangen. Im Hostel fiel uns dann jedoch eine mysteriöse Abbuchung bei einer vom Kreditkartenkonto einer Mitreisenden von uns auf. So konnten nur 3 von uns schlafen, die Andere verbrachte die frühen Morgenstunden auf der Polizeidienststelle und musste ihre Bankkarte sperren lassen. Doch viel Schlaf blieb auch uns nicht, denn um 8 Uhr am nächsten Tag brachen wir nach einem wunderbaren Frühstück auf, um eines der sieben modernen Weltwunder zu besichtigen: Eine Stadt der Maya aus dem Jahr 650: Chichén Itzá. Wirklich ein heißes, anstrengendes aber atemberaubendes Erlebnis, verewigt mit einem Stempel im Reisepass.

In unseren letzten Urlaubstagen lernten wir dann Cancún von seiner typischen Seite kennen: Wir fuhren mit einer Fähre zur naheliegenden Isla Mujeres und in die Zone der Hotels und genossen Sonne, Strand und Karibik.

Ein Urlaub ging zu Ende, in dem wir viel erlebten, viel lachten, viel lernten, viel nachfragten, viel aßen, zwei Mal während einer Woche ins Kino gingen und mit gebräunter Haut und tollen Erinnerungen zurückkehrten – jeder Einzelne in sein Einsatzland und seine Einsatzstelle. Jeder Einzelne mit anderen Hoffnungen und Ängsten.