Titel machen Leute

„Warum hast du dich dazu entschieden deinen Freiwilligendienst zu machen?“ – Puh, so eine grundlegende Frage ist schwierig aus dem Stand zu beantworten und erst recht wenn sie von einer „Frau Dr. Phil. Dipl. Ing. so und so“ kommt. „Ähm, vor dem Studium wollte ich nochmal…..“, ich merke wie ich beginne zu stammeln und mir wird heiß. Ich ärgere mich weil ich doch eigentlich ganz genau weiß, warum ich das hier mache! Doch ich fühle mich wie in einem Bewerbungsgespräch.

Im Nachhinein muss ich darüber schmunzeln. Frau Dr. Phil. Dipl. Ing. Ulrike Kuch von der Bauhaus Universität Weimar kam letzte Woche Santo Domingo, anlässlich der Festivitäten zu „100 Jahren Bauhaus“, besuchen und ungefähr so wie oben beschrieben lief unser erstes Gespräch ab. Ich sage ich muss im Nachhinein darüber lachen, weil ich mit der lieben Ulrike im Verlauf der Woche, in der sie hier war, Wunderhöhlen besichtigt und zusammen mit einer Freundin viel gekocht habe, wir zusammen Rum getrunken und über Finnland geträumt haben, und beide schrecklich geweint haben.

Aus dem Respekt vor ihren ganzen Titeln wurde Mitfiebern bei ihren Vorträgen und Zusprechen wenn sie an der lokalen Organisationsweise scheiterte.

Ulrike Kuch war also hier um diverse Vorträge über das Bauhaus zu halten, über dessen Geschichte und dessen Bedeutung, über dessen Existenz in der Dominikanischen Republik zu philosophieren und um an Veranstaltungen dazu teilzunehmen, die die deutsche Botschaft organisierte. Mir sagte Bauhaus vorher nicht viel, doch sie schaffte es gut auf Englisch ihr Publikum (meist Architekturstudenten) in ihren Bann zu ziehen und ihnen die Interpretationsfreiheit von Bauhaus – einer Architektur der Moderne – zu eröffnen. Da war Walter Gropius, da ist die Bauhaus Universität Weimar, und es gab eine politische Bewegung und da waren Exilanten unter dem nationalsozialistischen Regime, die ihre Ideen von Bauhaus in die Welt trugen.

Also erhielt ich oft innerhalb der letzten Woche, wenn ich Ulrike zu einem bestimmten Gebäude oder Bild fragte: „Ist das denn jetzt Bauhaus?“ die Antwort: „Kommt darauf an, was Bauhaus ist.“ Einer ihrer Vorträge, bei denen ich sie mit Meike Schröer vom Deutschen Akademischen Austauschdienst begleitete, fand im Centro Léon in Santiago de los Caballeros statt. Wir fuhren gemeinsam mit einer Abordnung der deutschen Botschaft dorthin: 150 km durch die verschiedensten Grüntonarten an Natur, durch Berge und kleine Dörfer, spanisch-, englisch-, und ab und zu deutschsprechend. Die Konferenz in Santiago war sehr spannend: Neben Ulrikes Vortrag ging es in einer Diskussion von verschiedenen dominikanischen Architekten darum, wo sie ihrer Meinung nach im Land Züge von Bauhaus vorfinden. Der Architekt Alex Martinez Suárez forscht sogar gerade dazu. Auch das Centro Léon selbst, mit seinen Ausstellungen zu karibischer Geschichte und Kunst ist sehr beeindruckend, wir bekamen nach der Konferenz noch eine Führung durch die großen, kreativ hergerichteten Ausstellungsräume. „Karibik, das ist nicht nur ein Meer, das ist ein Gefühl, welches uns miteinander verbindet.“ – sagte die Museumsführerin.

Ulrike Kuchs Woche ging zu Ende mit einer Fotoausstellung am Freitagabend im Centro Dominico Alemán in Santo Domingo. Gezeigt wurden schwarz weiß Aufnahmen von verschiedenen Architekten: Ausschnitte von Gebäuden und Perspektiven von Treppen aus Santo Domingo oder Santiago. Der deutsche Botschafter Dr. Volker Pellet eröffnete die Ausstellung, mit seiner Frau kam ich während des Empfangs ins Gespräch (die Frau des Botschafters!!!). Zunächst erlebte ich ein Déjà-vu, als Frau Pellet sich zu mir wandte und mich fragte: „Und was machen sie hier? Und was ist das genau, PASCH?“ „Ähm…“ – Das kann doch jetzt nicht sein, habe ich etwa vergessen was mein Job hier ist?! „Schulen, Partner der Zukunft“ – sage ich endlich stockend und werde schräg gemustert.

Nach einem Stückchen sehr delikates servierter Bratwurst und einem Bier unterhielten wir uns nett und sie fragte sogar nach meinen Kontaktdaten, um sie zwei weltwärts-Freiwilligen weiterzuleiten, die sie über eine Freundin kennt.

Auch der Rest des Abends verlief nett und war ein gemütlicher Ausklang einer turbulenten Woche mit einigen personas muy importantes. Als der Botschafter sich bei mir verabschiedete und sagte ich könne mich immer melden wenn irgendwas ist, merkte ich dass wir doch alle irgendwie Menschen sind. Anscheinend machen nicht nur Kleider Leute, sondern auch Titel.

Mein ganz unkaribischer Alltag, jeden Tag anders

6 Uhr, spätestens 7 Uhr morgens ist hier meistens Schluss mit Schlafen. Es wird hell, warm und laut – alles Zeichen in den Tag zu starten. In den Tag starten heißt in meinem Fall einmal gaanz kalt duschen. Mittlerweile mag ich das sogar sehr 🙂 Dort wo ich wohne gibt es keine Fenster, nur Paneelen, die man aufschraubt zum Lüften, die keine Lärmisolierung leisten. Deswegen genieße ich es morgens auf dem vergitterten und überdachten Balkon, dem einzigen Ort mit Tageslicht meinen Porridge zu essen. Diese britische Angewohnheit kann ich nicht lassen, egal wo ich auf der Welt bin 🙂 Hier gibt es dazu fabelhafte Früchte, die wir nur als Importprodukte oder nur gar aus abgepackten Säften aus dem Supermarkt kennen: Ananas, Mango, Papaya, Maracuja – die natürlichen und einheimischen Vitaminbomben hier, einfach wunderbar.

Nach dem Frühstück mal eben zur Arbeit gestaltet sich leider schwierig. Meistens muss ich mich eine Stunde vor Beginn mit verschiedenen carros publicos, zu acht eingequetscht in einem normalen PKW, auf den Weg machen. Spätestens jetzt bin ich schweißgebadet. Da die carros aber immer nur eine Straße hoch und runter fahren, muss man meist Wege auch zu Fuß vervollständigen und oft die carros wechseln. Die Sonne ist hier sehr stark und das Klima ist tropisch, also letztendlich so als würde man sich den ganzen Tag in Hagenbecks Papageienkäfig bewegen. Diese feuchte Hitze macht zu Fuß gehen ab ca. 9 Uhr morgens unmöglich. Trotzdem quetschen sich die Menschen in lange Hosen und lange Blusen mit Blazer. Hier ist es sehr wichtig gut auszusehen, ganz unabhängig von dem Geld über das man verfügt. Shorts auf der Straße gelten eher als No-Go, die gehören nicht in die Hauptstadt. Außerdem sind viele Arbeitsplätze, Unis, Malls und Supermärkte dermaßen klimatisiert, dass man sich der Kälte dort mit entsprechender Kleidung schlichtweg wappnen muss.

Das Coole hier ist, dass ich eigentlich keinen festen Alltag habe. Nachdem ich meinen Freiwilligenplan umgestaltet habe ist jeder Tag hier anders, neu, spannend und sehr interessant. Ich fahre während der Woche viel durch die Stadt und habe unterschiedliche Einsatzbereiche. Dazu gehört meine ursprüngliche Einsatzstelle, die Schule, aber auch die Universität APEC und die technische Universität Santo Domingos, die INTEC. Ich unterstütze im Deutschunterricht, der rar in der Dominikanischen Republik ist, weshalb ich auch am Aufbau des Programms beteiligt bin. Dazu gehört u.a. die Beratung einer Schule, die ebenfalls dem PASCH-Netz angehören möchte und außerdem die Erarbeitung von Modulprogrammen für ein digitales Deutschlernprogramm. Zudem bin ich bei Beratungsgesprächen in der Deutschen Botschaft dabei, für Studenten, die die Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdiensts ausschöpfen wollen um in Deutschland oder anderen Ländern Zentralamerikas zu studieren. Einer Deutschlernenden, die gern einen Deutschen heiraten möchte, und für ein deutsches Visum ein A1-Niveau-Zertifikat benötigt, werde ich bald zusammen mit ihrer Tochter Nachhilfe geben.

So ist meistens meine Woche von Montag bis Samstag vollgestopft mit sehr interessanten und für die Kultur typischen Treffen, Terminen, Konferenzen, Workshops und Unterrichtseinheiten.

An den Wochenenden ergeben sich meistens nette Unternehmungen mit Bekannten und Freunden hier.

Mehrmals die Woche nehme ich auch am Kickbox-Training teil. Das findet in der schwülen Nachmittagshitze in einem Park statt und wird von einem international aktiven dominikanischen Boxer geleitet. Das Gefühl danach ist klasse. Das Training lässt mich gut abschalten und gibt mir mehr Selbstsicherheit auf der Straße. Zum absoluten Abschalten gehe ich auch zum Yoga im Botanischen Garten. Das ist eine coole Community dort und hat großen Effekt.

Für mich ist es eine enorme Umstellung jeden Weg planen zu müssen, da es keinen verlässlichen, flächendeckenden ÖPNV gibt und man daher viel Zeit auf den eher gefährlichen Straßen verbringt. Blond, blauäugig und hellhäutig ist das nochmal doppelt so gefährlich. Ich merke wie ich mich manchmal total sicher fühle und in anderen Momenten absolut gefährdet. Mittlerweile habe ich mir aber Umsicht und Vorsicht angewöhnt und kann besser einschätzen, wo es wann OK ist sich zu bewegen, dann geht das.

Der Alltag hier ist wirklich unkaribisch und es wird einfach gelebt, so wie es eben geht. Oft komme ich abends kaputt zurück und schlafe unter der Woche schnell ein. Kaum schließe ich die Augen höre ich wieder die Autohupen, spüre die Hitze und schaue auf die Uhr: Es ist 6 Uhr – vaaamos!