Mein ganz unkaribischer Alltag, jeden Tag anders

6 Uhr, spätestens 7 Uhr morgens ist hier meistens Schluss mit Schlafen. Es wird hell, warm und laut – alles Zeichen in den Tag zu starten. In den Tag starten heißt in meinem Fall einmal gaanz kalt duschen. Mittlerweile mag ich das sogar sehr 🙂 Dort wo ich wohne gibt es keine Fenster, nur Paneelen, die man aufschraubt zum Lüften, die keine Lärmisolierung leisten. Deswegen genieße ich es morgens auf dem vergitterten und überdachten Balkon, dem einzigen Ort mit Tageslicht meinen Porridge zu essen. Diese britische Angewohnheit kann ich nicht lassen, egal wo ich auf der Welt bin 🙂 Hier gibt es dazu fabelhafte Früchte, die wir nur als Importprodukte oder nur gar aus abgepackten Säften aus dem Supermarkt kennen: Ananas, Mango, Papaya, Maracuja – die natürlichen und einheimischen Vitaminbomben hier, einfach wunderbar.

Nach dem Frühstück mal eben zur Arbeit gestaltet sich leider schwierig. Meistens muss ich mich eine Stunde vor Beginn mit verschiedenen carros publicos, zu acht eingequetscht in einem normalen PKW, auf den Weg machen. Spätestens jetzt bin ich schweißgebadet. Da die carros aber immer nur eine Straße hoch und runter fahren, muss man meist Wege auch zu Fuß vervollständigen und oft die carros wechseln. Die Sonne ist hier sehr stark und das Klima ist tropisch, also letztendlich so als würde man sich den ganzen Tag in Hagenbecks Papageienkäfig bewegen. Diese feuchte Hitze macht zu Fuß gehen ab ca. 9 Uhr morgens unmöglich. Trotzdem quetschen sich die Menschen in lange Hosen und lange Blusen mit Blazer. Hier ist es sehr wichtig gut auszusehen, ganz unabhängig von dem Geld über das man verfügt. Shorts auf der Straße gelten eher als No-Go, die gehören nicht in die Hauptstadt. Außerdem sind viele Arbeitsplätze, Unis, Malls und Supermärkte dermaßen klimatisiert, dass man sich der Kälte dort mit entsprechender Kleidung schlichtweg wappnen muss.

Das Coole hier ist, dass ich eigentlich keinen festen Alltag habe. Nachdem ich meinen Freiwilligenplan umgestaltet habe ist jeder Tag hier anders, neu, spannend und sehr interessant. Ich fahre während der Woche viel durch die Stadt und habe unterschiedliche Einsatzbereiche. Dazu gehört meine ursprüngliche Einsatzstelle, die Schule, aber auch die Universität APEC und die technische Universität Santo Domingos, die INTEC. Ich unterstütze im Deutschunterricht, der rar in der Dominikanischen Republik ist, weshalb ich auch am Aufbau des Programms beteiligt bin. Dazu gehört u.a. die Beratung einer Schule, die ebenfalls dem PASCH-Netz angehören möchte und außerdem die Erarbeitung von Modulprogrammen für ein digitales Deutschlernprogramm. Zudem bin ich bei Beratungsgesprächen in der Deutschen Botschaft dabei, für Studenten, die die Stipendien des Deutschen Akademischen Austauschdiensts ausschöpfen wollen um in Deutschland oder anderen Ländern Zentralamerikas zu studieren. Einer Deutschlernenden, die gern einen Deutschen heiraten möchte, und für ein deutsches Visum ein A1-Niveau-Zertifikat benötigt, werde ich bald zusammen mit ihrer Tochter Nachhilfe geben.

So ist meistens meine Woche von Montag bis Samstag vollgestopft mit sehr interessanten und für die Kultur typischen Treffen, Terminen, Konferenzen, Workshops und Unterrichtseinheiten.

An den Wochenenden ergeben sich meistens nette Unternehmungen mit Bekannten und Freunden hier.

Mehrmals die Woche nehme ich auch am Kickbox-Training teil. Das findet in der schwülen Nachmittagshitze in einem Park statt und wird von einem international aktiven dominikanischen Boxer geleitet. Das Gefühl danach ist klasse. Das Training lässt mich gut abschalten und gibt mir mehr Selbstsicherheit auf der Straße. Zum absoluten Abschalten gehe ich auch zum Yoga im Botanischen Garten. Das ist eine coole Community dort und hat großen Effekt.

Für mich ist es eine enorme Umstellung jeden Weg planen zu müssen, da es keinen verlässlichen, flächendeckenden ÖPNV gibt und man daher viel Zeit auf den eher gefährlichen Straßen verbringt. Blond, blauäugig und hellhäutig ist das nochmal doppelt so gefährlich. Ich merke wie ich mich manchmal total sicher fühle und in anderen Momenten absolut gefährdet. Mittlerweile habe ich mir aber Umsicht und Vorsicht angewöhnt und kann besser einschätzen, wo es wann OK ist sich zu bewegen, dann geht das.

Der Alltag hier ist wirklich unkaribisch und es wird einfach gelebt, so wie es eben geht. Oft komme ich abends kaputt zurück und schlafe unter der Woche schnell ein. Kaum schließe ich die Augen höre ich wieder die Autohupen, spüre die Hitze und schaue auf die Uhr: Es ist 6 Uhr – vaaamos!

Die typische „struggle“-Phase eines Freiwilligendienstes

Wie bekommt man eine aufgekratzte Klasse zum Schweigen? Wie bekommt man Kinder mit ADHS zum Stillsitzen? Wie bekommt man Lernverweigerer zum Lernen? Wie geht man mit permanenten Angriffen und Beleidigungen von Schülerseite um, ohne sich diese zu sehr anzunehmen? Wie geht man mit einem Jungen, der das Asberger-Syndrom hat, um?  Wie ist man konsequent aber nicht streng? Fragen, die mich in den letzten Wochen überschwemmen und eine schnelle Antwort verlangen. Fragen, die mich zum Schwanken bringen. Fragen, die mir niemand beantwortet aber alle erwarten ich wüsste die Antworten. Ich muss dann immer wiederholen: „Ich bin Anna, 19 Jahre alt, habe gerade Abi gemacht und bin keine Lehrerin, noch habe ich eine pädagogische Ausbildung!“ Aber das scheint hier niemand zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen. Denn ich bin ja Europäerin. Die können alles.

Vor fast drei Wochen bekam ich das Angebot meine Einsatzstelle nach Mexiko zu wechseln.

Tagelang wog ich das eine gegen das andere ab, suchte nach Lösungen. In Mexiko würde ich mit offenen Armen empfangen werden und hatte nette Gespräche. Letztendlich tut es mir leid, das Angebot nicht angenommen zu haben. Aber ich gehöre jetzt einfach in die Dominikanische Republik. Ich erschrecke mich selbst, dass ich das so sage, aber irgendwie ist da etwas dran, auch wenn ich es noch nicht ganz greifen kann. Natürlich würde ich niemals sagen, dass ich mich hier angepasst oder komplett eingelebt habe. Auch zögere ich immer „nach Hause“ zu sagen, wenn ich ausdrücken möchte in meine Wohnung zu gehen.

Aber ich habe das Gefühl, dass ich auf einem guten Weg dahin bin und möchte die Menschen und Orte, die ich bereits kennengelernt habe nicht einfach so hinter mir lassen ohne weiter kennenzulernen. Das ist ein bisschen so, als würde man ein Überraschungs-Ei öffnen, die spannende Anleitung des Spielzeugs überfliegen, ein kleines Stück der Schokolade probieren, aber den Rest liegen lassen und das Spielzeug nicht zusammen bauen.

Und auch wegen derjenigen Schüler, die mir etwas zurückgeben: Die kleinen Schülerinnen, die mich morgens umarmen und meine Haare bestaunen, die Schüler, die im Vorbeigehen „Guten Tag, Lehrerin“ sagen und ich weiß, dass ich ihnen das beigebracht habe. Und auch die Schüler, die mich anbetteln nicht zu gehen und unbedingt Deutsch lernen wollen. Aus all diesen Gedanken entwickelte sich zwischen Telefonaten und Mails mein neuer Plan.

Ich habe nun meine Lehrzeit im Projektarbeitsformat mit 3 Lerngruppen auf 2 Tage pro Woche minimiert. Den Rest der Woche habe ich die Möglichkeit an zwei Universitäten beim Deutschunterricht zu hospitieren, Tandem-Gespräche zu führen, Nachhilfe zu geben und dort an Projekten mitzuarbeiten. Ich bin letzendlich sehr froh diese Entscheidung getroffen zu haben und habe jetzt schon viele kulturelle Erlebnisse gesammelt, die mir als Vollzeitlehrkraft sicher verwahrt geblieben wären.

Natürlich bedeutet das mehr Eigeninitiative und Herausforderung, als wenn ich die Stelle nach Mexiko, in eine „perfekte Kulturweit-Einsatzstelle“ gewechselt hätte, aber ich möchte mich dem stellen und bin offen und gespannt auf das was noch kommt. Ich denke es ist ganz normal in einem Freiwilligendienst auf unbekannte, fehlerhafte und fehlende Infrastrukturen zu stoßen und dann damit klarkommen zu müssen. Das ist Teil der Erfahrung und auch super spannend im Nachhinein!

So schnell wird die Karibik mich nicht los.

Ab ins kalte Wasser

“Unser Problem ist, dass wir so fern von Gott und so dicht an den USA sind.”

Kein Internet, kein warmes Wasser, allein in einer zentralamerikanischen 3 Millionen Stadt, Einsamkeit, Hitze, Arbeit als vollwertige Lehrkraft – ich denke gern zurück an den Facebook-Kommentar zu meinem EJZ-Artikel, der besagte: “Karibik ist doch Komfortzone”. Seit 3 Wochen bin ich nun hier. Die erste Zeit habe ich mich wirklich erschlagen gefühlt von so viel Neuem und Anderen auf einmal. Aber nun ist finde ich genau das eher spannend!

In Santo Domingo geht es bei Vielen leider mehr ums Überleben, leben können sich nur manche Menschen leisten.
Und leben bedeutet an dieser Stelle Dinge, die für uns absolut normal sind: Auto fahren, Internet, warmes Wasser, Klimaanlage, Bildung, Kleidung, Essen.
Festgehalten wird sich an den USA. Alle, die es sich leisten können, wollen Amerikaner sein.
Was den Dominikaner aber ausmacht, egal wieviel Geld auf dem Konto, ist sein Herz, das für jeden zu schlagen scheint.
Die Schule, in der ich arbeite, ist ein Familienbetrieb. Die Juniordirektorin und einzige Deutschlehrerin der Schule fällt momentan jedoch aus, da sie ein Baby hat.
Insofern steht mir die Aufgabe zu, acht verschiedene Altersgruppen und davon sechs täglich zu unterrichten, mich mit ihnen auszutauschen, von ihnen zu lernen.
Meine jüngste Schülerin ist vier Jahre alt, meine älteste 20 Jahre alt.
Ich stelle mich zunächst dieser Herausforderung. Ich denke ich kann sagen: Am Colegio Decroly kann man die Welt ein Stückchen besser machen. Ein bisschen friedlicher, malschauen ob ich das schaffe 🙂

Aufgrund des tropischen Tageszeitenklimas bewegen sich die Einheimischen hier wenig zu Fuß. Hinzu kommt die große Angst der Unsicherheit auf den Straßen. Nach Dunkelheit wird mir abgeraten mich draußen zu bewegen. Am Tag eingeschränkt und mit viel Vorsicht geht das.
So habe ich mich die ersten Tage nur in kleinen Kreisen bewegt.
Meine Kreise haben sich aber immer weiter vergrößert und jetzt gehe ich zum Kickboxen, zum Yoga und mache meine kleinen eigenen Einkäufe. Bewegungsmittel Nummer eins sind hier die sogenannten Carro Publicos. Das sind private Autos, die jedoch schon viele Menschen und Jahre hinter sich haben und längst in Deutschland verschrottet wären. Sie fahren die Hauptverkehrsstraßen entlang, mit offenen Fenstern oder fehlenden Türen. Wenn sie einen möglichen Mitfahrer erspähen hupen und winken die Fahrer wie wild. Wenn du mitfahren möchtest winkst du wild zurück, legst einen Sprint zu dem Blechkasten hin, springst in das Auto rein, rufst die gewünschte Straßenecke, wo du aussteigen möchtest und solltest dich mit aller Kraft festhalten weil es in rasantem Tempo weitergeht. Ampeln, Zebrastreifen und Vorfahrtsregeln sind in der Dominikanischen Republik, wenn überhaupt existent, Attrappe. Der Fahrer wird an dem nächsten stockenden Verkehrspunkt mit umgerechnet 45 Cent bezahlt.
Es ist absolut normal, dass man sich mit acht Mitfahrern in einem normalen PKW befindet – irgendwie eine nette Nähe trotz Schweiß und Fremder 🙂
Andere öffentliche Verkehrsmittel gibt es hier nicht. Nur noch die Guaguas, Busse, die nach ähnlichem Prinzip wie die Carros funktionieren nur eben etwas größer und etwas busähnlicher sind und mehr Mitfahrer fassen.

Der Sprung aus Deutschland in ein Land wie die Dominikanische Republik, wo in der Mall Gucci-Taschen für 5000$ gekauft werden und gleichzeitig im barrio die Menschen sich von Schlamm ernähren müssen, war enorm groß für mich. Doch mittlerweile habe ich mich an die Unsicherheiten, Unwegbarkeiten und die zunächst erscheinenden Unmöglichkeiten „gewöhnt“ könnte man fast sagen.
Ich freue mich darauf von dem Land in der kommenden Zeit zu lernen und mich auf das komplett andere Leben einzulassen.