Montagmorgen vor einer Woche. Ich wache auf, weil Helena plötzlich vor meinem Bett steht in unserem etwas ranzigen Prager Hostel. Eigentlich wollten wir ja zusammen am Sonntagnachmittag via Fernbus fahren, aber ihr kennt uns, war natürlich klar, dass wir das nicht schaffen würden. Und so verbrachte ich meine erste Nacht in Prag mit tschechischem Bier und ein paar zufällig getroffenen Belgiern, während Helena Lukas spontan dazu überredete, uns zu begleiten und den nächstbesten Bus nahm. Das Resultat? Drei schlafwandelnde Freiwillige. Prag bei schönstem Wetter. Ein paar wunderschöne Tage in einer sympathischen, aber leider mit ordentlich Touris gefüllten Stadt. An dieser Stelle auch noch mal einen Riesendank an die Prager Freiwilligen für die schöne Zeit (ich hoffe wir sehen uns demnächst in Budapest!).
Danach ging es für mich weiter nach Köln und schließlich Frankfurt, von wo Helena und ich um zwei Uhr nachts mit dem Bus zurück nach Ungarn aufbrachen. Eigentlich lief alles ganz gut auf der Fahrt (bis zu einem kurzen Panikmoment in Budapest, bei dem ich dachte, es nicht pünktlich vor dem letzten Bus nach Nyíregyháza zu schaffen), und so bin ich seit Montag zurück. Drei Länder in unter einer Woche (vier, wenn man die Stunde Aufenthalt in Wien mitzählt). Eigentlich bräuchte ich noch eine Woche Ferien, um mich von den Ferien zu erholen. Ich schlafwandele durch die Gegend, immer noch.
In Deutschland habe ich gerne die Menschen am Bahnhof beobachtet und mich voll neugierigem Neid gefragt, wo sie wohl als nächstes hinfahren. Ich bin immer noch gerne an Bahnhöfen, obwohl mir ein wenig die Hamburger Wandelhallen fehlen und, ganz besonders, der Franz & Friends-Laden (allgemein Franzbrötchen). Nur jetzt ist es irgendwie anders – jetzt brauche ich die anderen meistens nicht neidisch anzusehen. Diesmal fahre ich selber weiter – zwar immer mit der Absicht, zurück zu kommen, doch meine Unrast und Neugier können endlich gestillt werden. In Deutschland würde mir das nie in den Sinn kommen, am Wochenende „mal eben“ fünf Stunden für einen kurzen Trip zu fahren, und dann auch noch fast jedes. Aber hier? Es ist, als würden die Distanzen hier schrumpfen.
Manchmal ist das zwar etwas anstrengend, der Drang, so viel aus dieser Zeit herausholen zu wollen wie nur möglich, und dann bin ich froh, in meiner Badewanne in Nagykálló liegen und die Augen schließen zu können. Trotzdem liebe ich dieses Gefühl von nicht-ganz-Sesshaftigkeit, dass mich und die anderen Freiwilligen zur Zeit auszumachen scheint.
Was gibt es schließlich Schöneres, als im Fernbus zu sitzen, Schokocranberries zu essen und Playlists von neuen alten Freunden zu hören? Die ungarische Landschaft am Fenster vorbeiziehen zu sehen mit der Gewissheit, das noch oft genug tun zu können.
Ich bin mir sicher, dass dieses Gefühl in spätestens ein paar Monaten vergehen wird, denn auch jetzt merke ich schon, wie mich immer mehr Dinge mit Nyíregyháza zu verbinden scheinen, sodass ich tatsächlich immer öfter plane, auch das Wochenende hier zu verbringen. Ein bisschen, als würde ich Wurzeln schlagen. Trotzdem: ich fühle mich derzeit ganz schrecklich wie der Schwamm in der Metapher beim Empfang des Auswärtigen Amtes (das klingt ganz schlimm aufgesetzt und pretentiös, ist aber erschreckend zutreffend). Mein Herz ist weit geöffnet und mein Kopf gierig nach all den Erfahrungen, die noch vor mir liegen. Ich habe zum ersten Mal frische Luft geatmet und irgendwie auch den Wunsch nach weiteren Wurzeln entdeckt. Trotzdem wird mir immer bewusster, wie sehr mein Herz doch am Norden hängt. Das geht teilweise so weit, dass ich mir nicht mal mehr vorstellen kann, irgendwo südlicher als Hamburg hinzuziehen – etwas, was mir vor ein paar Monaten noch fremd war. Aber ich arbeite dran.
Was ich gelernt habe:
- Mein passiver Ungarischwortschatz ist größer, als ich dachte.
- Man gewöhnt sich erstaunlich schnell an die ungarischen Preise, und im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung, Prag wäre billig, kam es uns recht teuer vor. („Wir haben da grad 1200 Forint ausgegeben!“)
- Bei Flixbus gibt es immer noch keinen Vielfahrerbonus. Sollte es aber.
- Drei Stunden Schlaf reichen nicht.
Und sonst?
Meine Rechtschreibung wird ziemlich peinlich, vor allem, wenn man bedenkt, wie empfindlich ich bei sowas eigentlich bin. Und glaubt bloß nicht, eure Mathekenntnisse könnten nicht schlechter werden – es geht, vertraut mir. In der Schule fühle ich mich langsam angekommen. Ungarisch läuft, mehr oder weniger. Ich warte immer noch auf den Moment, in dem der Funken überspringt und ich diese Sprache nicht mehr bloß als notwendiges Übel, sondern mit einer gewissen Leidenschaft betrachten kann. Sollte doch nicht so schwer sein, oder?
Alles Gute und bis bald,
Karen
Wieder ein toller Beitrag!
Klasse!
Viel Spaß noch!
Prag-matisch, sehr witzig 😀