Tag 32

Ein Monat (quasi). Vier Wochen (ein bisschen mehr). Einunddreißig Tage, elf Stunden, siebenundfünfzig Minuten (ja, ich habe einen Countdown auf meinem Handy). Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Ich würde nicht sagen, dass ich mich komplett eingelebt habe. Eher an die Situation gewöhnt – mir kommt es erstaunlich normal vor, mein eigener kleiner Alltag hier. Und trotzdem gibt es immer wieder diese Momente, in denen ich kurz innehalten und tief durchatmen muss. In denen ich nicht ganz begreife, dass das für das nächste Jahr so sein wird wie jetzt. Der letzte Monat ist verdammt schnell vergangen und fühlt sich andererseits nach einer Ewigkeit an. Ich habe viel Neues erlebt und gesehen, viele Menschen kennengelernt (oder sollte ich lieber sagen: getroffen?) und war in dieser kurzen Zeit wahrscheinlich mehr unterwegs, als ich es den Rest meines Freiwilligendienstes sein werde.
(Oder? Denn wir sind schon fleißig dabei, die Herbstferien planen.)

Aber was ist schon ein Monat? Ein Monat ist nicht besonders viel. Wenn ich an all das denke, was mir in den letzten Wochen oder auch Monaten passiert ist, ist das wahrscheinlich mehr als in den ganzen Jahren vorher. Noch nie hat sich mein Leben so schnell gewandelt – plötzlich waren da Prüfungen, dann luftleerer Raum, schließlich mein Abschluss, viel zu viel Hektik und jetzt sitze ich auf einmal an einem Schreibtisch in Ungarn und koche mein eigenes Essen und gehe irgendwie wieder zur Schule, vertraue mich Menschen an, von denen ich vor allzu kurzer Zeit noch nicht einmal die Namen kannte. Es ist anders als in meinem Austausch. Ich war wahrscheinlich noch nie in meinem Leben so viel allein wie jetzt gerade. Aber das ist nichts gänzlich Negatives, ich hatte noch nie so viel Zeit, mich mit mir selbst zu beschäftigen, mal wieder mehr zu lesen, meine „Survivalskills“ zu testen, über den einen oder anderen Zukunftsplan nachzudenken, denn obwohl ich gerade erst hier angekommen bin, höre ich schon in meinem Hinterkopf dieses leise Stimmchen, das mich daran erinnert, dass ich ja eigentlich immer noch keine Ahnung habe, wohin es nach diesem Jahr gehen soll.

Das FSJ hat meine Deadline schließlich nicht aufgelöst, sondern vielmehr vertagt. In knapp sechs Monaten, wenn nicht sogar früher, sollte ich wissen, was ich mit meinem Leben anfangen will und wo – etwas übertrieben ausgedrückt. Und dieser Gedanke hat mich die letzte Woche wieder etwas mehr beschäftigt, weil ich eben „zu Hause“ in Nagykàllò war und viel Zeit hatte, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Ich denke, der Fakt, dass mein Geburtstag immer näher rückt und ich 20 werde (zwanzig!!!) hat das alles noch ein bisschen verstärkt. Klar, es ist nur ein Geburtstag, aber ich liebe Geburtstage. Ich habe mich schon immer wie verrückt auf meinen Geburtstag gefreut und nur weil ich diesen zum ersten Mal ohne (m)eine Familie, ohne alte Freunde, verbringen werde, heißt das nicht, das ich mich weniger freue. Natürlich mischt sich auch ein wenig Angst in diese Vorfreude – wie wird das wohl sein, ohne Geburtstagstisch, Ferien, dekoriertes Esszimmer und Kuchen mit zwanzig Kerzen? Singe ich mir selbst ein Geburtstagslied? Wird sich eine Klasse erbarmen? Kennen die Schüler „Heute kann es regnen, stürmen oder schneien“?
Fragen über Fragen. Und dann nicht zuletzt diese Zahl, die ich mir immer irgendwie wie einen neuen Anfang vorgestellt habe. Mit zwanzig habe ich die Schule verlassen, meine Familie, bin plötzlich erwachsen. (Manche dieser Vorstellungen entsprechen der Realität, andere weniger.)

Ich bin immer noch dabei, mich einzuleben, meinen Platz an der Schule und in Ungarn zu finden. Bis jetzt läuft das ganz gut. Mal schauen, wie ich das nächste Woche sehe, denn da fange ich endlich meinen Ungarischkurs an. Das neue Lehrbuch, das ich bereits seit letzten Montag habe, steht noch unberührt im Schrank. Ich habe lange genug reingeschaut, um zu sehen, dass es scheinbar komplett auf Ungarisch verfasst ist. Hoffen wir, dass ich mich mit dem neuen besser verstehe als mit dem alten!

Bis bald,
Karen

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5 Antworten zu Tag 32

  1. Gerd sagt:

    Sehr berührend!
    Ich drücke dir die Daumen, dass dort alles so gut weiterläuft, wie bisher!
    Allein der tolle Geburtstag in der Schule macht doch Appetit auf mehr Ungarn/Puszta….

  2. Anton sagt:

    Haaaalllooo Karen,

    Es ist 4:21 am 19.10.2017 und ich habe gerade deinen Blog entdeckt.
    Leider einen Tag zu spät um dir zum 20. Geburtstag zu gratulieren.
    Insofern, alles gute nachträglich.
    Ich hoffe du hast dich gut eingelebt und genießt deine Zeit im Ausland. Falls du ein paar coole Leute kennen lernst frag sie doch Mal über Viktor Orbàn aus.
    Würde mich sehr interessieren was man in Ungarn so über Orbàn denkt.
    Ich wünsche dir ein aufregendes Auslandsjahr und freue mich hier ab und zu davon zu lesen.

    – Anton aus dem Philosophie Kurs

    • Karen sagt:

      Hey Anton,
      das freut mich ja von dir hier zu hören!
      Ich werde denke ich noch mal einen Post zu dem Thema schreiben, vor allem da hier nächstes Jahr Wahlen sein werden (wenn ich das richtig verstanden habe).
      Dir noch alles Gute und vielleicht laufen wir uns ja mal über den Weg ?

  3. Olaf sagt:

    Also, liebe Karen, erstmal herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag, feiere schön bei Paprika und Pusta-Wein…
    Ach ja, und hast Du die Möglichkeit den Blog so zu gestalten, dass man nicht immer alle gelesenen durchtickern muss? Spätestens wenn Du den hundertsten Beitrag gepostet hast, dann kann man die ersten bestimmt zumindest vom Titel her auswendig.
    Also habe Spaß und bleib ein liebes Mädchen,
    Alle Gute
    Olaf

  4. Claudia sagt:

    Moin,
    das Paket, mit vielen Überraschungen ?, ist da, die Spannung wächst und auch dein 20. wird ein besonderer Tag sein! Auch wenn ein „paar“ Kilometer zwischen uns (und all den dir wichtigen Leuten) liegen, sind wir mit dem Herzen bei dir. Diesmal wird’s, wie vor vier Jahren, ganz anders sein, nur eins wird sich nicht ändern, es wird DEIN Tag sein!
    Tu das was du kannst, und was du willst: Geh mit offenen Augen durchs Land, genieße die Zeit, gestalte dir deinen Tag, lehn dich zurück und lass dir den Tee schmecken – all das wird dich auf deinem Weg zu deinem (noch unbekanntem) Ziel bringen. Der Tag mit dem „Klick“ wird in den nächsten Monaten kommen – 100 pro ?.
    Bis Mittwoch???

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