Ausreise mit Hindernissen – Mein Weg von Chile über Ecuador nach Bolivien

Eigentlich war alles klar. Bereits Ende des Jahres 2021 hatte ich mich unter anderem bei Kulturweit für einen Freiwilligendienst im Ausland beworben. Nach einem langen Bewerbungsprozess wurde mir im April 2022 schließlich fest ein Platz für ein FSJ an der Deutschen Schule in Puerto Montt, Chile zugesagt. Hochmotiviert und voller Vorfreude stürzte ich mich in die Vorbereitungen: Verträge wurden unterschrieben, Versicherungen abgeschlossen, Flüge gebucht, ausführliche Untersuchungen und Impfungen durchgeführt, ein für Chile kompatibles Bankkonto eröffnet, Bücher über die Geschichte und Gesellschaft des Landes gelesen, eine WG organisiert und vieles mehr, das an dieser Stelle den Rahmen sprengen würde.

Und dann war da noch eine Sache: Das Visum. Bereits nach kurzer Zeit stellte sich heraus, dass dessen Beantragung eine besondere Herausforderung werden würde. Da Chile im Frühjahr 2022 sein System zur Visavergabe in Gänze und offensichtlich überhastet umgestellt hatte, gab es nunmehr lediglich die Möglichkeit, Visa für Chile auf einer neuen, zentralen Website zu beantragen. Dies klang zuerst nach einem einfachen und klar strukturierten Prozess, jedoch war die Bedienung der Website allein aufgrund ihrer hohen Anzahl an Fehlfunktionen eine nicht unbeträchtliche Herausforderung. Hinzu kam, dass auf den Regierungsseiten keinerlei Informationen zur Beantragung von Visa für Freiwillige zur Verfügung gestellt wurden und es darüber hinaus auch keine Möglichkeit gab, die zuständigen Stellen zu kontaktieren. Auch das chilenische Konsulat in München zeigte sich weder bereit noch fähig zur Hilfe oder Herausgabe von Informationen.

Nachdem ich den Unterschied zwischen Vorbeglaubigung, Beglaubigung, Überbeglaubigung, Endbeglaubigung, Legalisation und Apostille verstanden hatte, versuchte ich aller Widrigkeiten zum Trotz, mich durch den Prozess der Beantragung des Visums zu kämpfen. Nach 5 Wochen intensiver Arbeit, welche darüber hinaus mit meiner Abiturphase zusammenfiel, konnte ich den Antrag endlich abschicken.

Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Auch Kulturweit war die Problematik bewusst, jedoch konnten auch durch die Organisation keinerlei gesicherte Informationen darüber erlangt werden, ob und wie Visa für Freiwillige vergeben werden. Auch das Auswärtige Amt sowie die Deutsche Botschaft in Santiago de Chile zeigten sich nach dem fehlgeschlagenen Versuch des Kontaktierens der zuständigen chilenischen Behörden ratlos.

Trotz der Unwägbarkeiten dachte ich nach Beantragung des Visums, dass es an dieser Formalie nicht scheitern würde. Immerhin hatte ich den Antrag bereits im Mai abgeschickt und die Ausreise sollte erst Mitte September stattfinden. Doch es sollte anders kommen: Während eines Ausflugs mit meinen Großeltern nach Limburg an der Lahn erreichte mich nichtsahnend eine E-Mail von Kulturweit. Die Ausreise nach Chile war aufgrund der unklaren Situation hinsichtlich der Visavergabe abgesagt.

Für mich war diese Nachricht nichts anderes als ein Schock, zumal sich meine eigentlich sicheren Pläne für die nahe Zukunft vom einen Moment auf den anderen in Luft auflösten. Hinzu kam die große Menge an Zeit, Geld und Kraft, die ich bereits in die Vorbereitungen für das FSJ in Chile investiert hatte. Kulturweit bot zwar Alternativstellen in einigen osteuropäischen Ländern an, jedoch wurde mir persönlich schnell bewusst, dass es sich hierbei für mich um keine adäquate Alternative handelt. Dies liegt nicht nur daran, dass es mir sehr wichtig ist, im Rahmen des Auslandsjahrs vorhandene Sprachkenntnisse im Spanischen oder Französischen zu verbessern, sondern auch daran, dass man an einem solchen Programm nur einmal in seinem Leben teilnehmen kann und ich diese großartige Möglichkeit gerne bestmöglich nutzen würde. Dies bedeutet für mich, dass ich in ein Land außerhalb von Europa gehe, da es beispielsweise während des Studiums eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten gibt, Zeit im europäischen Ausland zu verbringen.

Somit begab ich mich auf die Suche nach Alternativen. Direkt zu studieren kam und kommt für mich nicht in Frage, da ich das Jahr im Ausland gerne auch dazu nutzen würde, über meinen weiteren Weg zu reflektieren. Auf meiner Suche stieß ich schnell auf einige Restplätze des Weltwärts-Programms, welche noch kurzfristig zu besetzen waren. Die Stelle in Puyo, Ecuador sprach mich aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe zu meiner ursprünglichen Stelle in Chile besonders an, da ich hier nicht nur an einer Schule arbeiten kann, sondern darüber hinaus die Möglichkeit zum Verbessern meiner Kenntnisse im Spanischen besteht. Des Weiteren ist Ecuador sowohl geographisch als auch gesellschaftlich und kulturell ein äußerst diverses und spannendes Land.

Somit war für mich sehr schnell klar, dass ich mich auf diese Stelle bewerben würde und noch am selben Tag schickte ich eine erste Anfrage an die Organisation. Daraufhin folgte ein sehr kurzes und pragmatisches Bewerbungsverfahren. So kam es, dass zwischen der ersten Anfrage und der offiziellen Zusage nur etwas mehr als eine Woche lag. Trotz allem ließ ich mich – sozusagen als Backup – von Kulturweit in den Bewerbungsprozess der Ausreise im März 2023 aufnehmen. Dies sollte im weiteren Verlauf des Geschehens noch wichtig werden.

So machte ich mich erneut an alle Vorbereitungen und stürzte mich in die Organisation des neuen Auslandsjahrs. Hier erneut die erste Priorität: Die Beantragung des Visums.

Doch es sollte anders kommen – ich hatte ja noch eine letzte Option in der Hinterhand. Sechs Wochen später traf ich die Entscheidung, mein geplantes Auslandsjahr in Ecuador abzusagen und dafür ein Angebot für einen Platz für einen Freiwilligendienst mit Kulturweit in Bolivien ab März 2023 anzunehmen, welches mir Ende Juli 2022 unterbreitet wurde. 

Nachdem mein eigentlich geplanter Freiwilligendienst in Chile abgesagt werden musste, war ich sehr verzweifelt und versuchte innerhalb kürzester Zeit – aus einem zu diesem Zeitpunkt bereits sehr beschränkten Angebot – eine Alternative zu finden. Auf den ersten Blick erschien mir die Stelle in Ecuador als nahezu perfekt. Aufgrund des Mangels an Alternativen sowie von ausreichend Zeit zur Reflexion bin ich jedoch über einige erhebliche Nachteile der Einsatzstelle in Puyo hinweggegangen, deren große Bedeutung mir erst in den folgenden Wochen der deutlich intensiveren Vorbereitung auf den Freiwilligendienst bewusst geworden ist.

Der krasse Kontrast zu meiner aktuellen Lebenswelt in Deutschland, welcher die Stadt Puyo mit ihren 30.000 Einwohnern dargestellt hätte, ist für mich prinzipiell kein Problem. Jedoch wurde mir während meiner Vorbereitungen sukzessive bewusst, dass besonders die abgeschiedene Lage Puyos im Amazonas für mich eine große Herausforderung dargestellt hätte, denn sie führt dazu, dass selbst Reisen in benachbarte, größere Städte sehr beschwerlich und zeitaufwändig sind, ganz zu schweigen von Reisen nach Quito oder in benachbarte Länder der Region. Darüber hinaus hätte aus der obligatorischen Unterbringung in einer Gastfamilie eine für mich erhebliche Einschränkung meiner persönlichen Freiheit resultiert. Natürlich kann man mit einer Gastfamilie sehr viel Glück haben – zusätzlich kann sie den Anschluss an die lokale Bevölkerung sehr erleichtern – jedoch kann sie einem auch bedingungslose Anpassung und die Unterdrückung der eigenen Bedürfnisse abverlangen. Vor diesem Szenario hatte ich erhebliche Sorgen, insbesondere, da ich weder Einfluss auf die Auswahl meiner Gastfamilie noch die Garantie auf ein eigenes Zimmer hatte. Auch wurde mir deutlich gemacht, dass ein Wechsel der Gastfamilie nur im absoluten Ausnahmefall möglich ist.

Da ich mir von meiner Teilnahme an einem Freiwilligendienst im Ausland auch einen gewissen Grad an persönlicher Freiheit verspreche, konnte ich mich mit diesen Gegebenheiten nie wirklich abfinden. Insbesondere im Vergleich mit dem Programm von Kulturweit, im Rahmen dessen eine eigenständige Unterbringung – beispielsweise in einer WG – möglich und zumeist auch vorgesehen ist, erschien mir das Leben in einer Gastfamilie in Puyo zunehmend unattraktiv.

Darüber hinaus hätte ich in Puyo nicht etwa Deutsch, sondern Englisch unterrichtet, eine Tätigkeit, für die ich mich weder besonders motiviert noch qualifiziert fühle. Ich konnte den tieferen Sinn, einen Deutschen nach Ecuador zu fliegen, um Ihn dort Englisch unterrichten zu lassen, nie vollkommen verstehen, zumal der Fokus des Programms meiner Wahrnehmung nach somit nicht auf der interkulturellen Begegnung und Kommunikation lag.

Hier hat Kulturweit als Kulturfreiwilligendienst einen fundamental anderen Ansatz, da es sich um ein Bildungsprogramm handelt, bei dem der Fokus primär auf dem interkulturellen Lernen liegt. 

Des Weiteren war ich zu keinem Zeitpunkt zufrieden mit der Kommunikation, Organisation und Unterstützung meiner entsendenden Organisation und fühlte mich z.T. schlecht informiert, auch und insbesondere auf Nachfrage. Auch verunsicherte mich erheblich, dass ich zu keinem Zeitpunkt ausführlichere Informationen zu meiner Einsatzstelle oder einer Kontaktperson an der Schule in Puyo erhalten habe. Ebenfalls problematisch und unübersichtlich war die Situation hinsichtlich der Beantragung des notwendigen Visums. Obwohl sich nicht ansatzweise abzeichnete, dass ich das Visum rechtzeitig erlangen könnte, verweigerte meine Organisation ein Verschieben des Starttermins offensichtlich und erwartete hinsichtlich der Beantragung des Visums von mir in dieser kurzen Zeit Unerwartbares und Unerreichbares, was mich unter großen Druck und Stress setze, insbesondere, da meine Ausreise in Chile bereits an ebenjener Herausforderung gescheitert war.

Zusätzlich zu diesen handfesten Argumenten für eine Absage des Auslandsjahrs kam ein äußerst schlechtes Bauchgefühl. Vor meiner Entscheidung habe ich zu keinem Zeitpunkt Vorfreude auf den Freiwilligendienst in Ecuador verspürt, ein Zustand, der für mich äußerst untypisch ist. Stets hatte ich gehofft, dass sich dies mit Voranschreiten der Organisation und Näherrücken des Termins der Ausreise noch verändern würde, jedoch wurde meine innere Ablehnung gegen das Jahr in Ecuador mit jedem Tag der Vorbereitung, mit jedem Tag, an dem meine Vorstellung des Aufenthalts in Ecuador konkreter wurde, größer. Insbesondere hinsichtlich der Anfangszeit eines Freiwilligendiensts auf einem anderen Kontinent ist es jedoch äußerst wichtig, hochmotiviert zu sein, um die notwendige Kraft für die Vielzahl der auftretenden Herausforderungen sozialer, beruflicher und sprachlicher Natur aufbringen zu können.

Bekanntlich sind ja aller guten Dinge drei, nun werde ich also im März 2023 mit Kulturweit nach Cochabamba in Bolivien auszureisen. Da Cochabamba eine große Universitätsstadt mit ca. 800.000 Einwohnern ist und ich dort an einer deutschen Schule die Fachschaft Deutsch unterstützen kann, hat mich das neue Angebot sofort überzeugt und in große Vorfreude versetzt. Darüber hinaus fühle ich mich mit der großen, sehr professionellen Organisation Kulturweit äußerst wohl, stets bis ins letzte Detail informiert und gut unterstützt, das kann ich sagen, da ich mit dieser Organisation bereits mehrere Monate lang mein nicht an Kulturweit, sondern an den Behörden gescheitertes Auslandsjahr in Chile vorbereitet habe. Hinzu kommt, dass Kulturweit der am stärksten staatlich geförderte Freiwilligendienst ist und das Programm somit auch hinsichtlich der (finanziellen) Leistungen für die Freiwilligen das attraktivste überhaupt ist. Auch die Kooperation Kulturweits mit seinen Partnerorganisationen, beispielsweise dem Auswärtigen Amt oder dem Pädagogischen Austauschdienst (PAD) ist für mich persönlich sehr attraktiv, ebenso wie die großartigen Seminare bei Berlin und in der Einsatzregion sowie die vielen Möglichkeiten, auch als Alumnus des Programm von einem Vielfältigen Angebot an Seminaren, Workshops und Möglichkeiten des Austauschs zu profitieren und sich weltweit zu vernetzen.

Es kommt wie es kommt, und garantiert anders als gedacht: Dies musste auch ich immer wieder aufs Neue während der fast 1,5 Jahre  lernen, in denen ich mich auf mein FSJ in Bolivien vorbereitet habe. Eine kleine Sache muss ich jedoch noch erwähnen: Das Visum für Chile habe ich am 2. September, also pünktlich zu meiner eigentlich geplanten Ausreise erhalten. Das half mir dann aber auch nicht mehr…