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Er war mein Geheimnis, Wanja

Ich möchte schon im Voraus sagen das dass hier eine Geschichte ohne Happy End ist und eigentlich eine sehr persönliche, aber ich möchte sie gerne niederschreiben, solange die Gefühle und die Erinnerung frisch sind. Im Voraus, es werden voraussichtlich nur diejenigen Verstehen, die selbst Haustiere hatten oder haben. Alles hat im März 2018 Angefangen, gerade als ich angekommen bin, in der zweiten Woche. Meine Wohnung ist direkt an einem kleinen Fluss, in einem ruhigen Gebiet, ohne Autos und anderer Transportmittel. Die erste Regel die ich von meiner Vermieterin aufgetragen bekommen habe ist „die Katzen nicht füttern“ und „keine Katzen im Haus“. Der Grund sind die vielen Streuner in der Umgebung und die Vorherigen Mieter die alle gefüttert haben. Hinzu kommen Krankheiten, Parasiten vielleicht auch noch Tollwut. Ich akzeptierte diese Regel, zuhause habe ich selbst viele Haustiere, unter denen auch zwei Kater . Ich bin keine Person die hinter Tieren her rennt um sie zu streicheln oder zu domestizieren. Vor allem Katzen, das sind überwiegend selbstständige Tiere, Raubtiere die gut für sich selbst sorgen können und den Menschen im Grunde nicht benötigen. Doch in meiner zweiten Woche machte ich mich wieder auf den Weg zur Schule zum Fluss, dafür durchkreuze ich meinen Garten und gehe dann entlang am Fluss zur Straße.

Und da saß er. Ein schwarzer Kater, drahtig, langbeinig, mit fettigem Fell einer sehr langen Nase und durchdringenden Grünen Augen. Wenn ich ehrlich bin, ein klein wenig kläglich und nicht der schönste im Vergleich zu den anderen, aber irgendwas war anders, eine bestimmte Majestätische Ausstrahlung war da. Ich setzte mich, er kam Näher und setzte sich neben mich, einfach so. Er stank. Ich saß da, Er saß da und das war alles. Ich kraulte ihn kurz und ging weiter. Und von dem Moment an,  begann unsere Beziehung.  In den nächsten Monaten entwickelte sich eine Gewisse Vertrautheit und Routine. Sobald ich vor der Tür war, lief er zu mir, ich setzte mich und der gute Sprang mir auf die Knie, rollte sich zusammen und schlief ein. Ich taufte ihn Wanja. Warum Wanja? Ich weiß es nicht, ich schaute ihn an und Verstand, dass ist es, „ Wanja“, eine verkleinlichung des Namens Ivan. Dieser Name ist einerseits ziemlich einfach, gleichzeitig auch ziemlich tiefgründig und er hat eine lange Geschichte. Man muss sagen das Wanja, ein Tier war mit unglaublicher Intelligenz. Genau um 9 Uhr morgens stand er vor meiner Tür, punktuell. Abends genau um 10 Uhr und versuchte sich jedes Mal  durch meine Beine in die Wohnung zu schleichen. Ich ließ ihn nicht rein, es war strikt verboten und ich wollte ihn nicht an mich binden, weshalb ich ihn nicht fütterte. Doch nachdem meine Mutter für drei Tage da war, wurde immer mehr klar, Wanja ist mein. Er lief hinter mir her, wenn ich den Tisch auf der Terasse verließ. Saß auf meinem Schoß wenn ich Skizzen machte und gab erste Laute von sich. Davor muss ich sagen, dass der Kater stumm war, komplett. Meine Mutter gab ihm was zu essen und schaute mich an: „ Julia, er hat dich lieb.“ Zu dem Zeitpunkt machte ich noch keine Pläne, denn im Juli würde ich für einen Monat wegfahren und er würde mich vergessen, ich hoffte es, es würde alle nur noch erschweren. Im Juli fuhr ich weg, ich reiste mit meiner Schwester von Berlin, Budapest, Belgrad nach Kotor und von dort aus zurück nach Serbien. Anfang August waren wir zurück in Nis. Wanja war nicht da. Er hatte mich Vergessen…

Ich schloss die Tür ab vom Haus und sagte etwas zu meiner Schwester. Und plötzlich ein lautes Maunzen und unglaubliches Rascheln. Aus dem Gebüsch rannte auf mich mein schwarzes Teufelchen zu, mit unglaublichen Klagelauten, ich fing ihn auf. Ich war mir selbst überrascht wie sehr ich diesen Vertrauten Körper auf meinen Armen vermisst hatte. Meine Schwester sah mich nur an und schmunzelte. An diesem Abend ließ ich ihn das erste mal in meine Wohnung, heimlich. Wir machten den Boiler an, und wuschen den Kater. Er ließ es klagend aber ruhig über sich ergehen, der Gestank war unerträglich. Danach wickelte ich ihn ein großes Badehandtuch ein und übergab ihn meiner Schwester, die sich mit ihm auf den Boden setzte, solange ich etwas Hähnchenbrust aufschnitt. Um 11 Uhr, nachdem er getrocknet war, stellten wir ihn vor die Tür. Er saß da noch die nächsten 30 Minuten….es war schwer, aber besser so. An dem Abend wurde klar, ich würde Wanja Versuchen mitzunehmen und die Dokumente für ihn Vorbereiten, ebenfalls zum Veterinär gehen und ihn behandeln lassen. Soviel er auch fraß, er nahm nicht zu. Ab diesen Tagen begann ich ihn regelmäßig zu füttern und begann eine einfache Wurmkur. Flöhe wurden auch mit einem Spray bekämpft. Zwischendurch fuhr ich für zwei Wochen weg, sobald ich aber zurück kam erwartete mich mein Kater, es wurde selbstverständlich. Dessa, meine Vermieterin regte sich immer über mich auf und sagte mir ich solle doch nicht den Kater füttern, er wäre Krank und Dreckig. Erwischen tat sich mich aber nie, weshalb sie nicht wirklich Stellung nehmen konnte.  Es kam vor das ich auf meiner Terrasse saß und Wanja auf meinem Schoss war, ich hörte sie kommen und warf ihn unbeholfen in die Büsche. Er schaute mich danach immer nur Fragend an. Jeden Abend gab er mir zu Verstehen dass er ins Haus möchte, ein zu Hause und es kostete mich viel Überwindung es nicht zu tun. Am 1. September ließ ich ihn das erste mal am Abend in meiner Wohnung übernachten. Ich wusch ihn wieder in der Dusche mit Shampoo, in gewisser Weise genoss er sogar das warme Wasser. Danach trug ich ihn eingerollt wie ein Kind in de Handtuch durch die Wohnung, ich hörte ein leises Schnurren und die nächsten Abende etablierten sich wie folgt. Ab 10 Uhr rein in meine Wohnung, Fütterung, manchmal Waschen, danach gemeinsam vor dem Computer sitzen und einen Film schauen. Er schlief auf meinen Knien und ich genoss meinen Tee und Wanjas Gesellschaft. Was mich aber am meisten glücklich machte war einen kleine Geste von ihm. Sobald ich mich hinsetzte, war es seine Initiative sich auf meinem Schoss bequem zu machen, meistens verpackte ich ihn in meine Jacke und sobald ich ihn kraulte Grub er seine lange Nase tiefer in meine Beine, so dass ich letzten Endes nur seine Ohren sah und gab leise schnurr-schnarch Laute von sich. Ich hatte ihn sehr lieb gewonnen. Sobald ich schlafen ging, setzte ich ihn auf einen Stuhl im Eingangsbereich und schloss die Tür zum Schlafzimmer. Ich kaufte Katzenfutter, eine Katzentoilette für die Nacht und einen Napf. Ich fing an mit Wanja Fahrrad zu fahren, setzte ihn vorne in den Fahrradkorp, leinte ihn zur Sicherung an und machte mit ihm nächtliche, kurze Touren. Am Morgen stellte ich ihn vor die Tür und ging zur Arbeit. Und so verliefen die nächsten 2 Wochen. Ich begann meinen kleinen Anfrage bei Tanja (der Tochter der Vermieterin) und Selena (Enkeltochter), es wurde zwischen Ausziehen und Kompromiss diskutiert. Ich konnte mit einigen Argumenten beide davon überzeugen ihn nur nachts zu mir zu nehmen und um die Sauberkeit in der Wohnung würde ich mich kümmern. Am Montagabend fischte ich Wanja neben dem Haus auf der Straße auf und irgendwas stimmte nicht, Futter wollte er nicht und auf meinem Schoß saß er ziemlich kraftlos, ich hielt ihn fest, unterbewusst hatte ich eine traurige Vorahnung.  Dann kam der Dienstagabend und Wanja kam nicht nach Hause…

 

  1. September 2018 :

Heute wollte ich zum Tierarzt, ich hatte mit Danica (Schüler der Oberstufe) gesprochen, sie wollte mir helfen mit den Papieren für Wanja. Diese Nacht kam der Kater nicht nach Hause, ich wartete rief, aber er kam nicht. Ich dachte mir nicht viel dabei, das passierte manchmal. Morgen würde er wieder da sein. Ich stand um 9:45 auf. Wartete bis Dessa wieder ins Haus geht um dann Raus zu gehen und auf Wanja zu warten. Er war nicht da, eigenartig. Ich lief zu meiner Gartenterasse wo ich üblicherweise sitze. Goss die Blumen und schaute mich um. Und da lag er, unter dem Busch, tot, seid einigen Stunden. Die ersten Minuten überkam mich eine betäubende ruhe, da war nichts. Sobald ich aber die Wohnung betrat, realisierte ich was passiert war. Wanja war nicht mehr. Ich versuchte meine vertränten Augen etwas zu beruhigen. Dessa war gegangen. Ich nahm eine große weiße Tüte und verscheuchte alle Fliegen vom Körper. Der Körper des Katers war starr und eiskalt, als würde ich eine Ausgestopfte Puppe in den Händen halten, ich packte ihn ein, damit Dessa ihn nicht sieht. Dann ging es darum eine Schaufel zu finden, ich ging zum Schuppen, nichts. Ich hatte zwei Optionen, zu einem der Nachbarn zu gehen oder mich aufs Fahrrad zu setzten und eine zu Kaufen. Ich entschied mein Glück bei den Nachbarn zu Versuchen, relativ schnell bekam ich eine altertümliche Schaufel, zum Umgraben, in die Hände gedrückt. Ich suchte eine Stelle hinter dem Garten unter einem jungen Baum. Ich muss ehrlich sagen, die Erde hier ist so hart und Spröde das ich nur mit Mühe und etwas Wasser ein Loch in den Boden bekam. Ihr hättet mich sehen müssen, ich fluchte und regte mich bei dem toten Kater über die harte Erde auf, dabei liefen mir verbitterte Tränen über das Gesicht. Danach nahm ich die Tüte und versuchte behutsam ohne den Körper zu berühren, Wanja in das Loch zu platzieren, dann die Erde wieder drüber. Es war vollendet.

Er war mein Geheimnis, Ich Vermisse ihn, ich habe es selbst nicht mitbekommen wie stark ich mich an Wanja gebunden hatte. Aber er war irgendwie doch mein Anker, derjenige für den ich hier Verantwortung zu tragen hatte, er gab mir Routine und das Gefühl das ich gebraucht werde. Kann man so über ein Tier sprechen? Viele werden das nicht verstehen. Aber plötzlich ist das weg und dann sitzt man da und versteht, da ist keiner mehr der bei dir auf dem Schoß sitzen wird, egal wie es dir  geht, da ist keiner mehr der auf dich warten wird und mit dir Fahrrad fahren wird. Du bist wieder alleine. Ja, Wanja war „NUR“ ein Kater, aber er war mein Kater und ich hab ihn sehr liebgewonnen. 

Ich weiß nicht wie ich an diesem Tag Unterricht geführt hatte, zwei Stunden. Nach einer Woche ging es wieder. Am schlimmsten ist es an den Abenden, immer noch. 7 Monate hatte ich Wanja um mich, mit ihm hatte ich meine Geschichte in Serbien angefangen. Diese nächsten zwei Wochen waren eine Mischung aus Routine, Horror und  Melancholie aus der ich versuchte auszureißen, was mir kurzfristig immer wieder gelang, aber immer wieder Rückschläge erlitt. Meine Arbeit hatte sich überwiegend auf zuhause verlegt, am Computer, was alles nur schlimmer machte. Ich machte mir Zeitpläne mit einfachen Aufgaben, Einkaufen, kurz zur Schule fahren, Pedeküre und Sport. Es hielt mich am Ball, aber es kostet jeden Tag Überwindung. Der Tod von Wanja gab dem ganzen ein letztes „i“-Tüpfelchen. Nachts kam es manchmal zu Wachzuständen von 2-3 Stunden und kleinen unbegründeten Panikattacken. Glücklicherweise hatten wir an dem Freitag den „Deutschlehretag“ den wir mit Tanja seit 3 Monaten vorbereitet hatten  und der meine vollkommene Aufmerksamkeit  beanspruchte. Sobald dieser vorbei war, stand ich wieder vor der Frage: „Und was nun?“  Als ich vor mir wieder das Wochenende vor mir hatte und keine Ahnung hatte was jetzt, kam ich zu dem Entschluss ich musste raus. In der folgenden Woche, hatten wir einen Tag in Belgrad an dem ich mit meinen Schülern kommen sollte. Ich verlängerte meinen Aufenthalt dort auf 5 Tage, was sich als eine wunderbare Zeit entpuppte. Und für mich stellte sich immer mehr heraus, dass sich mein eigentliches Zuhause und die Menschen die ich liebte in Belgrad befinden…