Über Český Těšín

Über den Frieden in einer zweigeteilten Stadt und eine einsame Kirche

Und obwohl ich beim Kulturweitblog anscheinend schon jetzt als Alumni gelte, arbeitete ich hier noch für gut eine Woche. Und deshalb zum Abschluss ein lang von mir angestrebtes Projekt:

Ich möchte euch mitnehmen auf eine kleine Stadtführung. Eine Stadtführung durch meine Einsatzstelle, die zweigeteilte tschechisch-polnisch Stadt Český Těšín/Czeski Cieszyn, um ihre kleinen Geheimnisse zu lüften. Ich habe durch Gespräche, Recherchen und Spaziergänge viel über diese alte Stadt erfahren, die der Legende nach bereits um 810 n.Chr. gegründet wurde.

Beginnen möchte ich unseren Stadtspaziergang am Bahnhof in Těšín, wo auch jeden Morgen mein Tag beginnt. Český Těšín ist der industrielle, weniger historische Teil und das kann man am Bahnhof am besten spüren. Dieser große Bahnhof fehlt nämlich auf der polnischen Seite. Sie ist dagegen an Einkaufsmöglichkeiten und historischen und kulturellen Gebäuden weitaus reicher. Viele Straßencafés, Kleidungsgeschäfte und Bürgerhäuser säumen die Straßen.

Meine Schule in Tesin – von der Schokoladenseite

Durch die Unterführung unter den Bahngleisen geht es weiter zu meiner Schule, der polnisch-tschechischen Handelsakademie. Es ist das größte Gut dieser Stadt, die kulturelle und Bildungszusammenarbeit. Neben polnisch-tschechischen Grund- und Oberschulen, zu der auch unsere Handelsakademie gehört, gibt es auch ein sehr renommiertes polnisch-tschechisches Theater in Těšín. Das Těšínské dívadlo führt Stücke auf Tschechisch und Polnisch auf, eine Besonderheit in Tschechien. Und in eben diesem Gebäude befindet sich auch die tschechisch-polnische Bücherei mit regelmäßigen Veranstaltungen für beide Sprachen.

Die Grenzbrücke in Cesky Tesin

Verbindungspunkt der Freundschaft und Partnerschaft der beiden Stadtteile sind drei Brücken, die bekannteste unter ihnen ist die Freundschaftsbrücke (most Przylani oder poln. most Druzby). Diese wollen wir überqueren und den Frieden spüren, wenn man seinen Fuß über diese Brücke setzt und in den rauschenden Fluss blickt. Ein angenehmes und wunderschönes Gefühl einfach so über die Grenze in ein anderes Land zu spazieren. Selbst für ein Kind Europas ein einzigartiges Gefühl. Einzig die andere Währung und Sprache lenken den Blick auf das fremde Staatsgebiet. Mit der EU und Schengen wirkt die Teilung durch die Pariser Verträge und die wirren Kriegsjahre fast vergessen.

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts sah die Situation dabei ganz anders aus. Reisen wir zurück in die 20er Jahre, nach dem 1. Weltkrieg. Das Königreich Österreich-Ungarn ist zerfallen in Teilstaaten wie der Tschechoslowakei und Polen. Mit den Pariser Verträgen soll eine neue Ordnung und Frieden geschaffen werden. Beschlossen wird deshalb die Teilung Teschens,  der Hauptstadt der Region Schlesien, in einen polnischen und einen tschechischen Teil. Die neue Grenze bildete der Fluss Olsa. Plötzlich wird die andere Uferseite zum Ausland. Freunde und Familie werden auf einmal zu Bürgern unterschiedlicher Nationalität. Die eine Seite ist ohne die andere Seite unvollständig. In Tschechien fehlt nun das Rathaus und die Post, in Cieszyn der Bahnhof und das Gaswerk. Aber statt Lösungen ruft diese neue Ordnung nur weitere Konflikte hervor. Diese Region weist eine hohe Vielfalt auf und das nicht schon seit der Teilung. Unterschiedliche Religionen das Christentum, der Evangelismus und das Judentum und auch verschiedene Sprachen müssen miteinander vereint werden. Doch dazu an anderer Stelle mehr. Nebenbei bemerkt bildete auch die Deutsche eine große Bevölkerungsgruppe in der Region. In den Wirren des zweiten Weltkriegs nutzten erst Polen und dann das nationalsozialistischen Deutschland die Gunst der Stunde und annektierte Teschen. Das erschwerte die Identitätsfindung der Region natürlich erheblich.

Die Rotunda auf der Befestigungsanlage und ihre stolze Verewigung;)

Doch reisen wir zurück in die friedliche Gründungszeit der Stadt. Dafür müssen wir nur auf der polnischen Seite den Hügel zur Befestigungsanlage hinaufsteigen. Hindurch durch das stolze Habsburger Jagdschloss zum Schönsten Ausblick über die Stadt, zum Piastenturm. Der Sage nach schickte ein König seine drei Söhne Bolko, Leszko und Cieszko zur Erkundung des Landes in alle drei Himmelsrichtungen aus. Sie trafen nach einigen Monaten an einem Hügel am Fluss Olše wieder aufeinander und beschlossen dort eine Stadt zu gründen. Der Name wurde nach dem zuletzt gekommenen Sohn bestimmt, Cieszko oder nach dem polnischen Wort für Fröhlichkeit. Und dieser Ort ist nicht nur ein wunderschöner Platz zur Erholung und um seine blicke über die friedliche Stadt zu schweifen, sondern auch der Stolz der Stadt. Nicht ohne Grund ist die Rotunda, zwei unterschiedlich große Türmchen, auf der 20-Zloty-Note von Polen abgedruckt.

Und auf dem Weg zum Dreibrüderbrunnen, zum Gedenken an die Sage der Stadt, spazieren wir durch  “das Teschener Venedig”, die Häuser an der Olsa. Während man sich dort in einem der Restaurants oder Cafés ausruht, sollte man aufpassen nicht auf dem Weg in Hundekot zu treten. 😉

der Marktplatz in Tesin im Herbst

Von dort aus geht es über eine kleine Gasse weiter in die große Hauptstraße, die direkt auf den Marktplatz führt. Der Marktplatz beherbergt das Rathaus, ein Hotel im Jugendstil, der Floriansbrunnen und schöne Bürgerhäuser. Hier sind auch viele schöne Cáfes und Geschäfte zum Flanieren.

Die evangelische Jesuskirche

Der letzte Punkt unseres Spazierganges ist der evangelische Kirchenplatz mit der Jesuskirche. Denn Frieden gibt es nicht nur kulturell, sondern auch zwischen der katholischen und der evangelischen Kirche und das im erzkatholischen Polen! Český Těšín ist als Reformationsstadt anerkannt. Verbreitet hatte sich der evangelische Glauben um 1520 herum von Breslau in Schlesien. Nach und nach bekannten sich auch die Adeligen zum Evangelischen Glauben. Doch mit der neuen Königsdynastie, den Habsburger, begann eine radikale Katholisierung und Umwidmung der Kirchen. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden schließlich drei ehemals evangelische Kirchen als Friedenskirchen wieder den Protestanten  überlassen. Im 18. Jahrhundert wurde der Evangelismus dann mehr und mehr anerkannt und seitdem befindet sich eine der sechs sogenannte Gnadenkirchen in Český Těšín, die Jesuskirche. Und wenn wir schon über die Religionen sprechen sollten wir auch das Judentum nicht außer Acht lassen.

Unsere Tour beenden wir auf dem jüdischen Friedhof. Vor dem zweiten Weltkrieg hatte sich die Teschener Juden hier ein aktives Gemeindeleben mit eigenen Synagogen aufgebaut. Im zweiten Weltkrieg aber wurden auch sie verfolgt und deportiert. Von 2 000 bis 3000 Juden in der Region überlebten nur 28 die Deportationen.

Reisen wir zurück ins Hier und Jetzt. Und während ihr auf dem Rückweg seid, könnt ihr euch über die Frage den Kopf zerbrechen in welcher Sprache man antworten sollte, wenn jemand auf eurem Weg niest, auf Polnisch oder Tschechisch?

Das Ende ist nah…

Ich sitze auf dem Rückweg meiner kleinen imaginären Stadtreise in meinem Bus, der mich nach Karviná, meinem Wohnort, fährt. Ich blicke aus dem Fenster und da taucht vor meinem Auge wieder die einsame Kirche inmitten der kargen Landschaft auf. Ich finde sie verdient es hier ihre Geschichte zu erzählen:

Die einsame baufällige St.-Barbara-Kirche, sie ist trauriger Zeuge der Zerstörung eines Dorfes. Ein Dorf das weichen musste, damit das schwarze Gold zu Tage kommt. Damit der Wohlstand und die Arbeitsplätze in der Region steigen können. Mitten in der Landschaft steht nun diese baufällige Kirche und Wege und Brücken, die durch sie hindurch führen ohne Ziel und ohne Sinn. Dicke Leitungen ziehen sich durch die sumpfigen Täler und helfen dabei das Bild einer ausgebeuteten Landschaft zu erzeugen. Vielen Seen ruhen dort, z.T. durch abgesackte Erdschichten entstanden, sind sie auch zu neuem Lebensraum geworden. Doch die Erde arbeitet unter uns. Permanent. Eine gruselige Vorstellung, nicht zu wissen wie sich die Landschaft morgen, in einem oder zehn Jahren verändern wird. Was wird mit den Häusern, den Straßen passieren? Und wie werden die Menschen darauf reagieren?

Heute gehören die Überbleibsel von Louky zur Stadt Karviná. Die wenigen Information zu ihrer Geschichte finde ich auf einem Forum für verschwundene Orte, wo Bilder und Nachrichten ausgetauscht werden. Geblieben sind nur Erinnerungen und einige stille Zeugen in der Landschaft. Und die Frage wie weit Fortschritt und wirtschaftlicher Aufschwung gehen dürfen.

Quellen:

Für die Neugierigen die weiterlesen oder die Kritischen, die prüfen möchten:
http://www.radio.cz/de/rubrik/kultur/cesky-tesin-zweisprachige-kulturstadt-an-der-grenze (über die polnisch-tschechische Kultur)
http://www.xn--jdische-gemeinden-22b.de/index.php/gemeinden/s-t/1923-teschen-oesterr-schlesien (über die Juden in Teschen)
http://reformation-cities.org/cities/cesky-tesin/ (die Reformationsstadt Teschen)
http://www.sonntagsblatt.de/news/aktuell/2012_44_01_02.htm (über die evangelische Jesuskirche in Cieszyn)
http://www.sonntagsblatt.de/news/aktuell/2012_45_22_01.htm (über Cieszyn)
https://de.wikipedia.org/wiki/%C4%8Cesk%C3%BD_T%C4%9B%C5%A1%C3%ADn (über Teschen allgemein)
https://de.wikipedia.org/wiki/Cieszyn (über Cieszyn allgemein)
https://en.wikipedia.org/wiki/Louky_(Karvin%C3%A1) (Allgemeines zu Louky)
http://www.zanikleobce.cz/index.php?obec=8295 (Website von Louky mit Fotos)