Archiv für den Monat: Januar 2018

Von Märchen und Vorurteilen

Ankommen ist nicht leicht. Die erste Woche nach dem Weihnachtsurlaub zuhause ist wieder mit Zweifel gefüllt. Bin ich dem Allem gewachsen? In einem fremden Land allein zurecht kommen? Alleine Reisen? Nach eineinhalb Wochen zuhause kommt mir dieses Leben hier fern und fremd vor. Ich habe hier zwar einige wenige Bekanntschaften, nette Kolleginnen und eine hilfsbereite Vermieterin, aber keine Freunde. Freie Zeit zum Treffen und das Pendeln waren häufig das Problem. Ein typisches Kleinstadtproblem. Die Freizeitgestaltung ist deshalb das Schwierigste. Ich bin deshalb viel gereist und habe Ausflüge gemacht. Das Reisen ist aber auch eine große Herausforderung und Überwindung. Ein bisschen der Anfangsmotivation ist auch verflogen, denn in eineinhalb Monaten kann ich nicht mehr allzu viel bewegen. Andererseits nur noch eineinhalb Monate, um all das zu wagen, was ich mir noch vorgenommen hatte.

Trotz dieser Schwierigkeiten habe ich mich in den Schulalltag  schnell wieder eingelebt. Mittlerweile kann ich gut die Erwartungen und Ansprüche der verschiedenen Lehrerinnen einschätzen. Kein Tag ist so wie der andere. Planung bedeutet auf das Unerwartete vorbereitet zu sein, also vor allem flexibel und spontan zu sein. Leider haben die Projekte auch bisher nicht so geklappt wie erhofft. Aber auch das lernt man mit der Zeit, mit Rückschlägen umzugehen.

Urteile über Vorurteile:

Ich erinnere mich an die Worte im Vorbereitungsseminar, erst nach sechs Monaten über sein Gastland zu urteilen. Ich erlaube mir schon nach fünf Monaten mit ein paar eigenen Vorurteilen aufzuräumen, die ich  z.T. vor meinem Aufenthalt hatte.

Nein, die Infrastruktur ist kein Relikt aus kommunistischen Zeiten, das unbedingt unangetastet bleiben muss.

Im Gegenteil die Infrastruktur ist wirklich bewundernswert für eine Kleinstadt. Gut ausgebaute Verkehrsverbindungen, die auf den Bedarf perfekt angepasst sind (manchmal zu perfekt, wenn man zu einer ungünstigen Zeit fahren möchte…) . Vor allem ist das Fahren mit öffentlichen Verkehrsmittel bezahlbar! Die vielen privaten Unternehmen machen das System zwar unübersichtlicher, aber auch preiswerter und komfortabler. Man muss sich aber über die Verkaufsstellen informieren, weil nicht alle Fahrkarten überall gekauft werden können. In diese gute Infrastruktur wurde seitens der EU hier viel investiert. Für die Lage dieser Region, einer wichtigen Schnittstelle zur Slowakei und zu Polen und die vielen Pendler auch unbedingt notwendig.

Trotzdem ist die Arbeitslosigkeit in Mährisch-Schlesien mit eine der höchsten in ganz Tschechien. Das Lohnniveau liegt deutlich unter dem in Prag. Vom immensen Wegzug  nach der Schließung vieler Kohleminen zeugen hier  noch leere Wohnhäuser am Stadtrand. Doch die Region investiert in ihre Zukunft. Sie setzt auf eine diversifizierte Wirtschaft und auf Forschung und menschliche Ressourcen. People make the difference! Gut ausgebildete Arbeitskräfte, wie sie auch in meiner Schule einer Handelsakademie herangezogen werden. Das heißt diese Region zu einem Forschungs- aber auch Wirtschaftszentrum für internationale Unternehmen auszubauen.

Und auch der Besuch einer tschechischen Behörde ist nicht so schrecklich, wie mir die Touristenführer und Infos zu Tschechien weiß machen wollten. Ich habe den Besuch nicht wie empfohlen vermieden, sondern Berührungen gesucht.

Nun zugegeben, ich bin leider nicht in den Genuss aller Behörden gekommen, aber einige öffentliche Stellen, mussten sich doch mit meinen Sprachkenntnissen herumschlagen. Und bis jetzt überwiegen die positiven Erfahrungen deutlich. Vielleicht liegt es auch an meinem Bemühen in der tschechischen Sprache. Das schönste Erlebnis  dabei war in Prag in einer kleinen Poststelle. Beim Kauf von Briefmarken hatte ich Schwierigkeiten das Wort dafür auszusprechen, doch das ermutigende Lächeln der Frau am Schalter war wirklich motivierend. Und genervte schlecht gelaunte Mitarbeiter und Beamte trifft man in jedem Land. Das sagt aber meist ebenso wenig etwas über das Land wie die Behörde aus.

Von Märchen und Bällen:

Vorletzten Freitag war dann der große Abiball. Im kalten Januar. Und anders als in Deutschland eine Pflichtveranstaltung für alle LehrerInnen, also auch für mich. Völlig fehl am Platz mit meinem blauem Ballkleid laufe ich durch die Hochhäuser. Wie Aschenputtel in den Märchen fühle ich mich, die wir im Deutschunterricht für ein Märchenprojekt rauf und runterspielen. Laufen um pünktlich um Mitternacht nach Hause zu kommen. Damit der Zauber des Kleides nicht zu früh verfliegt. Da liegt dann doch ein winziger Unterschied, dass ich nicht einem Zauber entgegenlaufe, sondern meinem Bus, denn ich bin mal wieder zu spät dran. Klippklapp, Klippklapp, machen meine Schuhe beim Laufen. Ticktack, ticktack, meine Uhr und die rote Ampel.
Der Ball selbst ist ein wirklich schönes Erlebnis, ich lerne die LehrerInnen besser kennen und freue mich über die Ausgelassenheit der SchülerInnnen, die mich an mein eigenes Abitur erinnern. Und der Ball hat seinen Namen wirklich verdient: Lange Ballkleider und genug Zeit und Platz zum Tanzen.

Prag, Brno, Olomouc und nun endlich Krakau

Krakau, die zweitgrößte Stadt Polens und eines der beliebtesten Reiseziele in Europa war auch mein nächstes Wochenendziel. Die Beliebtheit der Stadt spiegelt sich auch in meinem voll belegten Hostel wieder. Ich war bisher, in der Nebensaison, halb belegte Zimmer gewöhnt. Morgens auf dem quadratisch angelegten mittelalterlichen Marktplatz ist von den Touristen allerdings noch nicht viel zu spüren. Das ändert sich erst um die Mittagszeit, als ich von einer Ausstellung in den unterirdischen Markthallen auf den Marktplatz emporsteige. Der Marktplatz mit seinen imposanten Gebäuden den Tuchhallen, dem Rathausturm (ein Überbleibsel des Rathauses) und zahlreicher kleiner und großer Kirchen (Marienkirche, Adalbertkirche…) hinterlässt einen sehr erhabenen Eindruck bei mir. Nur die ältesten Kirchen stören das Bild eines perfekt quadratische Bild des Platzes. Aber neben dem Marktplatz zeugen die Stadtmauer mit dem Florianstor und die Barbakane, wohl der größte gotische Wehrturmbau Europas, von der Größe und der einstigen Stärke dieser Stadt.

Und da ich bereits mit einigen Superlativen hantiere: Krakau ist neben Warschau das wichtigste kulturelle Zentrum Polens. Denn die ehemalige Hauptstadt hat nicht nur gut erhaltene historische Bauten der ganzen Bandbreite von Renaissance bis Jugendstil zu bieten, sondern als Sitz berühmter Künstler auch eine große Vielfalt an Gemälden und Kunstwerken. Doch ich möchte nicht wie ein Broschürentext aus einem Touristenführer klingen. Denn bei den ganzen Superlativen und den imposanten alten Bauwerken kann es schon einmal vorkommen, dass sich so mancher auf dem Königsweg, vom Schloss Wawel zum Marktplatz, zwischen dem Gepolter der Pferdekutschen, in alte Zeiten zurückversetzt fühlt…

Der Schneeeinbruch über das Wochende zaubert nicht nur Kindern ein Lächeln ins Gesicht. Am frühen Sonntag Morgen schlittern auch Erwachsene erfreut über die verschneiten Wege. Das macht den ganzen Ausflug zwar mächtig kalt, aber dafür ist Laufen eine umso bessere Ablenkung. Und ich gönne mir im jüdischen Viertel in einem kleinen Café einen Kuchen und einen wunderbaren Kaffee und denke über das Leben in einem fremden Land nach.

Was ist das eigentlich ZUHAUSE?

01.Januar 2018 ! Ein Jahr ist jetzt vorüber, dessen Anfang mir meilenweit entfernt scheint. Im Januar noch kurz vor dem Abitur und schon ein halbes Jahr später stand meine Welt Kopf. Mitten ins Leben geworfen, stand ich an der Abzweigung meines Lebens. Zugegebenermaßen nicht ganz so dramatisch und nicht ganz ohne Plan. Und so fand ich mich bei meinem FSJ Anfang September in einer Hochhauswohnung in Westtschechien, in Karviná wieder. Eine riesige Umstellung, nicht nur der Rollentausch von einer Schülerin zur Hilfslehrerin…

Und gut zwei Monate später erneut eine Umstellung: Aus der Slowakei vom Zwischenseminar zurück in den Schulalltag in Cesky Tesin. Und das ziemlich unsanft. Direkt am ersten Arbeitstag zerplatzt mein geplantes Musikprojekt mit der 2.Klasse. Leider hatte ich auf dem Zwischenseminar dieses Projekt umsonst geplant. Während meiner Abwesenheit fand eine Lehrerbesprechung statt. Die gesamte zweite Stufe (eigentlich die einzige Stufe für Projekte) wurde nun zu einem Wettbewerb verpflichtet und ist dafür voll eingeplant. Statt des Musikprojekts soll ich nun den Wettbewerb betreuen. Die Zusammenarbeit bei Projekten hatte ich mir anders vorgestellt, auch ein Gespräch mit den LehrerInnen änderte daran leider nur weniger. Ein richtiger Rückschlag, der mich ärgert, besonders weil ich von dem Projekt noch nicht wirklich überzeugt bin.

Andere kleinere Unterrichtsprojekte, die ich vorgeschlagen und geplant habe, liefen besser: Eine Unterrichtsstunde gab ich in der Abiturklasse zum Thema Musik. Ich habe ein relativ aktuelles Lied (“Oft gefragt”) von einer jungen deutschen Band vorgespielt. Anschließend wurden sie von mir über Musik und Musikstile ausgeFRAGT (Hihi, Wortspiel). Zum Teil weckte ich ein paar Schüler aus ihrem Dornröschenschlaf. Naja, wir wollen nicht übertreiben. Ihnen hat das Lied gefallen und sie haben sich am Unterricht beteiligt. Die Krönung der Stunde war das Lob meiner Ansprechpartnerin. Was will man mehr? Ein anderes kleines Unterrichtsprojekt war dann ein Bilder-Text-Legespiel, das ich zu Sprichwörtern entworfen hatte. Das Projekt wurde dann schließlich in vielen deutschlernenden Klassen erprobt und erfreute sich ziemlicher Beliebtheit.
Eine Herausforderung ist es wirklich noch sich als Autoritätsperson vor eine Klasse zu stellen. Am liebsten möchte ich eine lockere Ansprechpartnerin für das Deutsche für die SchülerInnen sein und kein Machtwort sprechen müssen. Aber eine Autoritätsperson sein ohne Autorität ist schwierig. Es funktioniert nur solange ich zusammen mit einer Lehrerin in der Klasse bin. Das übliche Rollenproblem also…

Direkt am nächsten Wochenende ging es nach Brno zur Schlacht in Austerlitz (Slavkov, in diesem Fall ist Austerlitz bekannter;)). Ich stürzte mich also am Freitagnachmittag ins Schlachtgetümmel nach Brno. Direkt im Zug hatte ich meine erste denkwürdige Begegnung. Einen Mann, den ich etwas in wohl nicht allzu guten Tschechisch gefragt hatte. Ihn hatte das aber nicht davon abgehalten, sich mit mir auf Tschechisch zu unterhalten. So gab er mir einige Informationen zu tschechischen Städten, die an uns vorbei zogen. Z.B. Brno je velké mĕsto. (Brünn ist eine große Stadt.) Und ich versuchte meinerseits ihm verständlich zu machen, warum ich in  Karvína bin. Eine ziemlich schwere Mission, mit den falschen Präpositionen und dem wenigen Vokabular, das ich hatte. Trotzdem bin ich von seiner Hartnäckigkeit beeindruckt, obwohl ich wirklich nicht viel Tschechisch spreche. Nach dem Zwischenseminar war aber endlich die Schwelle zum Sprachgefühl überschritten. Nun kann ich mit den ersten Klassen mithalten und spreche in etwa soviel Tschechisch wie sie Deutsch. Vor allem mein passiver Wortschatz ist durch die ständige Umgebung mit der Sprache gewachsen, sodass ich bei vielen Gesprächen in der Schule den Inhalt erahnen kann.
Aber zurück zu Brno oder Brünn. Der Weihnachtsmarkt ist schon aufgebaut und es herrscht geschäftiges Treiben, auch weil viele Brünner zum Bahnhof flüchten für ihren allwöchentlichen Wochenendausflug. Und Brünn ist wunderschön und wow, voller Menschen! Und so groß! Ich habe mich wohl wirklich an die Kleinstadtsituation  in Karviná gewöhnt. Ich fühle mich direkt wohl! Schöne alte Gebäude, Kirchen und eine eigenwillige Kunst, die die Straßen und Plätze besonders belebt. Ein Haus, das auf den ersten Blick, an moderne weiße Flachbauten erinnert und auf dem zweiten Blick zeitlos und von Anfang des 20.Jahrhunderts ist. Bekannt unter dem Namen Villa Tugendhat. Die Burg Špilberg begrüßt mich mit seinen weiß gepuderten Grünzonen und schnaufenden Joggern, die an mir vorbeiziehen. Trotz dieser weißen Pracht treibt mich der Heimweh um. Ich fühle mich einsam und zögere zur Schlacht in Austerlitz zu fahren. Schließlich tue ich es aber doch und bereue es trotz meiner kaltgefroreren Füße nicht. Ablenkung ist eben die beste Medizin. Außerdem ist die Schlacht wirklich ein Erlebnis, nicht nur die Internationalität mit den vielen verschiedenen Soldaten und Reitern. Leider verstehe ich vom Schlachtgetümmel nicht viel, die Erläuterungen zur Schlacht sind zu leise.

Zurück nach Hause?

Ab dem 23. Dezember bin ich dann auf Heimaturlaub in Deutschland. Eine Umstellung die mich nachdenklich macht:
Wie ist es die Adventszeit in der Heimat zu verpassen?
Um in Weihnachtsstimmung zu kommen, lasse ich in meiner Wohnung Kerzen brennen und dekoriere meine Wohnung mit Schneeflocken. Richtig Weihnachtsstimmung kommt aber erst in der letzten Adventswoche auf. Für mich bedeutet Adventszeit der Geruch von Kaminfeuern, Kerzen und frisch gebackenen Keksen, Schlittschuh laufen und Weihnachtsmärkte. Fast alles finde ich auch in Tschechien, aber die wichtigste Zutat fehlt: Das gesellige Beisammensein mit Familie und Freunden.

Und die Heimkehr bereitet mir auch Sorgen. Was passiert, wenn ich mich zu sehr an Deutschland und die Gemütlichkeit bei meiner Familie gewöhne?
Dann wird mir die Rückkehr und die Selbstständigkeit in Tschechien schwer fallen. Vor allem kann ich mir hier in Deutschland mein selbstständiges Leben in Tschechien nicht mehr vorstellen. Das gegenteilige Gefühl hatte ich in den ersten Tagen bei meiner Familie. Ich habe meine Wohnung in Karviná vermisst, mein eigenes, selbstständiges Leben.

Verwirrende Gefühle. Was bleibt ist die Frage: Was ist denn mein Zuhause eigentlich?

Den Zwiespalt der Gefühle versuche ich mit Arbeit und Freizeitaktivitäten zu überdecken. Das ist aber alles andere als leicht. Vor allem hatte ich vorletzte Woche einen ziemlich schwachen Kreislauf. Statt nach Cesky Tesin zu fahren, lief ich deshalb in die Innenstadt von Karviná und sah mir den Weihnachtsmarkt an. Danach war ich trotz Erschöpfung ziemlich zufrieden, vor allem dass ich es heil zurück nach Hause geschafft habe!

Die Zeit in Deutschland ist rasend schnell vergangen. Doch es war richtig über Weihnachten nach Hause zu fahren. Ich war unglaublich glücklich meine Freunde und Familie wiederzusehen und in der Zwischenzeit ist auch in meiner Familie viel passiert. Die alljährlichen weihnachtlichen Familientreffen bedeuten mir vielmehr, als ich mir zuvor eingestehen wollte. Weihnachten und Familie ist wirklich untrennbar miteinander verbunden.

Doch der Hintergedanke an meine Rückkehr und die andere Wohnung in Karviná ist mein ständiger Begleiter. Es ist schön ein anderes zuhause zu haben. Jetzt nach einer Woche in Bonn erscheint mir die Rückkehr aber schwierig und meilenweit entfernt…