Schule, Kontakte und andere Eindrücke

Noch immer sehe ich die freudigen und erwartungsvollen Augen der Achtklässler vor mir, als ich zum ersten Mal ihr Klassenzimmer betreten habe. Die jüngsten Schüler der Schule lernen zwar noch nicht lange Deutsch, aber an diesem ersten Arbeitstag haben ihre Gesichter mehr als 1000 Worte gesprochen – auf Bulgarisch und auf Deutsch! Ein einfaches Lächeln kann Berge versetzen und es zeigt mir wieso ich freiwillig hier in Bulgarien den Deutschunterricht unterstütze, wo doch so viele Bekannte einfach an weißen Sandstränden entspannen…
Diese Erfahrung ist mittlerweile schon eine ganze Woche her, in welcher ich mehr oder weniger jede Klasse kennenlernen durfte, die am Fremdsprachengymnasium Ivan Vasov Deutsch lernt. Natürlich ist nicht jede Klasse so motiviert und begeisterungsfähig wie die Achtklässler, doch im Großen und Ganzen habe ich innerhalb dieser ersten Schultage schon so viel Freude an der Deutschen Sprache erlebt, wie ich sie in einem halben Jahr nicht erwartet hätte. Diese geht sogar so weit, dass einige jüngere Schülerinnen nach dem Unterricht auf mich zugekommen sind und mühevoll auf Deutsch gefragt haben, ob sie ein Selfie mit mir machen dürfen! So berühmt bin ich doch eigentlich gar nicht… 😉 Trotzdem schallen mittlerweile immer häufiger Sätze wie „Hallo Ineke!“ oder „Wie geht’s?“ durch die Flure, wenn ich durch die Schule laufe. Manchmal fühle ich mich dabei ein bisschen wie ein bunter Hund, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass Smoljan eine sehr kleine Stadt ist, in der (zu meinem Glück) alles sehr persönlich ist. Genau das macht mir die Stadt so sympathisch!

Fremdsprachengymnasium Ivan Vasov – Smoljan

Das Fremdsprachengymnasium „Иван Вазов“ ist im Vergleich zu meiner alten Schule in Deutschland eine recht kleine Schule. Benannt ist sie, wie der Name schon sagt, nach dem bulgarischen Schriftsteller und Aktivisten der Bulgarischen Wiedergeburt Ivan Vasov, welcher hier in Bulgarien einen sehr großen Stellenwert hat. In der Schule werden Schüler*innen der Jahrgänge 8-12 unterrichtet, sodass ich mich erstmal daran gewöhnen musste, dass die Schüler*innen teilweise sogar älter sind als ich. (In Bulgarien wird man erst im Alter von sieben Jahren eingeschult.) Dies ist zwar erstmal ungewohnt, hat aber den großen Vorteil, dass man auch außerhalb der Schule Zeit mit den Schüler*innen verbringen und gemeinsam Spaß haben kann. So habe ich seit Freitag einen neuen, sehr leckeren, selbstgemachten Brotaufstrich im Kühlschrank stehen: Лютеница. Nach einem besonders geselligen Abend mit ein paar lieben Zwölftklässlern, brachten diese mir morgens plötzlich ein kleines Glas selbstgemachte Лютеница ins Lehrerzimmer, da ich diesen typisch bulgarischen Brotaufstrich unbedingt probieren müsse. Sie hatten Recht! Vielen Dank dafür! Благодаря!!!
Zu meinen Aufgaben an der Schule gehört hauptsächlich die Unterrichtsassistenz, was bedeutet, dass ich die Lehrer in den Deutschunterricht begleite und mal mehr, mal weniger frei die Möglichkeit habe den Unterricht zu gestalten und den Wissensdurst der Schüler*innen über Deutschland zu stillen. Das Erzählen des Märchens der „Bremer Stadtmusikanten“ in verschieden anspruchsvollen Versionen ist dabei schon zu einer leichten Aufgabe geworden. So wird es im Falle einer Reise nach Bremen nun ein paar mehr Touristen geben, die dem Esel an die Füße fassen oder eine Münze ins Bremer Loch werfen möchten. 😉 Schwieriger ist es hingegen, wenn die bulgarischen Lehrerinnen mich bitten, den Schüler*innen ein differenziertes Bild des Deutschen Bildungssystems zu vermitteln. Wo soll ich denn da anfangen? Das in den Deutschbüchern oft beschriebene „Idealbild“ von Hauptschule, Realschule und Gymnasium gab‘s einmal, entspricht inzwischen aber längst nicht mehr der Realität. Da wird die kurze Zwischenfrage schnell mal zu einer langwierigen und komplizierten Erklärung… Wenn ich dann aber dazu komme, dass im Deutschen Abitur (zumindest in Niedersachsen) fünf Prüfungen abgelegt werden müssen, wachen auch die letzten Schlafmützen aus der hinteren Reihe wieder auf. (Ja, es ist wie in Deutschland und alle Schüler*innen versuchen so weit hinten zu sitzen wie nur irgendwie möglich…) Denn für die bulgarische Матура müssen nur zwei Prüfungen absolviert werden: Bulgarische Sprache und Literatur sowie ein Wahlfach.
Eine weitere Aufgabe für mich ist es, mit den Schüler*innen Deutsch zu sprechen und sie zu motivieren auf der Fremdsprache zu reden. Das funktioniert bisher sehr gut und hat den großen Vorteil, dass beidseitiges Lernen möglich ist. So kenne ich mittlerweile nicht nur die Worte für meine Hobbys Geige (Цигулка), Flöte (Флейта) und Schwimmen (Плуване), sondern auch viele Bulgarische Traditionen, Speisen und Lieder. Den Traditionen wird hier in Smoljan nämlich sehr viel Bedeutung zugeschrieben. Jede*r zweite Schüler*in spielt entweder traditionell Dudelsack oder ist Mitglied einer Volkstanzgruppe. Mal sehen, ob ich im nächsten halben Jahr noch die Möglichkeit bekomme dies selber auszuprobieren. Lust dazu hätte ich auf jeden Fall! 🙂