Archiv für den Monat: November 2017

Tradition und der Blick auf vergangene Jahrhunderte

Allerheiligen. Was bei mir zu Hause in Halle nicht mal ein Feiertag ist, ist hier eine sehr wichtige Tradition. Es ist frei und die Stadt ist auf einmal sehr leer und ruhig. Man besucht seine Familie und denkt an die verstorbenen. Je näher ich dem großen Friedhof komme, desto mehr Menschen treffe ich auf einmal. Es herrscht sehr geschäftiges treiben, noch werden die letzten Blumen und Kerzen verkauft. Der Himmel ist schon völlig dunkel, doch über den Gräbern leuchten Heiligenscheine. Es ist so beeindruckend schön, aber auch Melancholie schwebt in der Luft. Auf jedem Grab stehen Kerzen in bunten Gläsern. Alles ist geschmückt und leuchtet, ganze Friedhöfe verwandeln sich in Licht- und Blumenmeere. Entfernt höre ich klaren Gesang und bekomme eine Gänsehaut. So schön und traurig zugleich. Ich Laufe immer weiter in die tiefen des Friedhofs, nun sind kaum noch die Straßenlichter zu sehen, nur noch Kerzen leuchten für die Seelen. Es ist sehr beeindruckend und faszinierend, dass ich mich kaum lösen kann.

Halloween ist hier aufgrund der Feierlichkeiten am Folgetag noch nicht so wirklich ausgeprägt und eher verpönt. Wir hatten jedoch trotzdem ne Menge Spaß, mein Mitbewohner Pepe hatte mich netterweise zu seiner Uniparty eingeladen. Es war ganz gute Stimmung mit den internationalen Medizin- und Tourismusstudentinnen und Studenten in ihren verschiedensten Halloween Kostümen. Ich habe viele nette Leute, vor allem aus Indien und der Ukraine, kennengelernt und irgendwie konnte sich keiner so wirklich vorstellen, dass ich aus Deutschland komme.

Dieses Wochenende wurde ich von meiner Ansprechpartnerin Gosia zu einem Ausflug nach Kazimierz Dolny eingeladen, eine kleine Renaissance Stadt an der Weichsel. Wir konnten uns endlich mal ein bisschen mehr unterhalten, da sie sonst immer viel zu tun hat, und haben den Ausblick von der Burgruine auf die angeblich schönste Landschaft Polens genossen. Was ich nebenbei gelernt habe: die Weichsel ist der einzige europäische Fluss, welcher noch in seiner natürlichen Form verläuft ;).
Die Residenz von König Kazimierz ist sehr klein, schnuckelig und touristisch. Außerdem sehr beliebt bei vielen polnischen Künstlerinnen und Künstlern. Es gibt leckeres typisches Hefebrot in Form eines Hahns und eine Hundestatue, bei der es möglicherweise Glück bringt, die Nase zu berühren. Die vielen alten malerischen Villen, einige sogar noch aus Holz, erzeugen eine geheimnisvolle Atmosphäre des Vergangenen.

Mein schon viel zu alltäglicher Alltag

Dass ich mich so schnell an meine neue Realität, meinen neuen Tagesablauf gewöhne, hätte ich nicht erwartet. Alles läuft schon fast von alleine, ohne nachzudenken, weiß ich in zwischen wann mein Bus kommt und welche Abkürzungen ich nehmen kann oder wann ich wieder in welchen Unterricht muss.
Da bin ich nach zwölf Jahren endlich raus aus der Schule und nun schon wieder mittendrin, nur jetzt irgendwie auch “von der anderen Seite“. Wieder durch die Schulflure gehen und an den kleinen Tischen mit den mehr oder weniger unbequemen Holzstühlen sitzen ist schon ungewohnt, aber noch seltsamer ist es plötzlich einen Platz im Lehrerzimmer zu haben und die Lehrertoilette zu benutzten, wer hätte gedacht, dass ich so etwas mal machen würde.
Unsere Schulklingel hier ist sehr ausgefallen. Anstelle eines einfachen Ringens oder Dingdangdongs gibt es vor und nach jeder Stunde eine etwa zehn sekündige Melodie und zwar jedes mal eine andere.

Was machst du eigentlich genau in Polen? Diese Frage begegnete mir unter anderem immer wieder, in Vorbereitung auf mein halbes Jahr, von allen Seiten. Ich konnte immer nur vage und ausweichend vermurten, inzwischen glaub ich aber ganz gut zu wissen, was hier eigentlich so meine Aufgaben sind. Anfangs habe ich sehr viel hospitiert, meistens hinten oder vorne im Unterricht gesessen und meine Meinung gesagt, falls jemand Fragen hatte. Inzwischen übernehme ich kleine Unterrichtseinheiten, löse gemeinsam mit den Kindern Aufgaben oder wir singen ‘Schnappi das kleine Krokodil‘, sonst führe ich Einzelgespräche in Vorbereitung auf die DSD Prüfung, verfasse und korrigiere Texte oder fungiere als Sekretärin indem ich sehr viel kopieren und hin und her bringen darf.
Ich hoffe, dass ich in der kommenden Woche auch mit meinem Kulturweit Projekt, welches ich mit der sechsten Klasse verwirklichen möchte, beginnen kann. Und freu mich schon auf endlich ein bisschen mehr Eigeninitiative und weniger in der Rolle des Lehrers zu stehen.
In unserer Schule gibt es immer mal wieder kleine Veranstaltungen an denen ich teilnehmen darf, wie z.B. letzten Freitag. Zwischen Basketballkörben und Reckstangen finde ich in unserer Turnhalle ein Konzert von zwei mittelalten Rappern und treffe auf sehr unterschiedliche Begeisterung. Nach jedem Lied folgen hier etwa 10 Minuten unterhaltsame Belehrungspause zum Thema Drogenprobleme, Junkies und Suchtgefahr, aber leider verstehe ich wie meistens nur vereinzelte Wörter. Das ganze wird dabei als Lehrstunden und Pflichtprogramm zur Vorbeugung von Sucht und Abhängigkeit gesehen. Im Hintergrund laufen auf Leinwand kleine Animationen und schlimme Fotos. Erschreckenderweise reagieren viele Schülerinnen und Schüler mit Gelächter. Ich hoffe dies liegt nur an Unsicherheit und Verlegenheit in Bezug auf den Umgang mit solchen Bilder.
Inzwischen arbeitete ich montags auch noch an einer Integrationsschule in Lublin, wo mich in etwa die selbe Arbeit erwartet. Die Schule ist allerdings riesig und ich verlaufe mich ständig. Es gefällt mir sehr gut hier, auch weil ich zur Abwechslung mal keine zeitfressende Busfahrt vor mir habe. In der siebten Klasse gibt es eine Schülerin, Domenica, welche fünf Jahre in Deutschland in der Nähe von Bielefeld gewohnt hat und erst seit diesem Schuljahr wieder in Polen lebt. Es ist sehr schön und auch echt ungewohnt, sich mit ihr völlig ohne Probleme auf deutsch unterhalten zu können. Somit bekomme ich auch ein bisschen den Blick von der Schülerseite auf die Schule zu sehen, mit einigen Kritikpunkten, welche von Seiten der Lehrer nie zu erkennen waren.
Nun wurde ich noch gebeten am Samstag an einer Berufsschule zu helfen, bin mir allerdings noch nicht sicher, ob ich das annehmen werde, da ich an den Wochenenden gerne ein bisschen Polen und Lublin erkunden möchte und somit nicht gerade oft Zeit für den Unterricht hätte. Andererseits wäre es bestimmt auch sehr interessant, da ich im Gegensatz zu meiner sonstigen Arbeit, auch eher auf Gleichaltrige treffen würde.

Als über das verlängerte Wochenende meine Familie zu Besuch kam, habe ich Lublin noch ein bisschen anders wahrnehmen können. Ich hatte ja nie erwartet, dass es hier so unglaubliches und viel zu leckeres Essen gibt. Ob im jüdischen Restaurant in den Gewölben der Altstadt oder im „Zilony Talerzyk“ mit dem besten Brownie und viel zu freundlichem Barmann, der uns sogar sein Rezept verraten hat. Aber auch das Picasso Museum in der Burg war beeindruckend, auch wenn man bedenkt, dass der Eintritt umgerechnet gerade mal 2,50€ gekostet hat.
Was mich allerdings am meisten gefreut hat, war glaube ich einfach das gemeinsame Kochen und Kartenspielen, das hab ich wirklich vermisst.