Archiv für den Monat: September 2017

Julia, Romeo und Warschau

Gleich das erste wirkliche Wochenende für mich in Lublin habe ich garnicht hier, sondern in der Hauptstadt verbracht. Ich wurde nämlich sehr kurzfristig zu einem Klassenausflug am Freitag nach Warschau eingeladen, um ‘Romeo und Julia‘ zu sehen. Das Musical war sehr interessant inszeniert und spielt in der Zukunft mit 3D Bühnenbild und „Wassereffekt“ (im Prinzip hat es einfach auf die Bühne geregnet). Dass die ersten Reihen mit Regencapes und 3D-Brillen im feinen Theater Buffo saßen, war dann doch sehr amüsant. Vor dem Theaterbesuch waren wir noch im riesigen „Park Lazienki“, was übersetzt so viel wie Badezimmer bedeutet und ich hatte einen mini Polnischkurs von sehr netten Schülern.
Während meine Klasse nach Hause gefahren ist, habe ich das Kulturweit Netzwerk genutzt um das restliche Wochenende in Warschau zu verbringen. Mit Laura (Kulturweitfreiwillige), einer Kulturweitalumna und noch ein paar anderen Studenten, haben wir dann den Freitagabend in verschiedenen Barkellern in der Nähe der Palme verbracht und dort typisches Bier mit Himbeersirup und Strohhalm getrunken, was sogar erstaunlich lecker war ;). Man läuft durch eine Häuserpassage und plötzlich findet man sich in einem unerwarteten Gedränge aus jungen Leuten wieder, wo sich Bars aneinander reihen und man sehen muss, dass man noch einen Platz bekommt.
Am Samstag bin ich ein wenig durch Warschau gelaufen, habe die Altstadt gesehen und war in einer der typischen Milchbars, welche sich vor allem zwischen den beiden Weltkriegen weit verbreitet haben und die Verpflegung der breiten Bevölkerungsschichten sicherten. In so einer bar mleczny herrscht Selbstbedienungsbetrieb und man kann sehr günstig traditionelles polnisches Essen genießen. Als Antwort auf seine Bestellung bekommt man hier einen „Summer“ in die Hand gedrückt. Sobald das kleine Plasteteil anfängt zu brummen und zu leuchten und den ganzen Tisch vibrieren lässt, kann man sich schnell sein Essen an der Küche abholen und es sich schmecken lassen. Des Weiteren waren wir auf dem Dach der Unibibliothek, welches als Grünanlage ausgebaut ist. Von dort oben hat man einen beeindruckenden Blick sowohl über Warschau, wie auch in den Lesesaal durch einige Glasdächer. Aufgrund der Glasdächer und dadurch, dass die Bibliothek recht überwuchert ist, wirkt sie ein wenig wie ein verwunschenes Gewächshaus aus einer anderen Welt. Das Gebäude ist ein sehr ungewöhnlicher Anblick in der Millionenstadt und verleitet einen zwangsläufig dazu in all dem Trubel innezuhalten und durchzuatmen.
Samstag und Sonntag verbrachte ich wunderschöne Zeit mit Simone und Anne (Kulturweitfreiwillige) und nach ein wenig Verwirrung finden wir uns auch schnell immer besser zurecht, entdecken versteckte Hinterhöfe mit Bars und Restaurants und laufen durch tolle Straßen mit kleinen netten Läden. Ich kann hier nur das Viertel rund um die ‚ul. Hoza‘ empfehlen. Allerdings sollte man nicht, wie wir am Sonntag dort hin gehen, da hier vor allem viele der kleineren Geschäfte geschlossen haben. Es ist aber natürlich trotzdem toll.
Allgemein ist Warschau eine sehr beeindruckende Stadt. Im zweiten Weltkrieg wurden hier leider etwa 90% zerstört und somit besteht Warschau abgesehen von dem bisschen Altstadt vor allem aus neuen Gebäuden. Hochhäuser grenzen an alte Kirchen und Blockbauten, der Anblick ist schon ein wenig ungewohnt. Es ist überwältigend was für riesige Häuser mit sehr hohen Akarden und breite Straßen es hier gibt. Relativ zentral findet sich inmitten von Hochhäusern der wuchtige Kulturpalast, ein sehr umstrittenes Gebäude. Als Geschenk Stalins ist er vor allem von der älteren Bevölkerung nicht gern gesehen, da er an die sowjetische Vorherrschaft erinnert. Auf der anderen Seite ist der Palast natürlich eine große Attraktion.
In zwei Wochen bin ich noch einmal in Warschau zu einer Fortbildung und hoffe in den paar Tagen einige Ecken noch ein bisschen besser ergründen zu können.

Bilder aus Lublin

Und so langsam lebt man sich ein

Lublin ist toll! Es ist eine sehr belebte Stadt mit vielen Studenten und es kommen jeden Tag neue, da in zwei Wochen das Semester beginnt. Die historische Altstadt und das Schloss sind relativ touristisch, etwas abseits davon wird es dafür jedoch umso netter. Es gibt viele schöne, meist unsanierte Gebaude, nette Bars und immer wieder kleine Grünflächen sowie einen riesigen Park als Unterschlupf vor dem ganzen Trubel. In Lublin leben außerdem viel zu viele Tauben, welche noch mehr Dreck machen und damit meinen Mitbewohner auf die Palme bringen, der vergeblich versucht unseren Balkon sauber zu halten. An jeder Ecke stehen Flyer-verteilende Leute für Polnischsprachkurse und es gibt viele Standpunkte um Fahrräder auszuleihen, wo ich mich unbedingt noch anmelden muss (sowohl für die Fahrräder als auch für nen Sprachkurs).
Ich mag es sehr ziellos durch die Stadt zu gehen und neue schöne Ecken zu entdecken. Man biegt ab und plötzlich ist man an einem anderen Ort und taucht ein in verschiedene Lebensstimmungen. Es ist interessant die verschiedenen Gruppen von Menschen zu beobachten, die hier so rum kommen. Ich glaube man achtet generell viel zu wenig auf die Bewohner einer Stadt.
Mein Studentenwohnheim liegt etwas außerhalb der Innenstadt, wo sich vor allem Plattenbauten und Gebäude aus den 60ern finden, aber durch die netten Leute entsteht trotzdem eine sehr angenehm Atmosphäre.
Es passiert hier relativ oft, dass man plötzlich bei irgendwelchen Leuten, die man kaum kennt sehr herzlich zum Tee nach Hause eingeladen wird. An diese beeindruckende Gastfreundschaft werde ich mich wohl erst noch gewöhnen müssen.
Es gibt viel Tee und süßes wie auch herzhaftes Hefegebäck. Außerdem eine Vielzahl verschiedenster Piroggen, welche ich gerne noch alle probieren möchte.
Heute war mein erster wirklicher Arbeitstag in der Schule in Swidnik. Hier geht alles ein bisschen drüber und drunter, da gerade das ganze Schulsystem in Polen umgeschmissen wird und niemand so wirklich weiß, was er machen soll. Abgesehen davon ist es aber wirklich nett hier. Sowohl Lehrer wie auch Schüler sind zumindest zu mir immer sehr freundlich und es macht Spaß sich zu unterhalten. Die meiste Zeit saß ich heute im Unterricht und habe zugehört oder ein paar Fragen beantwortet. Das einzig negative ist, dass meine Schule in der nächsten Stadt liegt und ich somit immer noch eine dreiviertel Stunde wilde Busfahrt vor mir habe.

Cześć Polska!

Es ist kurz nach acht und ich bin schon in Polen 😉 die grauen Wolken sind erstmal verschwunden und es scheint die Sonne. Ich sitze in einem alten und knarrenden Abteilzug zusammen mit sehr netten und hilfsbereiten Menschen, vor mir noch rund neun Stunden gemütliche Zugfahrt.
Gottseidank hab ich den Zug nach Warschau noch geschafft, denn als meine Familie und ich heute morgen zwanzig vor fünf am Bahnhof standen, gab es den Zug plötzlich nicht mehr, welcher mich nach Berlin bringen sollte. Dieser fährt jetzt also überraschenderweise nicht mehr über Halle und wir sind völlig aufgeschmissen. Nach kurzer Schockstarre also schnell zurück ins Auto, erst versucht den Zug in Bitterfeld einzuholen und als uns klar wurde, dass das nichts wird, auf nach Berlin. So schnell war ich glaube ich noch nie mit dem Auto unterwegs. Statt bei Tee und Keksen im Zug zu sitzen und leicht dösend den Sonnenaufgang zu beobachten, wie ich mir es eigentlich vorgestellt hatte, rasten wir also putzmunter und vollgepumpt mit Adrenalin über die Autobahn Richtung Berlin. Zum Glück noch geschafft.

Durch den ganzen Stress ist das Abschiedsdrama irgendwie in den Hintergrund gerutscht und ich habe mal wieder viel zu spät realisiert, dass ich jetzt schon wieder weg bin. Meine Familie und Freunde, die wichtigsten Menschen für mich, welche bis jetzt eigentlich mein ganzes Leben mitgestaltet und geprägt haben, werden erstmal nicht mehr bei mir sein, bzw. ich werde nicht mehr bei ihnen sein. Jeder lebt jetzt sein Leben weiter, auf seine eigene Art und Weise, in einer ganz anderen Welt mit ganz anderen Einflüssen. Bei solchen Gedanken wird mir ein wenig mulmig, es kann sich so vieles aber auch nichts verändern und ich bin plötzlich auf mich alleine gestellt.

Inzwischen hat es sich wieder etwas zugezogen, ich habe einen netten Fensterplatz, sehe viele Felder und Wälder und ab und zu kleine Bahnhöfe und wenig Häuser. Der Ausblick ändert sich jedoch spätestens, als ich in Warschau umsteige. Viele schöne Gebäude und eine Menge verschiedenster Menschen. Auch der Zug ist jetzt viel belebter mit jungen Leuten, die versuchen in den kleinen Abteilen Platz zu finden und zum Teil leider einen lauten und eher schlechten Musikgeschmack haben. Bestehend aus 6 bis 8 Sitzen, einem großen Fenster, einer Schiebetür und blauen Vorhängen, sehen die Abteile ein wenig aus, wie bei Harry Potter. Was ganz lustig ist, zusätzlich gibt es über der Stuhlreihe noch jeweils einen schmalen Streifen Spiegel.

In Lublin angekommen, werde ich ganz herzlich von meiner Ansprechpartnerin Gosia empfangen, die sich auf dem Weg zum Studentenheim auch erstmal ein wenig verfährt, so dass ich noch eine kleine extra Runde durch die Stadt bekomme. Ich wohne zusammen mit einer anderen Freiwilligen in einer fünfer WG. Außer uns gibt es noch eine Italienerin, einen Italiener und einen aus Zypern. Alle sind auf jeden Fall super nett und sehr sympathisch und nebenbei gibt es morgen Abend anscheinend noch eine Homeparty bei uns. Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt auf die nächsten Tage.

Zeit

„Es gibt ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis. Alle Menschen haben daran teil, jeder kennt es, aber die wenigsten denken darüber nach. Die meisten Leute nehmen es einfach so hin und wundern sich kein bisschen darüber. Dieses Geheimnis ist die Zeit.
Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass ihm eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt.
Denn Zeit ist Leben und das Leben wohnt im Herzen.“

Dieses wunderbare Zitat stammte aus dem Roman „Momo“ von Michael Ende. Die Geschichte enthält so viele tolle Weisheiten, dass man es im Grunde nicht nur als Kind lesen sollte.
Wie unterschiedlich schnell die Zeit vergehen kann habe ich vor allem in den letzten zehn Tagen mitbekommen. Da war das Vorbereitungsseminar von Kulturweit am Werbellinsee in der Nähe von Berlin. Wir waren 350 Freiwillige, so viele wie noch nie, die alle für ein ganzes bzw. halbes Jahr ins Ausland gehen werden. Wir haben viel diskutiert, gelernt und uns ausgetauscht in unseren Homezones und verschiedensten Workshops. Am schönsten war dann jedoch wirklich die Freizeit, in der man auch was mit Leuten unternehmen konnte, mit denen man sonst (leider) weniger zu tun hatte.
Bei meiner Ankunft dachte ich noch die zehn Tage würden bestimmt ewig dauern, doch ich merkte schnell, dass ich damit nicht recht behalten sollte. Die Zeit verging wie im Flug und plötzlich sitze ich schon wieder zu Hause und wünsche ich könnte noch viel mehr Zeit mit diesen wunderbaren und besonderen Menschen verbringen. Und leider konnte ich mich nicht mal von allen verabschieden, weil das ganze viel zu schnell ging.
Nagut jetzt hab ich noch vier Tage und dann bin ich auch schon wieder wo anders, in Lublin und hoffe darauf genauso tolle Leute kennenzulernen, obwohl ich mir gar nicht vorstellen kann, dass ich nochmal so wunderbare treffe.

Ziellos durch das Land des Zufalls streifen

Ein halbes Jahr in den Osten von Polen. Ich war nicht gerade vom Hocker gehauen, als ich meine Zusage vom PAD für die Einsatzstelle in Lublin bekam. Eigentlich wollte ich nach Südamerika, irgendwo in die Sonne, aber nagut, warum eigentlich nicht Polen. Je länger ich darüber nachdachte, desto attraktiver erschien mir die Idee nach Polen zu fahren. Ich hatte es nur einfach nicht in Betracht gezogen in Osteuropa mein fsj zu machen. Ich war noch nie in Polen, also warum dann nicht einfach jetzt? Wer weiß wann ich sonst das nächste mal die Chance dazu habe.
Zufälle, die man nicht erwartet und die dein leben in eine völlig neue vorher nie bedachte Richtung lenken, sollte man in jedem Fall nutzen. Und für den Fall das es doch nicht so nett wird (was ich mir jedoch nicht vorstellen kann), ist die Entfernung nach Hause ein klacks. Außerdem ist es ja nur ein halbes Jahr.
In zwischen gefällt mir die Idee sowieso besser danach ohne Organisation und festgeschriebenem Ablauf einfach auf eigene Faust nach Südamerika zu fahren und wunderbare Freunde zu besuchen.
Also lass ich mich ein, auf kalten polnischen Winter, Büffelgrasvodka und herzliche Leute.

Lublin liegt ca. 160 km südöstlich von Warschau und ist eine Studentenstadt mit 350.000 Einwohner. Hier finden sich ganze fünf Universitäten, welche von vielen Erasmus Studenten aus der ganzen Welt besucht werden. Falls es mit dem polnisch lernen nicht klappt, kann ich also immerhin noch mein englisch aufbessern.
Ich werde ein Zimmer in einem der Studentenwohnheime bekommen und somit hoffentlich schnell coole Leute kennenlernen, die sich hier schon ein bisschen auskennen.
Arbeiten werde ich allerdings gar nicht in Lublin, sondern in Swidnik (lese gerade, dass der Name von ‘blutroter Hartriegel‘ kommt). Nach Swidnik darf ich dann noch jeden Morgen mit dem Bus fahren, um den, soweit ich weiß, 13-16 jährigen Schülern im Deutschunterricht zu helfen.
Ich bin auf jeden Fall schon sehr gespannt was jetzt eigentlich auf mich zukommen wird :D.