Peking auf dem Weg (Nachtrag zum 14.09.)

Ich habe mit gar nichts gerechnet als ich aus dem Flugzeug stieg. Ich habe mir fest vorgenommen mir in Peking ein Hotel zu suchen, vielleicht über ein zwei Plätze zu schlendern und mich dann aber vor der Ankunft in der Mongolei nochmal auszuschlafen. Es ist schließlich nicht schade um ein kostenloses 72-Stunden Visum, es mit Schlafen zu verbringen.

Logisch, dass es anders kommt. Ich nehme mir kein Hotel, schlafe auch nicht lange und statt zu schlendern wandere ich von 5 Uhr nachmittags bis 5 Uhr morgens mit einer vielzahl an Pausen durch die Straßen und laufe mir außerdem die kleine Zehe wund – aber mein Gefühl, dass ich auf dem Flug in die chinesische Hauptstadt hatte, dieser kleine Abstecher vor meinem FSJ sei überflüssig verdampft schon mit dem Verlassen des Flugzeugs in der heißschwülen pekinger Luft und kommt auch bei allem Verzweifeln zwischendurch nicht wieder.

Mein erstes Ziel in Peking ist es aus dem Flughafen zu entkommen – mag nicht schwer klingen, ist aber durchaus eine Herausforderung. Möglicherweise bin ich auf Grund der dicken Luft, ich fühle mich unter der riesigen Glaskonstruktion des Flughafens wie im leipziger Tropenhaus Gondwanaland, etwas unkonzentriert. Vielleicht haben mich die Anweiser in ihren chinesischen Richtungsangaben tatsächlich falsch gelenkt oder der Weg zur Visavergabe ist einfach mit Absicht versteckt worden, auf jeden Fall schaffe ich es ohne Umschweife, sogar ohne langes Warten, direkt in den Abflugbereich meines Weiterfluges. Lockere 19 Stunden Wartezeit. Natürlich sagt mir jeder den ich frage entweder, dass er kein Englisch kann oder dass hier der Abflugbereich sei, einmal drin immer drin, man könne ja nicht durch die Sicherheitskontrolle wieder zurück. Ich lerne wirklich viele Flughafenmitarbeiter kennen. Irgendwann finde ich heraus, dass ich in eine rätselhafte 3. Etage muss, wo es dorthin geht? Keine Ahnung, keiner. Just all your way back. Thank you. Zuerst mache ich bei diesem kleinen „Escape-the-room“-Spiel mit Freuden mit, aber nachdem die einzigen auffindbaren Aufgänge zu dem ersehnten Stockwerk in den First-Class-Lounges enden und ich dort noch verständnisloser ob meines blöden Anliegens angeschaut werde, bin ich kurz davor aufzugeben. Schließlich geht die Zeit schon um, es ist keine Ewigkeit und ein tiefer langer Schlaf ist auch auf einer Wartebank erholend.

Mein rettender Engel ist am Ende ein „Staff only“-Aufgang, der allzu verlockend hinter einer Glaswand einen Weg nach oben weist. Mir wird sogar ganz offiziell von einer genervten Servicedame bestätigt, dass ich ihretwegen da lang dürfe und nach einer kleinen Diskussion an der Sicherheitstür gelange ich tatsächlich in den Bereich zum Auschecken. Formulare ausgefüllt, eine Menge kostenloses Trinkwasser genossen und totmüde stehe ich kurz dannach mit schlappen drei Stunden Verspätung an der Bushaltestelle vor dem Flughafen.

Peking beeindruckt mich sofort, schon vom Bus aus, in dem zur Begrüßung „typisch“ chinesische Klingelklang-Musik gespielt wird. Was ich von der Stadt bisher gehört habe, war bisher nur von meiner Mutter und meinem Großvater, die Geschichten aus den 80-er Jahren von Kakerlaken in den Zimmern und geschlachteten Tieren, die einfach an den Straßenecken hängen. Von diesem Peking finde ich wenig. Das was ich sehe ist nur die Innenstadt, großteils Touristenviertel und natürlich nicht repräsentativ für über 21 Millionen Einwohner des Großraums, aber zumindest auf meiner Tour überwiegt die Moderne völlig – fast schon wie eine Filmkulisse wirkt es, als ein paar mal zwischen den riesigen Repräsentationsplätzen und gläsernen Hochhäusern ein chinesisches Viertel auftaucht wie man es sich vorstellt: enge Gassen, quirlige Architektur mit vielen kleinen Läden, spitze grüne Dächer mit ausladend verzierten Ecken, von denen allerlei Ketten und Lampen herunterhängen, große bunte Werbetafeln aus Holz, mit neongelb und -rot verzierter Leuchtreklame „einladend“ blinkend. Alles hat den Touch von Verwegenheit, von Untergrund und harter Arbeit. Was nicht ganz passen will sind zum einen die Straßen – frisch geteert und im einwandfreien Zustand, sowie die Mülleimer – nicht unbedingt hübsche, aber doch sehr saubere und moderne Behälter mit Mülltrennung.

Solche Widersprüche fallen mir erstaunlich oft auf und ziehen sich durch alle Stadtteile, die ich gesehen habe. Inmitten der in Smog versinkenden Stadt gibt es andauernd Grünstreifen mit den herrlichsten Pflanzen direkt neben rasenden Boulevards. Ich sehe erstaunlich viele Straßen mit Fahrradwegen, die auch noch perfekt ausgebaut sind – doppelt so breit wie der Standard in Deutschland, durch einen niedrigen Zaun von den Autos abgetrennt und mit eigenen Verkehrspolizisten an den Kreuzungen – und das, obwohl ich das Gefühl habe, die gesamte Metropolregion wäre heute mit dem Auto in die Innenstadt gefahren. Auch der Gegensatz zwischen Tag und Nacht ist extrem: auf den Plätzen und Straßen, an denen sich noch am Abend die Leute tummelten, ob Touristen oder Einheimische, Geschäftigkeit herrschte und die Stadt in vollen Zügen lebte, gibt es mit Einbruch der Nacht plötzlich nur noch drei Gruppen: Polizisten, Bauarbeiter und Straßenreiniger. Vielleicht ist es mir am Tag nicht aufgefallen, aber in der Nacht stehen an jeder Ecke, nicht nur an den Hauptattraktionen, Polizisten mit ihren rot und blau blinkenden Uniformen. Mit der Dunkelheit öffnen sich an diversen Gebäuden große Tore, aus denen Menschen Werkzeug, Sand und ihre dreirädrigen Minilastwagen holen, um die nunmehr leeren Straßen neu zu bevölkern. Die Putzkräfte machen sich etwas später ans Werk um über Nacht wirklich alles zu säubern: Brücken, Straßen, Gehwege, Parks, Bäume, Straßenschilder, alles.

Einige dieser Kontraste lösen sich auch auf. Die Sache mit den vielen hübschen Pflanzen zum Beispiel. Als ich schon auf dem Rückweg zum Busbahnhof bin, laufe ich eine große Allee mit vielen Bäumen entlang. Ich komme dabei an einigen Menschen vorbei, die dabei sind die Bäume zu bewässern, ich denke mir erst gar nichts, will einfach durch gehen. Schließlich schadet es aufgrund der auch nachts anhaltenden Wärme nicht, ein bißchen nass zu werden. Plötzlich rufen die Arbeiter mich laut zurück und hupen aggressiv, ich verstehe natürlich nichts, bleibe aber lieber stehen. Was auch besser ist, denn nachdem sie kurz stoppen und ich vorbei kann schlägt mir ein wohlbekannter Geruch in die Nase: wenn wir in der Schule mit etwas älteren Aquarellfarben gearbeitet haben, dachte man beim Öffnen der Behälter immer, dass man gerade Gläser voll von faulen Eiern in der Hand hält. Gemischt mit etwas Chemie trifft das den Geruch dieses „Wassers“ ganz gut. Also weniger Natur an den Bäumen als gedacht.

Ansonsten sind die Bepflanzungen und Parks in Peking wirklich himmlisch. Vor allem in und um der Verbotenen Stadt treffe ich auf reihenweise schöner Parks. Nicht gerade befriedigend, weil die Pekinger ihre Parks nachts wohl gerne geschlossen haben. Aber von außen wirken sie schön. Immerhin. Nur einen Park, mein Lieblingsplatz in Peking, habe ich wirklich betrachten können. Am Südende des Platzes des Himmlischen Friedens, wo das alte Hauptstadttor und sein Wachturm als Turmpaar stehen, die auch heute noch, gerade durch den frühmorgentlichen dunklen Nebel hindurch eine unglaublich göttliche Ausstrahlung haben, wo ich völlig verstehe, wie man durch Symbole und Pracht Glauben erzeugen kann, gibt es eine kleine Grünfläche mit einer Vielzahl bunter Blumen und zum Boden hängenden Bäumen. Vor allem verbinde ich mit diesem Ort einen erholsamen Schlaf, den ich in dieser Nacht nur dort, neben einer der kleinen Gänseblümchenwiesen gefunden habe.

Mit den Menschen aus Peking habe ich dagegen leider relativ wenig Kontakt. Die zwei großen Barrieren sind natürlich die Nacht und die Sprache. Objektiv spreche ich über den Tag mit sehr vielen Menschen, aber es geht selten über „Do you speak English?“ – „No“ – und ein bißchen verzweifelte und kaum weiterführende Zeichensprache hinaus. Nur ein paar Jugendliche lerne ich in einem McDonalds kennen, JJ und ihre Freunde mit sehr viel komplizierteren Namen. Ja, ich gehe in einer fernöstlichen Stadt in ein McDonalds, aber zu meiner Verteidigung: hauptsächlich um irgendwo Internet aufzutreiben, ich will mich dann doch mal zuhause zu melden und um meinen in der Fremde doch nicht ganz unwichtigen Akkustand von 5% aufzubessern. Essen ist miserabel, Internet funktioniert schlecht, Strom gibt es nicht, aber ich treffe eben JJ&Co. Sie kommen gerade aus irgendeinem Spielecenter und haben dort etwa 15 Kuscheltiere gewonnen, weil einer von ihnen scheinbar unglaublich begabt darin ist, solche Automaten zu bedienen, bei denen man mit einem Greifarm Dinge aus einer Glasbox ziehen kann. Sie können einigermaßen Englisch und wir unterhalten uns eine ganze Weile über Peking, die Mongolei und Spielautomaten, sehr lustige und aufgeschlossene Menschen. Jedenfalls verlasse ich das Lokal um fünf Kuscheltiere, 10 mongolische Tugrik, einen Kaffee und jede Menge Motivation reicher.

Letztendlich finde ich aber nicht viel Ruhe. Von dieser Stadt, in der die Sonne um 17:30 in den schönsten Orangetönen im Smog untergeht, deren Zentrum in der Nacht so stark von Polizei und Militär kontrolliert wird, dass ich mich selten traue mich einfach irgendwo hinzusetzen und durch deren Straßen ich mich nachts wie durch ein riesiges Labyrinth kämpfen muss, weil die Wege immer wieder aus ersichtlichen oder geheimen Gründen durch eine Vielzahl an Zäunen abgesperrt sind, habe ich sicher nicht das wichtigste oder aufregendste gesehen. Das Touristenoffice, in dem ich mal nach dem Sehenswerten gefragt habe, konnte mir auch nicht mehr als den Platz des Himmlischen Friedens und einen sowieso geschlossenen Park nennen. Auch von meinen persönlichen kleinen Zielen habe ich nur wenig erreicht: sei es eine Akkuladung, etwas mehr Internet, gutes Essen, eine Polizeistation oder ein Hotel in dem ich mich, wie angeblich notwendig, registrieren lassen kann (hat sich zum Glück bei der Ausreise keiner darum gekümmert) oder ein gemütlicher Schlafplatz – sich einfach auf eigene Faust und ohne Kommunikation die über Google-Übersetzer hinausgeht in einer komplett fremden Riesenstadt zurechtzufinden ist eben doch extrem zeit- und nervenaufwendig. Aber totmüde, mit 3% Akku und auf die Minute pünktlich am Bus zum Flughafen angekommen, bin ich doch sehr glücklich und gesättigt von dem Aufenthalt. Aus einer ungewöhnlichen Perspektive und immer von der Straße aus habe ich vieles gesehen und gelernt, das ich mir in keinem pekinger Hotel während eines noch so schönen Schlafes erträumt hätte. Ich bin vollkommen unwissend in eine Fremde geworfen worden, immer in dem Wissen auch gleich wieder herausgezogen zu werden. Und ich bin höchstmotiviert nochmal nach Peking zurückzukehren, diesmal mit etwas mehr Plan, sicher nicht alleine und unbedingt mit einer Unterkunft. Aber ich denke wenn man mit dem Gedanken eine Stadt verlässt, sie sicher nicht das letzte mal gesehen zu haben, egal wie wahrscheinlich das auch sein mag, war der Besuch ein voller Erfolg.

Ein Gedanke zu „Peking auf dem Weg (Nachtrag zum 14.09.)“

  1. Ich kann mir alles sehr bildlich vorstellen, wie ein kleiner „FloAlleinInPeking“ Film…

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