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Schwups, ein halbes Jahr später

In Gedanken bin ich schon wieder zuhause. Uni, Wohnungssuche, Urlaubspläne, wo-ist-nochmal-mein-Führerschein-Panik. Man könnte fast vergessen, die letzten Tage Argentinien zu genießen. Hier hab ich auch noch so viele Sachen auf der Liste. Ich musste jetzt einsehen, dass ich die meisten wohl nichtmehr schaffe in den nächsten zwei Tagen. Da wären neben einigen Museums-Besuchen noch der Cheeseburger bei McDonalds (schmeckt er wirklich genauso wie in Deutschland?), Joggen in Puerto Madero (Ist natürlich ein Scherz, aber es klingt schön), die Pizza mit Hack, Spinat und Holondaise, die mir in meiner ersten Woche empfohlen wurde, und und und. 

Ein bisschen nostalgisch werde ich. Das letzte Mal zu meiner Adoptiv-Oma Heidi zu Mitagessen, das letzte Mal im fensterlosen Büro der Deutschabteilung vor dem Computer sitzen, das letzte Mal mit der Nummer 9 nach Lanús fahren. Einige Schüler werde ich wirklich vermissen, einige Lehrer auch. Über andere werde ich im Nachhinein vielleicht schmunzeln, z.B über den Lehrer, der mich aus unerfindbaren Gründen seit nun mehr als fünf Monaten Vicky nennt (zugegeben: ich kenne seinen Namen auch nicht und mittlerweile reagiere ich auf Vicky). Oder der Schüler, der mir immer „Empanada“ hinterherruft, weil er gesehen hat, dass das mein whatsapp-Satus war. Oder der Lehrer, der meinte, Europa müsse einfach aufhören Bomben Nacht Syrien zu werfen, dann würde sich das Flüchtlingsproblem von alleine lösen.

Auch wenn ich so sicher wie nie zuvor weiß, dass ich keine Lehrerin werden möchte, hatte ich viele schöne Momente in der Schule. Z.B. immer, wenn es Medialunas im Lehrerzimmer gab, oder als die 8Klässler reflexive Verben verstanden haben, oder wenn mir Schüler gesagt haben, wie gern sie mich haben. 

Ich lasse einiges hier. Meine Thight-Gap zum Beispiel, ein paar Klamotten, einige Bücher, aber auch ein bisschen zu-viel-Gedanken-machen. Dafür nehme ich aber Wein mit und Dulce de Leche.

 

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Reisefieber

„In Montevideo scheint die Sonne so rot“, sang Hansi Lang 1982. 35 Jahre später ist das auf jeden Fall immer noch so.  https://www.youtube.com/watch?v=BqevHLo3Y70

Von Montevideo hatte ich mir nie eine Vorstellung gemacht. Vielleicht liegt das daran, dass Uruguay nicht in meinem Janosch-Atlas aufgetaucht ist. Vielleicht auch daran, dass ich nie wirklich wusste, welche Silbe in diesem Stadtnamen betont wird (Montevideeeeo oder Monteviiideo?), da bin ich mir aber immer noch nicht sicher.

Aber immerhin weiss ich jetzt, wie schön Montevideo ist! Ich habe mich selten auf anhieb so wohl in einer Stadt gefühlt. Gut, jetzt werden einige sagen das liegt daran, dass an dem Mittwoch nach meiner Ankunft der Verkauf von Canabis legalisiert wurde. Aber es liegt sicher auch an der Kilometerlangen Strandpromenade, den schönen Plätzen und Gebäuden in der Innenstadt und der Gelassenheit und Ruhe in der Stadt. Und dann eben Hansi Langs rote Sonne an der erwähnten Promenade.

DAS Gericht, was man in Montevideo probieren soll, ist Chivito. Weil sich die Urugayos das Asado als Nationalgericht mit Argentinien teilen müssen, brauchen sie eben noch ein bisschen was eigenes. Chivito ist ein Sandwich mit Steak, Ei, Speck, Salat, Tomate, Schinken und Käse. Achso und Majo. Mehr darf drauf sein, weniger aber nicht. Diese Cholesterinbombe isst man mit einem Getränk, das “ Halb und halb“ heisst: Halb Weisswein, halb Sekt. Meine Stadtführerin hat es dann noch auf den Punkt gebracht: Uruguay ist ein scheiss-Land für Vegetarier. Gut, dass ich keiner bin, so konnte ich sogar noch Fisch in der Küstenstadt essen.

Nach verdammt kalten Tagen in Montevideo hab ich mich für 18 Stunden in den Bus gesetzt, um dann bei 30 Grad in Iguazú auszusteigen. Iguazú liegt an der Grenze zu Brasilien im Norden (Wir erinnern uns es gilt: „Ey, ab in den NORDEN“). Von dort kann man zu den Iguazú-Wasserfällen fahren. Wassermassen, die von alles Seiten in die Tiefe fallen, immer ein Regenbogen im Wassernebel und hunderte Touristen in stylischen Regencapes aus aller Welt um dich herum. Einfach schön.

Ein schicker Tagestrip nach Brasilien, um die Wasserfälle von der anderen Seite zu sehen, war natürlich auch drin. Auf portusgiesich kann ich jetzt Danke, Ja, Nein und Ich sagen; reicht also.

Zwei Tage am Pool mussten wir uns dann auch noch gönnen, zum generellen Aufwärmen nach nun schon fast einem ganzen Jahr Winter. Und dann gings wieder schwups, wie der Sausewind in knackigen 20h Bus ins 20 Grad kältere Buenos Aires.

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Auf nach Uruguay!

Während ich das schreibe, sitze ich in einem Bus von Colonia nach Montevideo. Der uruguayische Busfahrer teilt sich mit dem Kontrolleur eine Mate, isst einen Hamburguesa und fährt so mas o menos konzentriert über die Autobahn zur Hauptstadt Uruguays.
Ja, Argentinier trinken viel Mate. Uruguayos atmen Mate.

Wenn man wissen will, ob man einen Uruguayo (ausgesprochen: Urugascho; ein Wort, das ich sehr gerne sage!) vor sich sich hat, muss man eigentlich nur kontrollieren, ob er einen Mate-Becher in der Hand und eine Thermosflasche unter denn Arm hat.
Uruguay soll das Land sein mit dem höchsten Lebensstandard in Südamerika. Außerdem sehr liberal: Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und Cannabis sind erlaubt. Auf einen der ca. 3Mio Uruguayos kommen vier Kühe. 80% der Kirchen Uruguays sind geschlossen, weil ein Großteil der Bevölkerung Atheist ist. So weit zu den Fun Facts über Uruguay.
Colonia liegt genau gegenüber von Buenos Aires am Rio de La Plata. Mit der Fähre überquert man das „süße Meer“ und ist in einer Stunde im anderen Land. Die Altstadt Colonias ist UNESCO Kulturerbe und man findet eine sehr alte Kirche, eine sehr alte Stadtmauer und einen sehr alten Leuchtturm, jedenfalls für amerikanische Verhältnisse (spätes 17.JH).

Von Portugiesen als Seezugang für Brasilien gegründet, von Spaniern erobert. Wenn man den alten Leuchtturm hochsteigt, kann man die Hochhäuser von Buenos Aires am Horizont sehen. Die Kolonialgebäude im Städchen gibt es sowohl im spanischen als auch im portugiesischen Stil und vieles ist noch original aus dieser Zeit. Zum Beispiel manches Kopfsteinpflaster, bei dem man sich schon beim Angucken sorgen um einen Bänderriss macht. Ansonsten ist die Innenstadt einfach bezaubernd!

 Am Abend kann man dann noch die Sonne im Rio de La Plata untergehen sehen und dann mit den ganzen Argentinischen und brasilianischen Touristen weiter nach Montevideo fahren!

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Ein kulturweit-Freiwilliger ist auch nicht perfekt

Was für ein Wochenende. Plötzlich hatte ich keine Wohnung mehr, dafür gute Freunde und viel Kuchen.

Das mit der Wohnung ist eine lange Geschichte, die einen verrückten Vermieter und zwei panische Mädels enthält. Am Ende des Liedes strandeten Pia und ich mit einem Haufen Koffern und kaum noch Nerven bei Manuel und Anita. Neue Wohnung muss her, zumindest noch für zwei Wochen bis zu den Winterferien. Diesen Gedanken blendeten wir erstmal aus, machten es uns für die Nacht auf dem Sofa gemütlich mit Eis, Hamburgern und Wein. Die nächste Nacht auf dem Sofa meiner Kollegin. Geburtstagsfeier mit ganz viel Kuchen und Selbstgebackenem. Die nächste Nacht bei einem anderen Freiwilligen und Schwupps. Ergab sich irgendwie alles einfach so. Manuel hat eine Freundin, die ein Zimmer vermietet. Die Französin, die dort grade wohnt ist genau bis zum Anfang der Winterferien im Urlaub, ich könne direkt einziehen. Friede Freude Eierkuchen. Natürlich gehört zu der Geschichte noch ein bisschen mehr Drama, Angst und Tränen, aber davon will ich garnicht erzählen. Sondern davon, dass ich gemerkt habe, was für gute Freunde ich hier mittlerweile habe und dass sich irgendwie immer alles irgendwie ergibt.

Und das hat mich angeregt, jetzt diesen Beitrag zu schreiben. Weil irgendwann immer etwas schief geht, weil nichts perfekt laufen kann. Hier meine – nicht ganz so dramatische- Hitliste der Lowlights und Fettnäpfchen. Da ich noch fast zwei Monate hier bin, werde ich die bestimmt auch nochmal aktualisieren müssen.

  1. Als ich für ein Wochenendtrip meine Busfahrtickets in der Schule ausdrucken wollte und der Drucker nicht ging. Erster Reflex: tausend Mal auf den Druck-Knopf drücken. Tatsächlich hatte ich einfach nur den falschen Drucker ausgewählt und ein paar Minuten später kam Gabi aus dem Sekretariat stinksauer zu mir mit unzähligen Busticktes, gedruckt auf steifem, ofiziellem Zeugnispapier.
  2. Als ich mit zwei Schülern Deutschaufgaben machte und den einen, sehr kleinen und dünnen Schüler fragte, ob er in der 7. oder schon in der 8.Klasse sei, und er antwortete, er würde grad die 10. wiederholen.
  3. Als ich beim Mittagessen im Lehrerzimmer eine verbogene Gabel hatte und mir ausversehen damit in den Mund stach. Halb so wild, aber wegen des Schocks konnte ich über eine Stunde nicht aufhören zu heulen und so nach der Pause nicht wieder in den Unterricht.
  4. Als ich in meiner ersten Woche den falschen Bus nahm, irgendwo in den Armenvierteln gelandet bin und sich alle gefreut haben, dass man mich überhaupt noch lebend und mit meinem Handy wieder gefunden hatte.
  5. Als ich der Fachleiterin von Deutsch stöhnend erzählte, dass die eine Klasse so laut war, dass ich Kopfschmerzen bekommen hatte und sie darauf hin die zuständige Lehrerin anmeckerte, Henni hätte gesagt, sie hatte ihre Klasse so garnicht im Griff.
  6. Als ich einen Kollgen etwas zu den Falkland-Inseln fragte und er nur total wütend fragte „DEN WAAAAS???“ (Man muss in Argentinien unbedingt Islas Malvinas sagen, der britische Name ist hier absolut nicht gern gehört).
  7. Als ich mir den selbstgestrickten Schal von Pia ausgeliehen hab, um ihn am nächsten Tag im Bus zu vergessen.
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Traditionen

Am Sonntag waren wir bei meiner Kollegin zum Asado eingeladen. Asado ist Grillen, nur halt ein bisschen – es gibt kein angemesseneres Wort- geiler.

Zuerst einmal hat mich erstaunt, dass wir nicht bei meiner Kollegin zuhause waren. Wir sind ins Haus ihrer Schwägerin in der Provinz gefahren, weil das einen Garten hat. Die Schwägerin war allerdings mit ihrer Familie verreist. Perfekt also, um mit zwei Familien plus Pia und mir ein Essen zu veranstalten. Ich stelle mir vor, wie ich meiner Tante vorschlage, mit 10 Freunden bei ihr zu kochen, wenn sie nicht da ist.

Beim Asado wird für jeden Esser etwa 1kg Fleisch eingeplant. Teilweise damit man auf jeden Fall genug hat und teilweise, damit man am nächsten Tag nochmal Asado essen kann.

Es kommt nicht irgendein Fleisch auf den Grill. Es gibt bestimmte Sachen, die zu finden sein müssen: Chorizo (deftige Wurst), Nieren, Rippchen, Morcilla (Blutwurst) und gefühlt eine halbe Kuh.

das Fleisch wird einfach nur gesalzen und vom Grillmeister bewacht. Diese Menge Fleisch war für 12 Leute, drei davon unter 10 Jahren.

Mein absoluter Liebling ist die Morcilla, also die Blutwurst, geworden. Wenn sie fertig gegrillt ist, ist die Pelle hart und knackig und innen ist die Wurst ganz weich. Es gibt einmal die normale Variante der Blutwurst oder „Morcilla vasca“, eine süße Wurst mit Rosinen und Zimt drin. Klingt vielleicht komisch, ist allerdings der Hammer.

Ein paar Salate als Beilagen, Saucen gibt es keine. Man trinkt entweder Wein, Bier oder Fernet mit Cola oder alles hintereinander.

Am 20. Juni feiert man in Argentinien den „Día de La Bandera“ also den Nationalfeiertag zu ehren der Argentinischen Flagge. Es ist der Todestag von Manuel Belgrano, der die Flagge mal designt hat. Das heißt freier Deinstag und wieder ein Hoch auf Argentinien mit seinen ganen Feiertagen. Ich trage natürlich in diesem Moment eine Anstecknadel mit der argentinischen Flagge.

Eine andere Kollegin hat mich heute eingeladen, mit ihr zu einem Fest ihrer Gemeinde zu fahren. Es waren unglaublich viele Memschen in der modernen Kirche in Lanus versammelt, die absolut nicht aussieht wie eine Kirche. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich, wenn ich zwei Katholiken frage, ob sie regelmäßig in die Kirche gehen, die Antwort bekomme: „ja immer, mein Mann spielt bei der Messe die Bassgitarre“. Unorgelich.

Zu Essen gabs Locro beim Gemeindefest. Ein traditioneller, sättigender Eintopf mit Linsen, Bohnen, Gemüse und (natürlich) Fleisch. Auf der Top ausgerüsteten Bühne mit Musikequipment, das mein Musikerherz neidisch gemacht hat, wurde dann noch Folklore getanzt und gesungen. „Gracias a la vida, que me ha dado tanto“, beispielsweise. Danke an das Leben, das mir so viel gegeben hat.

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Chinatown und der tote Fahrer

Klingt wie ein Sherlock Holmes Krimi, wird es leider nicht.

Gestern war ich das erste Mal in Chinatown AKA dem Barrio Chino in Buenos Aires. Barrio (Stadtviertel) ist allerdings sehr übertrieben, da das Barrio Chino so ungefähr zwei halbe Strassen umfasst. Die sind dafür aber vollgestopft mit chinesischen Restaurants, Ornamenten und Sushi. Genau das habe ich gestern auch probiert, nachdem mich meine Koordinatorin aus der Schule spontan zum Essen eingeladen hat. Ich weiss nicht, ob es das auch in Deutschland gibt, aber wenn ja, muss ich wissen, wo: frische, komplette Sushirollen aus dem Kühlregal. Für umgerechnet ein paar Euro kann man sie dort im Supermarkt mit verschiedensten Füllungen kaufen, sie zuhause in beliebig grosse Stücke schneiden (Oder reinbeissen, aber das ist dann wohl nicht ganz stilgerecht) und glücklich sein. Trotzdem vergisst natürlich niemand, dass man sich in Argentinien befindet, und so sind die Frühlingsrollen mit Hackfleisch gefüllt. Empanadas gibt es auch, ich muss allerdings sagen, dass ich noch nie so schlechte gegessen habe wie im Barrio Chino…

Die Supermärkte in Chinatown sind auch die einzige Quelle für Kokosmilch, die ich bis jetzt ausfindig machen konnte. Die erste Kürbissuppe diesen Herbst haben wir aber diese Woche schon ohne hinbekommen.

Donnerstag ist der einzige Tag der Woche, an dem ich nicht mit dem Auto mitgenommen werden kann und deswegen den Bus nach Lanús nehmen muss. Das ist auch kein Problem, es gibt eine Linie die ganz gut von meiner Wohnung bis zur Schule durchfährt. Letztens klebte im Bus ein selbstgeschriebenes Schild: Liebe Passagiere, auf dieser Linie kam es in letzter Zeit oft zu Diebstählen und Gewalt gegen andere und den Busfahrer. Sollte sich das nicht bessern, wird es Konsequenzen geben (so ungefähr übersetzt). Ich hab mir darüber nicht weiter Gedanken gemacht.

Heute morgen warte ich dann wie immer auf den Bus, der eigentlich alle zehn Minuten kommt, bis mir jemand nach zwanzig Minuten sagt: wartest du etwa auf die 9? Die fährt nicht mehr, sie haben einen Busfahrer getötet. Bueeeeeeno, denke ich, vielleicht besser, nicht mehr mit der 9 zu fahren. (Ich habe später rausgefunden, dass es garnicht in der Linie 9 passiert ist, sondern aus Solidarität alle Süd-Linien der Stadt gestreikt haben). Es gibt nur leider keine andere Möglichkeit nach Lanús zu kommen. Naja, lange Rede kurzer Sinn, ich habe heute ein bisschen das Zentrum von Lanús kennengelernt und einen Rekord im zu spät kommen aufgestellt.

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Henrique Iglesias

Letzte Woche habe ich mit meinem Spanisch Kurs angefangen. Auch wenn ich eigentlich schon sicher spanisch sprechen kann, habe ich noch ein ganz bestimmtes Ziel: Dass ich nicht nach zwei Sätzen gefragt werde, wo ich denn her komme. Für mich mit meinem insgesamt doch recht blondem Aussehen eine doppelte Herausforderung. Auch mein Name verrät mich leicht. Den Satz „Ich dachte du wärst ein Mann“ habe ich nun schon so um die 10 Mal gehört. Und nein, das liegt (ziemlich sicher) nicht an meiner männlichen Erscheinung, sondern daran, dass man hier denkt, Enrique Iglesias und ich hätten den gleichen Vornamen. Weil ich nicht nicht aussehe wie ein Enrique, wird mir mein Vorname meistens einfach nicht geglaubt. Mir werden lieber neue Namen gegeben wie Enriqua, Erika oder Enriquetta. Auch mein Spitzname „Henni“ fällt nicht leicht, da das „H“ im spanischen nicht gesprochen wird. Ich muss mir also angewöhnen auf „Jenny“ und „Enri“ zu reagieren. Immer öfter steige ich auch auf meinen Zweitnamen „Marie“ um (z.B. läuft meine Paybackkarte für den Supermarkt auf diesen Namen) . Daraus wird zwar auch meistens Maria, aber immerhin sorgt das für weniger Verwirrung um mein Geschlecht. Da haben meine Eltern vor 18 Jahren einfach nicht drüber nachgedacht, was ich für Probleme in Argentinien haben könnte.

Marie hieß ich auch bei einem Tango-Nachmittag im Kulturzentrum im Stadtteil Boedo. In einer großen Halle kamen am letzten Sonntag ca. 50 Argentinier aus der Nachbarschaft zusammen um Tango zu tanzen, neue Schritte zu lernen und natürlich Mate zu trinken. Wie bei so vielen der kulturellen Veranstaltungen hier, war der Eintritt kostenlos und für jedermann. Eine schöne Alternative zum Tatort auf der Couch, finde ich. Tatort hätte man natürlich nicht gesehen, sondern Fussball. Letzten Sonntag spielten nämlich die „Clasicos“. River gegen Boca, arm gegen reich, Süd gegen Nord. Straßen leer, alle vor den Fernsehern. Oder halt beim Tango.

Was mir immer wieder auffällt und auch die zahlreichen Brandblasen an meinen Händen beweisen, ist, dass es in Argentinien eigentlich nur Gasherde gibt. Verständlich, wenn man bedenkt, dass  man, vor allem in der Provinz, mit häufigen Stromausfällen rechnen muss. Zitat: „Stell dir das mal vor, der Strom fällt aus und du kannst dir nicht einmal mehr eine Mate machen!“ Horrorszenarien.

Auch die Geschirrspülmaschine findet man in den meisten argentinischen Küchen nicht. Ich wurde gefragt, ob wir diese große Maschine zuhause in Deutschland denn überhaupt voll bekommen mit nur vier Personen. Diese Frage hatte sich mir bis dahin noch nie gestellt.

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Der Mai ist gekommen

Ein bisschen traurig war ich ja schon, dass ich dieses Jahr nicht zum Tanz in den Mai im Weltberühmten Zelt von Degersen gehen konnte. Ich muss aber sagen, dass ich das lange Wochenende in Buenos Aires auch ganz gut rumgekriegt habe. Nachdem ich letzten Donnerstag noch innerlich mit mir gerungen habe, ob ich meine Winterjacke aus dem Koffer hole, habe ich nun seit fünf Tagen keine einzige Wolke mehr gesehen. Dazu Temperaturen um die 20 Grad und herrlich bunte Herbstbäume. Ein wunderschönes September-Wochenende im April.

Samstag gings dann auf nach Tigre. Das ist eine Stadt, die man von Buenos Aires aus in einer halben Stunde mit dem Zug erreichen kann. Trotzdem fühlt man sich unendlich weit weg. Nach Tigre fährt man aus der Stadt, um sich zu erholen, spazieren zu gehen, grün zu sehen. Das wollten wir auch mal ausprobieren. In Tigre ist das Flussdelta des Rio de la Plata. Ich hatte erwartet, dass der in Buenos Aires so unappetitlich braun aussehende Fluss dort im natürlich flussigen blau-grün fließt. Aber denkste. Wenn möglich, ist der Fluss in Tigre noch brauner und sieht noch ungesünder aus. Das hat die Bootfahrt zwar ein bisschen getrübt (wie der Fluss selbst), aber eine Bootfahrt ist ja immer lustig, eine Bootfahrt die ist schön.

Was nicht so schön ist, ist die Mückenplage, die grade die Provinz Buenos Aires überfällt. Im Norden gab es Überschwemmungen, was nun hier dazu führt, dass ständig zehn Mücken um einen kreisen. Und diese anstandslosen Tiere schrecken wirklich vor nichts zurück. Die argentinischen Super-Mücken bringen es sogar fertig, durch Jeanshosen zu stechen. T-Shirts stellen natürlich erst recht kein Problem dar. Dass die eigentlich nachtaktiv sind, scheint sie auch nicht zu jucken, mich dafür umso mehr. Das kann einem einen entspannten Parkaufenthalt schon mal kaputt machen.

Die Parkkultur ist hier sehr ausgeprägt. Jedenfalls kenne ich es von zuhause nicht, dass man seinen Tag im Park verbringt. In Buenos Aires gibt es überall kleine, mal größere Parks. Am Wochenende sind die rappel voll, erinnert mich an das Freibad in Gehrden Mitte Juli. Man nimmt einfach seine 1 1/2L Thermoskanne mit heißem Wasser und Mate mit, setzt sich auf eine Decke und lässt den Tag auf sich zu kommen. Verkäufer mit gebrannten Mandeln, Kuchen oder Empanadas kommen rum, irgendwer spielt Musik oder trommelt. In einem Park im Viertel Almagro steht ein kleinen Häuschen von der Stadt, dort kann man sich kostenlos wiegen lassen und seinen Blutdruck sowie Cholesterin-Spiegel messen lassen, wie praktisch.

Am Sonntag Vormittag war ich zum ersten Mal im Teatro Colón, ein außen und innen prächtiges Theater-Gebäude im Zentrum. Jedes Wochenende gibt es dort kostenlose Konzerte und ich habe mir ein Ticket für ein Klavier-Cello-Duo ergattern können. Es war unglaublich beeindruckend und ich hoffe, ich werde es öfter schaffen, die vielen kostenlose Konzerte und Veranstaltungen nutzen zu können, die von der Stadt angeboten werden.

Heute durfte ich ausschlafen und musste ausnahmsweise mal nicht um 6 Uhr aufstehen, um um viertel vor acht in der Schule zu sein. Nein, heute geht es nämlich zu einem Vortrag von Bernhard Schlink („Der Vorleser“) mit den Schülern der Oberstufe. Das heißt zwar, dass ich erst um 10 heute Abend zuhause bin, aber das ist für mich doch deutlich angenehmer, als früh aufzustehen. In den ersten zwei Schulstunden bin ich sowieso meist zu nichts zu gebrauchen, weil es erst ab der ersten Pause Kaffee im Lehrerzimmer gibt. Den trinke ich auch gefühlt immer alleine, weil die meisten Lehrer eher Mate trinken und die übrigen nur so tun, als würden sie Kaffee trinken, indem sie in ihre halbe Tasse fünf Löffel Milchpulver und drei Liter Süßstoff kippen (Achtung Übertreibung). Das Leben sei schon bitter genug, sagt man in Argentinien.

 

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Ein Essensbeitrag

Da reist man um die halbe Welt, um dann feststellen zu müssen, dass auch in Argentinien Wettervorhersagen ziemlich unzutreffend sind.

Heute habe ich es zum zweiten Mal geschafft, Strumpfhose und Kleid im Platzregen anzuhaben. Als Wiedergutmachung von mir an mich gabs dann in der Bäckerei zwei Facturas, also süße Hefeteilchen (die meistens keine 40Cent kosten, mal also Gefahr läuft, oft welche zu essen), an denen ich sonst immer vorbei laufe.

Jetzt bin ich wieder halbwegs trocken und kann von weiteren Abenteuern berichten. Zum Beispiel von meinem Besuch auf dem Markt von Lanús am letzten Freitag. Schon in meiner ersten Woche wurde mir gesagt, ich muss dort unbedingt Freitags in der Mittagspause hin, es gebe dort nämlich frittierte Empanadas. Ich, als großer Empanada (und Frittiertes)-Fan, habe direkt Herzklopfen bekommen und es mir fett im Kalender angestrichen. Als ich dann endlich dort war, habe ich auch das „Sprichwort“ verstanden, das mir eine Lehrerein gesagt hatte: Je dreckiger der Stand, desto besser die Empanadas.

Ich habe mich selten blonder gefühlt und meine „Ich bin nicht von hier-Aura“ so gespürt, wie auf diesem Markt. Die Schüler, die natürlich auch alle zum besagten Stand gepilgert sind, staunten sehr, als sie mich dort sahen. Ich kann gar keinen bestimmten „argentinischen Stereotypen“ nennen, aber ich stelle immer wieder fest, dass ich definitiv nicht drin bin.                         Als ich schließlich in meine erste frittierte Schinken-Käse-Empanada biss, wurde mir erst klar, was ich da in der Hand hielt: Mini-Calzone! Ein Träumchen.

Viele Schüler fragen mich, wie deutsche Empanadas so seien. Ich antworte meistens mit einem relativ schlechten Wortwitz, den Sara vor einiger Zeit mal gemacht hat: EmpaNADA

Am Wochenende haben Pia und ich dann auch unsere ersten selbstgemachten Empanadas gebacken. Als ich das Ergebnis am Montag im Lehrerzimmer präsentierte, ging ein Raunen durch den Raum. Backen können sie, die Deutschen, ließ Carlos verlauten. Na Danke. Auch wenn die besten Empanadas eigentlich immer die mit Hackfleisch sind, waren unsere mit Kürbis gefüllt. Das hat sich nämlich inzwischen, zusammen mit Spinat und Dulce de Leche, zu einem meiner Grundnahrungsmittel gemausert. Sehr günstig, immer vorhanden und echt lecker. Gestern gab es Kürbis-Spinat-Quiche, vorgesestern Kartoffeln mit Kürbis-Spinat-Pfanne, Sonntag Kürbis-Empanadas…

Eine weitere Premiere war das Steak, das wir uns am Samstag gebraten haben. Tatsächlich verdammt lecker.  Das kann echt was, das argentinische Fleisch und mehr als die Hälfte günstiger als in Deutschland ist es auch noch. Mit argentinischer Fachberatung habe ich auch gelernt, wie einfach Steakbraten doch eigentlich ist. Ich werde meine Empanadas zwar weiterhin mit Kürbis füllen, aber mich vielleicht doch auch mal trauen, ein Steak zu braten. Ist ja schließlich eine Fertigkeit, die man sich in Argentinien ganz gut aneignen kann.

 

 

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Wo Argentinien Urlaub macht

Über das lange Osterwochenende nach Mar del Plata. Guter Plan, dachten wir, hahaha, dachte die Sonne. Schlimm, diese Europäer, die denken, es gäbe keinen Winter in Argentinien. Wir mussten dieses Wochenende einsehen: die haben sogar einen recht frischen Herbst! Was macht man an einem Strandörtchen, wenn vamos a la playa keine Option ist? Die Antwort auf diese Frage kam Mira und mir recht schnell: Essen.

Zum Glück ist Mar del Plata für gleich mehrere Speisen berühmt: Churros gefüllt mit Dulce de Leche (frittierte, gezuckerte Teigrollen), Alfajores (Doppelkeks mit Dulce de leche dazwischen und meistens mit Schoko überzogen) und Fisch in allen Variationen. Der Satz „Man gönnt sich ja sonst nichts“ fiel viel zu oft, als dass er stimmen könnte und so futterten wir uns munter durch den herrlichen Süßkrams der Atlantikküste. Einen Abend nutzen wir, um die lokalen Biere zu testen. „Artesanal“ ist voll im Trend, die großen Biermarken eher uncool. In wunderschönen Bars, mit Lichterketten, Glasfront und Holzeinrichtung, kann man sich in „Mardel“ durch alle Farben und Geschmacksrichtungen der Hefebrause probieren. Für etwas zu viel Geld vielleicht, aber man gönnt sich ja sonst nichts. Es ist eben genau das, was man braucht, wenn man zuvor 2kg Dulce de Leche und frittierten Fisch gegessen hat.

Ein weiteres Highlight von Mar del Plata ist der Hafen. Undzwar nicht nur die wunderschön zerfallenen orangenen Schifferböötchen, oder die Imbissläden mit riesen Portionen Calamari, sondern vor Allem die Seelöwen. Ja genau, Seelöwen. Eine Kolonie sonnt sich jeden Tag am Hafen und wird von hunderten Touristen bestaunt. Die Polizisten von Mar del Plata haben dabei die Aufgabe dafür zu sorgen, dass niemand den Tieren zu nahe kommt.

Seelöwen sind schon ulkige Tiere. Riesengroß, fett und relativ hässlich, aber trotzdem werfen sie sich immer in die Yogapose „Kobra“. Diese Yogapose ist auf sämtlichen Logos der Stadt zu finden. Hier eine Nachbildung aus Alfajores- Papierchen:

Ob mir Mar del Plata gefallen hat? Weiß ich nicht. Vielleicht fehlte einfach die Sonne, aber schön fand ich die Stadt nicht. Wobei die Architektur der Stadt schon sehr besonders ist. Anscheinend meinte irgendwer Anfang des 20. JHs, man müsse die Baukunst des europäischen Mittelalters nochmal in Argentinien auflaben lassen. Man findet in der Stadt Häuser im Tudor-Stil, eins, das aussieht, wie das Shakespeare-Theater in London, kunstvolle Fachwerkhäuser und eine Art Ritterburg (von 1912). Daneben stehen heruntergekommene Hochhäuser im fragwürdigen Streifen-Design oder auch komplett verfallenen Gebäude. Geht man ein bisschen aus der Stadtmitte raus, kommen dann aber auch schon die prächtigen neuen Ferienwohnungen und 5-Sterne Hotels, man gönnt sich ja sonst nichts (Spaß, wir waren natürlich standesgemäß im Hostel).

Zwei Dinge, die ich meinem Körper jetzt langsam beibringen muss:

– auch wenn es April ist, wird es bald kälter, nicht wärmer!

– Für Wärme geht es nicht „ab in den Süden“ sondern hoch in den Norden

ist schon Sau kompliziert auf der Südhalbkugel.

 

 

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