„die Welt retten“ auf der To-Do Liste

Eine Organisation, die für kulturellen Austausch sorgt und somit zu einer toleranteren Gesellschaft beitragen möchte? Das klingt doch – vor allem nach dem Ergebnis der Bundestagswahl – nach einer echt guten Sache!

 

kulturweit setzt sich für eine weltoffene Gesellschaft im Sinne der UNESCO ein. Im Zentrum steht ein lebenslanger Prozess der Persönlichkeitsentwicklung entlang der Themen Kultur, Bildung und Menschenrechte. Zentral ist die Vermittlung einer ethischen Haltung, die den Werten des Friedens, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit verpflichtet ist.

https://www.kulturweit.de/programm/%C3%BCber-kulturweit

 

 

Als ich letztes Jahr auf der Suche nach einer Möglichkeit für einen Auslandsaufenthalt war, war ich von „kulturweit“ sofort begeistert. Ich wollte unbedingt Teil von dieser engagierten, sozialen und visionierten Gesellschaft sein und damit den Punkt „die Welt retten“ auf meiner To-Do Liste angehen. Sowieso unmöglich meint ihr jetzt? Das war mir auch klar, aber ich wollte wenigstens so viel dazu beitragen, wie ich nun mal als einfache Abiturientin aus Baden-Württemberg kann. „kulturweit“ bot sich da als perfekte Opportunität an und verband auch gleichzeitig noch meine Interessen an Kultur, Sprache und fremden Ländern. Denn vor dem Punkt „die Welt retten“ kam der Punkt „die Welt kennenlernen“ – man muss ja erst wissen was man retten will, oder nicht? Immerhin muss man eine Person auch erst mal kennenlernen, bevor man mit ihr befreundet oder in einer Beziehung sein möchte. Vielleicht entscheidet man sich ja doch noch mal um…

Also ich hatte mit meiner Zusage und der Einsatzstelle in Tirana einen guten Plan in der Tasche.

Doch wie ich es schon in meinem Bericht über das Vorbereitungsseminar hab anklingen lassen, habe ich mich jetzt auch schon kritisch mit meiner Organisation auseinandergesetzt. In Berlin wurden uns die Ziele von „kulturweit“ nahe gebracht und wir haben mehrere Seminare besucht, durch die wir toleranter und (welt-)offener werden sollten. (Hat auch ganz gut funktioniert.) Wir haben uns aber auch mit einem Text befasst, in dem ehemalige Freiwillige kritisch über ihren Freiwilligendienst sprechen. Darüber habe ich mir die letzten Tage wieder Gedanken gemacht. Denn was uns im Vorbereitungsseminar beigebracht wurde, wird nicht umgesetzt, weil es teilweise einfach nicht möglich ist oder mehr Arbeit bedeuten würde. Beispiel: wer möchte sich auch bitte die Mühe machen, alle Individualitäten von Deutschland zu zeigen, wenn man auch einfach über die Stereotypen reden kann. Das ist einfacher und stimmt doch genauso. Die Schüler hören solche Stereotypen aus dem Mund eines Muttersprachlers auch unglaublich gerne und wirkliche alle Facetten von Deutschland zu präsentieren, ist kaum möglich, würde ich behaupten. Also wo bitteschön liegt der Fehler? Es ist doch jedem geholfen.

 

Der Fehler liegt tief verwurzelt im System. Als idealistische, naive Jugendliche wollte ich etwas zur Gesellschaft, in der ich lebe, beitragen und etwas Gutes tun. „kulturweit“ hat mir gezeigt, dass ich zur Elite und dem priviligierten Teil der Gesellschaft gehöre (auch wenn ich das zuvor nie so gesehen habe) und somit zu den wenigen gehöre, die etwas ändern können, wenn sie es nur wollen. Denn ändert man etwas an der Ungerechtigkeit, gibt man etwas von seinen Privilegien ab und es geht einem „ein bisschen schlechter“. Seine elitäre Stellung aufgeben, um anderen zu helfen, möchte nicht jeder und das kann einem niemand übel nehmen. Denn wenn man mal ehrlich zu sich selbst ist, merkt man schnell, dass einem das Leben, das man als Elite hat, gefällt. Ich bin ehrlich zu euch: Ich gebe meine Privilegien auch nicht gerne auf. Und das obwohl ich euch am Anfang von diesem Bericht noch von meinem Vorhaben, die Welt zu retten, erzählt habe. Ich habe also relativ schnell gemerkt, dass zwei meiner Interessen miteinander kollidieren – eins von beidem muss ich Wohl oder Übel aufgeben.

(Denjenigen, die jetzt sagen „Nee, Elite und Privilegien…das hat nichts mit mir zu tun“,  kann ich nur sagen, doch sehr wahrscheinlich schon. Googelt mal nach der Privilegienliste, geht sie durch und schaut welche Privilegien ihr habt. Ich war erstaunt als ich den Test selbst gemacht habe.)

Und durch meinen Freiwilligendienst bin ich sogar noch priviligierter geworden. Ich habe eine begehrte und seltene Möglichkeit bekommen, bei der ich für ein halbes Jahr ein fremdes Land kennenlernen kann und das finanziert vom Staat. Die Organisation unterstützt somit nur noch mehr das System der Privilegien. (Denn die Freiwilligen sind meist Abiturienten oder Studenten.) Ich selbst trage also durch meinen Freiwilligendienst ebenfalls zur einer Verschlechterung bei, trotz guter Absichten. De facto wird die Elite noch priviligierter. Was hat das noch mit Gerechtigkeit zu tun?

 

Ein weiterer Punkt bei dem das Projekt „kulturweit“ leider das Gegenteil bewirkt als es sich als Ziel gesetzt hat ist der, dass ich durch meine Arbeit als Freiwillige an einer Eliteschule eigentlich kontraproduktiv für die Entwicklung des Landes bin. Wir bilden und fördern die Besten der Besten, damit sie zu uns kommen können, um zu studieren. Keine Frage, wir verbessern natürlich dadurch die Chancen des Einzelnen, die dann eine gute Ausbildung genießen können. Aber wir machen es dem Land unmöglich, sich selbst aufzubauen und zu verbessern – dafür fehlen ihm ja die guten Leute. Was hat das mit ethischer Haltung zu tun?

 

 

FAZIT:

Um hier nicht so negative Stimmung zu verbreiten, muss ich auch ganz ehrlich sein, dass ich trotz dieser schwerwiegenden Argumente immer noch von dem Projekt überzeugt bin. Ich selbst nehme wahnsinnig viel (jetzt schon nach gerade mal zwei Wochen…) aus diesem FSJ mit. Eine lebenslange Persönlichkeitsentwicklung ist mir durch das FSJ auf jeden Fall garantiert. Und als Individuum kann ich viel aus dem Projekt machen und dafür sorgen, dass es auch wirklich ein kultureller AUSTAUSCH und kein reiner EXPORT deutscher Kultur ist. (Hier kommt die Schwamm-Theorie des Auswärtigen Amtes wieder ins Spiel.) Ich werde mich also bemühen und so viel wie möglich aus dieser einmaligen Gelegenheit mitnehmen!

 

Ich werde mich bald wieder bei euch melden und euch dann von meinen letzten Erfahrungen berichten. Es ist in der Zwischenzeit nämlich wieder viel passiert!

Bis dann! 🙂

11 Gedanken zu “„die Welt retten“ auf der To-Do Liste

  1. Hallo Tamara,
    erstmal finde ich es positiv, dass du dir bewusst machst, dass das Weltretten nicht so leicht ist 🙂 Aber die Sache ist auch nicht so schwarz-weiß, wie du sie malst. „Ich habe also relativ schnell gemerkt, dass zwei meiner Interessen miteinander kollidieren – eins von beidem muss ich Wohl oder Übel aufgeben.“
    Nein. Deine Aufgabe ist, seit dir das mit der Kollision klargeworden ist, halt einen Kompromiss zu finden, wie du so viel wie möglich von beiden Zielen erreichen kannst.
    Das mit den Stereotypen sehe ich ebenfalls anders. Auch hier sehe ich kein Entweder-Oder. Natürlich ist es einfach, praktisch und naheliegend, Stereotype über Deutschland zu verbreiten. Aber das macht es noch lange nicht gut (im Gegenteil, ich finde es ziemlich schlecht.) Jeder kann ohnehin nur einen winzigen Ausschnitt eines Deutschland-Bildes vermitteln. Aber der Ausschnitt sollte halt ausgewogen sein und das Land nicht nur auf Bier, Dackel, Lederhosen reduzieren. Oder?
    Wie gesagt finde ich es toll, dass du so viel reflektierst und kritisch bist. Nur sehe ich manche Dinge nicht so absolut und unverrückbar wie du.
    Wünsche dir ganz viele tolle Erlebnisse
    M

    • Hallo Marina,
      erst einmal vielen Dank für dein Kommentar! Es freut mich, dass mein Beitrag zur Diskussion anregt und ich muss zugeben, dass ich mittlerweile manches auch wieder anders sehe. Meine Meinung zu dem Thema entwickelt sich von Tag zu Tag, da ich immer wieder in einer anderen Situation damit konfrontiert werde.
      Diesen Beitrag habe ich geschrieben, nachdem ich deprimiert feststellen musste, dass ich vieles nicht so machen kann, wie ich es mir vorgestellt habe. Nun bin ich dabei, mir darüber klar zu werden, wie ich am besten mit meiner Situation umgehe und ich versuche natürlich, einen Kompromiss zu finden, nur ist das alles andere als einfach und man kommt immer wieder in Versuchung, alle Prinzipien über Bord zu werfen, da es so viel einfacher ist, z.B. nur ein einseitiges Bild von Deutschland weiterzugeben.
      Ich strenge mich aber an und reiße mich immer wieder zusammen.
      Vielleicht sollte ich manches flexibler sehen so wie du das tust.
      Darf ich fragen ob du auch kulturweit-Freiwillige bist/warst oder wie du auf meinen Blog kamst? Das würde mich interessieren:)
      Vielen Dank! Das werde ich haben;)
      Grüße aus Tirana,
      Tamara

  2. Danke für diesen Artikel, nach langen Suchen habe ich so einen Test gefunden. Vielleicht nächstes Mal einfach verlinken ;).
    Man wird sich dank deinem Artikel bewusst wie wichtig es ist, das gerade privilegierte Menschen wie Abiturienten und Akademiker eine ganz besondere Verantwortung für die Gesellschaft in Deutschland und der Welt haben.
    Schade, dass so viele mit dieser Verantwortung so schlecht umgehen.

    • Vielen Dank für Dein Kommentar!
      Das werde ich machen;) Vielleicht kannst Du für dieses Mal den Link, wo Du den Test gefunden hast, in einem Kommentar für alle anderen teilen? Das wäre super!
      Du hast Recht, dass das schade ist. Viele gehen aber einfach damit so schlecht um, weil sie sich der Verantwortung nicht bewusst sind. Ich hoffe, dass ich das mit meinem Bericht bei manchen ändern konnte. Andere wiederum wissen nicht wie sie am besten damit umgehen sollten. Zu den letzteren zähle ich mich zum Beispiel selbst. Ich beschäftige mich noch immer mit der Frage, was man tun kann bzw. tun sollte. Wenn Du darauf eine Antwort hast, würde es mich freuen, sie zu hören! Es hört sich so an, als hättest Du dir da jetzt auch schon Gedanken gemacht.
      Grüße:)

    • Ich denke, auf die Antwort wie man richtig Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt, muss jeder für sich herausfinden.
      Zu erkennen das Privilegien auch Verantwortung mit sich bringen, ist der erste Schritt der bei jedem gleich sein sollte, danach gibt es hunderte, wenn nicht sogar millionen, verschiedene Wege Verantwortung zu übernehmen. Und gerade so ein freiwilliges Jahr kann da viel bringen.
      Wichtig war mir immer, das ich jeder Zeit offen bin meinen Standpunkt zu überdenken.
      Bei mir war ein entscheidender Moment, in dem ich zum überdenken meiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft angeregt wurde, die Bekanntgabe der endgültigen Ergebnisse von meinem Abitur.
      Aber wenn du dich damit beschäftigst wird dir wie mir eines Tages klar werden was du wie machen willst und was dir für dein Leben, und das der nächsten Generation, wichtig ist.
      Zwar bin ich ein bisschen unzufrieden mit diesem Text aber belasse es erstmal dabei.
      Liebe Grüße aus Deutschland.

    • Dankeschön für die Links! Der eine ist glaube ich sogar fast der gleiche Test, den wir auf dem Seminar gemacht haben.

      Das ist auf jeden Fall der erste Schritt, da gebe ich dir Recht und die Vorstellung, dass es einen einzig wahren Weg gibt muss ich wahrscheinlich aufgeben. Ich hätte zwar sehr gerne eine vorgelegte Lösung, aber das ist auf so eine Frage nicht möglich.
      Dass ein FSJ dabei viel bringen kann, habe ich in letzter Zeit auch gemerkt. Man wird immer wieder mit Sachen konfrontiert und denkt auch über vieles nach, einfach weil man zum einen weit weg vom früheren Alltag ist und in manchem im Ausland bestimmte Privilegien nicht mehr hat, die davor normal waren.

      Darf ich fragen wieso genau dieser Moment dazu beigetragen hat? Ich habe in diesem Moment um ehrlich zu sein an ganz andere Sachen im Kopf gehabt 😀

      Ich hoffe es, dass ich das eines Tages genau sagen kann, aber ich bezweifle es. Ich glaube das ist ein lebenslanger Prozess. Denn was wichtig ist und was ich tun kann wird sich immer wieder ändern.

      Liebe Grüße aus Tirana,
      Tamara

    • Ich war nie ein schlechter Schüler, doch mein Abitur lief besser als ich je gewagt hätte zu träumen. Das verdanke ich auch meiner Familie, Freunden und noch einigen anderen Personen.

      Das meine allgemeine Hochschulreife so gut ist, macht es mir theoretisch möglich jeden Studiengang, den ich studieren will, zu studieren. Oder jede Ausbildung zu machen, die mich voranbringt. Somit war für mich nicht mehr die Frage was kann ich machen sondern was möchte ich machen. Ich habe die Qual der Wahl. Also konnte ich meinen Werdegang an den größten Träumen ausrichten die ich habe.

      Ein anderer Aspekt ist, das ich durch dieses gute Abitur ohne große Mühe zu zwei Stipendien gekommen bin. Also muss ich mir um die Finanzierung von meiner Ausbildung weniger Sorgen machen als der Großteil der Abiturienten.

      Ich versuche trotzdem die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Deshalb engagiere ich mich weiterhin sozial und mache ein FSJ.

      Ich weiß auch nicht im kleinsten Teil was ich machen will oder werde, aber ich habe meine Richtung gefunden an der ich mich wie an einem roten Faden entlang hangeln kann.

      Wie sagte einmal eine sehr kluge Person zu mir, Planen heißt, den Zufall durch den Irrtum zu ersetzen.
      Ein halbes Jahr vor meinem FSj wusste ich noch nicht, in was für eine großartige Stelle ich kommen würde. Ab und zu muss man auch einfach in der Gegenwart leben.

      MfG
      FG

    • Es tut mir leid, dass ich erst jetzt auf deinen Kommentar antworte!
      Ich finde es sehr bewundernswert, dass du diese Einstellung hast und es auch wirklich in die Tat umsetzt.
      Das FSJ ist da dann wirklich eine gute Möglichkeit dafür.
      Ich wünsche dir viel Erfolg und hoffe, dass du all deine Ziele erreichen wirst!
      Alles Gute weiterhin!
      Viele Grüße, Tamara

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