Innere Landkarte

Jeden Tag wird sie bunter, größer, realistischer, meine innere Landkarte. Ich habe das Gefühl, mit jedem neuen Eindruck wird mein Bild von Armenien dem Land gerechter. Bunte Springbrunnen bei Nacht, die zu klassischer Musik im Takt tanzen, Tänzer_innen auf einem Festival für zeitgenössische Kunst, die mich im Publikum einfach nur zutiefst berühren, Wälder, die durch und durch bunt gefärbt sind und mich ein bisschen in den deutschen Herbst hineinversetzen.
Tatsächlich ist es aber der armenische Herbst, der mich hier immer wieder zum Staunen bringt – zum Glück. Dieser Herbst bringt so viel Neues für mich, wirbelt einiges durcheinander und verpasst mir große Augen, wenn ich mitten in der Nacht an einer ganzen Kolonne von Frauen und Männern vorbeilaufe, die Yerevans Straßen von der Laubdecke befreien. Hier ist Laubkehren Handarbeit, kein „Staubsauger“ pustet durch die Stadt. Das Rascheln des Laubs mischt sich mit dem nie aufhörenden Lärm der Motoren von Autos, Bussen und Maschrutkas. So lebendig die Stadt sein mag, so sehr strengt sie mich auch an mit all ihrem Trubel.

Deshalb: Kontrastprogramm! Das habe ich in Sardarapat definitiv. Das Dorf ist klein, ich frage mich immer noch, ob es mir zu klein ist, um dort zu leben. Bisher habe ich die Lebendigkeit Yerevans Sardarapat vorgezogen. Vielleicht wird das so bleiben, vielleicht stimmen mich aber auch Momente wie letzten Freitag komplett um. Nach der Arbeit haben mich zwei Schülerinnen mit zur Kirche genommen, wir haben Kerzen angezündet und ich war wieder einmal überrascht, wie verbunden mit ihrer Religion hier nicht nur Erwachsene, sondern auch sehr junge Menschen sind. Neben der Kirche habe ich im Dorf später noch drei Mini-Kapellen entdeckt, die an eine Art Sammlung verschiedenster Auflagen der Bibel erinnern und wie kleine Oasen der Einsamkeit wirken. Die Herbstsonne hat mich letztlich dazu gebracht, viel länger umherzuspazieren, als geplant. Das ist ja eigentlich immer ein gutes Zeichen…

Und dann ist da noch der wunderschöne Dilijan-Nationalpark in der letzten Woche in meinen Fokus gerückt und hat mich seit dem nicht mehr losgelassen. Eine Landschaft, die einfach atemberaubend ist, wenn man die letzten zwei Wochen größtenteils in der Stadt verbracht hat. Die Bäume mit ihren bunten Blättern umgeben alte Klöster (davon gibt es in Armenien ja das eine oder andere) und geben manchmal auch den Blick frei auf die Hochgebirgszüge ein Stück weiter. Hier fühle ich mich definitiv willkommen. Also hieß es heute nochmal: Hitchhiking to Dilijan! Und ja, so viele Menschen trampen hier nicht, da waren unsere Chancen einfach gut. Was mir der kleine Ausflug aber auch mal wieder gezeigt hat, ist, dass ich mir mehr Zeit fürs Armenischlernen nehmen sollte. Ohne gemeinsame Verständigungsgrundlage ist es einfach schwierig, Erlebnisse mit Menschen zu teilen.

Meine Missionen also: Armenisch lernen.
Und eventuell auch Folgendes: konkretere Blogeinträge verfassen (ich gebe mir schon Mühe).