Archiv des Autors: Leon Portz

how it came

Wie kommt man, ohne Spanisch zu können oder Lehrer zu sein, zu einer Einsatzstelle als zumindest Co-Lehrer in Chile?

Ganz ursprünglich war geplant, das Jahr nach dem Abitur komplett mit einem Freiwilligendienst zu füllen. Wie unschwer erkennbar, hat das nicht funktioniert. Daher bin ich kein frischgebackener Abiturient, der sich vom FSJ die Erfüllung aller Träume von fremden Ländern, Kulturen und idealerweise dabei noch etwas Sinnvoll empfundenes zu machen erfüllt, sondern ein Abiturient, der sich aus ihm selbst bis heute eher schleierhaften Gründen sein erstes Semester in León, Nicaragua gestürtzt hat; unwissend, dass er, als einziger Deutscher, in einem Hostel und Studiengang voller Skandinavier, insbesondere Norweger, und einer Nicaraguanischen Minderheit, landen würde, und das der Wunsch, mehr als die drei spanischen Wörter – Hola, serveza, refrigerador -, die er ins Semester mitbrachte, sinnvoll verwenden zu können, ein Kampf gegen einen starken skandinavischen Einfluss werden würde.

In der Regenzeit in León war ich in den ersten Wochen definitiv fliessender in norwegisch als in spanisch, und mein Lieblingssatz, Jeg snakker ikke Norsk (ich spreche kein Norwegisch), kann ich in allen relevanten und einigen weniger relevanten Dialekten dieser Sprache sauber wiedergeben. In der ersten Hälfte des Semesters tauchte ich immer tiefer in die skandinavischen Eigenheiten und Bräuche ein und war nicht selten der, der sich über alle skandinavischen Klischees lustig machte, obwohl ich auch nach einigen Wochen merkte, dass zwei Sprachen gleichzeitig lernen, die so fundamental unterschiedlich sind, absolut ineffektiv ist.

Gerade in der Zeit Mitte August, als mein Norwegisch mir einfacher über die Lippen kam als Spanisch, bekam ich eine Mail von Kulturweit: Die Zusage für eine Einsatzstelle im Instituto Nacional, einer der namhaftesten Schulen Chiles, im Herzen von Santiago de Chile. Eine Stadt mit mehr Einwohnern als ganz Nicaragua. Nach nur wenigen Tagen hin- und herüberlegens sagte ich zu, wobei so ziemlich aller Papiergram an meiner Mutter zu Hause hängen blieb, da der Postweg von und nach Nicaragua doch im Schnitt drei Wochen pro Strecke benötigt. Danke, Mom! J

Die Monate gingen dahin bis kurz vor Weihnachten, wo ich dies hier in Bogotá (Colombia) schreibe, währen ich auf meinen Anschlussflug weiter nach Süden warte. Ich habe mich in den fünf Monaten in Nicaragua so weit von der deutschen Kultur entfernt, wie in dieser Zeit vermutlich möglich ist, wenn ich mir diesen überspitzten Superlativ erlauben darf. Selbst in Deutschland hätte ich mich nie als den „maximalen Klischeedeutschen“ bezeichnet. Mein Spanisch hat sowohl einen nicaraguanischen als auch einen skandinavischen Touch, mein Englisch hat sich mehr Wörter vom Spanischen und Norwegischen geliehen als gut für es ist. Ich habe mich wiedergefunden in vielen nicaraguanischen Sichtweisen und Einstellungen in der zweiten Hälfte des Semesters, die ich vorrangig mit Menschen aus Nicaragua, die sich selbst Nicas nennen, verbrachte. Und hierzu maximal passend wird meine Aufgabe sein, Deutsch zu unterrichten und ein „Botschafter deutscher Kultur“ zu sein – wohlgemerkt nach einem multikultureller Pädagogik beinhaltenden Semester, die mich dem Thema gegenüber sehr bedacht gemacht hat. Momentan habe ich absolut keinen Plan, wie ich das anstellen soll. Aber in meiner Zeit in Nicaragua habe ich für mich persönlich gelernt, dass ein Plan keine Voraussetzung ist, um etwas Grossartiges zu schaffen.

In diesem Sinne möchte ich mit einer spanischen Phrase schliessen, die zwar eher literarisch angehaucht ist, deren Benutzung aber doch meine tiefe Überzeugung ausdrücken soll, dass das „Übliche“ und das „Bekannte“ und, noch viel mehr, das „Bekannt geglaubte“ lediglich als Ausreden benutzt zu werden scheinen, deren Gegensätze zu scheuen, und welches man sicherlich lernt, lässt man sich auf andere Länder, Menschen oder Welten ein und kommt dazu, diese Drei zu hinterfragen.

¡Venga lo que veniere!

Der klassische erste Beitrag

Mein Name ist Leon, ich bin zur Zeit 19 Jahre alt und habe mein Abitur 2017 gemacht. Charakterlich verbinde ich Liebe zum absoluten Detail mit ordentlicher Verpeiltheit, bin kreativ, was die deutsche Rechtschreibung angeht, und würde mich als locker, aber sarkastisch beschreiben und als jemanden, der die Dinge hinterfragt und nachvollziehen möchte. Also irgendwie widersprüchlich, wie jeder Abiturient. 🙂

Was mich vielleicht etwas unterscheidet von den meissten Abiturienten und FSJ-lern ist, dass ich blind bin. Ich bin mit einem Genfehler zur Welt gekommen, der dafür sorgt, dass ein Netzhautprotein in meinem Auge nicht richtig synthetisiert werden kann, was mir so ziemlich allen verwertbaren Sehrest nimmt. Es reicht für hell und dunkel und ein paar Umrisse, bewart mich aber nicht davor, „sehenden Auges“ (also ohne, wie der Rest der Welt, ans Handy gebannt zu sein) gegen Laternen zu laufen, zur Belustigung meines Umfelds und meiner selbst.

Diesen Blog schreibe ich, weil ich später mal sagen möchte, einen Blog geschrieben zu haben, den keiner lesen wollte, weil er mehr als 180 Zeichen pro Nachricht hat und auch keine 10 Sekunden dauert wie das typische Snapvideo. Tatsächlich möchte ich in diesem Blog meine Erfahrungen um das FSJ herum teilen. Nicht nur des Teilens willen, sondern auch, um beim Schreiben selbst für mich nochmal über das Erwartete und dann Erlebte nachdenken zu können. Da ich, insbesondere in der letzten Zeit, eine zunehmend satirische Art entwickelt habe, gesellschaftskritisch zu sein und das „System“ nicht gedankenlos hinzunehmen, spreche ich hier eine Warnung aus: Wer hin und wieder scharfe Kommentare scheut, sollte nicht so genau hinsehen. Gesellschaftskritisch bin ich vermutlich daher, da ich, typisch uns jungen Leuten, noch daran glaube, dass man die Welt vielleicht ein kleines bisschen zum Positiven (wegen der Subjektivität des Begriffes also zu meiner Meinung nach Positiven) ändern kann, wenn man es schafft, Menschen nachdenklich zu stimmen – hier war schon der erste Wachrüttler in Klammern .

Des Weiteren möchte ich hiermit auch aufzeigen, was alles möglich sein kann, wenn man es nur passieren lässt. Viele mögen sich neben anderer Dinge vielleicht denken, „wieso und wie geht sowas, wenn man blind ist? Ich find im Dunkeln mich ja kaum zu Hause zurecht“. Wer diesen Blog liest, wird sich danach hoffentlich diese Frage beantworten können und vielleicht die Auffassung entwickeln, dass auch unwahrscheinlich scheinende Dinge mehr als nur möglich sind.

Jetzt sollte der Name des Blogs auch verständlich sein: Obwohl es recht poetisch klingt, möchte ich mir die Augen durch all das neue und unbekannte, aber auch durch das wiedererkennen über die Zeit öffnen lassen, weswegen sie erstmal geschlossen sein müssen, und versuchen, mit dem Herzen zu sehen: Also die Dinge versuchen, tiefgründiger zu verstehen, in mich aufzunehmen und vielleicht sogar anzunehmen, an Stelle sie nur mit Blicken zu schweifen und mich mit einem Abbild auf der Netzhaut zufriedenzugeben. (Wovon ich sträng genommen sowieso nichts habe 😉 ). Zudem bedeutet ein Augenschliessen in gewissem Sinne auch, sich auf Dinge einzulassen, ohne schon alle Details im Vorhinein durchgeplant zu haben.

Letztlich ist dieser Blog kostenlos und für den Speicherplatz bezahlt vermutlich der Staat. Man nehme, was man kriege! 😉