Bang Bang Bang

Es ist Dienstag, der 9. Oktober, ich sitze am bei Nacht und Nebel an meinem Schreibtisch und denke: “Unfassbar!”. Fast einen Monat bin ich jetzt schon hier. Aber es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Es ist wirklich erstaunlich, wie schnell die Zeit durch einen geordneten Arbeitsalltag verfliegt, wenn man ein ganzes halbes Jahr davor in einer Phase des nicht koordinierten und unproduktiven Seinzustandes schwebte. Aber gerade deshalb ist es nun wirklich an der Zeit, das erste mal über meine tatsächliche Arbeit zu berichten.

Wie bereits erwähnt, arbeite ich im Gimnazjum Nr. 39 und der angeschlossenen Grundschule, die sich im gleichen Gebäude befindet. Bedingt durch eine gesamtstaatliche Bildungsreform vor ein paar Jahren wird nun das Gimnazjum, das früher von der 1. bis zur 3. Klasse (in Deutschland von der 7. bis zur 9.) ging abgeschafft, und die nachfolgende Schulform, das Liceum beginnt bereits im Alter der Schüler von 16 Jahren. Dieses Schuljahr existiert also nur noch die 3. Klasse des Gimnazjums, da die ehemals 1. und 2. Klasse des Gimnazjums schon als 7. und 8. Klasse der Grundschule angeschlossen wurden. Der Endstand soll nun sein, dass ab nächstem Jahr das Gimnazjum nicht mehr existiert und die Grundschule bis zur 8. Klasse führt. Danach können sich die Schüler für eine Laufbahn auf dem Liceum bis zur 12. Klasse entscheiden, welches mit der „Matura“ (Das polnische Abitur) abschließt. Alternativ  können sie auch ein Technikum besuchen, das mit einem beruflichen Gymnasium in Deutschland vergeichbar ist.

Deutsch wird in meiner Schule verpflichtend als zweite Fremdsprache neben Englisch unterrichtet, wobei man ab einem bestimmten Alter wählen kann, welche Fremdsprache man bevorzugt. Daraus resultieren dann Klassen auf verschiedenen Niveaus, die auch eine unterschiedliche Anzahl an Wochenstunden belegen.

Das beste Niveau bilden hierbei die „DSD-Klassen“, die auf die besagte Prüfung vorbereiten sollen. Diese sind dann auch die, in denen ich eingesetzt bin. Auch wenn das Niveau von 7. bis 3. Klasse natürlich stark schwankt, lässt sich feststellen, dass wirklich alle Schüler in meinem Unterricht einen wirklichen Ehrgeiz und Willen an den Tag legen, wenn es ums Deutsch lernen geht. Das beeindruckt mich vor allem deshalb, weil ich eine solche Motivation in Fremdsprachenkursen aus meiner eigenen Schulzeit nicht gewohnt war. Noch dazu findet der Unterricht teilweise nachtmittags bis zur 10. Stunde (17:20 !!!!!) statt, was natürlich für mich angenehme Aufstehzeiten bedeutet. Trotzdem respektiere ich die Schüler sehr für die Ausdauer, die sie um diese Uhrzeit noch aufbringen können. Nach den obligatorischen Vorstellungsrunden, die ich in den ersten Wochen in allen erdenklichen Klassen vollführte und die ich irgendwann aufhörte zu zählen, ging ich dann allmählich über zum aktuellen Stoff über.

Das bedeutet in den jüngeren Klassen natürlich solche Dauerbrenner im Fremdsprachenunterricht, wie „Wohin möchte ich in den Urlaub fahren ? Was spricht man dort ?“ und reicht über Gespräche beim Arzt in den höheren Klassen bis zum Verstehen von Songtexten von Xavier Naidoo oder Kraftklub. Letztere haben meiner 8. Klasse übrigens so gut gefallen, dass nach meiner entsprechenden Unterrichtsstunde immer gerne die beste Zeile aus „Schüsse in die Luft“ zitiert und gesungen wird. „Bang Bang Bang“. Mir ging das Herz auf.

Gleichermaßen blutet es mir aber auch bei jedem „f“, das ich in einen Vokabeltest schreiben muss, die ich manchmal korrigiere. Nein, Fehler anzustreichen macht keinen Spaß, wenn man seine Schüler kennt und weiß, wie viel Arbeit sie in die Vorbereitung eines Testes stecken. Aber auch das gehört zur Arbeit. Gerade deshalb bin ich auch froh, dass meine Mentorin eine pädagogische Grundansicht vertritt, die ich ebenso innovativ, wie erfolgreich finde. Das erleichtert mir das Arbeiten sehr und machte es für mich sehr angenehm und interessant. Ich bin sicher, dass ich hinsichtlich pädagogischer Konzeptionen hier einiges lernen kann.

Auch bin ich froh, dass ich mittlerweile die Namen von allen meinen Schüler kann (was man eigentlich nach drei Wochen Arbeit erwarten sollte).

Dabei fällt vor allem auf, dass ein paar Namen sich anscheinend besonderer Beliebtheit erfreuen, denn sie tauchen im Schulgeschehen sehr oft auf.

Da wären zum Beispiel Bartosz bzw. Bartek, Ola, Michał, Kamil und Oliwia. Und weil polnische Vornamen etwas ganz besonderes sind, folgt hier nun eine kurze Erklärung:

In Polen ist es üblich, dass fast jeder zusätzlich zu seinem normalen Vornamen einen Spitz- oder Rufnamen bekommt. Auch wenn dieses Prinzip oft mit Verkleinerungsformen, wie der Nachsilbe

ek (männlich) oder -ka (weiblich) arbeitet, die im Deutschen mit „chen“ oder „lein“ übersetzt werden könnten, so ist das doch meist eher nicht als Kosename gemeint. Im ganz normalen Sprachgebrauch finden sich diese Formen so gut wie immer wieder und auch Lehrer sprechen die Schüler im Unterricht und ihre Kollegen so an. Eine feste Regel, welcher Spitzname aus welchem Kosename wird gibt es nicht. Stattdessen gibt es einige Möglichkeiten, was man mit einem Namen so anstellen kann. So wird aus Jakub wahlweise Kuba oder Kubuś, aus Małgorzata kann Małgosia, Gosia, Gorzka oder Małgorzka werden, aus Katarzyna, Katja, Kaja, Kasia usw……

Natürlich trifft diese Art der Benennung nicht auf jeden zu, aber das Prinzip ist doch deutlich populärer und verwurzelter, als in Deutschland.

Diese Erklärung ist nur sehr kurz zusammengefasst und umfasst bei Weitem nicht das ganze Ausmaß und „System“ hinter der Vergabe von Spitznamen in Polen.

Aber nach diesem Prinzip hat man sich das in etwa vorzustellen.

Ansonsten kann ich noch anmerken, dass von musikalischer Seit her zumindest meine Grundbedürfnisse gestillt sind, denn in meiner Schule gibt es ein Klavier. Zwar ein ungestimmtes, aber für meine Zwecke reicht es erstmal vollkommen aus. So erklingt nun zeitweise im Schulhaus Rachmaninovs Prelude Op. 23 Nr. 5 oder verschiedene Kompositionen von Chopin. Auch einen Schulchor gibt es bei mir, den ich nun als einziger Bass (und als einziger Junge überhaupt) unterstützen darf. So habe ich eine perfekte Möglichkeit, mich mit polnischem Liedgut vertraut zu machen, das vom Inhalt her schon sehr von deutschem variiert. Das führt aber doch erstmal etwas weit.

Für heute soll es das gewesen sein und ich bin jedem dankbar, der sich bis zum Ende dieses Artikels gekämpft hat.

An Familie, Freunde und Bekannte:

Danke für eure vielen lieben Worte und nette Nachrichten. Ihr seid einfach super

An alle anderen Freiwilligen:

Viel Glück,

Kraft und Spaß für alles, was da noch kommt ! Ihr rockt das !

Es grüßt: euer Moritz

5 Gedanken zu „Bang Bang Bang

  1. Eigentlich wollte ich jetzt schon schlafen, aber anscheinend war dein Bericht so gut, dass jetzt alle Artikel verputzt wurden.
    Die sind ziemlich angenehm zu lesen und ich mag, dass du ernsthafte Reflexion mit gerissenen Sprüchen abwechselst.
    Hab vielen Dank.

    Auf das dir nicht Bang (Bang Bang) werde ;)
    Friederich

  2. Ich habe deine Berichte gelesen und freue mich, dass es dir so gut in Polen gefällt und du so viele schöne Erlebnisse hast! Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und hoffe, wir sehen uns im Novemer oder zu Weihnachten! Viele liebe Grüße aus Klotzsche!

  3. Das klingt echt schön!
    Ich freue mich schon sehr darauf dein zweites Zuhause kennenzulernen und dich nach so langer Zeit endlich wiederzusehen!
    Bis dahin!!!
    Ich denke an dich bis nach Krakau und wieder zurück!

  4. Dein Klavier kommt bald dann kannst du regelmäßig wieder spielen. Ich vermisse deine Improvisationen und deine motivierenden Klavierklänge:( viel Spaß beim unterrichten und halt im Chor durch (ich bin sicher du rockst die Sache)
    Dein Blog ist echt gut also dran bleiben, du schreibst wirklich toll

  5. Supi, das klingt ja alles fajnie :)
    Viel Entusiasmus und Spaß Dir weiterhin, und lass uns wissen, welcher Dein Kosename geworden ist ;)

    Liebe Grüße

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