Dreiviertel / Dies das verschiedene Dinge

Das Jahr im Land des ewig blauen Himmels  kommt langsam zu einem Ende. Noch 2 Monate dann will ich in die Transsibirische Eisenbahn steigen und gemächlich nach Hause tuckern. Die letzten 9 Monate vergingen unglaublich schnell. Nichtsdestotrotz liegt noch ein mongolisches Weihnachten und Silvester vor mir.

Noch vor dem Besuch beim Adlerfest fuhr ich mit den anderen Freiwilligen in die Südgobi um die Adler Schlucht, Yolyn Am, zu sehen. Es war gutes Wetter. Kamele konnte man angucken und die Leidensgenossen etwas besser kennenlernen. In der Schlucht fließt ein Rinnsal an Wasser, das wohl von dem, den größten Teil des Jahres eingefrorennen, Wasserfall stammt. Die Sanddüne in der Gobi, die dem was man sich unter einer Wüste vorstellt am ehesten gerecht wird, konnten wir nicht sehen, da wir nur ein Wochenende Zeit hatten. Der Rest der Gobi ist trockene Steppe mit spärlich verteiltem Steppengras.

Anfang Oktober feierte ich meinen 20. Geburtstag mit 15-20 Leuten in meiner Wohnung. Ich bekam eine Kupferschale und eine Schnupftabak Flasche als traditionelle Geschenke und allerlei Kram und Alkohol als Mitbringsel. Ein Holzlöffel und Taschenwärmer von Rani aus Indonesien füllten mich ebenfalls mit viel Freude.  Es war eine gemütliche Feier. Viel Rumgesitze und Gerede in meiner Küche und auf der kleinen Couch in meinem Wohnzimmer mit Balkon.

Nach ein einigen Verlegungen des Termins wurde letztendlich die Einweihung des neuen Schulgebäudes gefeiert. Aus dem 3. Stock und vom Dach hat man einen großartigen Blick auf den Bahnhof, von dem auch die Transib startet und die umliegenden schneebedeckten Berge. Drei Tage hintereinander feierten wir das gleiche Fest mit identischem Programm. Offenbar war es nicht möglich für alle Minister, Bürgermeister und Botschaftsangehörige am gleichen Tag zu erscheinen, deswegen wurde das ganze, mit abnehmender Begeisterung, dreimal präsentiert. Es gab ein Konzert der Pferdekopfgeigen-spielenden Lehrer. Ein Chor ebenfalls bestehend aus Lehrern, dessen Teil ich war, schmetterte die Europa-Hymne. Es erschienen auch buddhistische Mönche, die das Gebäude mit Gebeten einweihten. Ein Hotelier aus Berlin Schönefeld, der die Schule seit einigen Jahren finanziell unterstützt, sprach seine Glückwünsche aus. Des Weiteren gab es Schüler, die die Schulhymne mit ohrenbetäubenden Playback sangen, zu Pop Musik tanzende Lehrerinnen und ein großes Büffet. Die Schule ist wirklich sehr geräumig und modern ausgestattet. Nur die Kantine startet ihren Betrieb leider erst nach meiner Abreise.

Im November war ich viel mit der Schule beschäftigt. Ich habe die 27 Wochenstunden Unterricht für eine Lehrerin übernommen, die derzeit auf einer Weiterbildung in Deutschland ist. Ich stand schon etliche Stunden alleine vor der Klasse, aber gerade mit der Dauer macht es die Sache etwas Anspruchsvoller. Das Sprachlevel der 3. und 4. Klasse, die gerade das Alphabet und Mama und Papa zusagen gelernt haben, macht es natürlich etwas schwieriger Übungen anzuleiten. Nach etwas ausprobieren pendelte sich das ganze aber ein. Nur die 8. Klasse bringt mich immer noch auf Hochtouren. Das Desinteresse und die Ignoranz kenne ich nur aus meiner alten Klasse schlimmer. Aber welches Recht habe ich zu meckern, wenn ich schon selber nicht besser war. Im Ganzen ist es immer noch eine sehr angenehme Arbeit, bei der ich auch das Gefühl habe die Schüler nutzen das Gelernte und haben Spaß dran. Nach täglichem und ganztägigem Erscheinen in der Schule erkennen mich die Kinder überall. Auf dem 5 Minuten Weg zu der Schule werde ich 10 Mal mit breiten Grinsen, von den ganz kleinen bis zu den 12. Klässlern, gegrüßt. Beim Weg durch die Schule in den 3. Stock zu den Deutschräumen kommt noch mehr davon. Winken, Hallo und Guten Morgen von allen Seiten. Ein super erheiterndes und wärmendes Gefühl. Besonders bei -20 Grad an einem Montagmorgen und 8 Unterrichtsstunden ohne Pause vor einem. Wenn man den Hausmeister dann auf Mongolisch mit den Worten „Guten Morgen, großer Bruder! Gut geschlafen? Gib mir den Schlüssel 410.“ begrüßt und ähnliche Begrüßungen von Arbeitern und anderen Lehrern kommen, fühle ich mich gut aufgehoben in der großen Schule mit 1500 Schülern und nur 60 Lehrern. Die Ansprache mit großer Bruder ist die Wortwörtliche Übersetzung und eine Höflichkeitsform, die Respekt gegenüber Älteren ausdrückt. Sie ist recht geläufig und keineswegs so seltsam, wie der Satz für uns auf Deutsch klingen mag.

Hier gibts es eine Playlist mit meinen mongolischen Lieblingsliedern

Die Kamel-Truppe von der Expedition Steppes to the West machte sich auf den Weg, ließ aber Murrat, ein (ehemaliges) Teammitglied zurück. Der Experte für arktische Expeditionen verbringt noch einige Wochen in der Mongolei und macht sich auf den Rückweg in die Türkei und nach Schweden. Murrat halte ich für den sympathischsten und den bodenständigsten der verrückten Truppe.  Zum Aufbruch der Reise gab es am 29. Oktober eine Parade der Kamele mit Infos zu der Expedition und Tanz und Gesang von der Familie der mongolischen Ideengeberin Baigal, auf dem Sukhbaatar Platz.

Nun habe ich endlich auch die Erwartung einiger Leute aus der Heimat erfüllt und Schafskopf gegessen. Der Kopf ging zuerst als Geschenk an einen Freund vorort, der uns dann später zum Kochen des Kopfes einlud. Das ganze erfreut das Auge nicht wirklich, aber der Geschmack ist nicht übel. Auf jeden Fall eine sinnvolle Verwertung des Kopfes, statt ihn wegzuschmeißen. Besonders auf dem Land ist das keine seltene Delikatesse zu feierlichen Anlässen, sondern ein regelmäßiges Mahl, zumindestens bei den Leuten, den es schmeckt und das wiederrum sind nicht wenig.

Gestern fuhr ich mit Leon, Josepha und dem Fahrer Dagi in den Hustai Nationalpark. Wir wollten die Ur-/Takhi/Przewalski-Pferde sehen. Im tiefen Schnee fanden wir die kleinen, dickbäuchigen Pferde mit großem Kopf dann auch. Allein für die frische Luft und das Weiß, wohin man auch guckte, war es den Weg wert. Gerade habe ich meinen fertigen Deel, den traditionelle Mantel, abgeholt und bin damit nach Hause gelaufen. Es gab viele Daumen nach oben, nette Kommentare und am Häufigsten breites Grinsen von vorbeilaufenden Mongolen. Eine passende Mütze liegt bereits auf meinem Fensterbrett. Es ist die gleiche Art von Mütze die auch Damdin Sukhbaatar, der Begründer der Mongolischen Volkspartei trug. Dieser besiegte die Chinesen beim Grenzkonflikt um Teile der Mongolei und schloß sich den sowjetischen-revolutionären Gruppen an und sorgte somit dafür, dass die Mongolei zu einem Satellitenstaat der Sowjetunion wurde. Der Hauptplatz vor dem Regierungsgebäude in Ulaanbaatar ist ebenfalls nach Sukhbaatar benannt und wird von einer Reiterstatue von ihm verziert.

Viele Aspekte der Hauptstadt sind noch klar sowjetisch geprägt. Nicht nur die vielen Blockbauten und Denkmäler für sowjetische Befehlshaber und Soldaten, auch die unter der Leitung der Sowjetunion ausgebaute Infrastruktur ist fast unverändert geblieben. Es sind großenteils die gleichen Busse die auch vor 30-40 Jahren fuhren. Auch der niedrige Preis, der jetzt bei ca. 15 Cent für einen Erwachsenden pro Busfahrt liegt, entstammt dem russischen Regierungsplan. Das gleiche gilt für die Eisenbahn. Auch in der Schule ist dieses System zu spüren. Sei es Gymnastik der Schüler aller Klassenstufen auf dem Gang in der Pause oder die Vergabe von Medaillen und Urkunden bei jedem Anlass für Lehrer sowohl als auch Schüler. Eine ähnliche wirtschaftliche Situation und die damit verbundenen niedrigen Gehälter finden sich wohl in jedem Ex-Sowjetstaat. Insgesamt wirkt es so als sei man Russland immer noch wohlwollend  verbunden, wohingegen über China oft abfällig gesprochen wird. Obwohl beide Länder sowohl positive als auch negative Einflüsse auf das Zusammenleben und die Gesellschaft der Mongolei hatten und immer noch haben, schneidet Russland deutlich besser ab, wenn es um die Beliebtheit geht.   

Vor 2 Monaten, nach meinem Umzug, habe ich mich bei Couchsurfing als Gastgeber eingetragen. Danach kam fast täglich 2-3 Anfragen von Reisenden, die bei mir übernachten wollten. Auch von Uyanga, vom Hostel, kamen 1-2 Leute vorbei. Insgesamt hatte ich etwa 20 Gäste in den letzten beiden Monaten. Viele Abende und Morgen in Restaurants und Cafés und bei mir am Küchentisch mit Essen oder Bier und Wein. Es war wirklich sehr spaßig deren Erlebnisse geschildert zu bekommen und von ihrem Leben zuhause zu hören und ab und zu Empfehlungen zu geben.

das neue Gebäude der Alexander-von-Humboldt Schule

kollektives Eishacken

Briefe nach Deutschland, Runde 3

in der Geierschlucht

Kollegium der A.v.H.

Przewalski-Pferde

10 Kamele auf dem Sukhbaatar-Platz

Ein Auto voll mit Schaf für den Supermarkt nebenan

in der Südgobi

Blick aus dem 3. Stock

3 thoughts on “Dreiviertel / Dies das verschiedene Dinge

  1. Gut geschrieben, ungewöhnlich ausführlich, nur die Playlist wird (mir) nicht angezeigt.

    Die Bezeichnung „großer Bruder“ kenne ich so aus Südindien, das basierte auf dem offenen, herzlichen Umgang mit drei tamilischen Mädchen, die inzwischen eigene Familien haben.

    Als Grundlage für Mongolei-Impressionen in Buchform ist das doch schon schon ein passender Baustein!
    🙂
    Lediglich dem Schafskopfverzehr kann ich so gar nichts abgewinnen, aber das liegt weder am Schaf
    noch am Kopf. Leben und leben lassen, das sollte für jedes Lebewesen zutreffen.

    Wieviele Tage wirst du mit der Transsib bzw. den Zügen unterwegs sein? In Moskau war in Anfang der 80er
    Jahre, aber das Stadtbild insgesamt hat sich sicher sehr stark verändert, du wirst es ja bald sehen…

  2. ich wurde wieder erinnert, deinen blog zu lesen, da neues hinzu kam.
    das was du erlebst ist großartig, soviele eindrücke, soviele erlebnisse, soviel spannendes, lehrreiches und einzigartiges, von dem ganzen wirst du noch sehr lange zehren, werden dich verändern, werden dich bereichern. genieße die letzten monate mit jedem moment. ich freu mich für dich und deine erfahungen. bleib gesund und habe noch sehr viel spaß dort sowie ein wunderbares weihnachten und ein tollen jahreswechsel.
    auf dass das neue jahr für dich viele neue dinge, neue wege und neue erlebnisse bereit hält.
    bin gespannt wie das alles so gefeiert wird, sprich ich freu mich auf einen neuen beitrag:-)
    lg ilona, charlotte und lutz

  3. Manno. So ein langer Text. Wieder toll zu lesen und sehr deutlich zu spüren, dass Du nicht nur angekommen bist, sondern eigentlich „einer von ihnen “ bist.

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