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Verschollen in Sofia

„Und dann bin ich mir sicher, wieder zuhause zu sein“
(Marius Müller-Westernhagen – Wieder hier)

Neulich habe ich auf dem Blog eines Mitfreiwilligen gelesen, dass es für ihn kaum noch etwas Neues zu berichten gäbe, da der Alltag mehr oder weniger aus ähnlichen Abläufen bestünde und wir jetzt, nach fast acht Monaten, halt angekommen seien. Ich muss ihm recht geben. Unter normalen Umständen besteht meine Woche aus Montag bis Freitag im Goethe-Institut arbeiten, am Wochenende mit Freunden in Sofia irgendwas machen, oder einfach nur auf dem Sofa rumliegen oder durch die Stadt spazieren. Wirklich Abenteuer wartet hinter den wenigsten Straßenecken und es gibt Tage, an denen mich das nervt. Und dann gibt es diese Wochen, in denen plötzlich mehr als drei Dinge gleichzeitig passieren und ich aus dem Denken, Fühlen und Handeln gar nicht mehr herauskomme. So wie jetzt. Ich bin mitten in einem einem Besuchs- und Urlaubsmarathon angekommen, der zwar schön ist, aber gleichzeitig auch auf das baldige Ende meiner Zeit in Sofia hinweist. Nur noch vier Monate! Würde ich jetzt in Berlin sein, kämen mir die wie eine halbe Ewigkeit vor, doch hier, in Bulgarien, merke ich, dass „nur noch dreimal Schlafen“ mit riesen Schritten näher auf mich zukommt.

Den Auftakt der baldigen Endphase machte vergangene Woche der Besuch meiner Familie. Für mich keine Selbstverständlichkeit, denn wer uns kennt, weiß, dass meine Eltern eher so Kategorie „Ostseeurlaub“ sind, statt Weltenbummler. Und so stand ich zwar wie verabredet in der Ankunftshalle des Flughafens, rechnete aber innerlich immer noch mit dem Anruf, der mir mitteilen würde, dass es mit meiner Mama und dem Flugzeug dann im letzten Moment doch nicht geklappt hätte.

Doch die Zweifel waren, wie immer, unbegründet und plötzlich hörte ich seit langem mal wieder meinen Vornamen in voller Länge ausgesprochen.

Vom Flughafen aus ging es in Richtung Innenstadt, wo gleich der erste Programmpunkt abgehakt werden konnte, der Verzehr einer landestypischen Baniza, bevor es erst in die Ferienwohnung und später dann in meine WG ging. Am Abend konnte ich meinen Besuch dann direkt in den Genuss einer weiteren Besonderheit Sofias bringen: Da es an einem Samstagabend fast unmöglich ist, hier ohne Reservierung einen Tisch zu bekommen, landeten wir beim Italiener um die Ecke, statt in der bulgarischen Rakia Bar.

Der nächste Tag wurde zum Stadtspaziergang genutzt, wir bewunderten die Newski-Kathedrale und die Rentnerboyband im Park, aßen Eis auf dem „Vitoshka“ und konnten am Abend eine große Menschengruppe beim bulgarischen Volkstanz beobachten.

So viel Stadt auf einmal, das halten die doch nie aus, hatte ich mir im Vorhinein gedacht und uns daher einen Tagesausflug zum Rila-Kloster gebucht. Dessen Gründer soll vor langer Zeit mal im Wald in einer Höhle gelebt haben, also stand auch deren Besichtigung auf dem Programm. Gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern der restlichen Gruppe stiegen wir in den Wald hinauf, doch während meine Eltern eher an einen gemütlichen Spaziergang gedacht hatten, forderte der Reiseleiter Höchstleistungen von uns. Schnellen Schrittes hastete er den Berg hinauf und später auch wieder hinunter, während wir das gemächliche Schlusslicht bildeten.

Das Rila-Kloster selbst hatte ich ja bereits im September besucht. Damals musste ich mich aufgrund von einem engen Zeitfenster jedoch zwischen Kultur und Essen entscheiden und hatte Letzteres gewählt. Somit konnte ich diesesmal dann auch mal in Ruhe über und um das Gelände laufen.

Am nächsten Tag hatte ich wieder einen Wanderausflug geplant, diesmal sollte es zum Wasserfall Boyana gehen. Auch diesen hatte ich bereits im Oktober gesehen und so wusste ich, dass es zwei Möglichkeiten gibt, zu diesem zu gelangen. Der leichtere Anstieg dauert etwa zwei Stunden und geht in gemütlichen Tempo gemächlich bergauf. Der zweite Anstieg dauert nur eine Stunde, wird aufgrund seiner Schwierigkeit jedoch nur geübten Wanderern empfohlen. Wie gut, dass wir diesen dann für den Rückweg auswählen! Und so kann ich nun eine Informationslücke im Internet füllen und berichten, dass dieser Weg nur für Menschen geeignet ist, die sich beim normalen Wandern schnell langweilen und daher zwischendurch gerne mal klettern oder ausrutschen wollen. Das dies nicht der anstrengenste Ausflug des Urlaubs werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch niemand ahnen. Und so waren wir trotz Müdigkeit und Muskelkater am nächsten Tag ganz guter Dinge und besuchten erst das Goethe-Institut, wo meine Familie gleich von einem unserer etwas spezielleren Stammgäste begrüßt und kurz darauf vom liebenswerten Sicherheitsopa zugequatscht wurde. Immerhin konnten sie sich so einen authentischen Ersteindruck verschaffen! Später ging es in das Mitmachmuseum für Kinder. Hier hatten mein Stiefvater und meine Mutter mindestens ebenso viel Spaß wie meine Schwester und ich konnte mich mental schonmal auf den Spieleabend in der Bibliothek vorbereiten, zu dem ich trotz meines Urlaubs versprochen hatte zu kommen.

Dass meine Eltern lieber Urlaub in der Natur als in der Stadt machen, habe ich ja bereits erwähnt. Außerdem wandern sie gerne, zumindest ist meine Erinnerung an frühere Urlaube stark davon geprägt. Doch während ich früher eher maulend als freudig über Stock und Stein stapfte und die Wanderlust meiner Eltern, zumindest aus meiner damaligen Perspektive, kein Ende zu nehmen schien, scheint sich das Blatt heute gewendet zu haben. Während ich am Donnerstag am liebsten den gesamten Weg in Richtung des Vitosha-Gipfels steil bergauf durch den Wald gestiegen wäre, bevorzugte meine Mutter die weniger steile, dafür aber auch, um es in den Worten meiner kleinen Schwester zu sagen, langweilige Straße. Gefühlte Stunden schlichen wir einfach nur lang hin, ich immer vorneweg, meine Familie außer Sichtweite irgendwo hinter mir. Die Pause, die ich zwischendurch einlegte um auf sie zu warten, nutzte ich, um den nächsten Aufstieg von der Straße in den Wald ausfindig zu machen und mir gute Argumente für dessen Nutzung zurecht zu legen. Hat ja niemand ahnen können, dass ausgerechnet in diesem Abschnitt noch hoher Schnee liegen würde….

Trotzdem haben wir alles gut überstanden und uns die kleine Mahlzeit auf der Berghütte wohl verdient, auch wenn wir es natürlich nicht auf den Gipfel geschafft haben. Auf dem Weg zurück nach Sofia begleitete uns dann noch ein Hund, der wohl als „Lydias schönstes Ferienerlebnis“ in die Familienchronik eingehen wird.

Den Abend ließen wir gemütlich, und typisch für Familie Leisker, mit Dinkelpizza und Vollkornnudeln ausklingen und auch der Freitag, der Abreisetag, verlief ohne spektakuläre Programmpunkte. Ich brachte die ganze „Bagage“ zum Flughafen und war wieder alleine. Ganz schön ungewohnt, nach so viel gemeinsamer Zeit! Zum Glück stand Ostern, das dank des Kuchenpakets meiner Oma sogar ganz würdig gefeiert werden konnte, vor der Tür und außerdem unterstützten wir einen Arbeitskollegen bei einem Filmdreh. Jetzt bin ich gerade im Kurzurlaub in Thessaloniki, trage meinen ersten Sonnenbrand für dieses Jahr mit mir herum und freue mich schon auf den nächsten Besuch, auf Franzi, mit der ich ein paar Tage im Norden von Sofia wandern möchte.

Mein Besuch vor dem Wahrzeichen Sofias

Beim Eisessen auf dem Vitosha Boulevard

Mal wieder Rila-Kloster

Gerald weiß, wie man sich in Szene setzt!

Und auch, wie man Bagger fährt

Lydia entdeckt ferne Welten

Auf der langweiligen Straße

Und hier nochmal ich

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