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Sommergefühle in Serbien

„Und was sollen, was sollen wir denn machen
außer einfach weiter unsere Feuer zu entfachen
und die Wellen tragen alles davon
Im Schatten der Häuser wächst über Wunden Beton“

(Tonbandgerät – Sekundenstill)

Beeindruckende Gebirgslandschaften, lebendige Straßenzüge, hilfsbereite Menschen, ein Wiedersehen mit den serbischen kulturweit-Freiwilligen, Temperaturen die eher an Sommer statt den bevorstehenden Wintern erinnern… die Liste der schönen Eindrücke vom Wochenende ist lang. Kein Wunder, dass der Satz „Oh, wie schön ist Serbien“ in Dauerschleife durch meinen Kopf lief.

Am vergangenen Freitag führte mich der Betriebsausflug des Goethe-Instituts nach Serbien und somit nicht nur raus aus Bulgarien, sondern auch raus aus der EU. Zu den Programmpunkten gehörten die Besichtigung zweier serbischer Kloster, ein kurzer Ausflug in die Stadt Pirot sowie ein gemeinsames Mittagessen. Praktisch, wie ich manchmal bin, dachte ich mir „Wenn ich schon da bin, kann ich auch bleiben“.

Trotz dieser Pläne verließ ich meine Wohnung am Freitagmorgen in eher lockerer Erwartungshaltung. Da ich mich schon etwas länger nicht mehr im schulpflichtigen Alter befinde und generell eher Probleme damit habe mir Zahlen und Fakten zu merken, gab es zum Frühstück nicht nur Müsli mit Joghurt, sondern auch Erklärvideos zu Serbien und den Jugoslawienkriegen. Ein bisschen Vorbildung ist schließlich nie verkehrt.

Die Straße von Sofia in Richtung serbische Grenze führt zunächst durch Industriegebiet und später durch, meiner Empfindung nach, eher trostlose Landschaften. Braune und gelbe Felder reihen sich aneinander und auch die Berge im Hintergrund tragen nichts zur Verbesserung der Aussicht bei. Endlich an der Grenze angekommen wartet das langwierige Kontroll-Prozedere. Das regt zwar zum selbstreflexiven Denken an („Wie glücklich kann ich mich schätzen, dass es diese Kontrollen innerhalb der EU, zumindest für mich, nicht mehr gibt“ etc.), nervt aber trotzdem.

Aktueller Lebensstatus: „Balkantourist“.

Direkt hinter der Grenze sieht die Landschaft weiterhin gewöhnungsbedürftig aus. „Wer wohnt denn hier?“, fragte ich mich, als wir durch das erste Dorf direkt nach der Grenze fuhren. Zerfallene Scheunen, kaputte Dächer und alte Holzverschläge prägen die Örtlichkeiten in diesem Gebiet. Auffällig war auch die Vielzahl der (noch) nicht fertiggebauten Häuser – die teilweise keinen Putz an den Wänden und keine Fenster hatten, aber dafür wirklich alle schon einen, mehr oder weniger provisorischen, Balkon vorweisen konnten. Je weiter sich der Bus von der Grenze entfernte, desto schöner wurde die Umgebung. Plötzlich erstreckten sich die meter hohe Berge des Balkangebirges direkt neben der Straße.

Kopf einziehen!

Am ersten Programmpunkt, dem Kloster Poganovo, erwarteten uns freilaufende Welpen und eine Brücke aus Metallplatten. Das Scheppern bei jedem Schritt verlieh dem kurzen Spaziergang einen abenteuerlichen Charakter. Zum Kloster, das Ende des 14. Jahrhunderts errichtet wurde, gehört natürlich auch eine kleine Kirche. Laut Wikipedia zeichnet sie sich durch ihre Kreuzkuppel und die Fresken im Inneren aus. Laut meiner kulturbanauserischen Wenigkeit ist es darin ganz nett anzusehen, aber der Rest des Geländes weitaus interessanter. Während sich meine Kolleg_Innen also die Kirche und den Souvenirstand davor anschauten, lief ich ein Stück den Hügel hinauf, der sich hinter dem Kloster erstreckt. Und freute mich dabei, endlich mal wieder aus der Stadt rausgekommen zu sein.

Die Brücke zum Kloster.

Das Kloster Poganovo

Sieht irgendwie nach „Aschenbrödel“ aus.

Die Kirche von Kloster Poganovo.

Die Natur drumherum gefiel mir dann aber doch besser.

Der nächste Halt war wieder bei einem Kloster. Dieses erinnerte mich jedoch eher an einen bayrischen Bauernhof. Hier wartete ich vergeblich auf die angekündigten Teambuilding-Maßnahmen, stattdessen besichtigten wir erneut die Kirche und den dazugehörenden Fan-Shop. Aber ich will nicht meckern, immerhin konnte ich die Zeit nutzen um die Nasenspitze in die Sonne zu stecken und mich dabei über den dicken Pullover zu ärgern, den ich noch unter meiner Jacke trug.

Bauernhofgefühle bei Kloster Nummer 2.

Hallo, ich bins. Klosterfrau Melissengeist.

Drei Freiwillige und ein Praktikant.

Danach ging es mitten hinein ins Stadtzentrum von Pirot, einer Stadt mit rund 40.000 Einwohnern im Westen Serbiens. Ich kann keinen direkten Vergleich zu einer bulgarischen Kleinstadt herstellen, einfach weil ich bisher noch keine besucht habe. Trotzdem behaupte ich, dass es hier irgendwie freundlicher und lebendiger zuging. Unzählige Menschen liefen durch die Straßen und über den Markt, es gibt winzige Bäckereien, Fleischereien und Läden für Tiernahrung die sich aneinander reihen und der Verkehr ist zwar ähnlich anstrengend wie in Sofia, aber immerhin gibt es in Pirot auch Fahrräder und nicht nur Autos zu sehen.

Nach einem kurzen Stadtbummel ging es weiter zum letzten Punkt auf der Tagesordnung: Dem gemeinsamen Mittagessen. Und somit zum ersten Moment meines Lebens,an dem ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt habe, Vegetarierin zu werden. Das Menü bestand aus Fleisch, angerichtet an Fleisch. Dazu nochmal etwas mehr Fleisch und als krönender Abschluss die Beilage Wurst. Und für die bereits vegetarisch lebenden Kolleg_Innen am Tisch ein frisch geangelter Fisch samt Gräten. Lecker.

Zum Glück musste ich nach dieser Völlerei nicht wieder in den Bus steigen, sondern konnte mich mal wieder ein paar Kilometer zu Fuß fortbewegen. Wie erwähnt, wollte ich die Gelegenheit, einmal in Serbien  zu sein, nicht ungenutzt lassen und hatte mir vorher eine Unterkunft in Pirot gebucht. So dachte ich zumindest. Hätte ich mir die Adresse und den Standort vorher genauer angeschaut, hätte ich gleich gewusst, dass ich mindestens fünf Kilometer von der Stadt entfernt, in einem sehr dörflichen wirkenden Vorort, übernachten würde. Und so wanderte ich etwa 1,5 Stunden am Stadtrand entlang, bevor ich irgendwann in der Pension ankam. Dank der früh einsetzenden Dunkelheit konnte ich von dem Bergblick, wegen dem ich diese eigentlich gebucht hatte, dann gar nichts mehr sehen. Aber, um ehrlich zu sein, es hat mir gut getan einen Abend lang irgendwo in der Pampa in einem Bett zu liegen, Tagebuch zu schreiben, Hausaufgaben für den Sprachkurs zu machen und ein paar Seiten zu lesen.

Am Samstag wollte ich dann mit dem Bus weiter nach Niš (ausgesprochen wie „Niesch“ lädt der Name zu vielen Wortwitzen ein – „von Niescht kommt niescht“ usw.) fahren. Da ich das Ticket nicht online, sondern nur vor Ort erstehen konnte, beschloss ich, schon um 9 Uhr am Busbahnhof zu sein, um das Ticket für kurz nach 10 zu kaufen. Die restliche Stunde wollte ich mit Marktbesuch und Kaffee trinken füllen. Leider erfuhr ich an dieser Stelle einen Überschwang von Hilfsbereitschaft und so geschah es, dass ich von dem freundlichen Ticketverkäufer kurzerhand in einen früheren Bus geschubst wurde, der bereits um dreiviertel Acht nach Niš fahren sollte.

Dort stieg ich dann glücklicherweise nicht direkt am Busbahnhof, sondern eine Station zu früh aus. Das hatte den Vorteil, dass ich erstens kurze Zeit W-Lan (keine EU = keine mobilen Daten = keine Kommunikation mit den Leuten, mit denen man sich verabredet hat) und zweitens noch einen Kaffee genießen konnte, bevor ich mich auf den Weg machte um Finn und Paul (zwei weitere Freiwillige in Sofia) abzuholen. Eigentlich war es Teil mein Plans gewesen, die deutsche Blase zu verlassen und auf eigene Faust etwas zu unternehmen. Da sich aber die serbischen kulturweit-Freiwilligen dazu entschlossen hatten, dass es zu einem Treffen kommen müsste, waren auch Finn und Paul kurzerhand nachgereist. So traf ich die zwei mir mittlerweile sehr vertrauten Gesichter kurze Zeit später.

Straßenbahncafé.

Niš am Abend.

Im Laufe des Nachmittags sammelten wir die serbischen Freiwilligen ein und wollten unser Glück mit der Unterkunft versuchen. Da wir den Vermieter weder telefonisch, noch per Mail oder WhatsApp erreicht hatten, wurde ich langsam unruhig. Wir verglichen nochmal Gebäude mit Bild, Reservierungstermin mit Kalenderdatum, die Telefonnummer im Internet mit der in meinem Handy. Alles stimmte, nur die Reaktion kam nicht. Dank der Hilfsbereitschaft der Nachbarn mussten wir dann aber doch nicht unter der Brücke schlafen. Sie, natürlich der serbischen Sprache mächtig, riefen für uns noch einmal bei der Agentur  an und kurze Zeit später stand eine Frau vor uns und führte uns zu einer anderen Unterkunft. Die entsprach zwar nicht ganz meinen Vorstellungen, aber um ehrlich zu sein: Mehr als Schlafen wollte ich da ja eh nicht.

Nach einer kurzen Ausruh- und Spielerunde sowie ein paar Erfrischungsgetränken, zogen wir los ins Nachtleben von Niš. Zwei verrauchte Kneipen später überkam mich plötzlich großes Berlin-Leipzig-Weh. Ich überbrückte dieses mit einem nächtlichen Heißhungeranfall, der mich dann übrigens auch all meine Pläne von wegen „Ich mach jetzt mal vegetarisch“ wieder vergessen ließ.

Mit Clara und Justus, zwei der serbischen kulturweit-Freiwilligen.

Da es natürlich nicht so toll kommt, immer nur von Kneipen und vom Essen zu berichten, erwähne ich jetzt noch schnell, dass wir am nächsten Tag zumindest ein bisschen Sightseeing gemacht haben. Besonderen Eindruck hinterließ dabei „Ćele Kula“, auch der „Schädelturm“ genannt. Errichtet wurde er vor rund 200 Jahren von den Osmanen. Sie betonierten die Schädel von gefallenen serbischen Rebellen darin ein – als Warnung vor weiteren Aufständen. Von ursprünglich 952 Schädeln sind heute keine 100 mehr erhalten. Viele von ihnen wurden im Laufe der Zeit von der serbischen Bevölkerung entwendet und bestattet. Das was übrig geblieben ist, gilt heute als nationales Mahnmal. Nach dieser Besichtigung ging es noch zur Festung von Niš. Auch sie wurde von den Osmanen errichtet, löste in mir aber weitaus weniger Unwohlsein aus, als kurz zuvor noch der Schädelturm.

Impressionen vom „Schädelturm“.

Sportliche Übungen auf den Festungsmauern.

Blick über die Dächer von Niš.

Um 16 Uhr stiegen wir in den Bus zurück nach Sofia und kamen somit in das Vergnügen der erneuten Grenzkontrolle. Da Sonntagabend Rushhour zu sein scheint, benötigten wir bei diesem Mal fast eine Stunde, bis wir endlich wieder in Bulgarien waren.

„Sind wir schon da?“ und „Wie lange dauert es noch?“

 

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