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Чао!

„Nur für diesen einen Moment sind wir
wie gemalt, doch unser Bild verbrennt
Wir haben ja sowieso verloren komm wir machen uns was vor“
(Antiheld – Wenn die ganze Welt brennt)

Eigentlich hatte ich vor, einen Beitrag über meine Reise nach Belgrad in der vergangenen Woche zu schreiben. Ich wollte mich hier nochmal darüber auslassen, wie schön die Stadt, aber wie schwierig die Rückreise nach Sofia war und von den mehr als zwanzig Stunden erzählen, die wir zusätzlich in der serbischen Hauptstadt verbracht hatten. Hatte vor, von der Mischung aus Pech und Selbstverschulden zu berichten und von dem Gefühl, im Nachhinein definitiv klüger zu sein, als noch zu Beginn des Kurzurlaubs. Belgrad wäre definitiv einen Artikel wert gewesen. Die Nachmittage an der Donau, die Abende auf den Burgmauern und die Tatsache, dass ich ein paar Tage mit Mitbewohnerin-Arbeitskollegin und vor allem Freundin Selma verbringen konnte – all diese Dinge waren schön und hätten es verdient genauer erzählt zu werden. Stattdessen sitze ich hier in meiner Wohnung und muss mich mit dem Wort und vor allem dem Gefühl „Abschied“ auseinandersetzen.Von Anfang an habe ich mich in Sofia meistens sehr wohl und ziemlich schnell auch „Zuhause“ gefühlt. Dementsprechend war klar, dass das Ende nicht leicht werden würde. Aber so hart? Nee, richtig erwartet habe ich das nicht. Irgendwie hatte ich immer gehofft, bzw. geglaubt, dass irgendwann der Punkt kommen würde, an dem die Gedanken an ein Wiedersehen mit Familie und Freunden in Deutschland das Traurige überschatten würden. Tatsächlich freue ich mich sogar darauf, bald meine Mama, meine Schwester, unseren Hund und meine beste Freundin umarmen zu können. Trotzdem fühlt sich die Tatsache „ganz zu gehen“ irgendwie falsch an. Für zwei Wochen oder drei, ja okay. Aber so ganz?

Eigentlich hätte ich wohl die letzte Woche nochmal so richtig ausnutzen müssen. Nochmal in dieses und jenes Café gehen, stundenlang im Park spazieren, sämtliche Restaurants und Museen dieser Stadt abklappern und irgendwie im Großen und Ganzen aktiver sein müssen, als ich es letztendlich war. Die vergangenen Tage waren vor allem von Müdigkeit und Unwohlsein geprägt. Oft lag ich einfach nur im Bett, wälzte mich in Gedanken, bzw. versuchte mich von diesen durch Smartphone, Laptop oder Buch abzulenken. Dadurch blieben viele Dinge auf der Strecke. Immerhin: Am Sonntag war ich noch einmal im Vitosha-Gebirge wandern und an den letzten Abenden habe ich mich immer auf irgendein Abschiedsbier mit irgendwem getroffen. Trotzdem fühlte ich mich irgendwie schlecht, versuche mich aber dank eines lieben Hinweises von Pia („Du warst jetzt ein Jahr da, da ist es auch okay mal 4 Tage zuhause zu sitzen“) nicht mehr zu stark über diese Letharige zu ärgern.

Jetzt sind die Koffer gepackt und der Boden gefegt. Ich bin ein letztes Mal die „Oborishte“ entlang gelaufen, habe einen letzten Kaffee beim „grummeligen Mann“ gekauft, der Newsky-Kathedrale einen Besuch abgestattet. Immer mit dabei: Gedanken, Erinnerungen und Rückblenden. Die vergangenen elf Monate waren ganz  schön voll. Erst jetzt realisiere ich, wie viel ich tatsächlich erlebt und gesehen habe und vor allem, mit was für großartigen Menschen ich diese Zeit teilen durfte. Ein bisschen verrückt ist es schon, dass ich damals, als ich hier ankam, eine solche Angst vor der Sprachbarriere hatte, dass ich mich am ersten Abend mit Dosenbohnen und einem Bier über den Abend gerettet habe – einen größeren Einkauf hatte ich mir damals irgendwie nicht zugetraut. Heute lache ich darüber und denke daran, wie froh ich in der letzten Woche war, aus Serbien zurück in Bulgarien zu sein – einem Land, dessen Sprache ich zwar nach wie vor nur in Grundzügen verstehe, die sich mittlerweile aber so vertraut anfühlt und anhört.

Ich lasse hier in Sofia vieles zurück, das ich vermissen werde. Das fängt bei der Wohnung an, geht über die geregelten Tagesabläufe und die Arbeit im Goethe-Institut und hört bei einigen Menschen auf, die ich nun fürs Erste zum letzten Mal gesehen habe. Ich glaube, dass es vor allem sie sind, die mir hier die besten Momente beschert haben. Denn: Ohne sie wäre ich oft ganz schön aufgeschmissen gewesen. Deswegen hier nochmal: Vielen Dank an meine deutschen und meine bulgarischen Freunde sowie an meine Kolleginnen. Ihr habt Sofia für mich zu dem gemacht, was es gerade ist und in den letzten Monaten auch die meiste Zeit war: Nämlich einfach schön. 🙂

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Nur noch wenige Wochen

„Gib die Schlüssel ab, mach die Türen zu.
Wirf den Unsinn ab und was bleibt bist du.
Die nächste Ausfahrt runter, da gehts zum Horizont.
Die Welt wird bunter, mit mir ist es nicht gekonnt“
(Liedfett – Von Zeit zu Zeit)

Als ich klein war, wollte ich Kindergärtnerin werden, später dachte ich lange über den Beruf der Lehrerin nach. Heute denke ich mir „Hilfe“ und suche ein Versteck sobald ich bemerke, dass sich lärmende Mini-Monster nähern. Die Bibliothek ist in den vergangenen Wochen zu einem Kindergarten geworden. Die Kinder, die an den Sommerkursen der Sprachabteilung teilnahmen, verbrachten hier die erste Zeit nach der morgendlichen Ankunft am Institut und warteten am Nachmittag hier auf ihre Eltern. Dabei hockten sie vor der Playstation, im Spielzelt oder auf der neuesten Errungenschaft: Einer Holztreppe, die durch das Fenster nach  draußen in den Hof führt. Problematisch daran war vor allem eins: Die Lautstärke, die es unmöglich machte, in der Zeit zwischen 16 und 17 Uhr irgendeine Form von Konzentration aufzubringen.

Glücklicherweise fielen eh nicht mehr so viele Aufgaben an, die mit der Anstrengung des Geistes zu tun hatten. Stattdessen leisteten wir eher körperliche Arbeit: Gemeinsam mit meinen Kolleginnen räumte ich den Bestand der Bibliothek in Kisten. Grund dafür ist der baldige Umbau. Nach der Sommerschließung soll die Bibliothek neuen Fußboden, neue Decken, neue Regale und generell eine modernere Fassade bekommen. Auch wenn wir davon nicht mehr allzuviel mitbekommen werden, freuen wir uns natürlich über die Veränderungen.

Ansonsten versuchten wir nicht durchzudrehen, wenn das immer gleiche Kinderlied in Dauerschleife durch das Institut schallte und dabei letzte Aufgaben am PC zu erledigen. Es hieß angefangene Projekte zu beenden, Übergaben zu schreiben und nebenbei schon Vorbereitungen für die Rückkehr in das eigentliche Leben zu treffen. Bewerbungen schreiben, bzw. überhaupt erstmal interessante Nebenjobangebote ausfindig machen, ein bisschen im Seminarangebot der Uni stöbern, erste Klamotten einpacken und aussortieren etc.. Daneben natürlich auch noch Pläne für die verbleibenden Wochen in Bulgarien schmieden und diese dann auch aktiv in die Tat umsetzen. Da ich neulich noch einmal Besuch aus Deutschland hatte, habe ich nun langsam aber die Nase voll von Denkmälern, Museen und allgemein der Innenstadt. Stattdessen verschlug es mich an den vergangenen Wochenenden eher an Orte, die ich bisher noch nicht so auf dem Schirm hatte. Mit meiner Mitbewohnerin fuhr ich Tretboot auf dem Pancharevo-See, am nächsten Tag besuchten wir ein öffentliches Freibad. Die zahlreichen Muskelpakete mit Goldkettchen, die es sich auf den Liegestühlen um den Pool herum gemütlich gemacht hatten und dabei verzückt den Klängen eines schlimmen Remixes nach dem anderen lauschten, haben definitiv Eindruck hinterlassen. Wenn auch nicht einen ganz so romantischen, wie unser Spaziergang durch das angrenzende Wohngebiet, zurück zur Bushaltestelle. An einem anderen Wochenende war ich in Veliko Tarnovo, der früheren Hauptstadt Bulgariens. Im Vergleich zu Sofia wirkt hier alles viel kleiner und übersichtlicher. Es gibt eine alte Festung, verwinkelte kleine Gassen, viele Fachwerkhäuschen und überall der Blick auf die umliegenden Berge oder den Fluss Jantra, der sich durchs Zentrum der Stadt schlängelt.

Jetzt bin ich wieder in Sofia, morgen früh wird der erste Montag seit langem sein, an dem ich nicht aufstehen und zur Arbeit gehen muss. Denn: Es ist Sommerpause. Und somit ist auch das Ende meiner Arbeit am Goethe-Institut angebrochen. Die letzten Tage im Büro waren seltsam: Zwischen Kuchen, Abschieden und Geschenken hieß es den Platz zu räumen, E-Mails und Dokumente zu löschen, Übergaben zu schreiben und irgendwie nochmal den Blick durch die mittlerweile leere Bibliothek schweifen lassen und sich zu wundern, wie schnell die Zeit hier vergangen ist.

 

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Kurz und knackig: Mai und Juni in wenigen Worten

„Ich liebe diese Gang, ich liebe diese Stadt“
(Kraftklub ft. Casper – Ganz schön okay) 

Eigentlich müsste ich gerade mindestens fünf Beiträge schreiben, um diesen Blog aktuell und chronologisch zu halten. Einer müsste von der Reise nach Nordmazedonien mit meiner WG handeln, einer von meinem Ausflug an die Schwarzmeerküste, einer vom Sommerfest des Goethe-Instituts, einer vom Instagramwalk und natürlich dürfte auch ein Beitrag über den Besuch meiner Großeltern Anfang Juni nicht fehlen. Jedes dieser Ereignisse hätte es verdient, ausgiebig beschrieben und dokumentiert zu werden. Über Nordmazedonien könnte ich schreiben, wie sehr Skopje einem Disneyland ähnelt, wie seltsam der Nachmittag am Matka Canyon und wie schön die Stadt Ohrid mit dem dazugehörigen See war. Über den Instagramwalk ließe sich sagen, dass sich meine Haarfarbe sehr gut als Orientierungspunkt für größere Reisegruppen eignet. Die Dienstreise nach Sozopol müsste ich mit „Eigentlich hatte ich gar keine Lust, dann war es aber doch ein tolles Wochenende“ einleiten, um danach ausführlich vom Wetter, von der Aussicht und vom Überraschungsbesuch meiner Mitbewohnerin anlässlich meines Geburtstages schreiben. Die Tage mit meinen Großeltern würden wahrscheinlich viele Informationen über die sommerlichen Temperaturen in Sofia und in Plovdiv enthalten sowie ausführliche Details über die Sehenswürdigkeiten der Stadt und dem absoluten Highlight, der Fahrt mit der sagenumwobenen Buslinie im Vitosha-Gebirge. Da ich mich aber dank des gestrigen Sommerfestes im Institut viel zu faul und zu müde fühle (in einem extra Eintrag würde ich natürlich genauer auf die Gründe dafür eingehen, hier reicht ein kurzes: Sonne und Freigetränke), habe ich beschlossen, all diese Ereignisse lieber fotografisch zu dokumentieren. Die besten Fotos der vergangenen sechs Wochen sozusagen.

Löwen gibt es auch in Skopje

Kurzer Ausflug an den Matka Canyon

Reisegruppe „Kurzurlaub“

Wunderschöner Ohrid-See

Hoher Besuch aus Deutschland

Hier sitzt er sogar hoch

Herzlichen Glückwunsch und Vielen Dank für die Blumen

Geburtstag mit Aussichten

„Arbeiten“

Hier habe ich wirklich mal hart gearbeitet!

WG-Ausflug in den Botanischen Garten

Das Sommerfest des Goethe-Instituts in einem Bild

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Die Reise nach Thessaloniki und eine Wanderung auf dem Europäischen Fernwanderweg

„Wir gehn gemeinsam unter, steigen zusammen wieder hoch.
Bin ich irgendwann mal hundert, hoff‘ ich das ist immer noch so.
Keiner weiß genau, was morgen aus uns wird,
doch alles gut, solange ich dich hab.
Keiner weiß genau, ob die Sonne wieder scheint,
alles gut, solange ich dich hab.“

(LOT – Alles gut)

Es gibt Tage, an denen ist mir richtig langweilig. Außer des obligatorischen Wartens auf E-Mails und der Einsortierung von Büchern gibt es in der Bibliothek rein gar nichts zu tun. Die Zeit ist so gähnend leer, am liebsten würde ich meinen Kopf auf den Tisch legen und einschlafen. Oder nachhause gehen. Stattdessen zwinge ich mich, das Blog auf den neuesten Stand zu bringen und von meinen Reise nach Griechenland und in den Norden Bulgariens zu berichten.

Der erste Trip fand bereits Ende April statt. Dank orthodoxer Ostern, die in diesem Jahr eine Woche nach den mir aus Deutschland bekannten Ostern stattfanden, hatte ich vier Tage Wochenende. Gott sei Dank!
Eigentlich wäre ich auch gerne in Sofia geblieben, doch nachdem ich aus mehreren Quellen die Information erhalten hatte, dass „hier rein gar nichts passieren würde, außer Messen und ein bisschen Familienkram“, fiel recht schnell die Entscheidung, die freien Tage lieber für einen Ausflug nach Thessaloniki zu nutzen. Und so reisten Paul, Selma und ich am Donnerstagabend los und erreichten gegen 23 Uhr eine Stadt. Ich ahnte zwar, dass es sich dabei um unser Ziel handeln könnte, war mir aber, aufgrund der fehlenden Ansagen und Beschilderungen, dann doch unsicher. Und so blieben wir zunächst sitzen, bis uns der Fahrer mit einem genervten „Thessaloniki!!!“ aus dem Bus blaffte. Also stolperten wir in die Dunkelheit und fanden uns plötzlich am Rand einer mehrspurigen Straße wieder. Von unserer Unterkunft trennten uns noch fünf Kilometer.
Also machten wir uns auf den Weg und kamen dabei in ersten Kontakt mit den griechischen Buchstaben. Bei dem Versuch, Werbeplakate und Schilder zu lesen, stellten wir fest, dass das griechische Alphabet mit Kyrillisch-Kenntnissen durchaus zu verstehen ist. Trotzdem ließ mich der Anblick von Alpha, Beta und Omega innerlich ein wenig schaudern. Erinnerungen an den Matheunterricht kamen hoch und nur kurze Zeit später, fand ich mich in einer Diskussion über dessen Sinnhaftigkeit wiedert. Statt hier weiter nach einem gemeinsamen Nenner zu suchen, beschlossen wir glücklicherweise bald das Thema zu wechseln und uns mit so schönen Fragen, wie „Ist dieses ‚H‘ jetzt ein ‚N‘ oder nicht? Wie viele Versionen von ‚I‘ gibt es denn hier? Und was ist in der Aussprache der Unterschied zwischen Omega und ‚O‘?“, auseinanderzusetzen.

Am nächsten Tag unternahmen wir den obligatorischen Stadtbummel. Hier stellte sich heraus, dass Selma und ich im Vorfeld zu pessimistisch gedacht hatten. Aufgrund der eher lauwarmen Temperaturen in Sofia, hatten wir uns auf den Wetterbericht verlassen und keine kurzen Hosen in den Koffer gepackt. Nun stellte sich heraus, dass die griechische Sonne doch nochmal anders zu bewerten ist, als die Bulgarische und so wurde es um die Mittagszeiten im schwarzen T-Shirt und langer Jeans dann doch recht heiß. So sehr, dass wir für den nächsten Tag beschlossen, einen Strandtag etwas außerhalb Thessalonikis einzulegen.

Hier konnten wir an die mathematischen und linguistischen Exkurse des Abends unserer Ankunft anknüpfen und uns auch im geografischen Bereich weiterbilden. Hätte ich jetzt eine topografische Leistungskontrolle, ich wüsste genau, wo sich die Halbinsel Chalkidiki befindet! Nebenbei könnte ich noch Wortmeldungen zu den Themen „erhöhter Salzgehalt im Mittelmeer“ und „die Auswirkungen starker Sonneneinstrahlung auf die menschliche Haut“ einbringen. Denn wer denkt schon an Sonnencreme, bevor er am Strand einschläft? Und so konnte ich am Abend die rot-weißen Konturen des Badeanzugs auf meinem Rücken bewundern.

Trotzdem war dieser Tag am Strand definitiv mein Highlight der kurzen Reise. Denn auch wenn Thessaloniki schön ist: Das innere Dorfkind, das mich an manchen Tagen eben doch befällt, hat es genossen mal wieder aus dem städtischen Umfeld herauszukommen, bei schwüler Gewitterluft durch Felder zu spazieren und kleine Gehöfte und Häuser zu sehen, statt stets und ständig nur große und graue Plattenbauten vor der Nase zu haben. Eigentlich hätte ich diese Stimmung und diese Art von Aktivität noch gut und gerne eine Woche länger ertragen können. Stattdessen ging es zurück nach Sofia, denn hier wartete Franzi, meine Besucherin aus Leipzig, bereits auf mich. Kennengelernt haben wir uns genau vor zwei Jahren, auf dem spanischen Jakobsweg. Und somit lag es nahe, gemeinsam einen Ausflug auf den Europäischen Fernwanderweg E3 zu unternehmen. Passenderweise beginnt dieser in Santiago de Compostela. In Bulgarien erstreckt er sich über 650 Kilometer, ausgehend von der serbischen Grenze im Nordwesten, bis hin zum Kap Emine am Schwarzen Meer. Da wir statt vier Wochen leider nur vier Tage Zeit eingeplant hatten, mussten wir uns jedoch mit den Anfangsetappen im Stara Planina Gebirge begnügen. Diese hatten es jedoch in sich und brachten mich sowohl an physische als auch an psychische Grenzen.

Die erste davon erreichte ich bereits in Sofia. Am Vorabend unserer Reise versuchte ich am Busbahnhof die richtigen Tickets zu kaufen. Leider ohne Erfolg. Der Bus, den uns das Internet empfohlen hatte, existierte einfach nicht. Andere Busverbindungen fuhren, zumindest unserer Meinung nach, zu recht wanderunfreundlichen Tageszeiten ab, daher beschloss ich, dass wir ebenso gut mit dem Zug fahren könnten und versuchte mein Glück am Bahnhof. Dort fragte ich mich zunächst nach dem richtigen Schalter durch. Kaum hatte ich diesen gefunden und die notwendigen Informationen erhalten (auf Bulgarisch, wohlgemerkt), rief ich Franzi an, um diese Planänderung mit ihr zu besprechen. Kurz darauf war alles geregelt und nur noch wenige Minuten sollten mich und die Tickets voneinander trennen. Doch Pustekuchen. Die Frau, die mir soeben noch die genaue Auskunft über die Tickets, die Uhrzeit und den Preis gegeben hatte, sagte etwas auf Bulgarisch zu mir. Auf meinen Hinweis, dass ich sie leider nicht verstehen könnte, wiederholte sie das Gesagte in etwas schärferem Tonfall und maulte schließlich auf Englisch ein „downstairs“, bevor sie sich von mir abwandte. Also machte ich mich auf den Weg nach unten, um dort erneut auf die Suche nach dem richtigen Schalter zu gehen. Als ich diesen endlich gefunden und die Tickets gekauft hatte, stellte ich noch die Frage nach dem Gleis. Die Antwort darauf ging leider in einer Lautsprecheransage unter und um ehrlich zu sein, die Kraft um noch einmal danach zu fragen, konnte ich nach der knapp einstündigen Fernverkehrsodysee auch nicht mehr aufbringen. Eine weitere unschöne Begegnung und eine Fahrt mit dem Linienbus später war ich endlich zuhause angekommen. Jetzt konnte der Urlaub beginnen! Und so packten Franzi und ich unsere Rucksäcke in alter Gewohnheit mindestens dreimal ein, aus und wieder um, bis wir letztendlich feststellten, dass wir für eine viertäge Reise in etwa das gleiche Gepäck benötigen würden, wie für die damals sechs Wochen in Spanien. Immerhin, an die Sonnencreme hatte ich diesmal gedacht!

Der nächste Tag begann für mich ungewohnt früh. Unser Zug ging um halb acht und trotz unserer Pünktlichkeit, schafften wir ihn nur in allerletzter Sekunde. Denn in Sofia stehen manchmal mehrere Züge, bzw. Waggons, am selben Gleis. Dass diese aber nicht zusammenhängend sind, findet nur heraus, wer die gesamte Reihe im Blick hat, sprich von der linken Seite des Bahnhofs kommt. Da wir leider von rechts kamen, konnten wir zunächst nicht so genau sagen, in welchen Waggon wir nun einsteigen sollten. Glücklicherweise hatten wir eine nette Schaffnerin erwischt, die nicht nur auf uns wartete, sondern auch dafür sorgte, dass uns später jemand beim richtigen Umsteigen behilflich war. Endlich in Berkowitza, von wo aus wir die Wanderung starten wollten, angekommen, stellten wir fest, dass der Ort doch nicht so klein war, wie zunächst angenommen. Und so dauerte es eine ganze Weile und mehrere hilfsbereite Menschen, bis wir endlich auf dem richtigen Wanderweg waren. Hier konnte ich übrigens feststellen, dass mein Bulgarisch mittlerweile nicht nur ausreicht, um mich kurz vorzustellen, sondern dass ich durchaus auch in der Lage bin, nach dem Weg zu fragen und die Basisinformationen der darauffolgenden Antwort zu verstehen. Leider trafen wir im Verlauf des weiteren Tages kaum andere Personen, so dass wir, im Wald und auf dem Weg angekommen, nun erstmal auf uns allein gestellt waren.

Zwar hatten wir bereits im Vorfeld erfahren, dass Wegmarkierungen und genaue Beschreibungen einer Raritäte gleichkämen, dass sie allerdings so einen enormen Seltenheitswert hätten, darauf waren wir nicht vorbereitet. Der Weg an sich lässt sich eher als „romantisch und naturbelassen“ beschreiben und auch wenn ich im Nachhinein darüber lachen kann – in den Momenten, in denen ich über Baumstämme steigen, mich durchs Gebüsch schlagen und letztendlich querbergauf klettern musste, um irgendwie überhaupt nochmal anzukommen, war mir ganz sicher noch nicht danach zumute. Ein bisschen befürchte ich, dass das die verspätete Rache für die Strapazen war, die ich meinen Eltern während ihres Besuchs in Sofia zuweilen zugemutet hatte.

Trotz aller Schwierigkeiten: Wir schafften es und erreichten auch die Berghütte, die mir ein paar Tage zuvor mein erstes Telefonat auf Bulgarisch beschert hatte. Bis dahin hatte ich noch Zweifel gehabt, ob deren Betreiber mich wirklich verstanden hatte. Doch zwei Betten und eine warme Mahlzeit später sah die Welt schon wieder anders aus und wir waren so müde, dass wir über gewisse hygienische Missstände hinweg sehen konnten.

Dank der durchgelegenen Matratzen waren meine Rückenschmerzen am nächsten Morgen stärker als der Muskelkater und so stiegen wir nach dem Frühstück weiter in den Wald hinauf. Durch Schnee und Eis stapften wir in Richtung Gipfel des „Kom“. Dieser befindet sich auf 2016 Metern Höhe. Neben der winterlichen Landschaft gab es auch noch einen verspäteten Frühlingsanfang zu bewundern: Sämtliche Wiesen auf dem Bergkamm waren von lilafarbenen Krokussen übersät. Nach einer kurzen Pause in der Sonne, ging es auf der anderen Seite wieder den Berg hinunter, in das kleine Örtchen Petroxan. Auch hier hatten wir vorab eine Unterkunft reserviert, als wir bei dieser ankamen standen wir jedoch vor verschlossener Tür. Diese öffnete sich später zum Glück dann doch noch und somit mussten wir den Wanderausflug nicht durch unnötige Busfahrten unterbrechen und konnten die Nacht in der für uns schönsten und gastfreundlichsten Unterkunft der kurzen Reise verbringen. Untergebracht wurden wir in einem holzvertäfelten Raum, der mich irgendwie an ein altes Kinderzimmer erinnerte. Im Wohnzimmer gab es ein Feuer im Herd, selbstgemachten Rotwein des Hausherrn und ein leckeres Abendessen. Wie gut hätten wir hier länger verweilen können! Im Nachhinein scheint es fast, als hätte jemand geahnt, welche Abenteuer uns der nächste Tag bringen würde und wie notwendig ein voller Akku für deren Bewältigung sein würde.

Zunächst jedoch, verlief alles entspannt. Am Herdfeuer warteten geröstete Brotschreiben, Kaffee und Frühstückseier auf uns und erst gegen halb zehn schafften wir es, uns davon loszueisen und vor die Tür zu gehen. Unser Herbergsvater hatte zwar etwas seltsam geschaut, als wir ihm das Ziel für den heutigen Tag nannten, aber der wusste ja auch nicht, welche Wandersprofis er hier vor sich hatte. So dachten wir, während wir direkt in die falsche Richtung liefen. Immerhin, für unsere Verhältnisse kam die Erkenntnis über den Irrtum relativ früh und so drehten wir um und schnauften den Berg, den wir gerade so schön heruntergewandert waren, wieder hinauf. Bald kamen wir auf einen Bergkamm, spazierten hier gemütlich vor uns hin, ließen uns von der Stille und der Natur um uns herum beeindrucken und legten zwischendurch auch nur zwei bis vier Pausen ein. Der Abstieg führte uns durch einen schönen und dicht bewachsenen Wald, dessen Besonderheit vor allem das plötzliche Auftauchen zahlreicher Wegmarkierungen war. Unterwegs trafen wir auf Menschen, die sogar ein bisschen Deutsch sprachen und uns somit erklären konnten, dass unser anvisiertes Ziel noch etwa zwanzig Kilometer entfernt sei. Upps, da hatte ich mich wohl ein bisschen verschätzt bei der Etappenplanung.

Praktischerweise war es auch schon 15 Uhr! Also eilten wir weiter, reduzierten die Anzahl der Pausen deutlich und erreichten nur drei Stunden später den Ort „Gara Lakatnik“. Damit waren wir jedoch noch lange nicht am Ziel. Ein Blick ins Internet verriet uns, dass das von mir gebuchte Hotel auf der Karte zwar nicht allzu weit entfernt aussah, jedoch durch eine langgezogene Landstraße und einen weiteren Bergaufstieg von uns getrennt war. Also trampten wir ein kurzes Stück, stiegen aber an einer Stelle aus, an der laut Google ein schöner Wanderweg auf uns wartete, statt uns von den Menschen im Auto direkt ins Dorf bringen zu lassen. „Dauert ja nur eine halbe Stunde“, dachte ich mir und ignorierte die irritierten Blicke unserer Fahrer (hier muss zu meiner Verteidigung noch erwähnt werden, dass das Trampen einfach nicht zu meinen Lieblingsarten der Fortbewegung gehört – vor allem dann nicht, wenn ich das Gefühl habe den Fahrern unnötige Umstände zu bereiten).

Zunächst ging es, auf den Spuren des bulgarischen Nationaldichters Ivan Vazovs wandelnd, hinauf in den Wald. „Guter Fotospot“ stand bei Google und tatsächlich kamen wir an einem schönen Wasserfall und meiner persönlichen Lieblingsaussicht des Tages vorbei. Schade, hier hätte ich gerne länger Pause gemacht. Stattdessen mussten wir weiter bergauf. Innerlich dachte ich mir „Bitte, lass uns vor 20 Uhr ankommen“, als unsere Wanderung abrupt vor einer Felswand endete. Laut Google müssten wir diese nur erklimmen, dann wären wir da. Wir konnten die Umrisse des Hotels sogar schon erahnen. Doch es führte kein Weg nach oben und so beließen wir es dabei und machten uns zurück in Richtung Straße. Inzwischen war es dunkel geworden und meine gute Laune bereits zu Bett gegangen. Irgendwie fühlte ich mich verantwortlich für den Schlamassel und ein Plan B musste her. Mit Taschenlampe und Handy bewaffnet liefen wir an der Straße entlang. Während Franzi leuchtete, versuchte ich die Hotels in der Nähe telefonisch zu erreichen – leider ohne Erfolg. Mittlerweile hatte sich auch das von uns im Vorfeld reservierte Hotel gemeldet. Leider schienen sie nach der Information, dass wir noch sieben Kilometer von ihnen entfernt und leider nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß unterwegs sein, auch keinen Ausweg mehr zu wissen und riefen nicht mehr zurück. Also wanderten wir weiter und gelangten in den kleinen Ort „Gara Bov“. Hier fragte ich zunächst nach einem Schlafplatz, den es natürlich nicht gab, danach tranken wir erstmal eine Cola im Bahnhofsrestaurant. Ich fing fast an zu heulen.

Auch im Bahnhof hatten wir nach Schlafplätzen gefragt und auch hier wieder heftiges Kopfnicken, das auf Bulgarisch leider „Nein“ bedeutet, geerntet. Aber es wurde versucht zu helfen. So telefonierte eine Frau zunächst ebenfalls mit den umliegenden Hotels und setzte uns danach in ihr Auto. Sie fuhr uns ins zehn Kilometer weiter südlich liegende Svoge. Doch die Suche nach einem Schlafplatz verlief erneut erfolglos. Warum wir nicht direkt darum gebeten hatten ins richtige Hotel gebracht zu werden, ist mir im Nachhinein übrigens ein Rätsel.

Tatsächlich geschah dann noch ein kleines Wunder und genau in dem Moment, in dem wir fast aufgeben und ein Taxi nach Sofia bestellen wollten, kam dann doch noch ein Mensch mit Englischkenntnisse und, noch viel relevanter für unsere Situation, einem Pensionszimmer um die Ecke. Und so endete der Tag trotz aller Anstrengungen und Anspannungen am Ende wie im Märchen: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann liegen sie noch heute mit Dosenbier in einem warmen Hotelzimmer.

Trotzdem bedeutete dieser Tag das abrupte Ende unserer Wanderung. Mehr als zwanzig Kilometer weg vom eigentlichen Wanderweg, müde und mit Muskelkater gesegnet, beschlossen wir statt unserer Füße den örtlichen Bahnhof zu bemühen. Mit dem Zug wollten wir zurück in den Norden, in die Stadt Wraza, fahren. Hier hatte mein Mitbewohner aus Sofia ein paar Tage zuvor die „Ledenika-Höhle“ besucht, das klang für uns nach einer guten Alternative. Am Bahnhof gab es erstmal Frühstück und erneut eine große Geste der Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft, als die Besitzerin des Bistros und ihr Sohn nicht nur versuchten mit uns auf Englisch zu reden, sondern auch noch die richtigen Tickets samt Erklärung des Umstieges für uns besorgten.

In Wraza angekommen suchten wir uns zu allererst ein Hotel. Immerhin, gelernt hatten wir aus dem Vortag bestimmt. Anstatt zu der Höhle zu wandern, beschlossen wir jedoch ein bisschen faul zu sein und den Tag mit Stadtbummel und Entspannung zu verbringen. Die Höhle hoben wir uns für den nächsten Tag auf. Hinauf fuhren wir mit dem Taxi, den Fußmarsch hoben wir uns für den Rückweg auf. Bei der Höhle, die über 300 Meter lang ist und die so kalt ist, dass sie ihren Namen, der übersetzt „eingefroren“ bedeutet, nicht zu Unrecht trägt, erwartete uns dann eine kleine Überraschung: Zahlreiche Touristen warteten mit uns vor dem Eingang. Die Führung an sich ging dann weniger lang als gedacht. Von den über 50 Tierarten die hier leben sollen, unter ihnen ein Insekt, das beim Anblick von Tageslicht stirbt, konnten wir keine entdecken. Nicht verwunderlich, wenn bedacht wird, dass täglich mehrere hundert Menschen hier durchgeführt und mit einer Lichtshow beeindruckt werden. Einmal jährlich findet sogar ein Konzert statt. Nach so viel Massentourismus und Stadtgefühl genossen wir dann den dreistündigen Abstieg zurück zum Bahnhof noch einmal so richtig, bevor wir in ein Gewitter kamen und nun endlich auch unter Beweis stellen konnten, dass wir nicht zu viel, sondern unsere Rucksäcke ganz einfach für alle Wetterlagen angemessen gepackt hatten. Mit dem Zug ging es gemütlich nach Sofia und für Franzi am nächsten Tag dann auch wieder zurück nach Leipzig.

Mittlerweile ist dieses Abenteuer schon über eine Woche her und ich sitze wieder im Büro, statt von Krokussen umringt auf einer Bergwiese. Während ich diesen Eintrag geschrieben habe, ist es 18 Uhr geworden und somit Zeit für den Feierabend. Immerhin, meine Konzentration ist wieder da und eigentlich könnte ich jetzt noch eine Weile hier sitzen bleiben. Aber nein, ich gehe nachhause. Dort steht nämlich die Planung des nächsten Kurzurlaubs an. Mit meinen Mitbewohnern fahre ich nach Mazedonien, denn anlässlich des Tag des Schrifttums steht am 24. Mai mal wieder ein Feiertag und somit ein langes Wochenende vor der Tür!

 

FOTOS:

Thessaloniki

Auf dem Wanderweg Kom-Emine

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Verschollen in Sofia

„Und dann bin ich mir sicher, wieder zuhause zu sein“
(Marius Müller-Westernhagen – Wieder hier)

Neulich habe ich auf dem Blog eines Mitfreiwilligen gelesen, dass es für ihn kaum noch etwas Neues zu berichten gäbe, da der Alltag mehr oder weniger aus ähnlichen Abläufen bestünde und wir jetzt, nach fast acht Monaten, halt angekommen seien. Ich muss ihm recht geben. Unter normalen Umständen besteht meine Woche aus Montag bis Freitag im Goethe-Institut arbeiten, am Wochenende mit Freunden in Sofia irgendwas machen, oder einfach nur auf dem Sofa rumliegen oder durch die Stadt spazieren. Wirklich Abenteuer wartet hinter den wenigsten Straßenecken und es gibt Tage, an denen mich das nervt. Und dann gibt es diese Wochen, in denen plötzlich mehr als drei Dinge gleichzeitig passieren und ich aus dem Denken, Fühlen und Handeln gar nicht mehr herauskomme. So wie jetzt. Ich bin mitten in einem einem Besuchs- und Urlaubsmarathon angekommen, der zwar schön ist, aber gleichzeitig auch auf das baldige Ende meiner Zeit in Sofia hinweist. Nur noch vier Monate! Würde ich jetzt in Berlin sein, kämen mir die wie eine halbe Ewigkeit vor, doch hier, in Bulgarien, merke ich, dass „nur noch dreimal Schlafen“ mit riesen Schritten näher auf mich zukommt.

Den Auftakt der baldigen Endphase machte vergangene Woche der Besuch meiner Familie. Für mich keine Selbstverständlichkeit, denn wer uns kennt, weiß, dass meine Eltern eher so Kategorie „Ostseeurlaub“ sind, statt Weltenbummler. Und so stand ich zwar wie verabredet in der Ankunftshalle des Flughafens, rechnete aber innerlich immer noch mit dem Anruf, der mir mitteilen würde, dass es mit meiner Mama und dem Flugzeug dann im letzten Moment doch nicht geklappt hätte.

Doch die Zweifel waren, wie immer, unbegründet und plötzlich hörte ich seit langem mal wieder meinen Vornamen in voller Länge ausgesprochen.

Vom Flughafen aus ging es in Richtung Innenstadt, wo gleich der erste Programmpunkt abgehakt werden konnte, der Verzehr einer landestypischen Baniza, bevor es erst in die Ferienwohnung und später dann in meine WG ging. Am Abend konnte ich meinen Besuch dann direkt in den Genuss einer weiteren Besonderheit Sofias bringen: Da es an einem Samstagabend fast unmöglich ist, hier ohne Reservierung einen Tisch zu bekommen, landeten wir beim Italiener um die Ecke, statt in der bulgarischen Rakia Bar.

Der nächste Tag wurde zum Stadtspaziergang genutzt, wir bewunderten die Newski-Kathedrale und die Rentnerboyband im Park, aßen Eis auf dem „Vitoshka“ und konnten am Abend eine große Menschengruppe beim bulgarischen Volkstanz beobachten.

So viel Stadt auf einmal, das halten die doch nie aus, hatte ich mir im Vorhinein gedacht und uns daher einen Tagesausflug zum Rila-Kloster gebucht. Dessen Gründer soll vor langer Zeit mal im Wald in einer Höhle gelebt haben, also stand auch deren Besichtigung auf dem Programm. Gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern der restlichen Gruppe stiegen wir in den Wald hinauf, doch während meine Eltern eher an einen gemütlichen Spaziergang gedacht hatten, forderte der Reiseleiter Höchstleistungen von uns. Schnellen Schrittes hastete er den Berg hinauf und später auch wieder hinunter, während wir das gemächliche Schlusslicht bildeten.

Das Rila-Kloster selbst hatte ich ja bereits im September besucht. Damals musste ich mich aufgrund von einem engen Zeitfenster jedoch zwischen Kultur und Essen entscheiden und hatte Letzteres gewählt. Somit konnte ich diesesmal dann auch mal in Ruhe über und um das Gelände laufen.

Am nächsten Tag hatte ich wieder einen Wanderausflug geplant, diesmal sollte es zum Wasserfall Boyana gehen. Auch diesen hatte ich bereits im Oktober gesehen und so wusste ich, dass es zwei Möglichkeiten gibt, zu diesem zu gelangen. Der leichtere Anstieg dauert etwa zwei Stunden und geht in gemütlichen Tempo gemächlich bergauf. Der zweite Anstieg dauert nur eine Stunde, wird aufgrund seiner Schwierigkeit jedoch nur geübten Wanderern empfohlen. Wie gut, dass wir diesen dann für den Rückweg auswählen! Und so kann ich nun eine Informationslücke im Internet füllen und berichten, dass dieser Weg nur für Menschen geeignet ist, die sich beim normalen Wandern schnell langweilen und daher zwischendurch gerne mal klettern oder ausrutschen wollen. Das dies nicht der anstrengenste Ausflug des Urlaubs werden sollte, konnte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch niemand ahnen. Und so waren wir trotz Müdigkeit und Muskelkater am nächsten Tag ganz guter Dinge und besuchten erst das Goethe-Institut, wo meine Familie gleich von einem unserer etwas spezielleren Stammgäste begrüßt und kurz darauf vom liebenswerten Sicherheitsopa zugequatscht wurde. Immerhin konnten sie sich so einen authentischen Ersteindruck verschaffen! Später ging es in das Mitmachmuseum für Kinder. Hier hatten mein Stiefvater und meine Mutter mindestens ebenso viel Spaß wie meine Schwester und ich konnte mich mental schonmal auf den Spieleabend in der Bibliothek vorbereiten, zu dem ich trotz meines Urlaubs versprochen hatte zu kommen.

Dass meine Eltern lieber Urlaub in der Natur als in der Stadt machen, habe ich ja bereits erwähnt. Außerdem wandern sie gerne, zumindest ist meine Erinnerung an frühere Urlaube stark davon geprägt. Doch während ich früher eher maulend als freudig über Stock und Stein stapfte und die Wanderlust meiner Eltern, zumindest aus meiner damaligen Perspektive, kein Ende zu nehmen schien, scheint sich das Blatt heute gewendet zu haben. Während ich am Donnerstag am liebsten den gesamten Weg in Richtung des Vitosha-Gipfels steil bergauf durch den Wald gestiegen wäre, bevorzugte meine Mutter die weniger steile, dafür aber auch, um es in den Worten meiner kleinen Schwester zu sagen, langweilige Straße. Gefühlte Stunden schlichen wir einfach nur lang hin, ich immer vorneweg, meine Familie außer Sichtweite irgendwo hinter mir. Die Pause, die ich zwischendurch einlegte um auf sie zu warten, nutzte ich, um den nächsten Aufstieg von der Straße in den Wald ausfindig zu machen und mir gute Argumente für dessen Nutzung zurecht zu legen. Hat ja niemand ahnen können, dass ausgerechnet in diesem Abschnitt noch hoher Schnee liegen würde….

Trotzdem haben wir alles gut überstanden und uns die kleine Mahlzeit auf der Berghütte wohl verdient, auch wenn wir es natürlich nicht auf den Gipfel geschafft haben. Auf dem Weg zurück nach Sofia begleitete uns dann noch ein Hund, der wohl als „Lydias schönstes Ferienerlebnis“ in die Familienchronik eingehen wird.

Den Abend ließen wir gemütlich, und typisch für Familie Leisker, mit Dinkelpizza und Vollkornnudeln ausklingen und auch der Freitag, der Abreisetag, verlief ohne spektakuläre Programmpunkte. Ich brachte die ganze „Bagage“ zum Flughafen und war wieder alleine. Ganz schön ungewohnt, nach so viel gemeinsamer Zeit! Zum Glück stand Ostern, das dank des Kuchenpakets meiner Oma sogar ganz würdig gefeiert werden konnte, vor der Tür und außerdem unterstützten wir einen Arbeitskollegen bei einem Filmdreh. Jetzt bin ich gerade im Kurzurlaub in Thessaloniki, trage meinen ersten Sonnenbrand für dieses Jahr mit mir herum und freue mich schon auf den nächsten Besuch, auf Franzi, mit der ich ein paar Tage im Norden von Sofia wandern möchte.

Mein Besuch vor dem Wahrzeichen Sofias

Beim Eisessen auf dem Vitosha Boulevard

Mal wieder Rila-Kloster

Gerald weiß, wie man sich in Szene setzt!

Und auch, wie man Bagger fährt

Lydia entdeckt ferne Welten

Auf der langweiligen Straße

Und hier nochmal ich

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Baba Marta

„Und wenn du nichts hörst, geht´s mir gut“
(LOTTE – Auf beiden Beinen)

In Bulgarien wird sich der Monat März als eine weißhaarige, rotwangige Dame vorgestellt, die hoch oben in den Bergen lebt und von dort aus nicht nur einen Blick auf das Treiben der Menschheit, sondern auch so manche Auseinandersetzung mit ihren frechen Brüdern Januar und Februar hat. Haben diese es mal wieder zu weit getrieben und „Baba Marta“ verärgert, sorgt sie mit ihrer Laune für schlechtes Wetter und eine plötzliche Rückkehr des Winters. Sobald es jedoch zu einer Versöhnung kommt, scheint wieder die Sonne und der Frühling kehrt auf die Erde zurück. Für mich heißen diese Stimmungsschwankungen vor allem eins: Sonntags schwitzen im Park und Montag wieder in Winterjacke zur Arbeit stapfen.

Trotz der Wetterbedingungen gefällt mir die Legende von Baba Marta, denn mit ihr geht auch ein Brauch einher, den ich im nächsten März hoffentlich auch in Berlin einführen werde: Das Verschenken rot-weißer Armbänder oder Anhänger an Verwandte, Freunde, Kollegen und sogar Haustiere. Werden sie nahe am Herzen getragen, sollen sie ihren Trägern Glück bringen. Abgelegt werden sie, wenn ein erstes (oder zehntes – je nachdem, wie viele Bändchen das Handgelenk schmücken) Frühlingszeichen wahrgenommen wird. In meiner Definition können das Knospen, Vogelgezwitscher oder auch besonders warme Sonnenstrahlen sein. Andere sind da strenger und legen ihre Bändchen erst ab, wenn sie einen Storch gesehen haben oder einen vollständig blühenden Baum entdecken. Die „Marteniza“ werden nun an dieser Stelle hinterlassen. Dabei darf sich etwas gewünscht werden. Neben dieser Sternschnuppenfunktion gefällt mir an diesem Brauch besonders, wie er meine Wahrnehmung für den Frühling verändert hat. Selten lief ich in den ersten Märztagen so aufmerksam durch die Gegend wie hier. Überall entdeckte ich etwas Blühendes, überall konnte ich die kleinen Bändchen in den Zweigen finden.

Ähnlich wie Baba Marta hatte auch ich mit gewissen Zwischenmenschlichkeiten zu kämpfen. Besonders die Arbeit forderte meine pädagogischen Fähigkeiten heraus. Etwa 300 Kinder, Jugendliche und Studierende wollten in den vergangenen Wochen von meinen Kollegen und mir durch die Bibliothek geführt oder dort bespaßt werden. Glücklicherweise haben wir dafür meistens vorgefertigte Materialien. So drücken wir den Älteren eigentlich nur ein I-Pad in die Hand und schicken sie auf Schatzsuche. Anhand von kleinen Aufgaben können sie selbstständig den Bestand erkunden. Neben der Beantwortung von Fragen geht es auch darum, bestimmte Medien zu finden. An sich ist diese Schatzsuche eine super Sache: Sie macht Spaß, ist digital (und entspricht damit den Anforderungen an eine moderne Bibliothek) und ist für uns Betreuer eine Frage von zehn Minuten Vorbereitung. Trotzdem gibt es auch Schwierigkeiten, zum Beispiel, wenn ein paar der Teilnehmer einen besonders witzigen Moment haben und die Medien so verstecken, dass sie von den nachfolgenden Gruppen nicht mehr gefunden werden können. Dass auch wir Bibliotheksmitarbeiter hinterher Probleme und wenig Freude daran haben, die berüchtigte Nadel im Heuhaufen wieder ausfindig zu machen, interessiert sie dabei eher weniger.

Für unsere jüngeren Besucher gibt es Brettspiele, Basteltische oder, wenn sie noch sehr jung sind, eine Vorlese-Ecke. In der hatte ich dann auch mal wieder die Gelegenheit aus dem Grüffelo vorzulesen.  Da ich diesen dank meiner kleinsten Schwester quasi auswendig konnte, zählte das dann auch zu meinen leichtesten Übungen. Komplizierter wird es, wenn Kinder zu Veranstaltungen auftauchen, die gar nicht für sie gedacht sind. So zum Beispiel zum Spieleabend, der sich eigentlich an Erwachsene richtet. Glücklicherweise gibt es in der Bibliothek eine Playstation. Sicherlich gehörte dieser Moment nicht zu den pädagogisch wertvollsten in meinem Leben, aber immerhin hatten wir das Gerät vorher auf Deutsch eingestellt.

Viel ruhiger als in der Bibliothek in Sofia ging es hingegen im Deutschen Lesesaal in Plovdiv zu, den Nico und ich Mitte März besuchen durften. Gemeinsam mit der Bibliothekarin vor Ort sortierten wir den Bestand und holten dabei veraltete oder kaputte Bücher aus den Regalen und ersetzten sie durch neuere Exemplare. Im Gegensatz zu Sofia wird hier noch nicht mit einem digitalen Erfassungssystem gearbeitet, sondern es werden handschriftlich Bestandslisten geführt. Auch wenn dies etwas mühsam und in heutigen Zeiten doch sehr veraltet erscheint – für mich war es eine schöne Erfahrung, mal ein paar Tage nicht vor dem Bildschirm kleben zu müssen. Und das Baba Marta sich an diesen Tagen besonders gut mit ihren Brüdern verstanden zu haben scheint, spielte sicherlich auch eine Rolle für meine gute Laune. 🙂

Frühlingshaft wurde in den März gestartet: Frauentag ist in Bulgarien eine große Sache!

Meine private Marteniza-Sammlung.

Dieser Anblick ist im März in Bulgarien keine Seltenheit: Nahezu jeder Baum wird von sogenannten „Marteniza“ geziert.

Die Newsky-Kathedrale im Frühling. Ein bisschen schade finde ich es ja schon, dass ich sie wahrscheinlich nicht mehr im Schnee sehen werde.

Hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen… Plovdiv ist immer wieder schön!

In Plovdiv habe ich zweihundert Bücher per Hand aus Listen ausgetragen! 😀

Ein bulgarischer Künstler der sehr oft in die Bibliothek kommt, hat diese Büste meinem Kollegen Nico geschenkt. Sie soll eine Symbiose aus unserer Kollegin Maria und mir („Lilli“) darstellen. Ich bin noch nicht ganz überzeugt und glaube, dass es eigentlich „Baba Marta“ oder Beethoven ist!

 

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Die Stadt, die niemals endet

„Wir sind lange schon auf Reisen
und kommen immer nur so weit,
wie die Ideen uns tragen,
wie der Mangel uns treibt“
(Spaceman Spiff – Vorwärts ist keine Richtung)

Es passiert nicht oft, dass ich nach einem Städtetrip das Gefühl habe, den Ort möglichst bald noch einmal besuchen zu wollen. Meistens reicht der kurze Aufenthalt und das Gefühl „Die Stadt mal gesehen zu haben“. Die nächste Reise darf dann gerne wieder woanders hingehen. Nicht so bei Istanbul: Die bunten Straßen, die Fähren und Brücken, der Blick auf den Bosporus, die Maronenstände, die Farben, die kleinen Läden und Cafés haben mich so begeistert, dass ich mir wünsche, irgendwann einmal dorthin zurückkehren zu können.

Schon die Anreise stand unter dem Zeichen der Begeisterung. Statt eingeengt im Fernbus oder nervös im Flugzeug, durfte ich mich Istanbul auf eine sehr bequeme und bisher unbekannte Art des Reisens nähern: Mit dem Nachtzug, der täglich von Sofia aus in Richtung Türkei fährt, ging es am Donnerstagabend los, um am Freitagmorgen halbwegs ausgeschlafen in Istanbul anzukommen. Halbwegs, weil dieser Schlaf natürlich von deinen Reisegefährten und der nächtlichen Grenzkontrolle abhängt. Diese stört die nächtliche Erholung ungefähr auf der Hälfte der Fahrt – in meinem Fall hieß das: Gerade eingeschlafen, schon wieder aufgeweckt werden. Dass Müdigkeit in meinem Fall selten mit Freundlichkeit verbunden ist, ist sicher bekannt. Dies in Kombination mit dem Anblick von Stacheldrahtzäunen an den EU-Außengrenzen – ein Wunder, dass ich mich auf ein paar muffelige Kommentare beschränken konnte.

Nach der ersten (bulgarischen) Passkontrolle fuhr der Zug weiter in Richtung Türkei. Dort hieß es aussteigen, abstempeln lassen, wieder einsteigen und… warten. Warten auf die zweite Kontrolle, warten auf das Auspacken der Gepäckstücke, warten auf das Wiedereinsetzen des gemütlichen Schaukelns und der beruhigenden Fahrtgeräusche.

Nach gefühlt fünf Minuten Schlaf klopfte es schon wieder an der Abteiltür: „Wir erreichen Istanbul in zwanzig Minuten, bitte Bettzeug zusammenpacken und auf das Aussteigen vorbereiten“. Trotzdem muss ich sagen, dass das Reisen im Nachtzug ab sofort meine Lieblingsart der längeren Fortbewegung ist. Zugfahren und schlafen – zwei Dinge die ich mag, ergeben in meinen Augen eine tolle Mischung.

Da unser Haltebahnhof eher außerhalb lag, mussten wir noch 45 Minuten mit dem Bus fahren. Der erste Eindruck vom Verkehr in Istanbul war bereits mit Blick aus dem Fenster anstrengend und so beschloss ich, noch einmal die Augen zu schließen und öffnete diese erst wieder, als wir endlich in der Stadt angekommen waren. Bis wir in unsere Unterkunft konnten, mussten noch einige Stunden überbrückt werden. Und so hieß es erstmal die Altstadt zu erkunden, schwarzen Tee trinken, spazieren gehen, einen Bazar besuchen und irgendwo etwas zu Essen zu finden. Somit waren auch die grundlegenden und wiederkehrenden Programmpunkte dieses Kurzurlaubs schon abgesteckt und weiter konnte es in Richtung Unterkunft gehen. Da diese nicht im europäischen, sondern im asiatischen Teil der Stadt lag, genauer gesagt im wunderschönen Viertel „Kadiköy“, fuhren wir dazu mit der Fähre. Nach ersten Verwirrungen und der traurigen Feststellung, dass aus dem einjährigen Türkischkurs, den ich einst in der Uni belegt habe, nicht eine einzige Vokabel hängen geblieben ist, schafften wir es dann tatsächlich auf das richtige Boot.

In Kadiköy angekommen, kamen wir aus dem Schwärmen nicht mehr heraus. Hier reihen sich Secondhandläden an Cafés, es gibt Graffiti und bunt bemalte Treppenstufen, Häuser, die mit Holzfassaden und verschnörkelten Ornamenten verziert sind, kleine Restaurants und überall Dinge, die jeden Berliner Hipster neidisch machen würden. Auch unsere Wohnung überraschte uns mehr als positiv und nach einem kurzen Mittagsschlaf meinerseits ging es von dort aus am frühen Abend in Richtung Bosporus. Nur wenige Laufminuten entfernt fanden wir einen kleinen Park und eine schöne Stelle, von der aus wir das Wasser und den Sonnenuntergang bestens im Blick hatten.

Am nächsten Tag sah das Wetter leider nicht mehr ganz so sonnig aus. Graue Wolken, Wind und regnerische Kälte schlugen uns entgegen, als wir die Fähre betraten und zurück in Richtung Altstadt fuhren. Dort spulten wir zunächst das typische Sightseeing-Programm herunter und besuchten die Blaue Moschee und die Hagia Sophia. Später besichtigten wir noch eine riesige Markthalle, den sogenannten „gedeckten Bazar“ und die wirklich sehr beeindruckende Süleymanyie-Moschee. Leider hatten wir für das Museum „Hagia Sophia“ Kombi-Tickets gekauft, so dass ich auch am nächsten Tag noch einmal zur Kultur gezwungen wurde und mit meiner Reisegruppe das archäologische Museum und den Palast des Sultans besuchen musste. Hier konnte ich mal wieder unter Beweis stellen, dass auch mit Mitte zwanzig noch Tendenzen zum nörgeligen Kleinkind vorhanden sein können.

Zum Glück waren diese Programmpunkte irgendwann überstanden und über die Brücke ging es in den Stadtteil „Beyoğlu“. Hier steht der sogenannte Galataturm, der ursprünglich Teil der Stadtbefestigung und Symbol des christlichen Glaubens war. In der langen Zeit zwischen seiner Errichtung und heute, diente er jedoch auch schon als Leuchtturm, als Gefängnis, und als Nachtclub. Heute ist er eine sehr begehrte Aussichtsplattform, welche wir aufgrund der langen Touristenschlangen dann doch lieber nur von unten erlebten. Stattdessen verbrachten wir die Zeit mal wieder mit Kartenspielen und Tee trinken, schlenderten durch die Einkaufszone in Richtung Taksimplatz und suchten am Abend ein im Grünen verstecktes Restaurant auf, bevor es wieder mit der Fähre zurück zur Unterkunft ging.

Für den letzten Tag hatte ich mir etwas besonderes gewünscht: Einen Milchshake trinken, der aus Cornflakes, Eis, zahlreichen Süßigkeiten und auf Wunsch sogar Zuckerwatte bestand. Die Anderen stellten fest, dass sie hier „bereits beim Blick in die Speisekarte Diabetes bekommen würden“. Doch es half alles nichts, auch hier kam das Kleinkind in mir wieder zum Vorschein und schrie „will haben“. Und so mussten diese Bedürfnisse eben  befriedigt werden, bevor wir uns irgendwann wieder in Richtung Europa auf den Weg machen konnten. Hier ging es noch einmal über den Bazar und bald darauf zum Bahnhof, wo wir auf unsere Abreise warteten.

Wie ich es bereits eingangs erwähnt habe: Istanbul hat mich begeistert und mir das Gefühl gegeben, noch so viel mehr von dieser tollen Stadt entdecken zu wollen. Trotzdem wurde diese Freude direkt nach unserer Ankunft in Sofia wieder etwas getrübt. Nachrichten von Journalisten, die aus der Türkei ausgewiesen werden, die Tatsache, dass Wikipedia dort verboten ist und das Gefühl auf offener Straße nicht allzu negativ über den 12. Präsidenten der Türkei reden zu dürfen, waren Teil dieser Reise – ebenso wie das Gefühl, irgendwie nicht zu rosarot über Istanbul berichten zu wollen.

Mit dem Nachtzug von Sofia nach Istanbul

Erster Eindruck von Istanbul: Ganz schön bunt hier!

Colorblocking in Istanbul

Frisch gepresste Säfte an jeder Ecke 🙂

Posen im Sonnenuntergang

Bunte Luftballons im Sonnenuntergang

Das einzige türkische Wort, das ich mir merken konnte! „Elli“ bedeutet auf türkisch ganz einfach „Fünfzig“

Die Reisebegleitung mit dem Rücken zur Stadt

Der Blick auf die Stadt von der Süleymaniye Moschee

Die Süleymanyie Moschee im Abendlicht

Blick auf die Hagia Sophia

Mein Versuch ein schönes Foto von der Straßenbahn zu machen

Der Garten neben dem Archäologischen Museum

Mau!

Symbolbild der Überreizung im gedeckten Bazar

Nochmal gedeckter Bazar

 

Symbolbild für die zahlreichen bunten Straßen Istanbuls

Zum Abschied: ZUCKER FÜR ALLE!

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Zwei Monate in einem Artikel

„Deine Schönheit bleibt im Innersten verborgen
Nur was dich überlebt ist von Bedeutung für morgen“
(OK KID – Februar)

Zu Weihnachten bekam ich ein Plakat geschenkt, auf dem hundert Dinge aufgelistet sind, die es in Bulgarien zu sehen oder zu erleben gibt. Jede erledigte Aktivität darf mit einer Münze freigerubbelt werden. Bei der Geschenkübergabe fiel das Resultat noch sehr übersichtlich aus. Lediglich der Besuch von Plovdiv, das Wandern im Rila-Gebirge und ein paar Ausflüge in und um Sofia hatte ich bis dahin geschafft. Irgendwie deprimierte mich das. Der Gedanke, dass ein FSJ in Deutschland und eine Urlaubswoche in Bulgarien ähnliche Ergebnisse im Bereich der Landeskunde hervorgebracht hätten, wie diese ersten drei Monate, kam mir nicht nur einmal.

Mittlerweile hat sich das geändert. Im kalten und verschneiten Januar konnte ich nicht nur meine Kenntnisse im Skifahren autodidaktisch erneuern, sondern auch nächtliche Schneeballschlachten im Park, eine WG-Party und meine selbstgebackene Banitza genießen. Das Abenteuer „Zug fahren“ erledigte ich am selben Nachmittag wie die „bulgarischen Kukeri“ sehen. Gemeinsam mit den anderen Freiwilligen fuhr ich am 25. Januar nach Pernik zur Eröffnungsfeier des internationalen Maskeradenfestes (auf bulgarisch „Surva“). Dort sahen wir uns den Umzug der Kukeri an – Menschen verkleiden sich mit Tiermasken, läuten mit Kuhglocken und tragen Fackeln, um die bösen Geister des Winters zu vertreiben und den Frühling einzuleiten.

Das scheint ihnen gelungen zu sein. Denn von dem „sibirschen Winter“, vor dem mich mein Vermieter warnte, habe ich noch nicht viel mitbekommen. Auf den Schnee folgten zwei Regentage und an einem Abend vor drei Wochen roch die Luft plötzlich nach Frühling. Wenn ich nach Feierabend nachhause gehe, ist es nicht mehr stockdunkel. Bereits Anfang Februar gab es lauwarme Temperaturen im zweistelligen Bereich. Praktisch, dass ich ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt meine  Dienstreise antreten konnte. Gemeinsam mit einer Kollegin sollte ich zwei der drei deutschen Lesesäle in Bulgarien sowie das neue Goethe-Institut in Bukarest besuchen. Erste Station: Varna am Schwarzen Meer.

In Varna angekommen, spazierten wir durch den Meeresgarten in Richtung Strand. Meine Kollegin Maria kommt ursprünglich aus Varna und konnte mir so viele interessante Dinge über die Stadt erzählen. Sie zeigte mir unter anderem eine kleine Holzbrücke im Park und riet mir, diese mit geschlossenen Augen zu überqueren und mir dabei etwas zu wünschen. Gesagt, getan und siehe da: Mein Wunsch, einen Cappuccino direkt am Strand zu trinken, wurde wahr. Am nächsten Morgen entdeckte ich die magische Anziehungskraft des Meeres und stand deutlich früher als gewöhnlich auf, um vor dem Frühstück noch einen kurzen Spaziergang am Strand zu machen. Später besichtigten wir den Lesesaal, bevor es weiter in Richtung Ruse ging. Ruse ist eine Stadt an der rumänischen Grenze und liegt direkt an der Donau. Hier gibt es zwar keinen Strand, dafür aber ein historisches Stadtzentrum. Ich benannte einen Teil davon in  „Zuckerwattestraße“ um, da es hier statt sozialistischen Grautönen eher romantische Altbaufassaden in hellen Pastelltönen gibt.

Einen ganz anderen Eindruck als Varna hinterließ auch die Bibliothek von Ruse. Während der Lesesaal in Varna in einem sozialistischen Betonklotz untergebracht ist und von innen her eher an einen gemütlichen, aber etwas chaotischen Dachboden erinnerte, zählt die Bibliothek in Russe für mich in ihrer Gesamtheit zu den schönsten Bibliotheken die ich je sah. Meterhohe Regale, gemütliche Sitzecken und viele Pflanzen verleihen ihren Räumlichkeiten einen gewissen Charme. Gekrönt wird dieser durch die fast hundertjährige Uhr, die in einer kleinen Mansarde unter dem Dach untergebracht ist und alle zwei Tage per Hand aufgezogen werden muss.

Da unser Auftrag lautete drei Städte in drei Tagen zu besuchen, ging es keine vierundzwanzig Stunden später weiter nach Bukarest. Bis dahin hatte ich mich kaum mit der rumänischen Hauptstadt auseinandergesetzt. Ich erwartete eine Art zweites Sofia. Umso überraschter war ich, als ich in Bukarest plötzlich an Berlin und Paris denken musste. Die vielen Menschen, der hektische Verkehr, die riesigen Prachtbauten und die zahlreichen Kneipen ließen Sofia im Vergleich plötzlich wie einen gemütlichen Kurort wirken. Nach dem ich mich dann plötzlich auch sehr sehnte.

Irgendwie verrückt, dass es schon wieder ein Jahr her ist, dass ich in Berlin saß und noch keine Ahnung hatte wohin und vor allem letztendlich für wie lange es mich irgendwohin verschlagen sollte. Jetzt bin ich seit einigen Monaten in Bulgarien und fühle mich in Sofia irgendwie zuhause. Das mag auch an meiner Mitbewohnerin und Arbeitkollegin Pia gelegen haben. Für sie endet der Freiwilligendienst am Wochenende. Ihre sechs Monate sind bereits vorbei, während für mich gerade die zweite Halbzeit beginnt. Ich hoffe, dass ich diese genauso gut überstehen werde, auch wenn ich Pia und die anderen Freiwilligen, die bereits wieder in Deutschland sind, höchstwahrscheinlich vermissen werde.

Fotos aus dem Januar:

Pernik: Die traditonellen „Kukeri“, die den Winter vertreiben sollen.

Pernik: Diese Wintergeister sind aber auch gruselig!

Borovetz, autodidaktisches Skicamp Nr. 2: Paul, Elli und Brigitte auf Wilder Fahrt.

Fotos aus dem Februar:

Sofia: Endlich mal wieder klettern.

Varna: Abendspaziergang.

Varna: Morgenrunde.

Varna: Mittagspause.

Ruse: Die „Zuckerwattestraße“ im Stadtzentrum

Bukarest: Ich fand es dort schön und schrecklich zugleich.

Bukarest: Neben hohen sozialistischen Platten auch viel historischer Kram. Auf jedenfall hektischer, pompöser und irgendwie stressiger als Sofia.

Sofia: Abends ist es nicht mehr dunkel und die Luft riecht nach Frühling.

Sofia: Beim Ausflug zu Ikea haben wir sehr wichtige Dinge für die Bibliothek gekauft!

Sofia: Abschiedsrunde 1.0 – Für Finn, Pia, Johanna und Clara ist das FSJ nun vorbei.

 

 

 

 

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Skiausflug im Vitosha-Gebirge

„In der Gegenwart bin ich zufrieden, ziemlich schräge Sache
Ja fast niedlich, denn man sieht sogar die Zähne wenn ich lache“
(Chakuza – Dieser eine Song)

„Skifahren ist wie Fahrradfahren“, an diese Hoffnung klammerte ich mich am vergangenen Wochenende, als es für mich zum ersten Mal seit 18 Jahren wieder auf die Piste gehen sollte. Angesteckt durch Clara hatten auch Finn, Paul und ich den Entschluss gefasst, den „Hausberg“ von Sofia, den Vitosha, endlich einmal nicht nur zu Fuß, sondern auch zu Ski zu erkunden. Am Sonntagmorgen verließen Clara und ich unsere Wohnung, um mit dem Bus an den Stadtrand zu fahren. Dort mussten wir noch einmal in die sagenumwobene „66“ steigen. Doch während Finn und ich noch in unseren Erinnerungen an unseren Wanderausflug vom November schwelgten, von dem klapprigen Bus berichteten, der uns damals an unser Ziel gebracht hatte und innerlich schon präventiv mit der Reisekrankheit zu kämpfen hatten, bog die erste Überraschung des Tages um die Ecke: Statt des knallgelben Mercedes-Oldtimers der uns im Herbst auf den Berg gebracht hatte, fuhr ein relativ moderner und vor allem gut beheizter Reisebus an der Haltestelle vor. Ob diese Neuerung mit der Witterung und den somit erschwerten Anfahrtsbedingungen oder mit dem Versuch das Skigebiet für seine Gäste attraktiver zu gestalten zusammenhing konnten wir nun auf der rund 45-minütigen Fahrt diskutieren.

Oben angekommen liehen wir Skier, Stöcke und Schuhe aus. Auf Helme und Brillen mussten wir verzichten – die führte der Verleih leider nicht in seinem Sortiment. Zum Glück hatte ich meine dicke Pudelmütze mit der Bommel auf – die würde das Schlimmste schon abhalten, hoffte ich und malte mir grauenvolle Unfallszenarien aus. Die passende Skikleidung hatten wir bereits am Samstag in Sofia gekauft. Mit Finn und Paul war ich losgezogen, um Skihosen oder zumindest so etwas ähnliches im Second-Hand-Laden zu erstehen. Paul ergatterte dabei das heißeste Teil: Einen Skianzug in den schönen Komplementärfarben blau, gelb und rot, mit der Aufschrift „Skiadventure unlimited“, dessen letztes Abenteuer im Schnee garantiert noch länger her war als meins. So ausgerüstet konnte doch gar nichts mehr schiefgehen!

Und tatsächlich, Überraschung Nummer zwei an diesem Tag: Nach anfänglichen Schwierigkeiten überhaupt in die Skischuhe zu kommen, geschweige denn mit den Skiern an den Füßen irgendwie vorwärts zu gelangen, klappten die ersten Übungen ganz gut. Clara, als einzige von unserer Gruppe wirklich bewandert in diesem Sport, zeigte uns das Bremsen und Kurvenfahren auf dem „Babyhügel“. Bevor ich jedoch soweit war, musste ich erst einmal eine halbe Stunde rumheulen, zum Aufwärmen sozusagen. „Die Schuhe drücken, mein Knöchel tut weh, ich komme gar nicht vorwärts, ich hab keine Lust mehr, ich höre sofort auf“ jammerte ich eine Weile vor mich hin, bis eine Lockerung der Skischuhe zumindest beim rechten Bein irgendwann für eine Entlastung sorgte. Danach konnte auch ich mich endlich auf das Skifahren einlassen und schon bald entließen wir unsere Trainerin Clara, damit diese nun endlich die richtige Piste fahren konnte, während wir weiter neben zahlreichen sechsjährigen Kindern versuchten nicht ganz bescheuert auszusehen. Paul hatte schon bald genug von diesen langweiligen Übungen und folgte Clara auf die Piste. Dass es sich dabei um eine rote handelte, hatte er in Vorfreude auf seine erste Abfahrt wohl verdrängt.

Und so erlebte er einen starken Adrenalinausstoß, während Finn und ich noch von einfachen Fortbewegungsmethoden träumten. Doch schon bald hatten auch wir die Nase voll von dem flachen Wanderweg auf dem wir trainierten und fassten unser nächstes Ziel ins Auge: Den nahegelegenen Rodelberg. Da wir unsere Ausweichmanöver dann doch als noch nicht sehr ausgeprägt einschätzten, verwarfen wir diesen Plan bald wieder und zogen weiter in Richtung Skipiste. Auf dem Weg dorthin kamen wir an weiteren Hügelchen vorbei, trauten uns aber noch nicht so recht, da auch diese von zahlreichen Kinderskikursen bevölkert wurden. Wir wollten ja niemanden gefährden. Irgendwann (das Fortbewegen auf Skiern im Flachen kam in unserem Fall zunächst einer Schnecke gleich), erreichten wir die Piste. Statt des erwarteten sanften Gefälles gruselten wir uns jedoch vor dem steilen Abhang der sich uns offenbarte. „Da fahre ich niemals im Leben runter“ verkündete ich und fragte mich, wie Paul diese Abfahrt wohl überstanden hatte. Finn, ausnahmsweise einmal auf meiner Seite, hatte ebenfalls wenig Lust sich diesem Risiko auszusetzen und so entdeckten wir wenig später einen kleinen Berg, der uns für unsere Anfängerfähigkeiten optimal erschien. Leider durften wir den Tellerlift, der sich dort befand, nicht benutzen, da er ausschließlich für die Skischulen zur Verfügung stand und mussten den Berg auf unseren Skiern erklimmen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir „oben“ an und stellten fest, dass es von hier aus plötzlich doch tiefer hinabging als gedacht und dass die zahlreichen Snowboarder, die hier anscheinend ihre Pausen einlegten, wirklich alle mitten in der Fahrbahn saßen (ich habe diese Menschen beobachtet, sie haben den ganzen Tag lang nur im Schnee gesessen und dabei wirklich keine sportlichen Bewegungen gemacht). Mutig fuhren wir trotzdem los und da ich kurzzeitig vergessen hatte, wie eine Bremsung funktioniert, schmiss ich mich provisorisch in den Schnee um anzuhalten. Nur Sekunden später lag Finn neben mir. Doch erneut rutschten und fluchten wir den Berg hinauf; die zweite Abfahrt klappte schon besser. Ein drittes Mal wollten wir uns die Tortur des Aufstieges jedoch nicht geben und so kam ich auf die grandiose Idee, die Skier einfach auszuziehen und nur in Skischuhen hinaufzusteigen. Leider hatte ich vergessen, dass Skischuhe einem gewöhnlichen Schuh tatsächlich nicht sehr nahe kommen und so war auch dieses Unterfangen etwas kompliziert. Außerdem etwas unbedacht von mir – wäre ich in ein Loch getreten (und es gab leider einige davon), hätte ich die tolle „Dr. Walter“ Krankenversicherung eventuell in Anspruch nehmen müssen. Doch zum Glück ging alles gut und oben angekommen versuchten wir die Skier wieder anzuziehen. Leider stellten wir uns dabei so dumm an, dass ein paar der rumsitzenden Snowboarder Hilfestellung leisten mussten. Eigentlich hatte Finn beschlossen, dass wir davon niemandem erzählen würden. Doch da ich im Laufe des Tages auch andere Leute beobachtet habe, die diese Taktik anwandten, denke ich, dass es gar nicht so ungewöhnlich ist, bzw. wenn doch, dass wir immerhin nicht alleine dumm waren. Während wir noch einmal den Berg „hinuntersausten“, glitten Paul und Clara im Lift über uns hinweg. Paul hatte also überlebt. Dadurch angespornt beschloss nun auch Finn dieses Abenteuer zu wagen. Da Paul mit den Worten „Ich möchte nie wieder da runterfahren“ wieder zu uns gestoßen war, musste ich Angsthase jedoch nicht alleine bleiben. Während nun also Finn und Clara hinab fuhren, blieb Paul bei mir und während wir über den flachen Weg zwischen den einzelnen Hügeln schlichen, philosophierten wir darüber, dass Langlaufen doch eigentlich auch eine schöne Art des Skisports wäre.

Im Laufe des Tages wagte ich mich dann doch noch einmal auf die beiden überbevölkerten Skischulpisten. Bei einer durften wir sogar den Tellerlift benutzen, doch da es in diesem Moment leider schneestürmte, wurde die Abfahrt vom frisch gefallenen Neuschnee abgebremst. Doch ich ließ mich nicht entmutigen und versuchte es nach einer kurzen Mittagspause erneut. Und, Überraschung Nummer drei, irgendwann hatte ich das Gefühl den Bogen zumindest etwas herauszuhaben. Kurven fahren, Bremsen – das alles klappte plötzlich wirklich gut. Natürlich war ich trotzdem noch nicht mutig genug nun auch die rote Piste in Angriff zu nehmen. Neben der steilen Abfahrt spielte dort auch meine Angst vor dem Sessellift mit hinein. Da ich Fahrten mit solchen Gerätschaften schon unter normalen Bedingungen nicht genießen kann, traute ich mich nicht so recht, dieses Abenteuern mit Skiern unter den Füßen zu wagen.

Diese Befürchtungen sollte ich wohl möglichst bald überwinden. Denn tatsächlich habe ich Spaß gefunden an diesem Sport und große Lust schon bald einen wirklichen Berg hinabzufahren, statt mich um sitzende Snowboarder und rodelnde Kinder herumwinden zu müssen.

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Der rutschige Start ins Neue Jahr

„Wenn du glaubst, dass du ständig gegen Wände rennst
Sieh es als Vorteil, wenn du endlich alle Wände kennst“
(Neonschwarz – Hinter Palmen)

Achtung, Rutschgefahr! Dieser Warnhinweis sollte dick und fett überall dort in Sofia hingeklebt werden, wo sich Hausbesitzer oder -bewohner nicht die Mühe gemacht haben den Schnee vor der Tür wegzukehren. Außerdem bitte auch noch auf jeden einzelnen der gelben Backsteine mit denen ein Großteil des Stadtzentrums gepflastert ist. Und natürlich überall dort, wo statt normaler Bodenplatten eine Art von Fliesen auf dem Gehweg verlegt wurde. Also eigentlich überall. Denn: In Sofia wird nicht gestreut. Und somit verwandelt sich der Schnee, der in den ersten Tagen des neuen Jahres fast ununterbrochen vom Himmel fiel, mit einsetzendem Tauwetter mehr und mehr in eine stabile Eisfläche. Die tägliche Herausforderung ist es, diese sicher und ohne Zwischenfälle zu überqueren und dabei noch zügig voranzukommen. Denn wie das eben so ist mit den guten Vorsätzen: Die Idee, ab 2019 wieder um 9 Uhr statt um 10 Uhr mit der Arbeit anzufangen (Gleitzeit sei Dank) ließ sich schwerer realisieren als zunächst gedacht. Irgendwas war an den ersten Abenden des neuen Jahres immer los und somit habe ich den Kampf gegen meine innere Uhr (spät ins Bett, spät raus aus dem Bett) wieder einmal verloren.

2019 begann für mich, wie bereits in meinem letzten Post von 2018 erwähnt, nicht in Sofia, sondern in der Nähe der Stadt Gotze Delchev, genauer gesagt in dem 40-Seelen Dorf namens Delchevo. Hier verbrachte ein paar schöne Urlaubstage mit einer bunt gemischten Reisegruppe, bevor es am 1. zurück in die vertraute Umgebung ging. Hier dauerte es nicht lange und der Alltag hatte mich wieder. Ich gehe täglich zur Arbeit, hatte schon viermal Sprachkurs und sehe die bekannten Gesichter wieder. Alles wie immer also, oder doch nicht?

Tatsächlich brachte der Jahreswechsel ein paar Änderungen mit sich. Zunächst einmal haben wir eine neue Freiwillige und für Pia und mich heißt das auch, dass wir gleich zwei neue Mitbewohner in die WG bekommen haben. Clara, die eigentlich in Russland eingesetzt war und dort Probleme mit dem Visum hatte und Fabian, einen deutschen Erasmus-Studenten. Außerdem bekam ich am ersten Januarwochenende mal wieder ein sehr vertrautes Gesicht zu sehen, dessen letzter Anblick schon wieder mehr als sechs Monate zurücklag: Mein zweiter Besuch aus Deutschland stand an. Sophie, die ich noch aus dem ersten Semester in Leipzig kenne und die mittlerweile längst in Frankfurt (Main) wohnt, hatte sich auf den Weg gemacht um mir wiedereinmal ihre Leidenschaft für „den Osten“ unter Beweis zu stellen. Eine bessere Jahreszeit hätte sie sich dafür nicht aussuchen können – selten sah Sofia so authentisch „osteuropäisch“ aus, wie an diesen eiskalten Wintertagen.

Gemeinsam stapften wir drei Stunden lang durch den Schnee um uns bei einer Stadtführung mehr über die kommunistische Vergangenheit Bulgariens erläutern zu lassen. Die Tatsache, dass ich bis dahin nicht wusste, dass ein Stück Berliner Mauer auf einem meiner Lieblingsplätze in Sofia steht, spricht dafür, dass diese Unternehmung trotz gewisser Vorkenntnisse meinerseits einen gewissen Bildungsauftrag erfüllt hat. Zum Ausgleich verbrachten wir die restliche Zeit meistens sehr kapitalistisch. Entweder in einem Restaurant oder einem Geschäft, einer Bar oder einfach nur auf meinem Sofa – mit Tee und Schokolade in der Hand.

Damit mir nach so viel freundschaftlichem Input nicht die Decke auf den Kopf fallen konnte, beschloss ich mich am darauffolgenden Wochenende den anderen Freiwilligen (und dem Praktikanten vom Goethe-Institut) anzuschließen. Sie wollten nach Plovdiv fahren. Dort war ich ja eigentlich erst im November gewesen und wirklich Lust auf nochmal Sightseeing, vor allem bei diesen Temperaturen, hatte ich eigentlich nicht. Aber da es bei diesem Ausflug eigentlich mehr um die Eröffnung als diesjährige „Europäische Kulturhauptstadt“ gehen sollte, fuhr ich mit. Eine sehr gute Entscheidung, wie sich im Nachhinein herausstellte. Zum einen lag unsere Wohnung direkt im Zentrum der Stadt. Den Weg dorthin wies uns nicht der Stern von Bethlehem, sondern der Fernsehturm zu Babel: In die Mitte einer großen Straße hineingepflanzt machte ein mehrstöckiger Block, bestehend aus Bildschirmen, Boxen und sonstiger Technik die Nacht von Freitag auf Samstag zum Tag. Im Viertelstundentakt wechselten Lichter und Töne sowie deren Intensität: Generalprobe für die große Veranstaltung am nächsten Tag.

Diese sollte jedoch erst am Abend stattfinden. Wie bereits erwähnt: Nochmal Lust auf antikes Theater oder kommunistisches Kriegerdenkmal hatte ich an diesem Wochenende nicht. Also trafen Finn, Nele und ich uns mit einer deutschen Lehrerin, bzw. Schulinspektorin, aus Plovdiv zum Kaffee, während die anderen Drei sich die historische Altstadt anschauten. Aus einem Kaffee wurde bei mir eine heiße Schokolade und später der gemeinsame Besuch der Eröffnunsfeier. Dort zitterten wir mehrere Stunden, während wir traditionelle bulgarische Tänze und moderne Bearbeitungen des Mottos „заедно“ („Zusammen“) beklatschten und verschiedenen Eröffnungsreden lauschten. 

Am nächsten Tag ging es zurück nach Sofia und am Montag ganz gewohnt ins Goethe-Institut. Hier geht auch alles seinen gewohnten Gang. Einige Projekte vom letzten Jahr, wie beispielsweise der Edit-a-thon und die Buchmesse bedürfen noch einiger Nachbereitung, aber ansonsten gibt es eigentlich wenig Nervenaufreibendes auf das ich mich gerade konzentrieren muss.

Und somit kann ich meine Tage damit verbringen durch die Regale zu streifen und den Bestand zu sortieren. Da es immer etwas chaotisch zugeht, ist diese Aufgabe gar nicht so einfach, wie zunächst gedacht. Nicht immer steht das gesuchte Buch dort, wo es stehen sollte. Manchmal taucht es gar nicht mehr auf – oder Stunden später, jedoch an ganz unvermuteter Stelle. Trotzdem bereitet mir diese Aufgabe viel Spaß. Wenn ich ein interessantes Buch entdecke, kann es vorkommen, dass ich mich erstmal eine halbe Stunde damit auf den Boden der Bibliothek setze (oder lege), um es mir in Ruhe anzuschauen. Außerdem gehören zum Bestandsortieren auch kleine Aufräumarbeiten dazu. An manchen Tagen finde ich Sachen in den Regalen, die dort definitiv nicht hingehören. Oder ich spitze die Buntstifte in der Kinderecke an.

Neben diesen sehr praktischen Übungen gibt es natürlich trotzdem auch E-Mails die beantwortet werden wollen. Gerade arbeite ich an einem kleinen Projekt das sich „Nacht der Literaturen“ nennt. Diese soll im Mai stattfinden und wird vom Tschechischen Zentrum in Sofia initiiert. Die Idee ist es, bulgarische Übersetzungen von Texten aus verschiedenen europäischen Ländern vorzutragen. Neben Tschechien und Deutschland beteiligen sich beispielsweise auch das Institut Francais und das British Council. Ich organisiere den Beitrag des Goethe-Instituts. Gesucht wurde ein zeitgenössisches deutsches Buch, das erst nach 2000 verlegt wurde und das natürlich ins Bulgarische übersetzt wurde. Meine Wahl viel auf „Das Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells. Sowohl Buch als auch Autor gehören seit längere Zeit zu meinen persönlichen Favoriten.

Momentan scheint es also bei mir zu laufen. Es kann sein, dass es nur die anfängliche Neujahrseuphorie ist, die sich momentan noch wacker hält und mich zur guten Laune zwingt. Von den Zweifeln, die mich im November beschlichen und dem kurzen Gefühl von Heimweh, dass sich nach den Weihnachtsferien in Deutschland plötzlich einstellte ist, zumindest im Moment, nicht mehr viel übrig.

Nico genießt den Ausblick auf den Party-Turm in Plovdiv – er ahnt noch nicht, dass er bis 4 Uhr morgens Freude daran haben wird

Diesen Hinweis hätte es in Plovdiv gar nicht gebraucht! Da lag kein Schnee – im Gegensatz zu Sofia.

Das Motto für Plovdiv 2019: Zusammen

Bei eisigen Temperaturen warteten wir auf die Eröffnung von Plovdiv als diesjährige „Europäische Kulturhauptstadt“

Ich sortiere und sortiere und sortiere…

Berliner Mauerstücke dienen heute als Kunst.

Nochmal Kunst – eine bunte Treppe in einem meiner neuen Lieblinsgeschäfte in Sofia.

Sophie und ihr Ausflug in die bulgarische Küche.

Sofia – das Winterwunderland.

Das obligatorische Schneefoto von der Newski-Kathedrale, an der ich täglich vorbeikomme.

„Der deutscheste Moment meines Lebens“ – Feldgiekerabend bei Finn und Paul. Oder auch „Es gibt Stulle mit Brot“.

Bulgarien ist, wenn du dich über die Anwesenheit einer Duschkabine freust!

Nochmal ein Stück Berliner Mauer

„Der wilde Osten“ – ganz verschneit.

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