Osteuropäisches Gesundheitswesen

Seit der Wende hoffen Ärzte und Lehrer in Osteuropa auf eine Lohnerhöhung, doch ihr Gehalt liegt noch immer zwischen etwa 500 und 700 Euro monatlich –  Anfang Oktober traten deshalb die polnischen Ärzte in den Hungerstteik, und dieser Streik weitet sich auf die Ärzte anderer osteuropäischer Staaten aus.
Nicht nur der Lohn, sondern auch die hohe Arbeitsbelastung ist ein Grund für den Streik. Viele polnische Ärzte haben mehrere Jobs, um über die Runden zu kommen, sie sind teilweise mehr als 30 Stunden am Stück auf der Arbeit. Mindestens eine Ärztin ist an dieser Überarbeitung bereits gestorben.
Und auch die Patienten leiden unter dem Gesundheitssystem, sie müssen nicht selten bis zu einem Jahr auf einen Termin warten.
In Ungarn ist es zudem üblich, dem Arzt ein Trinkgeld zu geben, das natürlich aus der eigenen Tasche bezahlt wird. Diese Art der Bezahlung ist je nach Leistung unterschiedlich hoch, eine Gehirnoperation kostet zum Beispiel etwa 550€. Für viele ist das ein kompletter Monatslohn, doch wie eine meiner Kolleginnen sagte: „Wenn es um ein Menschenleben geht, zahlt man halt.“
Auch die ungarischen Lehrer haben Nebenjobs, um genügend Geld zu verdienen. Dadurch haben sie wenig Zeit, Unterricht vorzubereiten, was (laut einer anderen Kollegin) einen Teufelskreis zur Folge hat, denn dadurch brauchen noch mehr Schüler Nachhilfe und die Lehrer, die diese anbieten, haben noch mehr zu tun.
Vor allem junge Osteuropäer wandern nach England, Österreich oder Deutschland aus, da sie dort besser verdienen. Ironischerweise studieren einige Deutsche wiederum in Ungarn Medizin, weil ihr Abitur für ein Studium in Deutschland nicht gut genug ist. Die medizinische Ausbildung in Ungarn hat einen guten Ruf und die Universität in Pécs ist eine von vielen, die einen Medizinstudiengang auf Deutsch anbietet. Im Bus nach Bratislava saß ein Deutscher, der in Pécs Zahnmedizin studiert, neben mir. Sein Plan war keineswegs, dauerhaft in Ungarn zu bleiben. Nicht einmal die Sprache beherrscht er. Tatsächlich hat er in diesem Semester imense Verständigungsprobleme, weil er in seinen bisher fünf Semestern den Sprachunterricht nicht ernst genommen hat und bald selbstständig Patienten betreuen soll. In Pécs, einer internationalen Universitätsstadt, hat er bisher kaum Ungarisch gesprochen, seine Patienten wird er jedoch auf Ungarisch beraten müssen. Ich kann nur hoffen, dass er ein Einzelfall ist.
Ist er mit seinem Studium erst fertig, wird er in Deutschland dankend aufgenommen werden, denn auch dort herrscht Ärtztemangel. Das deutsche Gesundheitswesen mag zwar lange nicht so unterbezahlt und rücksichtslos sein wie einige osteuropäische, doch auch dieses System muss dringend überarbeitet werden. Die Ärzte verdienen nicht angemessen, ein noch größeres Problem ist meiner Ansicht nach allerdings das Zwei-Klassen-System, das fast schon an Diskriminierung grenzt. Es kann nicht sein, dass Privatpatienten um einiges privilegierter sind als Patienten mit einer gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist schlicht ungerecht.
Sei es nun in Polen, Ungarn oder Deutschland, es ist an der Zeit, dass sich etwas ändert. Medizinische Versorgung sollte kein Privileg der Reichen sein, und die Ärzte sollten angemessen entlohnt werden. Leben oder Tod sollte auf keinen Fall eine Frage des Geldes sein.