Meine Schule als Holiday-Freizeit-Park

Die zwei Reihen, die die Abiturienten bilden, fangen schon am Schultor an. Jeder von ihnen hat ein großes Tablett mit Essen in der Hand: kleine Sandwiches, Kuchen, Strudel, Muffins, Kekse, Obst,… es gibt kaum etwas, was darauf nicht zu finden ist. Ich schlängele mich zwischen den Reihen hindurch, werde mit Essen überladen, lächele und sage köszönöm – danke. Als ich nichts mehr tragen kann, gibt mir ein Abiturient einen Pappteller.

Schließlich habe ich es geschafft und bin im Gebäude. Dort wartet schon die nächste Überraschung: Der Flur vorm Deutschfachschaftsraum hat sich laut großem Schild in „Port Royal“ verwandelt. Ein riesiges Pappschiff markiert den Anfang, dahinter stehen hüftgroße Fässer und große Netze hängen von der Decke.

Im Laufe des Tages stelle ich fest, dass auch die anderen Flure geschmückt sind. Es gibt insgesamt fünf Abiturientenklassen, und jede von ihnen hat ein Motto: Hallywood (a wegen Klasse a), Hippie, Pirates of the Old Lake (weil der See in Tata Alter See heißt), Harry Potter und Tribute von Panem.

Im Hallywood-Flur gibt es unter anderem einen roten Teppich, auf dem Sterne mit den Namen der Schüler geklebt sind, und einen Schminktisch. Copyright: Facebookseite Miki és a 12-a

 

Und im  Hippieland hängen Schallplatten, gemusterte Tücher und Luftballons von der Wand, außerdem läuft ein Schüler mit einem Free-Hugs-Schild herum. Seht ihr das JointUs-Schild? 😀 Copyright: Facebookseite Tomas és a 12-b

In den Fluren gibt es noch mehr Essen: So kann man im Harry-Potter-Flur Espresso Patronum und Felix Felicis trinken und im Panem-Flur (der als Wald geschmückt wurde) zwischen den verschiedensten süßen Kleinigkeiten wählen.

Schon bald wird klar, dass weder am Dienstag noch am Mittwoch normaler Unterricht stattfinden wird, denn die Abiturienten haben kleine Kupons gebastelt, das sind Pappkarten, die man beim Lehrer einlösen kann. Die „Antwortsverweigerer“ kann man zum Beispiel benutzen, wenn man auf eine Frage des Lehrers nicht antworten möchte. Aber so weit kommt es meistens gar nicht: Die „Spiel-Kupons“ sorgen dafür, dass in fast jeder Stunde mindestens ein Spiel gespielt wird. Je nach Klasse sind die Kupons sehr unterschiedlich. So haben die Kupons der Harry-Potter-Klasse z.B. die Form von Zauberhüten und Schnätzen und die der Piraten-Klasse sehen aus wie Totenköpfe.

Im Fachschaftsraum erzählt mir eine Kollegin, dass ein früherer Lektor die Schule mal als Holiday-Freizeit-Park bezeichnet habe. Hm. Ist das nicht ein bisschen doppelt gemoppelt? Holiday und Freizeit? Naja egal, mir gefällt der Holiday-Freizeit-Park. Jetzt verstehe ich auch, warum die Abiwoche in Ungarn ein Dreivierteljahr vor dem Abitur stattfindet: Außer der Deko und dem Essen organisieren die Schüler nämlich noch einen Film, T-shirts und Nachmittagsprogramme. Das alles wird auf Facebook festgehalten. Am Montag werden die Filme gezeigt: Jeder davon ist zwischen 15 und 20 Minuten lang. Vor den Filmen laufen die Klassen einzeln zu verschiedenen Liedern ein und führen einen Tanz vor (nichts klassisches, sondern moderne Choreos). Für diesen Tanz und für den Bandweihe-Ball im Januar haben sie vor dem Unterricht (also um 07.15 Uhr!!!) Tanzstunden. Was für ein riesiger Aufwand! Dass das für die Abizeit im Frühling viel zu stressig ist, leuchtet ein.

Darüber hinaus stellt jede Klasse einen Königskandidaten (übrigens alle männlich, auch in der Panem-Klasse), und am Donnerstag ist es so weit – es wird abgestimmt. Man kann in mehreren Kategorien abstimmen: Deko, Film, Programm, T-shirts, Facebookseite und König. Am Freitag wird dann das Ergebnis verkündet. Aber natürlich ist es nicht nur eine einfache Verkündung. Nein, alle Schüler kommen in der Sporthalle zusammen und es werden erst einmal Filme über vergangene Schulfeste gezeigt. Einer davon demonstriert den ersten Tag nach den Ferien: anscheinend ein riesiges Fest mit jede Menge Teambuildingspielen. Ein anderer zeigt Klassen beim Skifahren.

Dann ist es soweit. Als der König verkündet wird, läuft die ganze Klasse nach vorne, Musik wird gespielt, es wird sich umarmt und vor Freude geweint. Als sich alle beruhigt haben, bekommt der König einen langen, roten Umhang und ein Spielzeugschwert. Die anderen Kandidaten sind jetzt seine Ritter und bekommen ebenfalls ein Schwert. Musik wird gespielt und die Ritter marschieren ein. Sie nehmen Haltung an und wieder sieht es aus, als hätten sie diesen Einmarsch vorher eingeübt. Sogar das Schwert wird erhoben, als der König kommt. Nach noch ein bisschen mehr Posieren übergibt die Direktorin schließlich die Königsinsignien und eine Schülerin setzt dem König seine Krone auf.

Doch das war noch längst nicht alles. Auf die Krönung des Königs folgt noch die Vereidigung der Neuntklässler. Da die Grundschule in Ungarn acht Jahre lang ist, sind sie die Jüngsten.

Die sogenannten Störche präsentieren zuerst einen Schultanz (natürlich), danach nimmt der König ihnen den sehr langen und nicht ganz ernst gemeinten Eid ab. Dazu gehört unter anderem, „die älteren Schüler zu achten“, ihnen also den Platz in der Mensa zu überlassen und sich dabei zu freuen, dass man zu Diensten sein konnte.

Daraufhin verordnet der König offiziell einen „Schülertag“. Jede Klasse, auch die jüngeren, hat etwas vorbereitet. Ich werde zunächst im Schokoladenzimmer stationiert und bewache einen Schokobrunnen, heiße Trinkschokolade und Brownies (und mache damit alle neidisch :D). Danach gehe ich mit einer anderen Klasse zu dem Fußballturnier, bei dem die Klassen gegeneinander antreten. (Wieder spielen nur Jungs)

Und dann ist es auch schon vorbei: Die Flure verlieren ihre Deko, Schüler und Lehrer ziehen die Abishirts aus, der Schokobrunnen wird eingepackt und das Büffet abgebaut. Meine Mentorin erzählt mir, dass diese Abitraditionen nicht an allen ungarischen Schulen so sehr gefeiert werden wie hier. Wie schade. Diese Woche werde ich bestimmt noch länger in Erinnerung behalten.