Bulgarien ist eine einzige Pfütze (Tag 242-252)

Meine letzte Arbeitswoche hat begonnen. Die Woche vor den Ferien. Vor eineinhalb Wochen wurde ich noch von Hunden verfolgt und hatte ziemlich Angst. Jetzt fühle ich mich auch gehetzt. Zwar nicht so stark und nicht vor Hunden, aber von der Zeit. Wie kann es sein, dass die letzten Monate so schnell vergangen sind?

Seit gestern laufe ich also ein bisschen sentimental durch die Straßen, präge mir nochmal gut die Häuser ein, die Menschen mit ihren Karl Lagerfeld Tshirts, oder auch Karla Gerfeld, grüße die Kassiererin bei Billa ein letztes Mal, gehe zum letzten Mal auf den Markt, na ja vielleicht auch nicht, Wer weiß… Doch bald ist der Alltag vorbei. Ich freue mich auf sommerliche Abenteuer, mein vorübergehendes Zuhause wird mein Rucksack sein, aber es fällt mir wirklich schwer mich zu verabschieden.

Das letzte Wochenende habe ich nochmal sehr gut ausgenutzt. Der Regen konnte Simon und mich nicht davon abhalten in unseren FlipFlops durch die Straßen, oder eher Flüsse Shumens zum Busbahnhof zu laufen um ans Meer zu fahren, nach Balchik. Hut ab an die Kanalisation in Deutschland, die hat es echt drauf!

Mit Verspätung und Stau kamen wir am Freitagabend im trockenen Balchik an. Im Bus wollten wir eigentlich schlafen, aber die Filme in den Bussen hier sind einfach zu herrlich schlecht. Da kann man nicht anders, als hinzuschauen. Balchik ist in zwei Teile geteilt. Im oberen wohnen die Einheimischen, dann folgen 2 km Pampa und am meer ist das Touri-Balchik. Eine Frau im Bus hinderte uns mehrmals daran auszusteigen, weshalb wir uns mehr und mehr von unserer Unterkunft entfernten und zu einem Abendspaziergang gezwungen wurden. Balchik liegt am Hang, weshalb wir einen wunderschönen Blick auf die Stadt hatten. Verwirrende kleine Straßen und Sackgassen, dazwischen bewaldete Ebenen und Wege voller Minischnecken. Bei jedem Schritt hat es sehr laut unter unseren Füßen geknirscht. Eine Schande! Die Delikatessensammler hätten wirklich Glück gehabt auf den Straßen in Balchik. In Didis Guesthouse angekommen, hat sie uns unser Zimmer mit Meerblick, mit meerblick für 17€ für 2 Nächte!!!, gezeigt und wir haben uns auf Nahrungssuche begeben. Natürlich Shopska Salat.

Eigentlich ist Balchik eine Tourihochburg, aber weil so schlechtes Wetter war und vorallem durch Covid, waren ziemlich wenige Touristen unterwegs, wir fast alleine am Strand, die Restaurants alle geöffnet aber ziemlich leer. EIn bisschen traurig, aber auch schön so ohne Menschenmassen. Ein abendlicher Hafenspaziergang, einmal hochklettern auf einen Minileuchtturm und schlafen.

Vergleichsweise zu Shumen haben wir sehr wenige Möwen gehört, und da es in Shumen auf den Straßen unmengen von Wasser gibt konnten wir nun das schwarze Meer mit dem meer von Shumen vergleichen. Balchik gewinnt! Der Ausblick vom Balkon traumhaft. Zum Frühstück gab es, man glaubt es kaum, Baniza, aber in nicht fettig! Sehr lecker! Dann ging es im Starkregen Richtung Sommerresidenz der rumänischen Königin Maria. Samstag war unser Rentnertag, Sonntag dann der Abenteuertag. Komplett durchnässt standen wir dann im Palast.

Eine Ausstellung von Bildern vom Meer, Informationen über den Palast, der ziemlich schlicht für eine Königin gehalten ist und ich habe besonders gerne die Zeilen gelesen mit denen die Köigin den Ort, ihr Paradies, beschrieben hat. So konnte ich mir trotz Regenwetter die Residenz in vollem Glanz vorstellen. Da es sich um eine rumänische Königin handelt, war es auch nicht verwunderlich, dass wir plötzlich mitten in einer rumänischen Reisegruppe waren. Scusa! War nicht unsere Absicht! So viele Rumänen habe ich noch nie in Bulgarien gesehen. Ständig wurden wir auf rumänisch angesprochen, alle Informationen standen auch auf Rumänisch und die Rentergruppe wurde in einem Affentempo durchgeschleust. Umgeben von Senioren ging es dann den terrassenförmigen botanischen Garten rauf. Mittlerweile ohne Regen, konnten wir die riesige Anlage genießen. Weinverkostung und Süßigkeiten, ein Wasserfall, zahlreiche Villen für die Angestellten, Rosenbeete, die Kapelle, in der das Herz der Königin aufbewahrt wird, davor die Stände in denen man Kerzen für Lebende und die Toten entzünden kann. So viele Wege verwirren mich immer, aber letztendlich haben wir es zur anscheinend zweitgrößten Kakteensammlung Europas geschafft. Mediterranes Klima, sehr einschläfernd. Es gibt Kaktusleder. War mir neu. So ein Haus mit riesigem Garten am Meer, hat schon was.

Ein paar deutsche Touristen sind uns auch begegnet. Eine mittagliche Snackrunde, ein Spaziergang durch die Stadt und dann der Entschluss schwimmen zu gehen. Am Strand zwei Kinder im Wasser. Alle anderen in Pullovern, die Strandbar mit lauter Musik lag leergefegt hinter uns und es hat mich schon ein wenig Überwindung gekostet ins Wasser zu gehen. Aber wer im November schwimmen geht, der sollte auch im Juni ins Wasser gehen. Und so wie immer, wenn man mal drin ist, ist es gar nicht mehr so schlimm. Und auch gar nicht tief. Also ein bisschen das Wasser genießen und dann sind wir zum Hafen gelaufen.

Auf der Mauer standen zahlreiche Angler, an den Angeln mehrere Fische, alle paar Minuten wurde die Angel neu ausgeworfen. Angeln ist also ziemlich stressig. An die schräge Hafenmauer gelehnt standen wir da und haben das Spektakel im Abendlicht beobachtet.

Beim Kochen haben wir Fußball geschaut. Ich bin dieses Jahr wirklich schlecht bei kicktipp… Dann haben wir noch Pläne geschmiedet für den nächsten Tag.

Ausgecheckt und wunderbar hässliche Magnete bekommen. In der schwülen Hitze wieder in den oberen Teil von Balchik und weiter ortsauswärts gelaufen. Da standen wir dann, neben einer Tankstelle und haben 20 Minuten lang den Daumen rausgestreckt. So lange musste wir noch nie warten. Dann endlich hält ein Auto! Unser Ziel ist das Kap Kaliakra. Ein Ziel, dass eigentlich nur Touristen ansteuern. Also fragen wir, ob er uns ins nächste Dorf mitnimmt, damit wir von dort aus weitertrampen können. Wir fangen an zu reden. Er sagt, dass wir unbedingt als Kap sollen, wir sagen, dass das unser Ziel ist und er fährt uns hin. Richtig lieb! So haben wir extrem viel Zeit gespart und fahren kurz darauf durch Kavarna, Rockhauptstadt Bulgariens, und weiter über eine flache Ebene mit zig Windrändern. Mit 130 über die Straße. Auf meinem FInger ein blinder Passagier, ein Marienkäfer.Wir bedanken uns und steigen aus. Als erstes sehen wir ein Monument, dahinter ein Rahmen aus Säulen, Balken an denen Glocken hängen und das Meer wird eingerahmt. Es fängt wieder stark an zu regnen und die Landschaft erinnert mich sehr an Irland.

Wir laufen durch das Tor der Festung, die aussieht wie alle anderen Festungen, die ich in Bulgarien gesehen habe. Unter dem Torbogen sitzt ein Mann und spielt Akkordeon, vor uns läuft ein Mann in Badehose, so kann man auch seine Kleidung vor dem Regen schützen. Eine Frau läuft an uns vorbei und schützt ihren Kopf vor dem Regen mit einer Lidltüte, ein Auto fährt durch den Torbogen und hält um aus dem Auto dem Akkordeonspieler Geld zu geben. Hinter dem Tor geht es einen steilen Hügel hinauf. Die Klippen links und rechts sind rötlich gefärbt, der Himmel ist diesig, die Luft schwül, das Meer leuchtet in verschiedenen Blautönen. Je länger man darauf schaut, umso mehr sieht es aus wie ein flimmernder Fernseher oder wie animiert. Wir laufen an Souvenirständen vorbei, vor uns Militärschutzgebiet. Vorbei an einem Restaurant bis ganz nach vorne ans Kap. Neben einer kleinen Kapelle geht es Stufen hinunter. Wir stellen uns auf den vordersten Felsen in die Sonne und halten Ausschau nach Delfinen. Das Meer liegt still unter uns.

Nach einer Weile machen wir uns auf den Rückweg, füllen unsere Flaschen an einer Quelle auf und laufen die Straße entlang. An den Seiten bunte Wiesenblumen. Diesmal haben wir schneller Glück. Eine Frau hält an. Die Windradfrau. Ihren Spitznamen bekommt sie, da sie zweimal anhält um auszusteigen und die Windräder zu fotografieren. Wir versuchen nicht zu lachen, aber irgendwie ist es lustig wie sehr sie von ihnen fasziniert ist.

Im nächsten Dorf steigen wir aus und laufen wieder ortsauswärts. Überwinden Pfützen, in denen man nicht auf den Grund sehen kann, ziehen die Regenjacken aus und wieder an. Es ist eine wenig befahrene Straße. Wir überlegen, ob wir umkehren sollen und es auf der anderen Straße versuchen sollten. Um 21 Uhr müssen wir am Busbahnhof in Kavarna oder Shabla sein und wir haben es nicht wirklich in der Hand, wann wir dort ankommen. Wir beschließen noch eine halbe Stunde zu warten. Nach 10 Minuten hält Adrian, border police. Er nimmt uns mit, ist neugierig:“ Why are you hitchhiking? I don’t get it.“ Wir unterhalten uns mit ihm. Er muss nur ins nächste „Dorf“, ca 10 Häuser, seine Oma besuchen, aber er fährt uns netterweise ein „Dorf“ weiter, weil dort mehr Verkehr sei. Na ja, mehr als im Dorf davor. Ein Rentnerpaar hält an. Wir sagen, dass wir zum Leuchtturm von Shabla wollen. „Lighthouse?“ Sie haben keine Ahnung wovon wir sprechen, aber zum Glück ist er am Horiziont zu sehen und so bringen wir ihnen ein neues Wort bei, werden bis auf den Parkplatz gefahren, es regnet wieder und wir stehen vor der Häuseransammlung.

Im Umland lauter Güllewagen. So riecht es auch. Wir suchen einen unterdachten Vesperplatz hinter dem gescheiterten EU-Projekt Ferienresort und essen nemski chlab (Deutsches Brot) mit Aussicht aufs Meer. Neben uns ein kleiner verängstigter Welpe. Wir laufen zum Fischerhafen und dann den langen Strand entlang. Es liegt ganz viel zeug herum. Algenzeug. Der Strand weiter hinten sieht ganz schön aus. Wir sammeln eine ganze Tüte voll große Muscheln, das Wasser ist warm. Wir überlegen , ob wir noch genug Zeit haben um schwimmen zu gehen und entscheiden uns zum Glück dafür. Ein Strand ohne hässliche Hotels, keine Menschenseele, Aussicht auf den irgendwie schön heruntergekommenen Leuchtturm, das Wasser ist erfrischend und ich freue mich über die kleinen Wellen, schwimme weiter hinaus und sehe nur Meer. Mehr Meer.

Voller Meer und Sand laufen wir dann die letzten Kilometer Richtung dem Ort Shabla. Am Anfang ist die Straße leer, sieht aus, als ob sie ans Ende der Welt führt. Die Grillen zirpen, die Abendluft ist warm. Dann kommen viele Autos, aber wir haben Lust zu laufen und wollen nicht trampen. Plötzlich fängt es wieder an zu regnen. Kleine Frösche hüpfen über die Straße. Der Himmel hinter uns blau und vor uns grau. Wir laufen weiter und ein Auto hält. Ein Angler, der uns bedeutet einzusteigen. Wahrscheinlich sahen wir ziemlich mitleidserregend aus, wie wir da im Dauerregen an der Straße entlang gelaufen sind. Wir steigen in sein Auto, das richtig schön benutzt aussieht. Wir fahren langsam, er hat ein Boot auf seinem Anhänger. In Shabla dann ein Regenbogen. Wir spielen Mau Mau vor der Община (Obschtina), da dort der einzige trockene Platz ist, essen Pizza und steigen dann in den Bus ein.

Ein Tipp: Niemals Birnen in eine Tasche voller Muscheln werfen und dann drei Stunden vor sich hinmanschen lassen…

Der Himmel sieht faszinierend aus, auf dem Bildschirm läuft ein noch witzigerer bulgarischer Film, ich bin erschöpft, aber glücklich. Wir sind stolz, dass wir es tatsächlich geschafft haben an die abgelegensten Orte, am östlichsten Teil Bulgariens, zu gelangen. Ohne Auto und mit ganz vielel glücklichen Fügungen. Für uns ein Abenteuer und bestimmt haben wir den Tag von allen, die uns mitgenommen haben auch ein bisschen abenteuerlicher gemacht.

Es ist nach 0 Uhr und wir kommen wieder in Shumen an.

Die Flasche Himbeerwein, die Viki und ich vergangene Woche geleert haben steht noch auf dem Balkon. Mein Kühlschrank ist voller Käse, weil Käse und Wein ist ne gute Kombi.

Jetzt, nach meinem Abenteuer realisiere ich: es ist Zeit für den Abschied. Von der Wohnung, meinem Balkon, meinen Nachbarn, den Schülern und Lehrern und allen, die mir hier begegnet sind, zu nehmen.

In der Schule haben wir alte Bücher ausgelegt und zu verschenken geschrieben. Tatsächlich waren es heute schon weniger Bücher. Ich hoffe mal, dass ein paar wirklich in den Ferien lesen.

Der Regen hat aufgehört, es ist heiß. Heute habe ich mich von der 8. Klasse verabschiedet. Ein letztes Mal haben wir deutsche und bulgarische Zungenbrecher aufgesagt und unseren Spaß dabei gehabt. Meine letzte Stunde mit ihnen. Dann der Pausengong. Ein paar letzte Abscheidsworte, Umarmungen, wir werden uns sicherlich noch in der Stadt sehen. Trotzdem wurde mir das Herz schwer. Meine lieben Achtklässler.

Nach der Schule war ich kurz noch bei easypay um meine Rechnungen zu bezahlen, trete wieder auf die Straße und begegne zwei meiner Achtklässler, mit einem großen Blumenstrauß. Ich bin gerührt, sie sind verlegen.

Jetzt werden Pakete und Koffer gepackt, Pflanzen verschenkt und Lebensmittel aufgegessen. Auf die letzte Aufgabe freue ich mich besonders. Und zum Glück habe ich fleißige Helfer. Jasmin und Debora essen mit.

Ein bisschen überwältigt bin ich von der Situation, meine erste eigene Wohnung bald verlassen zu müssen und von so vielem Abschied zu nehmen. Aber wie gesagt, freue ich mich auf neue Abenteuer!

Reisen mit Herz / Baden mit Bergblick (Tag 233-241)

5:30 Uhr. So früh bin ich seit Februar nicht mehr wach gewesen.

Das Haus verlassen. Wärmer als gedacht. Perfekt in Jeans und Pulli.

Der altbekannte Weg zum Bahnhof.

Das Morgenlicht ist so schön, dass ich ständig stehen bleiben muss um Fotos zu machen.

Plattenbauromantik

Jetzt aber schnell zum Bahnhof rennen!

„Един билет до Казанлък.“

„Касанлък? Ehhh.“ Bekomme ich als Antwort.

Ich beeile mich, der Zug steht schon da. Wir fahren los und wie immer bin ich eine gute Stunde einfach nur damit beschäftigt fasziniert aus dem Fenster zu schauen. Ohne Musik, ohne Handy, Buch, Tagebuch. Einfach nur schauen. DIe wahrhaftig blauen Berge, das goldene Morgenlicht, gelbe Felder, alles grün vom Regen, der Klatschmohn rot dazwischen. Dann hole ich doch mein Tagebuch heraus. Irgendwann schlafe ich ein, wache zum Glück rechtzeitig vor dem Umstieg auf. Wir sind schon im Zentralbalkangebirge. Die Luft ist kühler, es ist zugewuchert, der Dschungel Bulgariens. Wir fahren durch kleine Dörfer. Jeder Bahnhof sieht gleich aus. Hübsche Kirchen, wilde Flüsse. Noch ein letztes Mal umsteigen, dann habe ich es geschafft. Ich sehe die ersten Rosenfelder im Tal der Rosen. In der Ferne im Gebirge das riesige Ufo. Das Buzludzha Monument. Beeindruckend.

Ich steige aus. 5 Stunden fahrt hinter mir. Die Luft ist schwül. Simon sitzt auf einer Bank vor dem Bahnhofsgebäude. Ich laufe straight an ihm vorbei um zu allererst nach dem Schlüssel für die Toilette zu fragen. Mal wieder kein Klopapier, die Tür geht auch nicht zu, aber was solls. Dann, so wie es die Tradition will, wenn man unterwegs ist folgt ein Billafrühstück. Baniza mit Sirene und Spinat und ein Apfel. Wir sitzen, bis wir uns zum Busbahnhof aufmachen. Wo fährt bloß der Bus nach Koprinka? Nach ein wenig umhergeirre und ein paar Fragen sitzen wir tatsächlich an der richtigen Bushaltestelle. Wir haben keinen Zeitdruck, nirgendwo zu sein. Deshalb macht es uns nichts aus, dass der Bus sich anscheinend nicht an den Fahrplan hält. Irgendwann kommt er dann doch um die Ecke. Wir steigen ein in den Bus mit der Aufschrift: Reisen mit Herz. Ja, das tue ich hier immer. Dem Busfahrer geht es ähnlich wie mir, er muss es sich schön machen an seinem Arbeitsort. Auch, wenn ich eine andere Auffassung von schön habe. Sein Fahrerbereich sieht aus wie die buntgeschmückten Lastwagen in Pakistan, außerdem dröhnt uns Musik entgegen. Es fängt an zu nieseln und wir sitzen mal wieder.

In Koprinka, einem Dorf, steigen wir aus um nach Koprinka, dem See, zu laufen. Zum Glück habe ich mein Navi Simon dabei und laufe ihm einfach hinterher, pflücke Kirschen vom Baum an der Straße und genieße die Sicht auf die Berge. Wir laufen an der Straße entlang, über Felder, die Luft ist immernoch schwül und die Regentropfen tun gut. Wir laufen durch einen Kiefernwald, es riecht nach Urlaub. Dann sehen wir den See! Umgeben von Anglern, in der Ferne eine Staumauer, beherbergt der See eine thrakische Stadt, von der wir nichts gesehen haben. Wir machen uns auf die Suche nach dem besten Platz um unser Zelt aufzuschlagen. Dabei entdecken wir einen innoffiziellen Campingplatz. Dauercamper haben sich dort ihr eigenes Paradies erschaffen und wir laufen neugierig über den Platz.

Hier hat wohl jemand einen Arbeitsplatz in der Natur eingerichtet

Der perfekte Platz ist wie immer der Erste, den man sich ausgesucht hat. Also ran an die Arbeit! Nach ein paar Irritationen steht das Zelt. Ein Zwei-Mann/Frau Zelt. Wir sind zu Dritt. Jeder hat 40cm.

Sieht man doch gleich, dass hier drei Personen locker Platz haben

Jetzt wo das Zelt steht muss ich ein bisschen lachen aus Verzweiflung. Wir sitzen am See, schauen aufs Wasser und die Berge, die Zeit vergeht. Wir laufen zurück ins Dorf zum Mini Market, kaufen Brot, Frischkäse und Lutenitsa, warten auf der bank auf den mysteriösen Bus. Ein Taxi hält und nimmt uns für den Buspreis mit zurück nach Kazanlak. Im Zentrum laufen wir an der Bühne vorbei an den Rosenständen entlang. Rosen in jeglichen erdenklichen Produkten, hässliche Plastikfiguren, Holzbretter, Messer, Schmuck. Nichts, was mich ansprechen würde.

Am Bahnhof holen wir Josi, Maite, Paula und Bele ab. Vollbepackt geht es wieder zur Bühne und wir schauen zu wie die Rosenkönigin auf einem Streitwagen von einem Typ im Cäsarkostüm herbeigezogen wird. Wir müssen unser lautes Lachen unterdrücken. Über uns mal wieder ein Feuerwerk. Die Luft ist grau. Nach der Krönung suchen wir uns ein Plätzchen im Rasen, bilden Kompetenzteams: Bier, Essen, Rosenkränze und Aufpasser und schwärmen aus. Mit unseren eigenen Rosenkränzen ausgestattet, an die Masse assimiliert, und im Regen essend, lauschen wir dem bulgarischen Sänger, der uns nicht so recht von der Picknickdecke haut. Alle sind müde und wollen unbedingt ins Zelt. Also zurück mit dem Taxi zur Kreuzung an den See. Unter den Sternen laufen zum See. Dort brennen Lagerfeuer und natürlich in der Ferne wieder ein Feuerwerk. Wir machen uns zeltfertig, kriechen in unsere Zelte, Mount Everest und Kilimanjaro und lachen noch eine Runde. Ich schlafe ein, wache aber kurze Zeit später wieder auf, da meine Nase platt an der Zeltwand anliegt. Das ist mir zu eng. Platzangst! Ich drehe mich um, umgeben von Füßen habe ich auf einmal so viel Platz. Wundervoll!

Nächster Morgen, Reißverschluss auf, Glück gehabt, die Berge sind noch da.

Etwas verschlafen starre ich mit Paula aufs Wasser und wir beschließen schwimmen zu gehen. Simon checkt die Lage aus:“ Bei dem toten Fisch kann man gut ins Wasser.“ Also dann…Am toten Fisch vorbei, durch die Schlingpflanzen schwimmen mit Bergsicht. Das Wasser macht wach und trotz der zahlreichen toten Mücken auf dem Wasser fühle ich mich danach sauberer. Wir hängen noch ein bisschen in der Gegend herum, ziehen uns an, laufen los. Am Rosenfeld machen wir halt. Absolut kitschig. Rosen in verschiedenen Rosatönen und dahinter die Berge, wir pflücken einen Blumenstrauß für das Geburtstagskind Nele und Paula verschwindet auf dem Kirschbaum um uns mit Kirschen zu versorgen.

Unsere kreative Eigenkreation

Es folgt ein weiterer Einkauf im Mini Market mit Bergkäse aus Oberstdorf, mehr Kirschen, drei Broten, Aufstrichresten, Obst, Gurken, was das herz begehrt. Der Bus ist wirklich ne Legende. Wir beschließen an der Straße entlang zu laufen. Paula, Josi, Simon und Maite nehmen ein Taxi, das zufällig vorbeifährt, Bele und ich stehen in der brütenden Hitze und haben schon Angst, dass kein Auto mehr kommt, aber es kommt eins und nimmt uns sogar mit. Im Rosarium, dem Rosenpark vereinen wir uns nach einigen Verwirrungen wieder um erneut zu vespern und uns wieder zu trennen. Kuchen und Eis kaufen, SecondHand shoppen und dann treffen mit den anderen aus dem AirBnB.

Wir singen, wir suchen ein Restaurant, wir brauchen sehr lange mit der Bestellung, stressig. Ich setze mich zu den anderen auf den Rasen und wir spielen Karten. Es gibt eine riesige Runde Pizza. Gestärkt besuchen wir danach die Wein Expo. Zusammen mit Elias und Bele spiele ich Wein-Experte und wir probieren uns durch verschiedene Sorten Wein und Rakia. Auch Rosenwein ist dabei. Ein Erlebnis. Sehr süß und sehr rosig. Jetzt erstmal eine kurze Pause. Wir kaufen Wein in der Plastikflasche. Sieht sehr nach Essig aus. Ein Trauma kommt wieder zum Vorschein…

Es soll eine Parade geben, aber nach einer gewissen Zeit glauben ein paar von uns, darunter das ungeduldige Ich, nicht mehr daran und wir stellen uns lieber vor die Bühne und starten mit anderen Touristen und sehr wenigen Bulgaren eine bulgarische Tanzrunde. Die einfachen Schritte haben wir drauf. Irgendwann kommen die anderen dazu und berichten, dass wir die Parade, aus drei Wagen bestehend, verpasst haben. Sehr traurig bin ich also nicht darüber. Wir tanzen weiter. 12 Deutsche und 2 Amis starten durch, sodass nach kurzer Zeit gleich viele Menschen zu uns schauen wie zur Bühne. Was soll’s, wir haben unseren Spaß. Auch gegen die Kälte hilft das Tanzen. Wir bewegen uns in der Masse. Ein Gefühl der Verbundenheit kommt bei mir auf.

Es wird Dunkel und die Veranstaltung ist vorbei. Die AirBnBler verabschieden sich und wir sitzen alleine auf dem Boden des riesigen Platzes. Ein Bulgare läuft an uns vorbei und gibt uns die Info: „It’s very cold.“ Danke. Wir glühen noch vom Tanzen und von der verdächtigen Essigflasche. Nach ein paar schlechten Witzen brechen wir auf um eine Bar zu suchen. Die erste ist uns zu schick, als nur ein Klostopp und weiter zum „Hipe“ Club, den wir tagsüber schon gesehen haben. Im nachhinein wird mir klar, dass der Club „Hope“ Club heißt. Wir gehen die Treppe hinunter, ich bin aufgeregt. Das ist wie der bulgarische Kellerklub! Unten werden wir aufgeklärt, dass es ein Livekonzert gibt. I’m here for it! Es ist ein kleiner Raum. Ganz hinten gibt es noch ein wenig Platz. Ich hole Bier und Chips und wir sind bereit. Die Menschen hier sehen gar nicht so aus, wie typische Bulgaren. Fast alle sind sehr alternativ. Eine ganz neue Bulgarienerfahrung. Auch die Musik, obwohl auf Bulgarisch, etwas ganz Neues. Richtig gut. Ein bisschen melancholisch, bulgarisches Element of Crime, oder auch nicht. Eher auch ein wenig Mittelalter, ich weiß es nicht. Mysthisch.

Таралеща (Taraleshta)

Wir trinken Bier, essen Chips. Paula, Maite und ich stehen vor der winzigen Bühne und bewegen uns zur Musik. Ganz fasziniert schaue ich dem Akkordeonspieler zu. Ich versuche mich auf den Text zu konzentrieren. Burgas ist das einzige, dass ich herausfiltern kann. Ich schließe die Augen beim Tanzen und denke an die morgendliche Schwimmrunde und wie entspannt der gesamte Tag verlaufen ist. Ohne Stress. Dieses Livekonzert jetzt ist der perfekte Ausklang für den Tag.

Wieder geht es per Taxi zurück. Neben unseren Zelten stehen ein paar Motorräder. 6 Polen haben ihr Lager aufgeschlagen. Eine Runde smalltalk und eine Tasse Rakia später verabschieden wir uns und kriechein unsere Zelte. Die Geräuschkuliise ist skurril. Link von mir höre ich Chalga, vor mir die Grillen, rechts von mir einen schnarchenden Polen und eine sehr ambivalente Playlist und hinter mir wollen auch noch die Frösche ihren Teil beitragen. Erschöpft schlafe ich ein und schlafe deshalb vielleicht auch deutlich besser.

Von Paulas Wecker wache ich auf. Sie ist die Erste die aufbricht. Wir anderen packen gemächlich unsere Sachen zusammen, verschenken unser übriges Dosenbier und laufen zur Kreuzung, an dem eigentlich ein Taxi warten sollte. Aber war nicht so. Dann also per Anhalter. Maite, Josi und Bele müssen sich beeilen, der Zug kommt doch schon früher als gedacht. Wir teilen uns auf. Simon und ich frühstücken wieder vor dem Mini Market und beschließen auch zu trampen. Schon das erste Auto, ein Transporter, hält an, obwohl wir ihm nicht unbedingt ein Zeichen gegeben haben. Ein Mann und zwei alte, sehr freundlich guckende Frauen sitzen vorne. „Kazanlak?“ „Da.“ Er steigt aus um uns die Schiebetür zu öffnen. Wir steigen ein und finden uns umgeben von Säcken voller Rosenblüten frisch von den Feldern wieder.  Es riecht rosig. Auf beiden Seiten sind Fenster geöffnet und der Fahrtwind tut bei der Hitze so gut. Ich wünschte der Transporter würde mich bis nach Shumen weiterfahren. Wäre deutlich schneller und angenehmer als der Zug. Aber natürlich fahren wir nur bis Kazanlak. Und dort auch nicht besonders weit.

Alles ist abgesperrt für die große Parade. Wir bedanken uns und steigen aus. Menschen in traditionellen Kostümen mit Puppen an Stielen, Kinder aus Sportvereinen, Schulklassen und ganz viele Frauen mit Rosen in Körben stehen in den Startlöchern. Wir bewegen uns durch die Masse, bis Simon irgendwann auffällt, dass ich auf die andere Straßenseite muss um zum Bahnhof zu kommen. Leichter gesagt als getan. Alles ist abgesperrt und überall stehen Polizisten. Aber wir sind schon so lange gelaufen, also beschleunigen wir unsere Schritte um ans Ende der Parade zu gelangen, bevor diese sich in Bewegung setzt. Über uns mal wieder ein Feuerwerk. Die Parade beginnt und wir schlüpfen unter der Absperrung durchum auf die andere Seite zu rennen. Mission accomplished. Jetzt können wir in Ruhe und von einem guten Platz aus dem Straßenzug zuschauen. Ein Spektakel. Der Höhepunkt des Festes. Wir werden mit Rosenwasser besprüht und mit Rosen beworfen. Kindern in kommunistisch wirkenden Kostümen und mit dutzenden Medaillen behängt laufen vorbei. Auch der Turnverein von Shumen ist dabei. Alles super interessant. Der Tag verläuft nach perfektem timing. Zuerst der Rosentransport pünktlich zur Parade, dann endet die Parade auch noch genau rechtzeitig, sodass ich es zum Bahnhof schaffe um dort zu erfahren, dass die Informationen im Internet nicht stimmen und ich 2 Stunden kürzer brauche als gedacht. Sehr glücklich verabschiede ich mich von Simon, steige in den Zug und bin bal wieder vor Erschöpfung eingeschlafen. Ein Tipp übrigens für bulgarische Züge: reisen mit leichtem Gepäck ist hier nicht zu empfehlen, da man einen schweren Rucksack braucht um die oft kaputten Fenster unten zu halten. Froh über meine Wohnung, mein riesiges Bett, meine Toilette und meine Dusche genieße ich den Abend noch und gehe früh ins Bett.

Es geht wieder früh raus. Unterrichten, anschließend meinen Kühlschrank füllen. Die ganze Woche liegt ein Gewitter in der Luft. Ich spiele zahlreiche Spiele mit den 10.Klässlern, lache viel mit ihnen. Mit Soner, DeboraH und Jasmin habe ich zusammen ein Curry gekocht, Jasmin und ich haben Yoga gemacht und dabei sehr viel gelacht und es war sehr schön die drei mal wieder um mich herum zu haben und ein wenig außerhalb der Schule zu reden.

Die 11.Klässler sprechen endlich mal, ohne dass ich ihnen alles aus der Nase ziehen muss. Wir üben argumentieren. „Was ist besser süß oder salzig?“ Antwort Aleksandr: „Süß.“ „Warum? Argumente bitte.“ „Es gibt ein italienisches Sprichwort, das heißt Dolce Vita  und das heißt süßes Leben und nicht salziges Leben.“ Ich finde das ist ein sehr gutes Argument. Got me.

Ich genieße also noch ein wenig mein Dolce Vita hier und singe weiterhin das hier sehr beliebte „Corona ciao, haide ciao, haide, ciao, ciao, ciao!“ Vielleicht bringt es ja was…

Rumy – Geschichte(n) aus Bulgarien – Folge 4

Als Rumy mit mir Kontakt aufgenommen hat war ich noch in Deutschland. Sie hat mir Bilder von ihren Tieren und ihrem Haus geschickt und die hatten eine total beruhigende Wirkung auf mich. Obwohl ich aufgeregt war vor all dem Fremden wusste ich, dass ich mich bei ihr wohlfühlen werde.

Bei unseren Waldspaziergängen hat sie mir nach und nach ihre Geschichte erzählt. Die Geschichte, wie sie zu ihrem Haus am Wald kam.

Gott hat ein Stück vom Garten Eden für Bulgarien reserviert…

Das erzählt eine Legende.

Wie üblich kam der Bulgare zu spät und kam als letzter, als Gott das Land verteilte. Um sein Versprechen zu erfüllen, dass alle Nationen der Welt Land haben, stellte er ein Stück Garten Eden für die Bulgaren zur Verfügung.

Es gibt Ebenen, Tiefland, hohe Berge, abgerundete Hügel, Flüsse, Seen und Meer. Über ihnen scheint die Sonne, die mit Licht und Wärme schlummernde Samen zum Leben einlädt und Türen zur Freude gequälter Herzen und Seelen öffnet. Die reiche, vielfältige Natur Bulgariens ist sein wahrer Reichtum.

Und so verlief mein Leben bis in die fünfziger Jahre im Zentrum von Shumen, keine große Stadt, in Bulgarien. Aber die Zeit der Moskwitsch-, Lada- und Trabant-Autos ist vorbei und die Invasion des neuen Kapitalismus ist mit Hunderten von Neuwagen- und Altautomarken aus Europa gekommen…

Es war Zeit zu fliehen. Ich konnte nicht denken, ich konnte nicht an die Herausforderungen denken. Ich verließ die Wohnung im Zentrum, nahm ein paar Tüten Bücher und tauschte mein Eigentum gegen einen Schuppen neben einem hundertjährigen Walnussbaum. Dort lebten ein Eichhörnchen, ein Specht, ein Walnussfaultier und eine Familie von Eichelhähern, und die Walnuss selbst hatte eine große Mulde, was bedeutete, dass sie krank war. Und ich hatte kein Geld, um ein Haus zu reparieren, ich begann mit der Behandlung der Walnuss und mit der Pflege meines kranken alten Hundes, der jetzt einen Garten und ein Stück vom Himmel hat.

Das Haus, als Rumy dort ankam
Inga, der schiefe Kopf kommt von einem Schlaganfall. Dank der schönen Umgebung hat sie noch 6 Jahre länger gelebt und ist nach18 Jahren gestorben meint Rumy
Ohne Geld begann Rumy selbst Hand anzulegen…
…Unterstützung bekam sie von Schülern, die sie als ihre Freunde zählt und von ihrer Familie

So entstand ihr kleines Paradies in dem Menschen…
…und Tiere noch viel mehr Willkommen sind

Besonders ihr Enkel liebt es sie zu besuchen

Er liebt es Zeit mit den Katzen zu verbringen
Jetzt ist Rumy angekommen, da wo sie sein möchte: so nah wie möglich am Wald, umgeben von Büchern und Tieren

Ein Zuhause am Wald zu haben ist die klügste Entscheidung. Sie danken Gott jeden Tag, dass er Ihnen den Mut gibt, nicht dem „Standard“ zu folgen, sondern Ihrem Traum von Harmonie und Komfort in Verbindung mit der Erde, den Bäumen und anderen lebenden Bewohnern unseres Planeten zu folgen.

Das Foto zeigt Rumy vor Jahren, als sie mit Sinti und Roma Arbeitern bei einem Symphonie Konzert in Madara war.

Das Bad riecht nach Pfannkuchen (Tag 226-232)

Wenn es in Shumen regnet, dann sind wahre Akrobatikskills gefragt. Die Straßen verwandeln sich in einen reisenden braunen Strom, auf dem man locker Kanu fahren könnte. Ab und zu schimmern die Pfützen regenbogenfarbig vom auslaufenden Öl der Autos, aus denen man auch sehr gut eine dunkle Abgaswolke entweichen sieht. Eine Umweltplakette, geschweige denn TÜV hat hier niemand.

Wenn man es also geschafft hat die Straße zu überqueren ohne, dass einem das Wasser bis zum Knöchel steht, folgt die nächste Herausforderung. Ich habe es mir zur Mission gemacht zur Schule zu laufen, ohne eine Fontäne von Wasser auf meiner Hose zu verteilen. Die Sache ist nämlich die: die Platten auf dem Gehweg sind manchmal lose. Es ist wirklich ein Glücksspiel die richtigen zu erwischen. Wenn man auf eine tritt die wackelt, dann hat man eine Sekunde später den Swimmingpool unter der Platte in Schwung gebracht und kann froh sein, wenn die Fontäne nicht bis hoch ins Gesicht spritzt.

Regen ist also wirklich ein Abenteuer. Stur wie ich bin habe ich mir in beinahe 8 Monaten hier auch noch nicht einen Regenschirm gekauft. Obwohl der manchmal ganz praktisch wäre. Vorallem, da die Regenrinnen hier auf Duschkopfhöhe aufhören und man sehr gut ausweichen muss, wenn man nicht auf dem Gehweg duschen möchte.

Soviel zum Regen, der seit dieser Woche anscheinend aus Deutschland hergezogen ist und sehr unpassend kommt, wenn man eigentlich gerne campen gehen möchte.

Dafür war der ganze Mai sehr schön sommerlich. Meine letzte Woche war nachdem ich am Anfang der Woche die Clubs in Shumen ausgecheckt habe sehr ruhig, ich habe viel Schlaf nachgeholt, zu Chalga tanzen geübt,  mit den Schülern Spiele gespielt und auch ein sehr entspanntes Wochenende gehabt. Schon lange bin ich nicht mehr am Wochenende „zuhause“ gewesen. Da ich Elena lange nicht mehr gesehen hatte, habe ich sie gefragt, ob wir am Samstag ein bisschen Zeit miteinander verbringen wollen.

So sind wir durch Shumen gelaufen, haben die alten Häuser angeschaut, an der Brauerei vorbei, bis zum Kyoshkovete Park. Das letzte Mal als ich dort war lag noch Schnee. Dieses Mal wurden gerade die Autos aufs Karusell geschraubt, in einer riesigen Metallwatte gab es Zuckerwatte zu kaufen, eine alte Frau hat den neusten Plastikscheiß für Kinder zum Verkauf angeboten, also eine ganz normal bulgarische Parkatmosphäre.

Zu den Geräuschen der Brauerei sind wir die Parkallee entlanggeschlendert, haben die schön bemalten Bänke bestaunt und den Tierpark erkundet. Der wird gerade umgebaut und ich hoffe es wird besser danach. Man kann Tauben bestaunen, davon habe ich aber schon echt genug im Zentrum. Es gibt Ziegen, Hasen und ein Huhn.

Dann sind wir richtig in den Wald gestartet. Keine Geräusche mehr, außer das Vögelgezwitscher. Die Luft im Wald nach dem Regen himmlisch. Wir haben uns unterhalten und irgendwann hat Elena gemeint, dass wir auf dem falschen Weg sind. Also ging es einen steilen Hang hinunter, Abkürzung. So abenteuerlich habe ich mir Elena gar nicht vorgestellt. Sie hat von früheren Zeltabenteuern gesprochen. Wir haben über die richtige Topfgröße für Tomaten- und Gurkenpflanzen gesprochen und sind irgendwann an einer kleinen Brücke angekommen. Dahinter eine Höhle, daneben eine Quelle. Heiligenbilder in Steinfelsen. Elena hat immer wieder auf die Uhr geschaut und meinte: „So, jetzt ist es an der Zeit Hunger zu haben.“ Also war es an der Zeit Hunger zu haben. Wir sind zum Restaurant im Park gelaufen und haben sehr lange die Speisekarte studiert und dann eine Menge bestellt. Woraufhin der Kellner meinte, dass wir bestimmt keinen Nachtisch mehr schaffen. Er sollte Recht behalten…

Nach Ewigkeiten habe ich mal wieder die von der Farbe einem Spülmittel sehr ähnlichen Limonade getrunken. Es gab eine riesige Platte mit gedünstetem Gemüse, Палинка (Palinka) Knoblauch- und Sirene(Feta)Brot , Brokkoli mit Sirene, superlecker. Beim Essen wurden wir immer langsamer und langsamer, bis Elena meinte: „also das lohnt sich jetzt auch nicht mehr mitzunehmen. Das müssen wir aufessen.“ Also Hosenknopf auf und weiter.

Für Nachtisch und Bier haben wir uns für ein anderes Mal verabredet. Ich habe mich so wohl gefühlt. Es war eine super entspannte Stimmung. Kaum Menschen, alles grün. Auch Elena hat den Ausflug sehr genossen und mehrmals betont wie gut ihr das Laufen getan hat. Der Tag war also ein voller Erfolg. Zurück in meiner Wohnung ein bisschen lesen auf dem Balkon. Dann nochmal los, weil ich unbedingt Schokolade kaufen musste.

Am Sonntag bin ich einfach losgelaufen. Ohne Plan durch die Stadt. In eine Gegend in der ich noch nie war. Bin intuitiv immer abgebogen, wenn es sich richtig angefühlt hat, habe Tagebuch geschrieben auf den Eingangstreppen einer verlassenen Schule, Eis und Bier gekauft, neues Shumenskobier, das fast so schmeckt wie deutsches Bier.

Jetzt aber zu meinem Bad voller Überraschungen. Meistens riecht es ganz neutral. Ein leichter feuchter Betongeruch, soweit ich das erfassen kann, den ich sehr liebe. Aber manchmal wenn ich ins Bad komme, dann riecht es nach Zigarettenrauch, Waschmittel, Shampoo, oder eben auch mal nach Pfannkuchen. Wird wohl was mit der Lüftung sein. So bin ich immer up to date was meine Nachbarn gerade so machen: rauchen, Wäsche waschen, duschen, kochen.

Der Regen macht müde. Trotzdem habe ich ein paar interessante Diskussionen mit den Schülern geführt, diveres bottleflips hautnah miterlebt, ich werde weiterhin von allen Seiten immerzu gegrüßt, wodurch ich mich sehr beliebt fühle und die Schule ist wieder voller leben.

Heute habe ich ein Paket bekommen. Und obwohl ich ja immer sage, dass ich kein Zeug brauche, bin ich trotzdem immer wieder sehr neugierig und habe einen neuen Rekord aufgestellt. Von der Schule nach Hause in 13 Minuten.

Mein Rucksack ist auch schon wieder gepackt. Ich habe mir fest vorgenommen morgen den frühen Zug zum Rosenfestival zu nehmen und weiß jetzt schon, dass ich in ein paar Stunden gar nicht mehr so motiviert dafür sein werde. Aber mein Schlafrhythmus muss sich dringend ändern, da ich nächste Woche ein paar Mal zur ersten Stunde habe.

Ein paar andere Alltagsbeobachtungen: Bulgarien hat ein gravierendes Problem. Es gibt einen enormen Wassereismangel! Ich weiß nicht wie lange ich das noch aushalte…Das Softeis, welches neben den Maiskörnern am Straßenrand verkauft wird, wird in 10Liter Wasserkanistern geliefert. Interessant. Diese Woche wurde morgens wieder der Parkplatz im Zentrum geräumt für eine Kranzniederlegungszeremonie. Ich habe keine Ahnung worum es diesmal ging. Außerdem haben die Abiturienten mal wieder neue schicke Kleider angezogen, nochmals Autos gemietet um ein Hupkonzert zu veranstalten. Ich weiß nicht wie oft sie im Mai gefeiert haben.

So, Zeit fürs Bett. Lekar Noscht! (Süße Träume)

BalkanBalkone (Tag 218-225)

Ich sitze im Zug. Er fährt so langsam, dass ich den Klatschmohn, der links und rechts neben dem Gleis wächst in Ruhe betrachten kann. Ich beschließe, dass ich von nun an eine Lieblingsblume habe. Der Kontrast zwischen grün, blau, grau und dem rot begeistert mich.

Leider dauert die Zugfahrt nur 20 Minuten. Seufzend stehe ich auf, schaue auf die Uhr und beeile mich nach dem Aussteigen auf die andere Seite des Bahnhofs zu kommen, damit ich den Bus nicht verpasse. Eine unnötige Sorge wie es scheint. Denn nachdem ich die wartenden Leute frage, ob hier der Bus nach Ruse abfährt und daraufhin ein bestätigendes Kopfschütteln erhalte, begleitet von den Worten: „Чакам, wait“, finde ich mich damit ab, dass der Bus Verspätung hat. Na ja, abfinden vielleicht doch noch nicht so richtig. Aber ich denke, dass der Bus schnell kommen wird.

Ich schaue in den Himmel: strahlend blau, die Sonne scheint mir ins Gesicht. Ich schaue auf die Betonplatten zu meinen Füßen: die ersten Tropfen fallen und werden innerhalb von Sekunden zum strömenden Regen. Zusammen mit den anderen, stelle ich mich unter das schmale Bahnhofsdach. Ich packe einen Müsliriegel aus und schaue mich um, immer darauf hoffend, das gleich der Avtobus um die Ecke düst. Auf der anderen Seite des Bahnhofs sitzt ein Mann mit Gummistiefel und langem Regenmantel. In der Hand wohl nicht das erste Bier. Ich sehe auch weitere Männer in Gummistiefeln und frage mich, ob das Angler sind, oder nur auf das Wetter sehr gut vorbereitete Bulgaren.

Der Regen hört auf. Die Wolken verziehen sich sehr schnell und ich werde wieder von der Sonne gwärmt. Ich werde von der Seite angesprochen. Ein anderer Wartender fragt mich, ob ich nach Ruse fahre, oder weiter. Ich bin etwas verwirrt, warum er das wissen möchte. Anscheinend sieht man mir das an. Er sagt, er fährt weiter nach Bucureschti. Mein Gesicht hellt sich auf und ich nicke zustimmend, bis ich merke, dass er auch zu den Kopfschüttlern gehört, weshalb ich daraufhin etwas ungelenk als Bestätigung den Kopf schüttle. Zufrieden mit meiner Antwort wendet er sich einer anderen Person zu. Neben ihm stehen eine Menge Gepäckstücke. Ich betrachte ihn weiterhin. Sein Aussehen erinnert mich an einen Buddha. Er hat eine Glatze und ein sehr freundliches breites Lächeln im Gesicht. Allerdings verhält er sich viel zu unruhig für einen Buddha. Ständig läuft er zum Kaffeeautomaten, zum Bahnhofspersonal und anderen Fahrgästen. Man merkt ihm seine Unruhe deutlich an und auch ich bin langsam gestresst. Am Tag zuvor habe ich noch Witze gemacht, dass ich den Zug verpasse, wenn der Bus Verspätung hat. Jetzt sieht es ganz danach aus, als ob mein Witz zur Wahrheit wird.

Immer nervöser halte ich Ausschau. Endlich! Nach 40 Minuten ist er da. Хайде хайде! Erleichtert rennen wir alle fast Richtung Bus. Es kommt mir so vor, als ob die Tür in Zeitlupe zur Seite gleitet. Давай! Ungeduldig und mit der Hoffnung, dass ich es doch noch rechtzeitig nach Ruse schaffe, sichere ich mir einen Platz und denke es geht sofort los. Aber ich habe die Rechnung ohne den Busfahrer gemacht. In aller Ruhe steigt er aus um erstmal eine Zigarette zu rauchen. Ich drehe fast durch vor Ungeduld. Dann kommt auch endlich der Kontrolleur um die Ecke. Sie unterhalten sich noch ein wenig, bevor sie sich dazu bequemen in den Bus zu steigen und ab geht die Post!

Wenn es mir sonst immer ein wenig zu rasant ist, möchte ich den Busfahrer heute am liebsten zu noch waghalsigeren Überholmannövern überreden. Zum Glück habe ich meinen Buddha-Verbündeten dabei, der den Kontrolleur fragt, ob er noch seinen Zug schafft. Den scheint das nicht wirklich zu interessieren. Also komme ich zum Einsatz. Buddha erklärt, dass hier die Deutsche auch in den Zug will. Sofort erwacht er zum Leben und holt sein Handy heraus. Ein paar Anrufe später weiß ich noch immer nicht genau, ob wir es in den Zug schaffen werden. Vor lauter Stress bin ich total verspannt und bekomme Kopfschmerzen. Wenn wir anhalten, dann muss immer jemand rauchen, oder aufs Klo gehen. Wenn der Bus dann endlich wieder losfährt, steht ein Auto im Weg und obwohl der Busfahrer hupt, wacht der im Auto mit offenem Mund schlafende Besitzer nicht auf um sein Auto umzuparken. Aus lauter Angst auf die Uhr zu schauen und weil mein Akku bald leer ist beschließe ich zu schlafen. Als ich aufwache regnet es wieder. Wir fahren auf schmalen Straßen, durch hübsche Dörfer, vorbei an Ziegen und Kühen, die halb auf der Wiese, halb auf der Straße stehen. Wir sind fast in Ruse, ich traue mich endlich auf die Uhr zu schauen. Der Kontrolleur und Buddha unterhalten sich wieder. Ich verstehe, dass der Haltestellenplan geändert wird. Wir fahren zuerst zum Bahnhof und danach zu den anderen Stationen. Ich bin erleichtert, aber kann mich erst entspannen, wenn ich es in den Zug geschafft habe. Auf Mission mit Buddha. Wir steigen aus, Fuß in Pfütze, ich verfluche mich, dass ich nicht an meine Regenjacke gedacht habe. Weil Buddha mein Verbündeter ist, möchte ich ihm mit seinem Gepäck helfen. Doch das lässt er nicht zu. Wir streiten eine Weile, bis ich einsehe, dass wir den Zug verpassen werden, wenn ich weiter darauf beharre ihm zu helfen. Er zeigt Richtung Bahnhofsgebäude und sagt, ich soll schonmal vorrennen zum Ticketschalter.

Ich kaufe mein Ticket während er sein Gepäck verläd. Völlig fertig überlasse ich dem Polizisten meinen Ausweis und setze mich in die Deutsche Bahn, in der Hand mein Ticket auf Deutsch. Wir fahren los. Buddha läuft an mir vorbei und streckt erleichtert seinen Daumen in die Höhe. Wir haben es geschafft. Über die Donau rüber sind wir schnell in Bulgarien. Ich weiß nicht, warum ich dachte, dass ein Fluss als Grenze bedeutet, dass es am anderen Ufer plötzlich anders aussieht. Ist nicht der Fall. Immernoch Regen, Müll en masse, ein leuchtend grüner Urwald. Nur sehen die Mensche anders aus und die Plattenbauten werden niedriger. Wieder und wieder nicke ich ein. Wir fahren nach Bukarest. Vor lauter Regen sehe ich nur sehr wenig. Am Bahnhof Gara de Nord steige ich aus und laufe in Richtung Metro. Die sieht in Sofia auf jeden Fall edler aus.

Ich kann kein einziges Wort rumänisch, weshalb sich die ganze Situation: neuer Ort, neue Menschen voll nach neuem FSJ anfühlt. Zum Glück hlft mir die Frau am Ticketschalter und zeigt mir, dass ich direkt mit Kreditkarte die Metro bezahlen kann. Kein Müll entsteht und es geht super schnell. Ich bin beeindruckt. Ich möchte meine Dankbarkeit zeigen, weiß aber absolut nicht was ich sagen soll. Auch mein Lächeln hilft unter der Maske nicht viel weiter. Rumänisch hört sich für mich nach einer Mischung aus Niederländisch und Italienisch an. In der Metro schaue ich erstmal auf den Plan, ob ich auch richtig bin. 2 Stationen und wieder raus. Das erste was ich sehe: Dynamo Bukarest. Um ein Foto zu machen trete ich in die nächste Pfütze. Ich laufe die Straße entlang. Eigentlich immer nur gerade aus, aber dann doch ab und zu abbiegen. Die Häuser sind niedriger als in Bulgarien. Es fühlt sich an also ob ich in einer großen Kleinstadt bin, obwohl es eher eine kleine Großstadt ist. Es sieht schön aus. Und wie immer denke ich „ein bisschen französisch“. Alles scheint wie eine Filmkulisse. Ich muss auf die Toilette und beschleunige meine Schritte. Vor mir erblicke ich ein Haus und bevor ich auf die Adresse schaue weiß ich, dass das das Haus der Bukarest WG ist in der ich übernachten werde.

Luca, Anni und Anne erwarten mich. Später wird noch Anna dazustoßen… Und wie immer, wenn man neue kulturweit Freiwillige trifft, kommt man sofort ins Gespräch und kann sich austauschen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die das Land betreffen. Dann trifft auch Sophia in der WG ein und nach einer Runde Billahummus, dem inoffiziellen kulturweit Snack schlechthin, ziehen wir los in die Stadt. Luca gibt uns eine abendliche Stadtführung, wir machen uns auf in die Innenstadt. Immer dem Bass hinterher. Das ganze Viertel scheint zu pulsieren. Anscheinend heißen alle Freiwilligen in Rumänien gleich und kommen aus Baden-Württemberg.

Am nächsten Morgen wachen wir aufgrund der stickigen Luft im Zimmer auf und schleichen uns aus der Wohnung um die anderen nicht zu wecken. Ich probiere allerlei rumänische Spezialitäten, Sophia und ich schauen uns ein paar Kirchen an und ich bin beeindruckt vom Gesang eines Priesters und mit welcher Hingabe die Leute in der Kirche ihren Glauben ausleben.

Am größten Brunnen der Stadt machen wir halt und werden sofort von einem Polizisten, dessen Aufgabe es anscheinend ist dafür zu sorgen, dass niemand am Brunnen sitzt, vertrieben. Aus sicherer Entfernung von seinem Schlagstock, beobachten wir wie der Brunnen gereinigt wird.

Arbeiten oder Mittagspause?

Der Brunnen ist so laut, dass man den Verkehrslärm nicht mehr hören kann. Ich mag den Ort. Im Hintergrund kommunistische Blöcke mit kapitalistischen Werbeplakaten. Auf diese Ironie hat mich Sophia aufmerksam gemacht.

Wir laufen weiter. Ein richtiges Zentrum scheint es nicht zu geben, also laufen wir von Park zu Park. Vor dem Parlamentspalast, einem der größten Gebäude der Welt, und nach dem Pentagon dem zweitgrößten Parlament, bleiben wir stehen und buchen eine Führung für den nächsten Tag. Fynn hatte mir schon sehr vom Parlament vorgeschwärmt, und es sieht wirklich beeindruckend aus.

Wir lassen uns treiben, finden immer mehr schöne Gebäude. Die Architektur der Stadt beeindruckt mich. Neubauten und altes in einem verbunden. Alles sehr niedirg, grau und so viele Säulen und Stuck. Ich kann gar nicht genau beschreiben, warum ich das alles so faszinierend schön finde.

2 meiner Lieblingshäuser

Wir beobachten die Leute auf der Straße, die Autos fahren nochmal ne Ecke rasanter, ich habe Angst die Straßen zu überqueren. Die Bänke sind alle in superschönen Gebäuden.

Vor dem Geschichtsmuseum suchen wir Schutz vor dem nächsten Regenschauer und essen danach Langosch, natürlich die rumänische Art.

Wir treffen uns mit den anderen bei der aufgespießten Kartoffel. Einem Denkmal für das Ende des Kommunismus und machen uns dann auf zur legendären Tischtennisplatte, an der man anscheinend ganz Bukarest trifft. Sie steht in einem Park, der sehr verwunschen aussieht. Außerdem gibt es eine futuristische Toilette, alte und junge Schach- und Rummikubspieler und uns, die die Tischtennisplatte als Ort für das perfekte Picknick wählen. Rumänisches Bier schmeckt besser als bulgarisches. Es gibt sogar Glasflaschen! Und Eightpacks anstatt Sixpacks, die Rumänen scheinen mehr Freunde zu haben, oder einen höheren Bierkonsum. Nach und nach trudeln die anderen ein und die Bartour kann beginnen. In der Stammkneipe, two bastards, trinken wir auf dem Gehweg, zwischen Fahrradweg und der Straße eingequetscht unser erstes Bier. Das Abendlicht taucht die Gebäude in rosa Licht, die Menschen sind freundlich und wir lustig drauf. Nachdem alle nochmal aufs Klo gegangen sind kommen wir langsam in Stress. Schnell weiter zum Oktoberfest! Die Bar mit dem billigen Bier. Wir ziehen von Bar zu Bar, tanzen, trinken und genießen die Nacht. Treffen unzählige Menschen, unterhalten uns auf verschiedenen Sprachen in einem Mischmasch und landen am Ende wieder im Park. Es ist spät, es ist kalt, ich bin müde. Die anderen scheinen mehr Energie zu haben. Es wird hell als wir schlafen gehen.

Sehr unausgeschlafen findet man Sophia und mich ein paar Stunden und eine Runde Mikrowellenporridge später im Parlament. Wow! Die Säle sind echt krass! Jeder Raum wird vom nächsten noch einmal übertroffen.

Wir laufen durch die Stadt, unterhalten uns in Parks, ich esse zum ersten Mal Pastei de Nata, in Bukarest, nicht in Lissabon. Wir verlieren uns in einem Buchladen in unserer Fantasie, betreten ein „hohes“ Gebäude und laufen bis ins oberste Stockwerk.

Dort stehen drei Klappstühle, das sehen wir als eindeutige Einladung, lassen uns nieder und schauen aus dem Fenster, erschöpft vom Stadtrundgang, der Hitze und dem Schlafmangel. Wir stöbern in einem Vintage Laden und treffen uns wieder im Park. Ich bin so fertig, habe keine Kraft mich zu unterhalten. Lausche den Straßenmusikern, höre dem Klang des Tischtennisspiels zu und versuche mich auf die Gespräche um mich herum zu konzentrieren. Aber es gelingt mir nicht. Nachdem wir ein paar Stunden auf den Bänken saßen, gab es eine neue Mission: Essen besorgen. Ein Spaziergang zu Carrefour. Im Abendlicht, bei der genau richtigen Pullitemperatur spazieren Sophia und ich am Fluss entlang, machen halt und schauen uns intensiv um. Im Wasser spiegeln sich die Höuser, der Mond ist schon am orangenen Himmel zu erkennen. Wir sind mitten in der Stadt, es ist laut und trotzdem seltsam friedlich.

Nach dem Einkaufen geht es einmal mehr quer durch die Stadt. Abwechselnd löffeln wir unser veganes Salted Caramel Eis, während es langsam dunkel wird. In der WG Küche, die absolut nicht für 8 Personen ausgelegt ist, schaue ich den anderen beim Kartoffeln schälen zu. Lasse die Situation auf mich wirken und muss manchmal lachen über eine Aussage, oder einen Gesichtsausdruck. Wir essen Kartoffeln mit Krautwickel und Tomatensoße. Das scheint den anderen wieder Energie zu geben. Auf gehts in die Stadt! Ich entscheide mich in der WG zu bleiben und Sophia und ich verbringen einen ruhigen Abend auf dem Balkon. Tee trinken, Musik hören und bei Kerzenschein unterhalten.

Die Stadt unter uns liegt ruhig da. Ab und zu düst ein EScooter vorbei, ansonsten hört man kaum ein Geräusch. Ich liebe Balkone! Die frische Luft tut gut, wir sitzen auf Klappstühlen, die Füße auf dem Geländer, bis wir langsam so schläfrig werden, dass eine Unterhaltung kaum mehr möglich wird.

Am nächsten Morgen geht es für mich wieder zurück nach Bulgarien. Wie viel in 72 Stunden Rumänien passiert ist. Die Eindrücke, totale Reizüberflutung, im Zug nicke ich ein paar Mal ein. Ein Taxifahrer in Ruse hört nicht auf mir eine Taxifahrt nach Shumen schmackhaft machen zu wollen. Entnervt gebe ich meinen Vesperplatz vor dem Bahnhofsgebäude auf und setze mich auf eine Bank am Bahnsteig. Der Zug ist leer. Das Fenster bleibt wie immer nicht unten, weshalb ich meinen Rucksack an den Griff hänge.

Ohne den Fahrtwind wäre es aber auch echt zu stickig. Wieder schlafe ich ein. Bulgarische Züge haben sowas geborgenes. Wenn man ein Abteil für sich alleine hat, Schuhe ausgezogen, Musik hörend, aus dem Fenster schauend und seinen Gedanken nachhängend, vergesse ich für eine Weile alles um mich herum.

In Zügen fühle ich mich frei, Busse stressen mich und mir wird schlecht, ich fühle mich eingesperrt. Wie immer auf der Heimfahrt plane ich unterwegs meine Einkäufe. Mit letzter Kraft schleppe ich mich zu Billa um dann in meiner Wohnung anzukommen. Seltsam wie ich bin, gönne ich mir keine Pause, bevor ich nicht mein Essen (Linsencurry) gekocht, den Rucksack ausgepackt und geduscht habe. Dann erst bin ich angekommen.

Am nächsten Tag ist mal wieder ein Feiertag. Das heißt: Nationalhymne, Flaggen tragen, und natürlich der obligatorische Blumenkranz vor jeder Statue. Es ist der Tag der kyrillischen Schrift. In der Stadt auf einer Bühne tanzen Kinder Volkstänze. Ich gehe mit den Deutschlehrerinnen Kaffee trinken, bin aber noch immer müde vom Wochenende und genieße es, wieder alleine in meiner Wohnung zu sein. Beschäftigung habe ich genug. Ich lese die Mappen der 11.Klässler durch, schreibe hier und da Tipps und Anregung auf, gebe ihnen Feedback und überlege, was sie noch verbessern können. Es sind teilweise wirklich anspruchsvolle Themen, die sie gewählt haben. Beim zurückgeben der Mappen wirken sie ein bisschen erschlagen und ich versuche ihnen Motivation zu geben. Auf jeden Fall wirken alle, als ob sie genug Ideen haben. Ich bin zuversichtlich. Mit der 10.Klasse sammle ich Argumente für unsere Covid-talkshow und bringe ihnen Jugendsprache bei. Sie bringen mir auch bulgarische Jugendsprache bei, leider vergesse ich alles sofort wieder. Der Ausruf: bist du vom Wald gefangen? Gefällt mir aber sehr gut. Bedeutet so viel wie: bist du verrückt?

Wie jeden Abend, genieße ich es auf dem Balkon zu stehen, während ich meine Zähne putze. Wie putzen Leute ohne Balkon ihre Zähne? Die kühle Abendluft tut so gut. Schon krass wie Wasser und Luft so verschieden sein können.

Ich schaue mir die Bilder an, die diesen Monat entstanden sind und kann kaum glauben, wie viel schon wieder in so kurzer Zeit passiert ist. Jedes Wochenende unterwegs zu sein ist schon so zur Gewohnheit geworden, dass die Vorstellung das Wochenende nicht wegzufahren mir sehr seltsam vorkommt. Aber ich weiß, dass ich mal eine Pause brauche. Einen Gang runterschalten, Kräfte sammeln für die kommenden Wochen und mal wieder ein bisschen für mich alleine sein. Dann bin ich auch wieder bereit für die nächsten Abenteuer, die Bulgarien für mich bereit hält!

Mein Besitz in einer Billatüte, Zeitraffer Bulgarien (Tag 212-217)

Zdrasdi,

ich hab richtig Lust mal wieder ein paar Alltagsbeobachtungen aufzuschreiben, meine Gedanken zu ordnen oder auch die Sätze zu teilen, die ich im letzten halben Jahr wahrscheinlich am öftesten gesagt habe.

„Вие говорите англиски?“ (Vie govorite angliski? –> Sprechen sie Englisch?)

Den Satz, den ich viel zu oft ziemlich französisch betont habe und auf den ich meistens die Antwort „Ne.“ bekommen habe, das aber gar nicht wahr ist. Irgendwie kann doch jeder ein wenig Englisch. Und trotzdem ist es vielleicht ganz gut so, weil ich dadurch immer gezwungen werde aus meiner Komfortzone zu treten und mein Gehirn mal wieder angeregt wird zu verstehen, was mein gegenüber mir mitteilen möchte. Ob das nun die Bezeichnung für Süßkartoffel, die Information, dass ich einen Einkaufswagen benötige, oder ein Kompliment für meine Hose ist (hoffe ich zumindest…). Auf jeden Fall ein Klassiker unter den meist verwendeten Sätzen.

Auch beim Verschicken von einem Paket mit Speedy – es ist wirklich total nervig, dass ich Speedy von meinem Haus aus sehe, aber einen riesigen Umweg machen muss, weil zwischen mir und dem Laden 2 Straßen und ein Fluss liegen und die nächste Überquerung voll weit entfernt ist – konnte ich mich auf Englisch-Bulgarisch verständigen. Alle Sachen wurden sehr sicher verpackt, wobei ich den ganzen Betrieb aufgehalten habe und gefühlt alle meine Daten hergegeben habe, damit das Paket auch sicher ankommt.

Highlight an diesem Tag war, dass ich tatsächlich Joghurt im Glas gefunden habe. Im Laden, der billigere Nüsse hat als Billa: Nirvana. Sonnenblumenkerne mit Schokolade umhüllt, einfach genial! Ich fühle mich irgendwie Pseudogesund, wenn ich die esse. Mein Konsum ist ziemlich gestiegen… Letztens habe ich den Schuldirektor beim Bäcker meines Vertrauens getroffen und da ich immer sehr schnell mit smalltalk überfordert bin habe ich ihn gefragt was sein Lieblingsbrot ist, woraufhin er mir geantwortet hat, dass er immer nur Süßes kauft. Auch gut. Habe ich ihm gleich nachgemacht.

Außerdem sehe ich nur noch E-Scooter um mich herum. Werden die gerade noch mehr gehyped? Ist das auch in Deutschland so? Die Menschen fahren auf der Straße damit. Der Scooter wird mit an den Tischim Café und sogar mit an den Strand genommen. Rollatoren für alte Menschen, E-Scooter für verspielte Erwachsene und das Rollatoren pendant für Kleinkinder: kleine elektrische Autos, die einen höllischen Lärm machen und noch langsamer fahren, als die Züge hier. Letztens habe ich sogar ein Minimotorrad mit schlechtem, aber trotzdem krass, Radiolautsprecher gesehen, aus dem der all-time Klassiker „Let it go“ ertönte. Ich bin mir sicher, der Kleine ist der Schwarm aller 3-5 Jährigen.

Apropos 3-5 Jährige. Die scheinen hier alle eine große Leidenschaft zu teilen: Tauben jagen. Kein Wunder also, dass die Tauben total durch den Wind sind und halsbrecherische Manöver fliegen, weshalb ich mich regelmäßig ducke, wenn ich durchs Zentrum laufe und deshalb ausgelacht werde. Aber hey: besser ausgelacht als Taube in den Haaren.

Endlich habe ich auch mal wieder Viki gesehen! Es war so viel los, aber richtig schön wieder bei ihr in der Wohnung die beste Aussicht auf Shumen (natürlich nicht so gut wie vom Monument, aber fast) zu haben. Ihre Mutter, die gerade frisch Pinterest für sich entdeckt hat, hat Foccacia gemacht. Ähnelte aber eher einem Gemälde von Van Gogh oder so 😉

Außerdem gab es Rharbaberkuchen. Auf Balkonien. Für den Balkon haben wir uns mit Hilfe einer Münze entschieden. Kopf = Balkon, Zahl = Garten. Zum Kuchen gab es türkischen Granatapfeltee. Der Balkon ähnelt einem Strandkorb im Pflanzenparadies, der perfekte Frühlingsnachmittag. Wir haben über Studium, Job, Politik, Flüchtlinge und unsere Sommerpläne gesprochen. Richtig schön.

Auf dem Heimweg wurde ich von der Orchestermusik, die vor dem Theater gespielt wurde, begleitet.

„Аз говориям малко български“ (As govorijam malko bulgarski –> ich spreche ein wenig bulgarisch)

Und daraufhin immer wieder die Antwort: wow, das ist doch nicht wenig, sehr gut, sehr gut. Na ja.

На добър час Абитуриенти! Auf eine gute Zeit Abiturienten! Das war das Motto letzten Freitag. Nicht nur in der Schule, sondern in der ganzen Stadt, wie sich später noch herausstellen sollte. Im Gegensatz zu Deutschland, ist hier die Abifeier vor den Abiprüfungen, die diese und nächste Woche anstehen. Das heißt, dass am Freitag alle Blumenläden ausverkauft waren, alle Familien schick, auch mit schicker Maske, vor der Schule standen und die Abiturienten gefeiert haben, die alle in schöner Kleidung und mit so viel Motivation, wie ich sie im Klassenzimmer nie gesehen habe, aus tiefster Kehle ihre Freiheit beschrieen haben. Luftballons, Musik, Reden, Geschenke, Feuerwerksknaller, Blumen, die Übergabe des deutschen Sprachdiploms. Die Stimmung war festlich und auch ein wenig sentimental. Ich habe mich an meinen eigenen Abschluss erinnert, der Covid bedingt nicht so gefeiert wurde und deshalb habe ich mich gleich doppelt für sie mitgefeiert. Die ganzen planlosen Schüler, die das Schulende so herbeigesehnt haben und jetzt vor einem neuen Lebensabschnitt stehen.

So wie ich vor einem Jahr. Altes Leben, 2 Stunden im Flugzeug, komplett neues Leben, und bald ist dieses neue Leben hier zu Ende und es heißt hoffentlich Zug und nicht Flugzeug zurück und wieder eine komplette Veränderung in einen neuen Lebensabschnitt. Ich habe die Zeitrafferoption an meiner Kamera für mich entdeckt. An sich fühlt sich diese ganze Zeit hier an wie mit dem Zeitraffer aufgenommen. Immer neue Eindrücke. Angekommen, Zack, halbes Jahr rum, Zack, keine Zeit um still zu sitzen, oder doch irgendwie schon. Trotzdem verfliegt die Zeit. Alles geht so schnell, aber irgendwie reflektiere ich doch ziemlich viel.

Auch im Lehrerzimmer wurde mit einem großen Büffet und dem Banizasong singend gefeiert, dass die 12.Klasse bald die Schule verlässt. Aus Platzmangel haben ein paar der Deutschlehrerinnen und ich uns auf den Weg in ein Café gemacht. Die Idee hatten anscheinend auch alle Abiturienten Shumens. Unterwegs eine Autokolonne mit hupenden Autos und in jedem Café laut rufende Schüler. Dafür ernteten sie Kopfschütteln von den Deutschlehrerinnen, die mir erklärten, wie verrückt sich die Schüler verhalten, aber ich glaube insgeheim haben sie sich auch mitgefreut. Da unterhalten wegen der lauten Musik und den Rufen ziemlich schwierig war, haben wir stattdessen ein bisschen mitgetanzt und uns dann alle mit Kopfschmerzen auf den Heimweg gemacht. Da alle Schüler frei hatten, habe ich mich gefühlt wie ein Promi als ich durch ide Stadt gelaufen bin und von allen Seiten gegrüßt wurde. Auch oft etwas unsicher, weil ich mir noch immer nicht alle Gesichter merken kann.

Im Eiltempo habe ich meine Wohnung geputzt und dann ganz genau Josis Anforderungen befolgt sie mit einem Paar Socken, dass mindestens bis zur Hälfte der Wade reicht und einem Wegbier vom Bahnhof abzuholen und ihr die Stadt und das Monument zu zeigen.

Am Bahnhof habe ich ein altes Paar beobachtet, sie den Arm um ihn legend in die Richtung schauend aus der der Zug kommen sollte. Eine schöne Alltagsbeobachtung. Und ein schönes Bild.

Dann mit der Josi auf zum Monument. In der schwülen Abendluft sind wir ganz schön ins Schwitzen gekommen. Auf der wortwörtlichen Instagramplattform haben wir usn hingesetzt und die Schokosonnenblumenkerne gegessen. Dann gab es Pizza, Döner und Ayran und zum Nachtisch noch einen Cocktail bei Bacardi. Davor habe ich von Josi noch die grüne Strickjacke bekommen, die wir zusammen in unserer ersten Woche in Sofia gekauft haben und die nun mir gehört. Trotz der Freude habe ich das Gefühl sie ist froh eine Sache weniger in ihrem Koffer unterzubringen und ich verzweifle langsam daran all meine Sachen zu verstauen…

Nachdem wir müde in meiner Wohnung angekommen sind, Josi mit den Worten: „Ich schlafe doch nicht auf einer Tischdecke!“, mein Bett frisch bezogen hat und ich aufgrund dieser Aussage so lachen musste, dass ich mich fast an meinem Karottenbrot verschluckt hätte, haben wir noch ein bisschen gequatscht, ich habe meine „Tischdecke“ (feinstes Satin, Spaß) verstaut und sind dann schlafen gegangen.

Neuer morgen, neues Müsli. Haben unseren billigen Nussvorrat, Beernuts müssen sein!, aufgefüllt und den Markt besichtigt. Nachdem wir eine Flüssigkeit in kleinen Wasserflaschen, die uns stark an Apfelsaft erinnert hat und wir deshalb nicht weiter auf Schilder geachtet haben kauften, Josi den ersten Schluck nahm und gleich wieder ins Gebüsch spuckte, mussten wir unseren Fehlkauf des Tages eingestehen. Apfel ja, aber nicht Saft, sondern Essig.

Also haben wir uns mit einer Flasche Essig im Rucksack aufgemacht und ich bin zum ersten Mal mit dem Bus nach Varna gefahren. Geht natürlich schneller, aber mir ist irgendwie schlecht geworden. Zug fahren fühlt sich einfach mehr nach Freiheit an. Im Bus fühle ich mich eingesperrt. An diesem Tag war in Shumen eine Autorallye, der wir durch unseren Ausflug aus dem Weg gegangen sind. Aufheulende Motoren sind mittlerweile zu einem trigger für mich geworden, weshalb ich umso erleichterter war, als wir in Varna in einem Restaurant am Strand saßen, mit den Füßen im Sand und dem Blick aufs Meer. Alles sieht jetzt so verändert aus. Man kann nicht mehr weit schauen, weil die Bäue Blüten und Blätter haben, es gibt so viele grüntöne, die Sonne bräunt unsere Haut, der Sand entfernt unsere Hornhaut. Am Strand waren für unseren Geschmack viel zu viele Deutsche. Medizinstudenten, die wir neugierig belauscht und beobachtet haben.

Ein so entspannter Tag, im Sand liegen, die Beine eingraben, schreiben, schauen, dösen. Hat wirklich gut getan. Was darf an keinem Tag fehlen? Natürlich: Second Hand Shopping! Habe ausnahmsweise nichts gekauft. Rückfahrt mit dem Zug. Der Klatschmohn, der auf den Wiesen wächst und so im Abendlicht geleuchtet hat, hat mich total fasziniert. Wir haben eine Achtklässlerin von mir und ihre Freundin getroffen und uns ein bisschen unterhalten. Auf Englisch, Spanisch, Französisch, Bulgarisch, sogar ein bisschen Deutsch war dabei. Nachdem uns ganz trocken gesagt wurde, dass wir wie 15 aussehen und Josi trocken zurück gegeben hat:“ Ihr auch.“, wurde das wichtigste natürlich sofort abgefragt: die Frage nach dem Sternzeichen. In Bulgarien aus keinem Gespräch wegzudenken, eine wirklich unverzichtbare Information, wodurch ich mich tatsächlich auch wieder mehr damit beschäftigt habe. Halb ironisch, halb ernst. Im Weltuntergangssommerregen sind wir dann sehr schnell nach Hause gelaufen um Kartoffelpuffer mit Ofengemüse zu machen.

„всичко“ (vsitschko = alles)

Klassiker Antwort auf всичко. Beim Bäcker, auf dem Markt oder in der Schule. Nach 7 Monaten noch immer mein Lieblingswort.

Den letzten morgen mit Josi in Shumen verbrachten wir in der Moschee. Saßen auf dem Boden und sahen uns die Decke an. EIne wirklich schöne Moschee. Auch nach meinem 5. Besuch. Natürlich haben wir auch dort Pralinen bekommen (erst kürzlich war das Zuckerfest). Ob in der Moschee, beim Trampen, auf der Straße, in der Schule, überall bekommt man immer wieder Pralinen. Da всичко zu hatte, gab es ein schnelles Frühstück zuhause und dann ging es auch schon mit dem Taxi zum Bahnhof. чао чао Josi!

„Добре“ (dobre = gut)

Hört sich viel besser an als gut und man fühlt sich gleich bulgarisch.

Mai ist wirklich ein seltsamer Monat. Ganz viele Feiertage und freie Tage und dann wieder 7 Stunden in der Schule, DeutschAG, Projekte planen, absprachen, merken wann man wo sein soll und mit welcher Klasse man was genau macht. Kein wirklicher Alltag.

Meine Konstanten: in der Quarantäne habe ich tatsächlich Freundschaften geschlossen. War mir damals gar nicht so bewusst. Aber der alte Mann, den wir immer beim Autos einweisen beobachtet haben wohnt bei mir im Haus und grüßt mich immer im Treppenhaus. Und der kleine Nachbarsjunge vom Wurstbalkon schaut immer ganz schüchtern gerade so über das Geländer zu mir rüber und versteckt sich dann wieder. Ich lächle ihm beim Wäsche aufhängen zu, winke, wenn ich meine Zähne mal wieder auf dem Balkon putze und freue mich diese besondere Freundschaft mit einem kleinen Bulgaren zu haben, und wir uns beide immer freuen, wenn wir gleichzeitig auf unseren Balkonen sehen.

Ich mag es sehr mit den Schülern Diskussionen zu führen, ihre manchmal verrückten Ideen zu hören und zusammen zu lachen. Humor funktioniert trotz Sprachbarriere. Heute wieder mein Lieblingsthema Konsum Lösung Teilen. Waren uns alle einig, dass man Sportschuhe nicht teilen sollte, wegen Fußpilz und weil die Füße von anderen stinken. Mit allen Schülern wieder in der Schule, füllt sich auch das Lehrerzimmer. Die Schüle wird lebendig und hoffentlich gewöhnen sich die Schüler bald wieder an den Schulalltag und dass man in der Schule mehr machen muss als vor dem Bldschirm. EIne wirklich schwierige Situation.

Heute ist hier auch ein orkanartiger Sturm zu spüren. Ich taufe es Sturmtief Baniza. Ein richtiges workout sich gegen den Wind zu lehnen. Mein Fenster muss ich gar nicht aufmachen um zu lüften. DIe Fenster sind so undicht, dass der Wind auch in der Wohnung zu spüren ist. Ein bisschen zu wenig.

Vorhin habe ich einen Teil meines Lebens in eine Billatüte gepackt. Schon verrückt. Alles was ich besitze muss ich irgendwie nach Hause transportieren. So auch meine Bücher und Winterklamotten, die ich an Sophia weitergebe und ihr Onkel sie mit nach Deutschland nimmt. Und dann mache ich erstmal eine Deutschlandtour und sammle alle meine Sachen wieder ein.

Und zu guter letzt: „хайде айде“ (Chaide, Haide, Aide = auf gehts oder sowas in der Art)

Хайде Чао!

 

 

Der Anfang von Träumen (Tag 196-211)

Je seltener ich schreibe, desto schwammiger werden die Einträge. Also ist es an der Zeit meinen Gehirnschwamm mal wieder ordentlich auszuwringen.

Kleine Gedächtnisstütze für mich beim Schreiben: abhängen mit dem landesbesten in Tetris, Schulabschlussbräuche in Bulgarien, Skorpione und Schlangen, 3 Evas im Wasser, 1.Mai Wanderung zu Billa, 3 mal um die Kirche laufen, Morgensmeditationsstimmung, die überraschendste Kirche Bulgariens, internationales Treffen am Fluss, Abendsonne auf der Brücke, eine fast verpasste Lichtshow, ramontische Abendstimmung auf einem Gebäude am Fluss, Zuggespräche, Stara Zagora, der krasseste Hostelempfang aller Zeiten, überall Schilder, ein ungenutztes Flussufer, die Hügel von Plovdiv, Hinterhofgespräch, Essen gehen nicht nach 21 Uhr, ein ausgiebiges Frühstück, die längste Fußgängerzone Europas, Antiquitätenramschladen, Restaurantauswahl, Abendsonne mit bulgarischem Snack, eine lustige Runde mit neuen Spielregeln, ein Spiel für 2-jährige, das Hosentasche-Zahnputz-Phänomen, Mission Hügel, Opa Bielefeld, Bishops Basilica mit Kinderecke, die Kichererbsenvergiftung, die andere Seite vom Hügel. die Angst sich in das falsche Bett zu legen, Tipps fürs Dorf, Busbahnhofidylle, Trojanpass, Lidlwanderung, wandern zur Kreuzung, nachhause trampen, Omas auf Bänken, die Haustour, bulgarischer Couscous, Sternenhimmel, Wasser holen an der Quelle, das meistbesuchte Naturkundemuseum Bulgariens, Schmetterlinge, Museumskonzept, Trojankloster, kitschige Schwäne, Kapelle im Wald, durchs Gestrüpp, eisiges Wasser, Lagerfeuergespräche, nächtliche Haustour, wandern um 15 Uhr, die Wichtigkeit von Handys und Pfeilen, Hüttentour, trailrunning, Ausnahmesituation, Reizüberflutung im Restaurant, 1 Liter Ayran, Zug nach Hause, Alltag Essen schwierig, die richtige Aussprache von Щъркел, Stadtfest mit bulgarischem Kuschelrock Konzert.

Okay, ganz schön viel, aber eigentlich ist damit auch schon alles gesagt. Ich geh mal noch ein bisschen ins Detail.

Vor gar nicht all zu langer Zeit hat die Deutsch-AG einen Ausflug auf das Schumenplateau gemacht. Wir haben Spiele gespielt, Aussichten erkundet und die Schüler waren so süß begeistert von der Natur, dass sie gar nicht mehr nach Hause wollten. Von Marin wurde ich aufgefordert seinen Tetrisrekord zu knacken. Natürlich habe ich die Herausforderung angenommen und dann doch mal nachgehakt, was denn sein Rekord ist. Antwort: Ich bin Landesbester. Ach so. Tja, ist er immernoch…

Am nächsten Tag hatte ich eigentlich eine Stunde mit den 12.Klässlern, die ganz aufgeregt ankamen um zu fragen, ob sie in meiner Stunde ihre Lehrerin zur Abifeier einladen können. Natürlich habe ich ja gesagt. Da wusste ich noch nicht was auf mich zukommt. Ich habe mich hinters Pult gesetzt und dem Herumgewusel der Schüler zu geschaut, die gerade dabei waren ihre Lehrerin herzulocken. Alle sahen so herausgeputzt aus, da hätte ich eigentlich schon stutzig werden müssen. Dann wurde eine Torte aus einer Konditorei auf den Tisch gestellt und ein ziemlich kitschiges Luftballonding. Da dachte ich mir schon: krass die geben sich ja richtig Mühe. Ich drehe meinen Kopf Richtung Tür, durch die plötzlich ein Kamera- und ein Videomann hereinkommen und anfangen mich und die anderen zu filmen. Ich war so verwirrt. Dann wurde ich aufgeklärt, dass dieses ganze Trara immer so ist. Ein Video davon wie die Lehrerin zur Abifeier eingeladen wird!!! Wow. Sie kam, hat sich gefreut, es wurden Gruppenfotos gemacht und ich habe auch ein Stück der unglaublich leckeren Torte bekommen. Also alle zufrieden. Abends war ich so glücklich über meine Pläne und voller Vorfreude, dass ich alleine in meiner Wohnung plötzlich laut lachen musste vor Glück. Ein schönes Gefühl.

Da das orthodoxe Ostern einen Monat später ist, gab es ein paar Tage schulfrei, die ich sehr ausgiebig genutzt habe. Mit dem Zug ging es am 1.Mai nach Veliko Tarnovo. Dieses mal im gefühlten Hochsommer. Kurz bevor der Zug ankam habe ich aus dem Fenster heraus Paula und Frida den Zug filmen sehen. Nachdem ich mein Gepäck im Hostel abgeladen habe, haben wir uns erstmal getroffen. Im Park auf einem Berg. Natürlich über zahlreiche Stufen zu erreichen.

Die Bulgaren und ihre Treppen. Wegen der schwülen Hitze haben wir uns dann bald auf den Weg zum Fluss gemacht. Dafür mussten wir aber erst ein paar Hindernisse überwinden.

Für Paula war die Eisenbahnbrücke eine Herausforderung, davor haben wir noch einen Skorpion gesehen und nach der Brücke auf dem Trampelpfad gab es die nächste Schock-Begegnung. Ich mitten im Gespräch: „Oh Schlange.“ Und wir alle wieder ein Stück zurück. Schutzkleidung in Form von Stoffhosen und Handtüchern wurde angezogen, Stöcke gesucht und die Amazonas Expedition konnte weitergehen. Waren wir froh als wir den Betonweg erreicht hatten. Bei der nächsten Aufgabe musste sich Frida überwinden ins schlammige Wasser zu treten. Wir drei Evas im Amazonas. Aber war gar nicht so kalt. Und auch gar nicht so tief.

Nach und nach hat sich unser 8er Hostelzimmer gefüllt. Bis wir zu neunt waren. Es ging erstmal die Tourimeile rauf und runter. Viel zu viel. Große Gruppe, erschöpfende Hitze. Bele, Paula und ich haben uns dann auf den Weg zum nächsten Billa gemacht. Für unsere Maiwanderung gab es natürlich ein Wegbier aus einem Kiosk. War auch ne ganz schöne Strecke. Auf dem Rückweg gab es dann ne Pause am Fluss. Ausgehungert und durstig haben wir uns angeregt unterhalten und komplett die Zeit vergessen. Es wurde Dunkel und wir haben nicht gefroren, so warm war es! Irgendwann ist uns dann aber doch aufgefallen, dass wir schon ziemlich lange weg sind und wir haben uns auf den Rückweg gemacht und waren plötzlich in der Mitte eines Familienfests. Ein Mann kam auf uns zu und sagte etwas auf Bulgarisch. Nach kurzem umherschauen meine Erkenntnis: „Ah das ist ne Sackgasse.“ „Da, Sackgasse.“ – die Bestätigung. Also wieder rauf die Gasse und weiter. Ganz schön verschlungen die Straßen in Tarnovo. Im Hostel war die Stimmung erstmal nicht so gut. Kein Wunder, ich wäre auch sauer, wenn ich so lange auf mein Essen hätte warten müssen. Fertig vom Tag wurde es dann eher ein entspannter Abend mit dem Abschluss Ostergottesdienst um 0 Uhr. Eine riesige Menschenmenge hat sich vor der Kirche versammelt. Man konnte die Festung leuchten sehen, es gab einen leichten Sommerniesel, Kerzen wurden gekauft und Pius und Josi haben uns gefunden. Der Gottesdienst wurde draußen abgehalten und nach Tradition sind wir mit unseren Kerzen um die Kirche gelaufen. Allerdings nicht drei mal. Es hat genervt, dass die Kerzen immer so schnell ausgegangen sind. Erschöpft ging es ins Bett.

Am nächsten Morgen bin ich früh aufgewacht und hatte das Gefühl erstmal raus zu müssen aus dem Zimmer mit den 8 anderen. Ein bisschen frische Luft, die nur früh morgens noch kühl ist, ein bisschen Ruhe und Zeit zum Nachdenken. Also ab zum Fluss.

Auf einer alten Brücke habe ich mich in die Morgensonne gesetzt und dem Rauschen des Wassers zugehört. Später habe ich mich mit den anderen vor der Kirche auf der Festung wiedergetroffen.

Die überraschendste Kirche Bulgariens. Wirklich jeder der wieder heraus gekommen ist war geflasht und meinte: “ Also das hätte ich nicht erwartet.“ So auch ich. Zum ersten Mal war ich hier dann froh über den Wind. Der hat die Hitze erträglicher gemacht. Erschöpft und hungrig vom Sightseeing ging es in ein Restaurant am Fluss. Taratar, Wasser-Joghurtsuppe mit Gurken, Knoblauch und Walnüssen. Super erfrischend. Danach haben wir uns wieder nach Interesse aufgeteilt. Für Bele und mich hieß das Richtung Hostel um Pius einzusammeln und dann runter zum Fluss. Allerdings brauchten wir dann so lange, dass Lorna, Paula und Josi sich uns anschlossen. Pius war nicht so überzeugt von unserer Badestelle vom Vortag und hat kleine bulgarische Jungs gefragt, ob sie uns helfen einen Baumstamm an eine andere Stelle des Flusses zu tragen. Mit der Zeit kamen immer mehr bulgarische Kinder und Jugendliche dazu. Und auch immer mehr Franzosen. Zu Beginn waren wir nur mit einer franzöischen Erasmus Studentin im Wasser, aber es kamen immer mehr. Internationales Flusstreffen. Erfrischt haben wir uns danach auf die Brücke der Entspannung gesetzt und mit unserer Musik gegen die bulgarischer Teenager gegengehalten und Karten gespielt, den Nachmittag genossen. Im Aufenthaltsraum lag eine Packung mit einem Osterzopf aus dem sich jeder von uns im vorbeigehen immer wieder bedient hat. Aber ist ja Ostern…

Abends wurde dann gemeinsam gekocht und auf der Terrasse gegessen. Bis plötzlich die ersten bunten Lichter am Himmel gesichtet wurden. Sollte die Lichtshow nicht erst in einer halben Stunde sein? Hals über Kopf hat sich jeder einen Pulli, Geld und sonst was geschnappt, das Geschirr wurde in die Spülmaschine gepackt und wir sind zur Festung gerannt um dort die letzte Sekunde der Lichtshow zu sehen. Das zweite Mal in Tarnovo und schon wieder nix mit Lichtshow…Wir haben uns auf den Platz gesetzt und über die Situation gelacht. Zum Glück saßen wir eine Weile, denn die Lichtshow ging in die zweite Runde und wir hatten Premiumplätze. Ich hätte mir das ganze trashiger vorgestellt, aber alles wurde sehr detailliert ausgeleuchtet und sah ziemlich cool aus. Danach wurden Snacks und Bier gekauft und wir haben wieder unseren ramontischen Flussspot auf der Bauruine aufgesucht. War wieder ne kurze Nacht.

Am nächsten Morgen ging es für Bele und mich nämlich schon weiter Richtung Plovidv. Nachdem ich von meinem Wecker aufgewacht bin habe ich links von mir auf dem Boden Josi und Pius gesehen, die auch lieber im Hostel, als im Auto schlafen wollten. Im Aufenthaltsraum hat uns dann ein Franzose berichtet, dass eine Katze gestern Nacht in sein Bett kam und er deshalb auf den Kissen im Aufenthaltsraum geschlafen hat. Alles klar. Bei angenehmer Temperatur haben wir uns auf den Weg zum Bahnhof gemacht und im Zug interessante Gespräche geführt. Aber was wir für einen Hunger hatten. Zum Glück hatten wir einen längeren Aufenthalt in Stara Zagora. Nur hatte alles geschlossen. Ostermontag. Also gab es ein Schwammbrot mit Lutenitsa. Wurde ganz schnell weggeatmet während wir uns ausgiebig über Bücher unterhalten haben. Zum Glück hatte Bele genug Lesestoff für uns beide dabei.

Im Hostel in Plovidv wurden wir mit „homemade Lemonade“ erwartet. Alles ist eingerichtet mit antiken Möbeln, Man fühlt sich ins letzte Jahrhundert zurückversetzt. So nen Empfang hatte ich noch nie. Das beste Hostel Bulgariens. Ein Herzlich Willkommen Schild mit meinem Namen hing an der Wand. Je genauer man sich umgeschaut hat, desto mehr dieser Schilder konnte man erblicken. Ganz amüsant. Ausgerüstet mit Informationen über die Stadt mit der längsten Fußgängerzone Europas machten wir uns auf den Weg um eine Nektarine zu suchen. Gab wieder nur Brot. Aber dieses mal mit Hummus und ner Tomate. Auf dem Stadtplan haben wir einen Fluss gesehen. In Sachen Stadtplanung müssen wir aber ganz klar sagen, dass das Flussufer besser genutzt werden könnte. Wir haben keine einzige Bank finden können. Dafür ist die Lage des Hostels genial. Direkt neben unserem Lieblingshügel, heute geht es viel um Hügel, von Plovdiv. Nach einem wunderschönen Sonnenuntergang hatten wir große Lust auf Pizza. Aber erstens war ziemlich viel los im Kneipen und Restaurantviertel Kapana und zweitens war schon nach 21 Uhr. Von Restaurant zu Restaurant wurden wir pessimistischer, dass noch irgendwo die Küche aufhat und haben uns schließlich mit einem Döner zufrieden gegeben.

Am nächsten Morgen haben wir ausgiebig im Innenhof des Hostels gefrühstückt, fassungslos darüber wie liebevoll das Essen für uns angerichtet war, und auf Simon gewartet. Zu dritt haben wir einen Park, einen weiteren der sieben Hügel Plovdivs, von denen aber nur noch sechs existieren, erkundet, das römische Theater und einen Antiquitätsladen besichtigt, ich habe eine Postkarte aus Shumen entdeckt, aus dem letzten Jahrtausend, aber so viel hat sich gar nicht verändert. Dieses FSJ ist wirklich eine Zeitreise.

Nachdem wir Simon unseren Lieblingshügel gezeigt haben, hatten wir die Qual der Wahl der zahlreichen Restaurants.

Wir haben uns für ein Restaurant entschieden mit Biergläsern, so groß, dass man sie mit kleinen Händen nicht fassen kann und mit einem Klo, dass aufgrund des flackernden Lichts nicht für Epileptiker geeignet ist. Auch diesen Abend verbrachten wir wieder auf unserem Hügel. So schnell bilden sich Gewohnheiten. Bei einem bulgarischen Abendessen: Baniza, viel zu selten leider mit Spinat gefüllt, für jeden eine Gurke, Wein und toasted corn, haben wir Karten gespielt. Beles neu erfundene Spielregeln, die absolut keinen Sinn gemacht haben, haben uns dabei sehr zum Lachen gebracht. Generell haben wir so viel gelacht, über so viele Dinge, die im nachhinein überhaupt nicht mehr komisch sind. Aber es war lustig!

Im Aufenthaltsraum des Hostels hatten wir noch unseren Spaß mit einem Spiel für 2-jährige. Mit Beles neuen Regeln wurde daraus ein Vokabelspiel. Beim Zähne putzen ist mir dann aufgefallen, dass wir ziemlich cool Zähne putzen. Wir standen alle drei mit einer Hand in der Hosentasche vor dem Waschbecken. Ich werdein Zukunft mal darauf achten, ob das auch andere machen.

Am nächsten Morgen haben wir Bele zum Bahnhof gebracht und danach noch weitere Hügel erkundet. Während unserer Unterhaltung auf dem ersten Hügel kam plötzlich ein alter Mann, der uns von seinem Bruder in Bielefeld erzählt hat und uns darauf aufmerksam machte wie komisch die Deutschen Zahlen sagen. Stimmt schon. Auf dem zweiten Hügel gab es ne Vesperpause und wir haben über die Aussprache verschiedener Wörter gesprochen. Beton oder Betong? Wir bringen jetzt das neue Parfum Betain heraus. Nachdem uns nachdrücklich vom Hostelinhaber die Mosaikausstellung in der Bishops Basilica empfohlen wurde, machten wir uns auf um uns das genauer anzuschauen. Mit Simons FSJ-Ausweis kam auch ich billiger rein. Nachdem ich mich mit „Merßi“ bedankt habe, wurde ich gefragt, ob wir aus Frankreich kommen. Ähm nein, das heißt doch auch auf Bulgarisch Danke?!?! Vielleicht ist meine Aussprache zu Französisch…Mit Plastiküberziehern für die Schuhe ausgestattet ging es durch das sehr moderne Museum. Am meisten hat uns die interaktive Kinderecke begeistert in der wir innerhalb einer halben Stunde zu wahren archäologischen Profis geworden sind. Wenn jemand gerade an ner Ausgrabung dran ist, meldet euch!

Nach dem Museum gab es wieder was leckeres zu essen. In „Art i Schok“ haben wir leckere Falafal mit Auberginenmus und getrockneten Pflaumen gegessen und Simon hat mir erzählt, dass man sich mit ungekochten Kichererbsen vergiften kann. War ne interessante Story. Ich habe viel gelacht. Also immer gut kochen, oder Dosen kaufen!

Kapana (Kneipenviertel)

Auch an diesem Abend ging es wieder ab auf den Hügel. Dieses mal dann auf die andere Seite. Wäre ja sonst langweilig. Mit unserem Dosenbier ausgerüstet haben wir von oben die Stadt beobachtet und sind wieder spät ins Bett gegangen. Ich habe so viel Schlaf nachzuholen… Zurück im Hostel haben die Leute bei mir im Zimmer schon geschlafen. Ja, es ist tatsächlich wieder erlaubt hier, dass man mit Fremden in einem Zimmer schläft. Im Dunkeln habe ich mich bettfertig gemacht und hatte kurz Angst, dass ich mich in ein schon besetztes Bett lege. Aber alles gut gegangen.

Am nächsten Tag war Sankt Georgstag. Tag des bulgarischen Militärs und Namenstag für ca. 200.000 bulgarische Georgis. Dieses Jahr nur mit kleiner Parade. Überall hingen Zweige an den Autos und in den Briefkästen. Natürlich, wie jede Tradition hier, ist auch das für die Gesundheit. Наздраве! Nach dem der Hostelbesitzer uns noch von dem Nachbardorf von Simons Dorf vorgeschwärmt hat, haben wir uns auf den Weg zum Busbahnhof gemacht. Dabei sind wir an weniger touristischen Stadtteilen vorbeigekommen. Hat auch echt Charme. Genauso wie der sozialistische Busbahnhof. Sehen hier ja alle immer ziemlich gleich aus. Aber es war für mich kurz wie eine Ruheoase, abgewandt von der Straße, fast idyllisch. Im Sprinterbus ging es dann ab in das Zentralbalkangebirge. Über den Trojanpass bis nach Trojan. Völlig übermüdet sind wir zuerst zu Lidl gelaufen und dann mit unserem Gepäck und den Einkäufen zur Kreuzung vor der Stadt. Und dann hieß es: Daumen raus. Nach Cherni Osam, dem Dorf mit dem meistbesuchtesten Naturkundemuseum des Landes, fährt nämlich nur dreimal am Tag ein Bus. Und der letzte war schon lange weg. Ganz schön unmobil, wenn man nachhause trampen muss. Aber so an sich auch ganz cool. Und es hat auch schnell ein Paar angehalten, dass uns ins Dorf gefahren hat, obwohl es die falsche Richtung für sie war. Wir haben sogar halbgeschmolzene Pralinen bekommen. Dann noch ein wenig durchs Dorf laufen. Auf jeder Bank vor jedem Haus saß mindestens eine alte Frau, die wir artig gegrüßt haben.

Endlich angekommen. Wir haben in der Außenküche gekocht, und ich habe eine Tour durch das Haus voller Gerümpel bekommen. So viel zu entdecken. In jedem Schrank mindestens eine Brille, eine ziemlich gruselige Puppe, ein Salzstreuer in Form eines Fußes, Rakia im Gefrierschrank, Gefrierschränke im Bad, eine komplizierte aber warme Dusche, zahlreiche Schuppen und Scheunen, ein Garten, Aussicht auf die Berge, immer das Flussrauschen im Hintergrund, ein unglaublicher Sternenhimmel und ein Wohnzimmer, wie aus dem kommunistischen Museum.

Wer möchte nicht sein Essen mit einem Fuß würzen?

Sandra und Simon, in jungen Jahren vorübergehend Hausbesitzer in einem bulgarischen Dorf. Ein letztes Mal laufen an diesem Tag um Trinkwasser von der Quelle zu holen. Unglaublich lecker. Wasser schmeckt eben doch unterschiedlich.

Am nächsten Morgen ging es ins Museum. Ich war die erste Besucherin des Tages und wurde begleitet von hervorragenden Soundeffekten und von Simon. Was soll ich sagen, es ist ein Museum mit ausgestopften Tieren. That’s it. Alle schon ein bisschen in die Jahre gekommen und nicht mein Fall. Bis auf die Schmetterlinge. So viele Arten. Sogar welche, die Licht reflektieren. Mein Wow-Effekt des Tages. Nach dem Rundgang haben wir uns im Büro das neue Konzept für die Zukunft des Museums durchgelesen. Ich bin begeistert. Das ganze Vorhaben klingt so cool. Ich bin gespannt,ob es wirklich so toll wird. Dann kann ich auf jeden Fall verstehen, dass es das meistbesuchte Museum Bulgariens ist. Da es nicht sonderlich viel zu tun gab hat Simon freibekommen und wir sind losgezogen um das nahegelegene Trojan-Kloster zu besichtigen. War sehr schön.

Die Souvenirhalle daneben weniger. So viele hässliche Plastikschwäne als Gartendekoration, Holzbretter, Plastikspielzeug und Messer sind die Verkaufsschlager. Also lieber weg von dem Trubel in den Wald zu einer kleinen Kapelle. Was geht immer? Klar, Lutenitsa und ein ganzer Laib Brot. Da zweimal den gleichen Weg laufen langweilig ist, haben wir uns für einen anderen „Weg“ entschieden und sind auch irgendwann tatsächlich im Garten eines verlassenen Hauses rausgekommen. Alles zugewachsen. Seit Jahren hatte ich keinen Kontakt mehr mit Brennnesseln. Bin irgendwie auch ein bisschen zufrieden, obwohl es echt brennt. Schnell zum Fluss. Super kaltes Wasser, super wacklige Hängebrücke. Zurück beim Haus war Sandra gerade dabei einen Platz fürs Lagerfeuer herzurichten und dann kamen auch schon die Museumskolleginnen und wir haben Lagerfeuergespräche geführt über Undergroundclubs in Estland, das langsame Internet in Deutschland und Elon Musks Satteliten sind über uns hinweggeflogen. Irgendwann sind dann auch Josi und Pius eingetroffen. Es gab eine nächtliche Hausführung, Pius war total neugierig auf die ganzen Dinge, die es zu entdecken gab. Thermoskannen, Schimmel, der Alkoholvorrat. Josi war weniger begeistert: „Das ist doch von den Toten.“ Schon seltsam. Wohnen zwei deutsche Freiwillige in dem Haus eines verstorbenen bulgarischen Ehepaars.

Da wir alle dringend viel Schlaf benötigten gab es am nächsten Mittag um 14 Uhr Frühstück. Um 15 Uhr waren wir auf dem Wanderparkplatz und es ging ganz schön steil hoch. Dafür war die Aussicht echt traumhaft.

Nach der ersten Pause haben die Jungs die Rucksäcke genommen und sind voraus und wir in unserem eigenen Tempo, in unser Gespräch vertieft, hinterher. Irgendwann dachten wir uns: die könnten ruhig mal warten. Und dann waren wir plötzlich auf 1600 m bei einer Hütte. Ohne Rucksack, ohne Handy, um 18:30 Uhr, haben auf eine Karte geschaut und gemerkt, dass wir vor gut eineinhalb Stunden hätten abbiegen müssen. Tja. Nach kurzer beratung mit ein paar Bulgaren sind wir dann losgerannt um es noch vor der Dämmerung vom Berg zu schaffen. Hätte nie gedacht, dass ich mal trailrunning mache. Aber war ja auch nicht freiwillig. Tatsächlich haben wir es vor der Dämmerung geschafft. Aber dann der nächste Schock: die Jugs waren nicht am Parkplatz. Also haben wir verschiedene Möglichkeiten in Betracht gezogen und ich bin losgelaufen um im nächsten Dorf ein Handy aufzutreiben. Zum Glück waren nur wenige 100 Meter entfernt Leute am Grillen, sodass ich schnell mit Pius in Kontakt kam und wir nach kurzer Zeit wieder vereint waren. Die Jungs hatten einen riesigen Pfeil auf den Weg gelegt, aber wir waren so in unser Gespräch und die Aussicht vertieft, dass wir den total übersehen haben.

Kann man schon übersehen oder?

Die Beiden haben sich also auch aufgeteilt um uns zu suchen und als wir am Ende alle wieder im Auto saßen konnten wir über die Situation lachen. Nocheinmal mit nem schreck davongekommen. Aber war trotzdem eine wunderschöne Wanderung.

Da Josi und ich vor Hunger schon anfingen zu halluzinieren, ging es in die nächste Gaststätte. Dort war gerade eine Feier im Gange mit Livemusik. Das erste was ich sah, als ich durch die Tür kam war ein riesiger Fisch im Aquarium. Die ganze Situation war nach dem Tag in den Bergen die totale Reizüberflutung. Deshalb war ich ganz froh, dass Pius die Bestellung übernahm. 4 Mal Shopska-Salat, 1 Liter Ayran, Brot, Pommes, Suppe und alles kam superschnell. Zum Glück. Sonst wäre ich noch am Tisch eingeschlafen. Dann gab es noch eine Runde Duschen und ab ins Bett.

Letzter gemeinsamer Morgen, nochmal ins Museum. Und danach ganz entspannt ohne trampen, sondern mit Chauffeur zum Bahnhof. Mein Zug, nur ein Waggon, dafür ein Design, dass ich noch nie hatte.

In Shumen war es dann plötzlich um einige Grade kühler und jetzt muss ich mich erstmal wieder an den Alltag gewöhnen. Man könnte meinen, wenn man unterwegs ist hat man keinen richtigen Essensrhythmus, aber ich habe auch im Alltag irgendwie keinen. Frühstück, immer unterschiedlich lange in der Schule und dann nachmittags kochen. Sehr seltsam. Während ich so um 16 Uhr am kochen war, gab es plötzlich ein Feuerwerk. Bei Tag. Was für eine Verschwendung. Everyday is fireworkday.

Gestern war dann noch der Tag von Shumen. 11.Mai. Das wurde gefeiert mit Marktständen und abends gab es noch ein Konzert. Mädchen, die Gymnastiktanz gemacht haben, sehr zurückhaltend. Und eine Gruppe Jungs, die sehr planlos Salti machten und dafür total gefeiert wurden. Diese Rollenverteilung zu beobachten war schon sehr krass. Aber an sich coole Auftritte. Höhepunkt des Abends: ein bekannter bulgarischer Sänger, Miro. Da stand er auf der Bühne, in Lederhose, Weste, und Glitzertop, als ob er aus der Bravo des letzten Jahrzehnts entsprungen wäre und die Menge ist ausgerastet. Kleine Kinder, die ziemlich professionell mit Smartphones das ganze gefilmt haben, Miro, der wie der Messias durch die Menge lief, nicht gerade schlau während Covid, aber ab da gab es kein halten mehr. Bulgarische Tänze wurden praktiziert und die Menge hat lautstark mitgesungen. Dann gab es noch ein wirklich schönes Feuerwerk und die Veranstaltung war vorbei. Ein krasser Abend.

Heute habe ich mit der 11.Klasse das Thema Konsum angefangen. Mein Lieblingsthema. Ich freue mich schon auf die Diskussionen. Mit ihren Mappen für die Prüfung kommen sie auch voran. Im Mai sind ziemlich viele Feste. Bald ist Schulfest, Abiprüfungen, Tag der kyrillischen Schrift. Alles Dinge, auf die ich sehr gespannt bin.

War glaube ich der längste Blogbeitrag bisher. Ich versuche es nächstes Mal wieder kürzer zu halten.

лека нощ! Gute Nacht!

Rumy – Geschichte(n) aus Bulgarien_Kapitel 3

Für ein Buch und für unser persönliches Treffen: In der zeitgenössischen bulgarischen Literatur gibt es ab dem 21. Jahrhundert viele Werke, die die Aufmerksamkeit des Lesers verdienen. Ich habe mich verpflichtet, Bücher zeitgenössischer Autoren für eine Website / https://www.bgliteratura.com/ zu lesen und zu präsentieren. Und so kam ich zu dem Roman „The Invisibles“ von Natalia Deleva. Das Buch wurde übersetzt und in deutscher Sprache veröffentlicht. The Invisibles ist ein berührender Roman über die physischen und spirituellen Prüfungen von Menschen, die am Rande leben, von der Gesellschaft vergessen oder verachtet.

Die Autorin Natalia Deleva wanderte aus und arbeitete in Großbritannien. Während sie als Journalistin in Bulgarien mit verschiedenen nationalen Medien zusammenarbeitete, beschäftigte sie sich mit der sozialen Realität in Bulgarien am Ende des 20. Jahrhunderts. In dem Buch teilt sie dieses Wissen über das Schicksal verlassener Kinder in einem Waisenhaus, welche körperlichen und geistigen Misshandlungen ausgesetzt sind, über Taschendiebstahlkinder, Prostituierte, über traumatisierte Kinder mit kranken Eltern, über Kinder, die von ihren armen Eltern getötet wurden, über ein sterbendes Mädchen – ein Flüchtling, die den Schrecken und die Schande der erlebten Gewalt nicht überwinden kann, über einen anderen, der seit sieben Jahren die sexuellen Übergriffe seines Vaters erträgt, über einen Jungen im Rollstuhl … über vergessene Seelen in einer ungerechten, rücksichtslosen, brutalen Welt.

Der Roman besteht aus einzelnen Fragmenten. Die Geschichten über die Charaktere wechseln sich mit Fragmenten dokumentarischen, historischen, journalistischen Charakters oder philosophischen Eindrücken ab. Alles wird durch die fortlaufende Haupthandlung über die bittere Erfahrung eines verlassenen Mädchens in einem Waisenhaus vereint, das die Einrichtung verlässt und sich mit den Traumata auseinandersetzen muss, die ihm in seiner Kindheit zugefügt wurden, und einen Sinn in seinem Leben findet. Diese ausführliche und ausdrucksstarke Geschichte wird in der ersten Person erzählt, die den Leser näher an die Tiefe der Erfahrungen der Heldin bringt und sein Vertrauen und sein Einfühlungsvermögen provoziert.

Eines Tages flossen meine Tränen beim Lesen. Ich bin von der alten Generation… würden sich die Menschen, die heute in Schrecken verwandelt und als Sensationen in den Medien veröffentlicht wurden, nicht genauso fühlen? Wie unempfindlich das moderne Leben uns für das Leiden anderer macht, werden Sie sagen.

Meiner Ansicht nach hören wir beim Ansehen von Filmmaterial und beim Anhören von Kommentaren zu schrecklichen Ereignissen gemeinsame Statistiken: „Im Radio berichtet eine monotone männliche Stimme“, so internationale Menschenrechtsbeobachter, „dass mehr als vierhunderttausend Menschen getötet wurden In Syrien sind fünfzig Prozent von ihnen Tausende Kinder. “„ Und was gesehen und gehört wird, geht schnell vorbei.

Eines der Fragmente erzählt vom Experiment von Amnesty International in Polen im Jahr 2016. Flüchtlinge aus Syrien und Somalia treffen Menschen aus Belgien, Polen, Deutschland, Großbritannien…

„Sie stehen sich gegenüber und schauen sich direkt in die Augen. Keine Worte. Keine Gesten. Vier Minuten. Ein Regiesseur hält ihre Reaktionen in einem Video fest. Die Ergebnisse sind ergreifend … Die meisten Teilnehmer halten sich nicht zurück und klammern sich in einer tiefen Umarmung … “ Der Roman Invisible ist eine ähnliche Begegnung. Angesicht zu Angesicht. Dies ist die Kraft des Kunstwerks, das fiktiv, bedingt fikitv ist, aber einen viel stärkeren Einfluss auf uns hat, weil es sich wie eine persönliche, menschliche Geschichte anhört, die es uns ermöglicht, uns mit dem Charakter zu identifizieren, mit ihm zu gehen und dann zu bewerten und zu beurteilen. Persönliche Geschichten helfen uns, einander in die Augen zu schauen und unsere Herzen zu öffnen, um den anderen zu verstehen. Vorurteile überwinden zu können, die Angst, sich verletzlich zu zeigen und zu lieben.

 

Die Luft riecht nach Kartoffeln (Tag 184-195)

Wieder so viele Eindrücke, dass mein Kopf fast platzt, also höchste Zeit für einen neuen Blogbeitrag.

Von der Entstehung dieses Titels, ins bulgarische Dorfleben eintauchen, arbeiten, einer Grenzerfahrung und der bisher schönsten Wohnung Bulgariens, bis zum Sonnenbrand und entspannedem lauschen eines Bachs.

Immer tiefer tauche ich ein unter die Oberfläche des Eisbergs der bulgarischen Kultur und Mentalität.

Also, warum die Luft nach Kartoffeln riecht: nach einem langen Tag in der Schule beschlossen Soner und ich abends noch zum Monument zu laufen. Wie gesagt ist das Abendlicht hier magisch, die Wolken am Himmel waren wunderschön und nicht so viele Menschen unterwegs. Nachdem wir uns die 1300 Stufen hochgequält hatten, kurz die Aussicht genossen um dann schnell wieder runter zu rennen, damit wir noch im Hellen ankommen, war ich so euphorisch, weil mir nicht kalt war und ich das Gefühl hatte den Frühling zu spüren. Ja, ihn förmlich zu riechen. Das wollte ich natürlich Soner mitteilen. Ich: „Die Luft riecht nach Frühling!“ Soner:“Nein Karla, die Luft riecht nach Kartoffeln.“ So schnell wurde meine Euphorie zu nichte gemacht und ich musste mich mit der Realität abfinden. Frühlingsgeruch = Kartoffelgeruch.

Am Wochenende darauf fuhr ich zusammen mit Soner und seinem Opa ins Dorf Timarevo. Wenn Soner fährt etwa 30 min., wenn sein Opa fährt etwa 15 min. von Shumen entfernt 🙂

Mein erstes wirklich authentisches bulgarisches Dorf. Mit den typischen gelben Backsteinhäusern. Bei dem bewölkten Wetter haben wir die meiste Zeit drinnen verbracht. Der Kamin wurde zu meiner Freude entzündet, der Fernseher angeschaltet, auf Türkisch, und allerhand Maschinen wurden ausgepackt. Brotmaschine, Eiermaschine (Eierkocher) und fast auch noch ein Reiskocher. Meine mitgebrachten Paprika haben wir über einem Gaskocher in der Mitte der Küche auf dem Boden über die Flamme gehoben, um sie später für den Salat zu benutzen. Sehr cool. Während Soner in der Küche anfing zu putzen, wir gemeinsam Brötchen mit Käse machten und Gurken und Tomaten für den Chopska-Salat schnitten, hantierte sein Opa am Auto. Was genau er da machte wollte er mir natürlich auch zeigen. Also mithilfe von Zeichensprache ging das auch ganz gut: Rost abschleifen, so ne Paste drüber, wieder abschleifen und ansprühen. Dann ging es noch ab in die Garage. Dort habe ich die zahlreichen alten Drucker von Soner gesehen und endlos viele Radios, sowie die Rakia und Whiskey Sammlung. Was ich sofort verstanden habe: Rakia aus dem Laden schmeckt nicht, nur der selbstgemachte. Dan hat er mir noch zig verschiedene Kompottgläser gebracht, auf die Bäume gezeigt von wo welche Frucht kommt und ich stand da, ich, die sich nie entscheiden kann. Hab mich für Pflaume entschieden (glaube ich). Drinnen hat Soner den Salat fertig gemacht. Perfektes timing, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und brauchte unbedingt was im Magen, bevor die Rakia-Verkostung losging. Pfirsich und Trauben Rakia, hat sehr stark gebrannt, der Salat war himmlisch und ich habe danach etwas angetrunken Ostereier gefärbt für die Achtklässler und mich sehr über die bunten Farben gefreut. Die Käsebrötchen waren auch ein Traum.  Ich habe mich vor den Ofen gesetzt um ihnen beim Backen zuzuschauen. Auf einen ganz kleinen Hocker. Soner saß auf einem Hocker auf einer Bank. War bestimmt ein witziger Anblick. Wir haben Musik gehört und ausgetauscht. Das heißt, ich habe neue Lieder von Soner gezeigt bekommen. Meine Musik ist zu uncool 🙂 Wir haben Mousse au Chocolat gemacht und ich habe eine Haustour bekommen. Die Renovierungsarbeiten begutachtet und den Schatz von Soners Mutter. Allerlei Sachen unter dem Bett, die wie sich später noch herausstellen sollten wirklich nützlich sind.

Dann ging es raus mit den Hunden. Zara war ganz aufgeregt, wie ein Flummi und konnte es kaum erwarten. Ich habe sie liebevoll Sucuk getauft.

Die Wurst auf vier Beinen.

Matty war etwas ruhiger, allerdings zieht er ziemlich an der Leine. Wir haben uns abgewechselt, sind gerannt, gelaufen, gegangen, bis zur verlassenen Landebahn für Flugzeuge im Dorf. Ein paar Tropfen fielen vom Himmel und man hatte eine wunderschöne Aussicht auf das Panorama, in der Ferne das Monument. Ein sehr unscheinbarer Moment, aber wie wir da so gelaufen sind, das hat mich sehr an meine Kindheit erinnert. Gemütliches Wetter, Besuch bei Verwandten auf dem Land. So einen großen Unterschied gibt es nämlich gar nicht, wenn man mal das Aussehen der Häuser außen vor lässt. Und die Tatsache, dass es im Haus kein Klo gibt. Dafür muss man einmal durch den Garten laufen. Ein Stehklo. Außerdem ist jeder selbst für die Abwasserentsorgung verantwortlich. Soners Opa fuhr mit dem Fahrrad Milch holen. Die musste später noch abgekocht werden. Im Garten habe ich die wunderschön, von Soners Opa geflieste Außenküche bewundert und war begeistert von den upcycling Porjekten seiner Mutter.

Während Soner und ich in der Küche saßen kam sein Opa immer wieder rein um zu fragen, ob ich mich wohl fühle, ich etwas essen möchte, usw. Laut Soner führt er Buch über die Meinung der Gäste. War sehr lustig.

Ich habe gegessen ohne Ende und war irgendwann nur noch müde. So ein Tag im Dorf schlaucht. Apropos Schlau, der Duschschlauch war kaputt, aber unter dem Bett, in dem Schatz von Soners Mutter haben wir sogar zwei verschiedene Modelle gefunden und das Problem war gelöst. Soner hat also noch Milchreis gekocht und ich habe mich bettfertig gemacht. Und sehr gut geschlafen. Am nächsten Morgen ging das Essen weiter. Ich Langschläfer bin erst um 8 Uhr aufgestanden… Nudeln mit Dorfsoße, einer Joghurt-Knoblauch-Soße wurden mir serviert und dann ging es auch schon wieder zurück ins charmante Shumen. Den Sonntag habe ich mit putzen und YouTube schauen verbracht, Unterricht vorbereitet und gelesen.

Für die Achtkläsler habe ich Ostereier versteckt. Spielerisch Präpositionen lernen nennt man das. Auch, wenn ein Schüler vermutlich ne Ei-Überdosis hat, wenn das möglich ist. 7 Eier hat er gefunden und niemand sonst wollte sie essen, also rein damit!

Wir haben neue Mitglieder für unseren DeutschClub gewonnen, ich habe mein Müllprojekt weitergeführt und gemerkt, dass ich meine Schüler, trotz der immensen Lautstärke, echt vermissen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin. Dadurch, dass ich in der Schule so in Interaktion mit vielen Menschen bin, habe ich ansonsten gar nicht so viel Motivation was mit anderen zu machen und bin lieber alleine.

Am Mittwoch morgen, als ich gerade das Haus verlassen habe und auf dem Weg zur Schule war, hielt plötzlich ein Auto an und eine Frau winkt mir wie verrückt daraus zu. Mein Hrin begann zu rattern, während ich unsicher meine Hand hob um zurückzuwinken. „Wer ist diese Frau? Kenne ich sie und haben es vergessen?“ Schon wurde die Tür aufgemacht, ich gehe näher um zu verstehen, was sie sagt. Sie bringt Licht ins Dunkel. Die Mutter eines Schülers. Sie bietet mir Pralinen an, hinter ihr hupen die Autos. Schnell nehme ich eine Praline, bedanke mich. Immer Süßes von Menschen annehmen, die man nicht wirklich kennt… „Have a nice day, Karla!“ Ja sehr nice. Mit diesem skurrilen Erlebnis, bin ich gleich etwas wacher weitergelaufen. Aber noch immer nicht wach genug um mit Jasmin, die auf der anderen Straßenseite lief, Smalltalk zu machen. Wir sehen uns, Lächeln, überlegen Beide kurz die Straße zu überqueren um zu reden, schütteln den Kopf und werfen uns stattdessen einen Luftkuss zu. So muss das sein!

Ich merke immer deutlicher, dass ich doch oft andere Interessen habe und mehr auf die Interessen der Schüler eingehen muss, herausfinden, was sie interessiert. Ziemlich schwierig, da ich oft keine Antwort bekomme. Meine Arbeit ist vielseitig, ich bin oft in verschiedenen Klassen, präsenz und online, wir spielen Spiele und lachen. WIe schön, dass Humor trotz unterschiedlicher Sprach funktioniert.

Ansonsten habe ich wieder viel im Park gelesen, bin süchtig nach meinem Buch. Zdrasdi. Ich schaue hoch und vor mir steht ein kleines Mädchen an einer Leine. Habe sie zurückgegrüßt und musste Lachen. Ich finde das sieht einfach nur seltsam aus. Ansonsten habe ich nochmal alleine einen Abendspaziergang zum Monument gemacht, in der Abendsonne Ananas gegessen und den Gedanken freien lauf gelassen.

Das Wochenende habe ich in Ruse verbracht. Vier Stunden Zugfahrt, ein Katzensprung. Dort habe ich mich mit zwei neuen Freiwilligen, Steffi und Sandra getroffen. Kennenlernen, die Stadt erkunden, an der Donau spazieren gehen. Die Stadt ist größer als Shumen und irgendwie gelange ich immer wieder an den Punkt, dass mich etwas an Frankreich erinnert. So also auch Ruse. Ich weiß echt nicht, was es ist. Die Mentalität der Menschen, die zahlreichen Quechua Rucksäcke, die Sprache oder doch die Architektur? Vielleicht alles zusammen. Vielleicht auch die Tatsache, dass Ruse eine Grenzstadt ist. Wenn man an der Donau entlang spaziert, kann man auf der anderen Seite Rumänien sehen. Meine Grenzerfahrung 🙂 Das hat mich sehr an die Grenze zu Frankreich, am Rhein erinnert, also die Landschaft. Die Uferpromenade ist sehr schick und auch ansonsten sieht die Stadt echt gut aus. An der Donau gab es einen nachmittäglichen Rave, zu dem ein paar Kinder total abgegangen sind. Ein weiteres Highlight der Stadt: ein Baum, den man umarmen muss, damit die Wünsche in Erfüllung gehen. Haben wir gemacht. War sehr schön. Im Park haben Sandra und ich noch einen viel zu süßen Eistee getrunken und geredet. Ich habe im Hostel eingecheckt. Vasil von der Rezeption war ein bisschen verplant. Meine Buchung hat er nicht gesehen, also habe ich ein Zimmer bekommen, dass noch gar nicht auf der Webseite steht. Die ganzen verschlungenen Treppen hoch, bis ganz nach hinten durch ins letzte Zimmer. Sehr schön. Das ehemalige inoffizielle Haus des früheren Premierministers.

Da es nen Stromausfall gab, haben wir für einen Salat eingekauft. Bei Steffi wurde der zubereitet, aber ich war die ganze Zeit abgelenkt von ihrer Designer-WG. Die Wandfarben, die Möbel, der Ofen, der Boden, das Bad. Traumhaft. Ich glaube das ist die schönste Wohnung Bulgariens und Deutschlands. Aus Müdigkeit und Faulheit haben wir den Sonnenuntergang, der so grandios sein soll an der Donau, aus der Wohnung aus betrachtet. Was ich im nachhinein echt bereue. Wir haben leckeres Eis Sorbet gegessen, übers Reisen und Studium gesprochen, ganz neue Konstellation, dass ich plötzlich die Jüngste am Tisch war. Nachdem wir noch ein bisschen mit Maria, Steffis Mitbewohnerin gesprochen haben, ging ich zurück ins Hostel um zu schlafen. Mit den hohen Decken, den alten Fenstern und Vorhängen ein wirklich schönes Zimmer.

Sehr zufrieden über meine erste Nacht alleine in einem Hostel, eine bereichernde Erfahrung, durch die ich mich sehr Erwachsen fühle, war es ein perfekter Start in den Tag. Auschecken, in der Sonne laufen, dem geplätscher vom Brunnen lauschen, Tagebuch schreiben. Gemeinsames veganes Frühstück an der Donau. Der Zug fährt direkt am Park vorbei und hupt immer sehr laut und oft, damit auch ja alle Kinder angerannt kommen um ihm zu winken. Ein wahres highlight. In der Sonne zu sitzen und die Donau entlang spazieren, genau das richtige für einen Sonntag. Wir saßen am Wasser, neben uns eie Mutter mit Sohn beim Angeln. Dann ging es ein wenig schneller Richtung Bahnhof.

Schienenersatzverkehr, also sehr hektisch einen Bus gesucht und zum Glück in letzter Minute gefunden. Typisch Deutsch, dass ich mir da so einen Stress gemacht habe. Zeit, Zeit, Zeit. Über dieses Thema haben wir morgens noch beim Frühstück philosophiert und auf der Rückfahrt sollte mir der unterschiedliche Umgang mit Zeit bewusst werden. Ich liebe es so sehr in einem Bus voller Bulgaren zu sitzen, ohnen einen wirklichen Plan, ob ich richtig bin. Aber irgendwie kümmern sich alle immer so rührend um mich, dass ich mittlerweile darauf vertraue am richtigen Ort anzukommen. Wir brettern durch eine Landschaft, die wäre sie auf einem Foto abgedruckt, viel zu kitschig wäre. Aber in echt einfach wunderschön. Schafe, Kühe, Pferde grasen ohne Zaun. Die wellenförmigen Acker, Rapsölfelder, 2000er Popmusik aus dem Radio. Plötzlich vor uns ein anderer Bus am Straßenrand mit einem Motorproblem. Sofort wird mit einer Selbstverständlichkeit angehalten, die ich so nicht aus Deutschland kenne. Ein paar steigen aus. Um zu helfen oder zu rauchen. Mein erster Gedanke: Oh nein. Ich verpasse meinen Anschlusszug! Was ne deutsche Art zu denken. Der Kontrolleur telefoniert, ruft bei der Bahn an, sie sollen auf uns warten. So regelt man das hier. Ich werde gelassener, schäme mich, für mein egoistisches Denken. Nachdem dem Busfahrer geholfen wurde steigen alle wieder ein. Im Radio läuft der Ketchup-Song. Es geht weiter. Und tatsächlich steht am Bahnhof der Zug bereit, wartet auf uns. Das ist eine andere, sozialere Art, mit der Zeit umzugehen. I like it.

Auf der Zugfahrt google ich Lavendel Bulgarien. Soner hatte mir erzählt, dass hier viel Lavendel angebaut wird. Und tatsächlch! Ich kann es kaum glauben. Neuer fact für alle: Bulgarien ist weltgrößter Lavendelproduzent und hat die Provence vor einigen Jahren abgehängt, nachdem die Lavendelbauern dort mit einem Schädling zu kämpfen hatten.

Seitdem wird im Nordosten von Bulgarien Lavendel angebaut. Lavendel und Rosen. Arbeitsplätze werden geschaffen, die Wirtschaft wird angekurbelt und meiner Recherche nach auch Projekte im Bildungssektor unterstützt. Tatsächlich habe ich in einem davon schon einmal eine heiße Schokolade getrunken. The social Teahouse, ein Café in dem Waisenkinder, die jetzt Erwachsen sind als Baristas arbeiten und Seminare und workshops abgehalten werden. Echt interessant, dass man immernoch so viel neues lernen kann.

Ich lege mein Handy weg. Mein Kopf schmerzt. Sonnenstich. Mein Gesicht ist rot. Wie soll das nur im Sommer werden…

Auch heute, nach meinem Waldspaziergang mit Rumy glüht mein Gesicht wieder. Trotz Sonnencreme. Naja. Der Frühling ist da, die Bäume und Blumen blühen, die Stimmung wird besser, mein Wochenplan ist geschrieben. Ich hoffe ich habe nichts vergessen.

Gerade beim Einkaufen habe ich mich noch mit der Kassiererin darüber unterhalten was Süßkartoffel heißt und schon wieder vergessen…Jetzt genieße ich noch den Abend.

Лекар! (Lekar) Guten!

 

…wo die Tomaten blühen (Tag 172-183)

Von 0 auf 100 aus der Quarantäne raus, ein Tag am Meer und einmal quer durchs Land vom Osten in den Westen. Von der Kleinstadt in die Großstadt und von dort aus ins Dorf. Von der Quarantäne, in die Ferien und zurück in den Alltag. Es ist so viel passiert im März und April, dass man damit ein halbes Jahr füllen könnte.

Ein paar letzte Quarantäneeindrücke. Die letzten zwei Tage wurde ich dann doch ein bisschen hibbelig und unausgeglichen. Beim Zähne putzen habe ich im Dunkeln auf dem Balkon immer die Möwen beobachtet. Der dunkelblaue Himmel und die hellen Möwen. Eigentlich sind ja Raben die magischen Vögel, aber irgendwie sehen Möwen bei Nacht auch magisch aus.

Franzis Postkartenidee: „Hey Karla, ich male einfach was hässliches aus deiner Wohnung ab. DIe Auswahl ist riesig!“ Danke, aber ich verstehe was du meinst
Puzzlespaß, wer findet den Fehler?

Wir haben den Himmel wirklich ziemlich ausführlich beobachtet, Wolken können wirklich faszinierend sein. Es gab ein Gewitter, unwirkliche Atmosphäre, gelber Himmel, Sommerregen, doppelter Regenbogen.

Bommelkette

Die letzten Tage waren voller Kontraste. Nach dem negativen Testergebnis gab es erstmal einen Freudentanz. Rausgehen, etwas völlig normales, was uns verboten war und von einem Tag auf den nächsten wieder erlaubt war. Wir sind plötzlich keine Aussätzigen mehr! Länger als 10 Schritte направо (geradeaus) laufen zu können hat sich toll angefühlt. So sind wir richtig beschwingt, fast euphorisch zum Bahnhof gelaufen, damit Franzi zumindest noch ein bisschen mehr von Bulgarien sieht. Also ab zum versprochenen Meer. Auf dem Weg gab es natürliches warmes Baniza. Genau die richtige Portion Fett für eine Stärkung am Morgen.

Während der Zugfahrt aus dem Fenster zu schauen hat mich wie immer inspiriert und die Weite im Osten Bulgariens, die so unendlich scheint, trotz der Tatsache, dass Bulgarien ein im Vergleich zu Deutschland kleines Land ist, hat uns fasziniert. Ein Feld voller Störche. Jetzt wissen wir also: die Babys kommen aus Bulgarien.

Ja, kann man nicht als Berg bezeichnen, aber mittlerweile liebe ich die sanften Hügel um Shumen

In Varna angekommen hatten wir richtiges Meerwetter. Zumindest habe ich das so empfunden. Bei Sonne sind wir durch die Fußgägnerzone gelaufen, haben Postkarten geschrieben, als der Regen angefangen hat zu fallen, sind wir in die Kathedrale gehetzt, nach einer kurzen Trockenpause ging es bei strahlendem Sonnenschein ab ans Meer. Die Wärme hat uns überrascht und unser Zwiebellook hat ein paar Lagen verloren.

Im Meergarten haben wir die Aussicht auf der besten Bank des Parks genossen, umgeben von, wie nennt man eine Gruppe von Katzen?, Katzenrudel?, umgeben von einer Horde Katzen.

Welch schöne Gebäude am Strand!

Durch frisch gepressten Orangensaft und strahlende Sonne sind wir zu genügend Vitamin C und D gekommen. Keine Pillen mehr! Dann wieder zugezogener Himmel, Wolken, Regen und plötzlich Hagel, den wir, wie es sich gehört, im SecondHandLaden abwarteten und dort ein wunderschönes Kleid anprobierten, dass uns beiden leider, oder zum Glück für unseren Schrank, nicht passte. Die Deutschenquote im Laden war zu diesem Zeitpunkt überdurchschnittlich hoch, da noch zwei andere Deutsche mit uns im Laden waren. Hagel vorbei, wir wieder raus, Kaffee und heiße Schokolade, und dann wieder Essen im strömenden Regen. Direkt aufs Meer zu zulaufen ist absolut gigantisch und überwältigend. Am Meer zu stehen, während es regnet auch. Kalt war es nicht. Später auf der Hafenmauer sind wir ein Stück gerannt, um unserer überschussigen Energie freien Lauf zu lassen, einfach so, weil wir das Bedürfnis hatten und uns frei gefühlt haben und um unsere Kräfte zu testen. Tatsächlich alles noch ein bisschen erschöpfend. Pause auf den Wellenbrechern, Bruschette und Wasser kaufen und wieder ab zurück zum Bahnhof. Gelungener Tagesausflug. Ein wunderschöner Sonnenuntergang auf der Rückfahrt und auch noch in Schumen. Ananaskauf und extra schnelle Packaktion, aufgewärmtes Essen und endlich schlaf.

Neuer Tag, neue Zugfahrt. Es war herrlich Franzi die Berge im Westen zu zeigen, wie sich von jetzt auf gleich die Landschaft komplett verändert.

Tatsächlich war der Zug dieses Mal nicht so warm, wie gewohnt, weshalb unser erster Kommentar in Sofia ein überraschtes „Oh, mild“, war. Die letzte halbe Stunde haben wir im Zug über unser Lieblingsthema: Essen, geredet. Also ging es zuerst einkaufen und dann ausgiebig ans Kochen. Danach haben wir im Zentrum das grandiose Abendlicht bei dem ein oder anderen Bier genossen, Leute beobachtet und uns Geschichten über sie ausgedacht.

Obwohl es so mild war, gab es am nächsten morgen Schnee. Natürlich. Als erstes auf zum Testzentrum. Wir werden richtig geübt im Covid-Tests machen. Ausgestattet mit dem richtigen Wisch für Franzis Rückflug ging es weiter in die Nachbarstadt von Sofia, nach Pernik. Wegen der ungemütlichen Kälte wären wir gerne noch länger Zug gefahren und haben uns ersteinmal in ein Café, natürlich draußen, hingesetzt. Und, was will man schon anderes machen bei dem Wetter, ging es danach weiter in einen Second Hand Laden. Ich weiß, die Sucht ist groß…Die Erfolgsquote auch. Glücklich, mit neuen Oberteilen ausgestattet machten wir uns auf zu einer Schneewanderung auf einen Hügel. Das Abenteuer hat uns gerufen. Wir haben unglaublich süße Welpen gesehen und ich hatte mal wieder unglaublich matschige Schuhe. Unser Ziel: ein verlassenes Gebäude. Da wird man ja auch wirklich schnell fündig hier.

 

Am Bahnhof haben wir dann gewartet, Gemischtes Hack gehört und die Menschen um uns herum beobachtet. Besonders interessant. Ein alter Mann, mit Wanderbeutel und sehr cooler Mütze, der sich in ein uraltes Notizheft die Abfahrtszeiten der Züge aufschrieb. Gespannt habe ich ihn dabei beobachtet und ihm zu meinem spirit animal erklärt. So lässig will ich auch sein wenn ich alt bin.

Zurück in Sofia haben wir auf dem шенски базар, dem Frauenmarkt, weitere unserer schönen bulgarischen Schüssel gekauft und uns wurde ein Deckchen geschenkt, auf dem man Schnapsgläser abstellen kann. Natürlich sind wir nicht auf diesen Trick reingefallen und haben uns nicht die passenden Schnapsgläser gekauft. Franzi hat nochmal umgepackt und tatsächlich alles verstaut bekommen und dann ging es früh ins Bett. Vor dem einschlafen wurden noch Pläne geschmiedet, was wir alles machen werden, wenn ich wieder in Deutschland bin. 3:50 Uhr war dann das Taxi da, Franzi am Flughafen und ich nach 3 Wochen plötzlich wieder alleine. Aber nicht für lange.

Nachdem ich mich nochmal hingelegt und geschlafen habe, habe ich mich am nächsten Tag mit Amelie und Nele getroffen. Ein bisschen das Großstadtleben genießen. Ich dachte immer, dass ich mich danach sehne, aber in der letzten Woche habe ich gemerkt, dass das nicht der Fall ist. In der Großstadt fällt der Unterschied zwischen arm und reich viel mehr auf finde ich. Armut, bei der man einfach wegschaut, um sich nicht schlecht zu fühlen und sich dann schlecht fühlt, weil man wegschaut. Straßenmusiker, die nicht auf der Straße musizieren aus Gründen der Selbstverwirklichung, aus Spaß, um sich selbst zu verwirklichen, sondern weil sie auf das Geld angewiesen sind. Und mitten zwischen arm und reich: wir drei. Machen uns einen schönen Tag. Essen gehen, SecondHand Boutiquen und dann die Erkenntnis von Amelie und mir: uns sind große billige SecondHand Läden, in denen man richtig suchen muss lieber. Die Schatzsucher.

Der Tag hat entspannt begonnen und wurde dann doch noch etwas hektisch. Da ich ja weiß, wie sehr man auf Hilfe angewiesen ist in Quarantäne, habe ich das gleich mal zurückgegeben und wurde zur Quarantäneversorgerin. Also Einkaufen und Beschäftigungsutensilien suchen. Am gleichen Abend ging es dann noch in die Philharmonie. In letzter Minute haben wir es noch in den Raum geschafft. Ein Violoncellokonzert. Von welchem Komponisten? Von wem wohl, wenn ich in Schumen wohne? Richtig, von Schumann. Eine Stunde in einer anderen Welt und dann ab zurück in Josis Wohnung.

Nächster Morgen, neuer Ausflug. Die Tage werden voll ausgeschöpft. Zusammen mit Nele ging es ab nach Копривщица (Koprivschtiza). Die zweistündige Zugfahrt hat nicht ausgereicht, um diesen Zungenbrecher zu lernen. Übersetzt heißt das wohl in etwa Brennnessel, da es dort viele geben soll. Ist mir nicht aufgefallen. In Anton mussten wir umsteigen. Wurde uns auch mehrmals gesagt: Autobus. Ja. Alles klar. Der Autobus war ein alter Sprinter.

Die Fahrgäste 4, die Fahrer 2. Erstmal durch das am Hang gelegen, erstaunlich große Anton. Aus dem Fenster konnten wir beobachten, wie gerade ein paar Kühe ausgebrochen sind, war ja klar, dass das nicht immer so gut klappt Tiere ohne Zaun zu halten, hat mich schon gewundert. Auf jeden Fall ne coole Szene: 2 Kühe, die abhauen und eine Horde Menschen hinterher. Ansonsten habe ich noch ein an eine Hauswand gemaltes Gemälde von Michael Jackson gesehen und drunter stand: I love you Jackson! Nicht so mein Geschmack. Natürlich ging es mit gefühlt 100km/h die kurvige Landstraße  die mehr aus Schlagloch, als aus Straße bestand, durch ein Teil, dass mich sehr ans Allgäu erinnert hat. Endstation Bahnhof Копривщица. Erwartungsvoll sind wir ausgestiegen, am Bahnhof wurde viel gearbeitet, aber wo ist denn jetzt das Dorf? Einmal um den Bahnhof herumgelaufen. Dann wurden wir angesprochen: Wo soll es denn hingehen? Копривщица. Sofort wurde uns unser Fahrer vorgestellt. Vom Bahnhof, 9 km außerhalb des Dorfs, fährt eigentlich auch ein Bus. Im Moment, Nebensaison, war es allerdings nur ein ganz normales Auto. Fahrgäste 3, Fahrer 1.

Nach dieser abenteuerlichen Reise endlich in Копривщица angekommen, sind wir bei strahlendem Sonnenschein ersteinmal auf den Markt gestolpert. Alleine unter Dorfbewohnern. Was wir so vom typischen Wochenmarkt kennen: Gemüse und Obst, gab es dort, aber es wurden auch einzelne Klopapierrollen, Waschmitel, Shampoo, usw. angepriesen.

Jeder kennt sich, die Menschen grüßen sich. „Kak si?“ (Wie geht’s) Antwort: „Extra.“ Das merk ich mir. Wir haben uns treiben lassen durch die Gassen. Um jedes Haus eine Mauer, mit eigenem Burg. Ich habe mich ins Mittelalter zurückversetzt gefühlt. Aber bei so vielen Touristen würde ich mir auch eine Mauer um mein Haus bauen. Die Häuser, alle schön herausgeputzt, aus der Wiedergeburtszeit, erstrahlen in gelb und rot und blau. Kopfsteinpflaster bergauf. Ein kleines Bächlein rauscht an uns vorbei. Wir laufen immer höher, an einer Kirche mit seperaten Glockenturm vorbei, bis wir am Rand angekommen sind. Blick über das Dorf. Hinter uns, auf einer Weide stehen Pferde. Und plötzlich ist es still. Man hört keinen Verkehrslärm. Nur die Geräusche der Natur, der Tiere, wenige Menschen auf den Straßen. Erholsam, friedlich. Ich kann mir sehr gut vorstellen hier Urlaub zu machen und vermisse plötzlich mein kleines Heimatdorf. Obwohl es hier so anders aussieht. Aber diese Stille, die Idylle. Ich wusste nicht, dass ich das dringend mal wieder gebraucht habe. Neles Kommentar: „Bei dem Dorf hier bekomme ich richtig Lust auf Erbsensuppe.“ Okay.

Wir lassen uns weiter treiben. Vorbei an der Brücke des ersten Schusses, des Aprilaufstandes gegen das osmanische Reich, an einer düsteren Kirche und rein in eines der unzähligen Museen. Viele Händler und Handwerker haben sich hier früher angesiedelt. Souvenirs werden gekauft, Unterhaltungen über das allgegenwärtige, so präsente Deutschland geführt. Ab ins Café, die Sonne genießen, Tee trinken und das lange ersehnte Klo! Nele checkt erst mal die Lage aus und berichtet mir ausführlich. Wir wollen einen Kloguide schreiben. Ihre These: es gibt nie Klopapier! Ist mir auch schon aufgefallen, aber wurde in letzter Zeit mehrfach widerlegt. Für öffentliche Toiletten stimmt es allerdings. Diesmal handelt es sich um ein Stehklo in einem Hinterhof. Abenteuer.

Wir laufen auf die andere Seite des Dorfs zu einem Monument. Neben dem Monument grasen sehr magere Pferde.

Vesperpause. Dorfgeräusche. Wieder runter. Lecker Миш-Маш essen. Ein traditionelles bulgarisches Gericht, dass ich, ohne es zu wissen schon in Deutschland manchmal gemacht habe: Omlett mit Zwiebeln, roter und grüner Paprika und Sirene und Kaschkawal (weißem und gelbem Käse). Noch ein Museum über ein besonderes Filz. Wunderschöne, beeindruckende Gebäude. Nele redet über Snickerseis und sofort möchte ich unbedingt eins haben. Tatsächlich finden wir eine ganze Snickereis-Eistruhe und setzen uns mit unserem Schatz in die Sonne, warten auf unsere Rückfahrgelegenheit. Wieder wir zwei und die alte Frau von der Hinfahrt. Ab zum Bahnhof Копривщица. Dort warten wir nocheinmal, bis der Zug kommt. Meine These des Tages lautet: jeder Kontrolleur hat einen Deutschlandbezug, kann Deutsch, war schon einmal in Deutschland, kennt München oder Stuttgart.

Nele schläft, ich lese und schaue mir das Abendrot hinter den dunklen Bergen an. Erschöpft kommen wir in Sofia an.

Nächster Tag und was mache ich? Natürlich Zugfahren. Aber davor geht es ab in die redflat. Das kommunistische Museum von Sofia. Dank meiner jetzigen Lektüre bin ich komplett gefesselt von der Vergangenheit und europäischen Geschichte, dem Kommunismus und wie kann man ein Land besser kennenlernen, als indem man seine Vergangenheit kennenlernt? Das Museum ist eine Wohnung einer typischen Familie der 80er Jahre. Man kann alles anfassen und ausprobieren. Sehr zu empfehlen und alles erstaunlich ähnlich zur DDR. Also schon in der Vergangnenheit gibt es zwischen Deutschland und Bulgarien eine starke Verbindung. Leider habe ich zu wenig Zeit, ich muss meinen Zug erwischen, hetze zum Bahnhof und schaffe es gerade noch rechtzeitig in den Zug. Jedes Mal, wenn ich die Zugfahrt Sofia-Shumen vor mir habe, freue ich mich schon auf den Abschnitt durchs Gebirge. So auch dieses mal. Das Wetter ist traumhaft, ein Pärchen picknickt am Fluss, Wanderer sitzen in einem Biergarten. Wir fahren an zahlreichen kleinen Bahnhöfen vorbei ud ich würde so gerne aussteigen und auf einen Berg wandern. Oben stehen in der Sonne und die Aussicht genießen. Bald…

Kurz bevor ich aussteige bemerke ich nach 6 Stunden Fahrt, in denen ich die meiste Zeit geschlafen und aus dem Fenster geschaut habe, dass der Typ, der mit mir im Abteil sitzt Deutscher ist. Tja zu spät. Aber ein lustiger Zufall.

Wie froh ich immer bin wieder in Shumen zu sein. Meine Tomaten wachsen! War ne schöne Überraschung, als ich nach Hause gekommen bin.

Kurz habe ich ein Tief, keine Lust und keine Ideen für den Unterricht. Aber am nächsten Tag ist das vorbei. Ich sitze in der Sonne auf dem Balkon, bereite Präsentationen und Projekte vor, korrigiere Hausaufgaben im Park, die Sonne verbrennt meine Nase, ich kaufe Sonnencreme, gehe mit Soner essen, Plane meine Wochenenden, telefoniere, mache Yoga, viel beschäftigt.

Heute habe ich mein Projekt über Müll gestartet. Ich bin mir sicher, die Schüler haben noch nie als Hausaufgabe bekommen Müll mitzubringen. Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt. Habe richtig gemerkt, wie ich es vermisst habe in die Schule zu gehen, die Schüler in echt zu sehen, auch wenn sie laut sind, so viel Quatsch im Kopf haben, hoffe ich trotzdem, dass etwas von dem, was ich ihnen beibringen möchte hängen bleibt. Schon heute haben wir in unserer mindmap sehr viele Infos gesammelt.

Meine Faulheit habe ich auch endlich besiegt, meine Brille zum Optiker gebracht und jetzt wieder eine gerade Brille. Ab jetzt schaue ich niemanden mehr schief an…

Ich habe ein interessantes Gespräch über bulgarische Filme, deutsche Konzerte und verrückte Geschichten über die zahlreichen bulgarischen Feiertage gehört.

Die ersten Blumen habe ich auch schon gepflückt und in meine Pestoglasvase gestellt.  Meine Wohnung wird zum Pflanzenparadies. Vor dem Haus bepflanzen alte Frauen die Gärten und stellen ihre Blumentöpfe raus.

Irgendwie habe ich eine Liebe zu Wäscheleinen entwickelt

Langsam beginne ich auch zu glauben, das diese ewigen Temperaturschwankungen vielleicht endlich vorbei sind und der Frühling endgültig kommt. Alle Bäume und Blumen blühen. Und ich wohne dort, …