Die Shumenshow

The Latvians go crazy – Identität und Mentalität

An jeder Ecke ein Narvesen. Kioske, in denen man Kaffee, Hotdogs, Süßigkeiten und Bustickets kaufen kann. Ich glaube es gibt mehr Narvesen als Letten.

Die Meness Aptieka, Mond Apotheken. Ungefähr genauso oft zu finden. Wie bei jedem Laden gibt es auch hier eine Kundenkarte mit Rabatten. Wenn ich Glück habe bekomme ich den Rabatt auch ohne eigene Karte, sondern mit der Mitarbeiterinnen Karte.

Letzte Woche, nachdem ich meinen Blogbeitrag veröffentlicht habe, bin ich ins Sprachcafé vom DAAD (Deutscher Akademischer Austauschdienst) gegangen. Ich wurde von Jöran, dem Veranstalter, begrüßt.

In Lettland leben so wenige Menschen, dass er jetzt schon der Zweite ESC-Teilnehmer ist, den ich hier kennengelernt habe. Ein Deutscher, der seit siebzehn Jahren in Lettland lebt, fließend Lettisch spricht und damals nach seinem Freiwilligendienst nach Lettland zurückgekommen ist.

Ich saß zwischen ein paar lettischen Deutschlehrerinnen und habe dem Vortrag einer Deutschen Medizinstudentin zum Thema Feminismus zugehört. Danach hat ein Gespräch, nicht nur aus verschiedenen Nationen, sondern auch unterschiedlichen Generationen begonnen. War ganz interessant zu sehen, dass Feminismus für sie keine große Rolle spielt und alles doch okay ist, so wie es gerade ist.

Später habe ich mich noch mit zwei anderen Lettinnen unterhalten. Immer wieder spannend, was im Ausland so über Deutschland gesagt wird. Dinge, die ich oft nicht weiß. Düsseldorf, die Modehauptstadt Deutschlands? Generell gehen alle irgendwie nach Düsseldorf oder Dortmund.

Nach und nach sind alle gegangen. Übrig blieben Verena, Jöran, drei Medizinstudentinnen, von denen ich eine schon öfter gesehen habe, Ich und circa 10 offene Weinflaschen.

Wir haben die übrigen Snacks in Tupperdosen eingepackt und angefangen über Lettland und Letten zu sprechen. Nach und nach wurde es immer emotionaler.

Wie mit Letten in Kontakt kommen? Von der Mentalität her eher zurückhaltend.

Wie muss eine Veranstaltung aussehen, dass man miteinander in Kontakt kommt?

Müsste Lettland nicht eigentlich daran interessiert sein mehr junge Leute ins Land zu locken? Die meisten bleiben nur für ein Semester. Wie kann man das Medizinstudium und drumherum gestalten, dass die Studis dortbleiben wollen?

Was ist lettische Identität? Gibt es die überhaupt?

Ich habe schon öfter gehört: „der größte Feind des Letten, ist der Lette.“ Kein Kollektivismus vorhanden. Lettland ist erst seit 1991 unabhängig. Über Jahrhunderte besetzt. Deshalb sind die Lieder und Tänze das, was Heimat und Identität gibt. Deshalb ist der Krieg in der Ukraine etwas, dass Lettland nahe geht. So viel Solidarität. Es ist ein Schicksal, was alle hier gut nachempfinden können. Die Kluft zwischen Russen und Letten. Das Dilemma.

Ich habe bisher nur die lettische Seite gehört. Wie eine Lettin von einer russischen Kundin angeschnauzt wurde, weil diese mit ihr auf Lettisch, statt auf Russisch geredet hat. Ich verstehe, dass russisch-sprachige nicht den Sinn darin sehen eine so wenig gesprochene Sprache zu lernen, aber ich finde auch es ist eine Sache von Respekt die Sprache des Landes in dem man wohnt zu lernen.

Ich habe gehört, dass es zwischen jungen Leuten Kommunikationsschwierigkeiten gibt, weil sie die Sprache der anderen nicht sprechen. Ich habe aber auch das Gegenteil gehört, dass viele Jugendliche beide Sprachen sprechen.

Ich verstehe auch die russische Seite. Als Lettland unabhängig wurde waren viele ja schon Jahre in Lettland. Schon damals wäre es ein komischer cut gewesen nach zehn Jahren im Land: so jetzt müsst ihr Lettisch sprechen. Generell gibt es gar nicht die Kapazität für so viele Leute Lettisch zu lernen. Und soweit ich das beurteilen kann, gibt es auch wenig bis keine wirklichen Integrationsversuche. Die Schuld wird immer der anderen Seite zugeschoben.

Nun zurück zu uns sechs Deutschen, die angetrunken abends im Kulturhaus sitzen und meinen, sie könnten die Situation verstehen und sich darüber eine Meinung bilden. Wir haben so wenig Kontakt, so viele sich widersprechenden Informationen. Selbst von Jöran zu sagen: „die Letten sind so und so“, ist etwas, was ich nicht gerne höre. Klar so in etwa kann man schon sagen, dass sie eher zurückhaltend sind. Zu sagen, sie brauchen Alkohol und dann tauen sie auf finde ich aber seltsam. Das wurde über die Finnen auch gesagt. Ich finde, dass kann man so ziemlich über die gesamte Menschheit sagen, dass Menschen redseliger und waghalsiger werden, nachdem sie getrunken haben. Ich schreibe hier ja auch oft: typisch Letten/Lettland. Aber das alles geht so tief und ich bin absolut nicht in der Position darüber zu urteilen.

Es war ein sehr spannender Abend. Mein Kopf lief danach auf Hochtouren. So viele Themen über die man nachdenken kann. Was ist überhaupt Deutsche Identität und Mentalität? Gestern habe ich mit Verena und Abdullah, unserem neuen Mitbewohner, herausgefunden das Lüften etwas sehr Deutsches ist. Wir haben sogar ein Wort für die Sache.

Zurück zu meiner Woche. In meiner Stammbäckerei gibt es jetzt Bananenbrot. Das ist unglaublich lecker. Im tschechischen Pub in meiner Straße saßen die letzten zwei Wochen viele slowenische, slowakische und tschechische Hockeyfans. Sonst ist das immer sehr leer.

Lasse, den ich vom Trip nach Saaremaa kenne und eine Freundin von ihm sind in Riga auf ein Konzert gegangen und haben bei mir übernachtet. Während sie am Donnerstag auf dem Manneskin Konzert waren, war ich mit Verena zum ersten Mal in der Petrikirche. Eine Kirche in der Deutsche Gottesdienste sind. Wir waren bei einem Konzert vom Kammerorchester. Die Akustik war der Hammer!

Am Freitag war ich mit Lasse im Barrikaden Museum (über die 90er Jahre und die letzten Tage unter den Soviets). Danach haben wir in der Unibib Unisachen gemacht, waren bei Humana und haben dann schnell Abend gegessen. Vaclav ist vorbeigekommen um sein Hemd zu bügeln. Er hat ein Konzert gefunden, worüber es sehr schwierig war herauszufinden was es eigentlich ist. Zuerst stand da was von formellem Dresscode. Dann von Cowboys.

Also hat er mit dem Bügeleisen noch mehr Falten in sein Hemd gebügelt. Ich konnte gar nicht hinsehen, aber es war trotzdem sehr lustig. Wir sind ne Stunde nach offiziellem Beginn gekommen, aber sie waren gerade erst am Aufbauen. Also waren wir noch im Park in der Moskauer Vorstadt. Als wir dann zurückgekommen sind war ordentlich was los. Der Raum war etwa so groß wie mein WG-Zimmer. Ansonsten gab es davor noch eine Bar und ein paar Sofas. Sah eigentlich aus wie ein Wohnzimmer. Die Decke war verspiegelt. Wir sind abgetaucht in die lettische Subkultur mit Trapmusik. Die Jungs hatten Hunger, also sind wir zum nächsten Imbiss gelaufen. Eine indische Pizzeria. Die Bilder vom Menü waren Bilder von Canva, auf denen noch das Wasserzeichen drauf war. Egal. Leckere Samoas gegessen. Als wir wieder zurück waren war DJ-Wechsel. Der DJ hat mir definitiv nochmal klar gemacht, dass nicht jeder DJ werden kann. Es war kaum jemand im Raum. Lasse und ich haben aus Mitleid ein bisschen getanzt, damit er nicht ganz alleine im Raum ist. Aber irgendwann sind wir auch rausgegangen. Vor dem Haus standen viele Letten, die sich unterhalten haben, ihren Müll auf die Straße geworfen haben. Irgendwann kam die Polizei und hat die Party aufgelöst. Kurz war vorher noch die Überlegung da zum Rave zu gehen, aber ich bin definitiv raus aus der die ganze Nacht feiern Phase. Auf der Straße lagen Blumen. Die habe ich mit nach Hause genommen, schön in meine Rhabarberlimoflasche gestellt und bin schlafen gegangen.

Am nächsten Morgen habe ich mal wieder einen Ausflug alleine gemacht. Nach Salaspils in den Botanischen Garten. Unterwegs kurz Panik, weil mein Bankkonto gesperrt war. Schon alle möglichen Szenarien durchgegangen, Mails geschrieben und plötzlich ging es einfach wieder. Durch das Palmenhaus gelaufen, beeindruckt von den riesigen Pflanzen.

Erinnert mich sehr an Bandnudeln

Schwere Beine. Ins Gras gelegt und Mittaggegessen. Dann bin ich noch bis an den Stadtstrand gelaufen. Die Infrastruktur in Salaspils hat mich sehr überrascht. Alles neu, Radwege, Blumen, Schilder. Krasser Kontrast zu den Blöcken. Der Deich an der Daugava auch richtig schön. Ein paar Kreuzworträtsel gemacht und zurück nach Riga gefahren.

Ich war noch im Restaurant Cau Falafel essen. Der Kellner hat mir 5 Minuten lang erklärt, dass Falafel hier aus regionalen grauen Erbsen ist, die sonst traditionell an Weihnachten gegessen werden. Wie viele Proteine da drin sind und dass man da echt kein Fleisch braucht. Der Meinung bin ich auch. Sehr cooler Laden von fünf Typen, die da in der Küche stehen und aus regionalen Produkten sehr leckere Sachen kochen. Danach lag ich noch im Park.

Am Samstag sind Lasse und ich nach Saulkrasti (Sonnenrand oder so übersetzt) gefahren. Wunderschöner natürlicher Strand.

Wir waren baden. Schwimmen ging nicht richtig, weil sehr flach. Der Sand quietscht bei jedem Schritt. Dann haben wir schön Kräuterbaguette, Karums und Eis gekauft und auf dem Supermarktparkplatz gegessen um dann festzustellen, dass der nächste Zug in 1o Minuten kommt und wir 12 Minuten brauchen. Deutsche können selbst im Urlaub nicht entspannen. Also sind wir da hingehetzt. Gerade noch bekommen. Lasse noch bei Humana ein Hemd für die Oper gekauft. Ich bin nicht mitgekommen.

Am Montag ist er wieder gefahren. Ich hatte zum letzten Mal Pädagogik. War mir gar nicht so bewusst. Seltsam jetzt Ilze nie mehr zu sehen. Wieder Bananenbrot gekauft und in meinen Lieblingspark gelegt. Lettisch lernen und vor allem chillen. Der Park ist mein Wohnzimmer geworden. Hab mich irgendwie nicht so fit gefühlt und es war schön einfach zu sein und zu entspannen.

Am Dienstag hatte ich dann meine Lettischprüfung. Erfolgreich bestanden. Dachte die ganze Zeit ich kann absolut nichts, aber habe mir intensiv ein paar Sätze gemerkt für die mündliche Prüfung und jetzt habe ich das Gefühl schon voll viel zu verstehen. So aus dem Kontext heraus.

Habe ein leckeres Eis gegessen. Von der Marke Eskimo. Gibt es auch in Bulgarien. Schon etwas seltsam.

Mit Verena gekocht und dann wollten wir zum internationalen Abend gehen, den wir auf Facebook gesehen hatten. Das war in einer Bar, aber irgendwie war die Veranstaltung nicht vorhanden. Nebenan ist eine Kneipe, die ich immer beim Vorbeigehen gesehen habe und die immer rappelvoll ist. Ein Lette hat uns bei der Bierauswahl beraten und dann saßen wir etwas abseits und haben unser Bier getrunken. Dann sind wir noch zum Fluss gelaufen um den Sonnenuntergang zu sehen. War nicht so krass. Auf dem Rückweg haben wir euphorische Schreie gehört denen wir zum Public Viewing gefolgt sind. Lettland gegen die Schweiz. Richtige WM-Stimmung. Nach Hause gelaufen. Die Motorengeräusche machen mich noch wahnsinnig.

Am Mittwoch nach der Geovorlesung bin ich mit Lisa und Rafael aus dem Kurs nach Jurmala gefahren. Wir haben uns Pizza geholt und am Strand gegessen.

Dann haben wir Wizard gespielt. Ich habe Haushoch verloren. Die Beiden sind schwimmen gegangen. Die Sonne ist rot im Meer verschwunden. Das Wasser war an manchen Stellen fluoreszierend hellblau. Am Ende war die Sonne nicht halbrund, sondern sah erst aus wie ein Pilz, dann wie ein Omnibus und schließlich wie ein Quadrat, bevor sie ganz untergegangen ist.

Wir haben uns im Wasser immer weiter in den Sand runtergeschraubt und die schöne Aussicht genossen. Ab und zu hat jemand aus Lisas Familie angerufen und über die Bluetooth Box haben wir mitbekommen, ob sie nicht eine Brotbackmaschine haben will. Ein richtiger Sommerabend.

Gestern ist Lettland zum ersten Mal ins Halbfinale der Hockeyweltmeisterschaft gekommen. Hupkonzert, Freudenschreie, Trommeln, das volle Programm. So laut kennt man die Letten sonst nicht. Sie sind stolz auf alles was aus Lettland ihrer Meinung nach bekannt ist. Was niemand wirklich kennt, aber naja, schön zu sehen wie glücklich sie über den Einzug ins Halbfinale sind.

Heute Morgen bin ich aufgestanden und habe gemerkt, dass ich nichts richtig dringend machen muss. Viele Sachen am PC, Orgakrams. Ich könnte auch schon anfangen Geo zu lernen. Aber ich glaube das ist eine eher aussichtslose Angelegenheit. Also habe ich heute Zeit. Bin zum Mezapark gefahren.

Wurde ein paar Mal gefragt ob ich irgendeine Straße kenne, den Weg zum Zoo weiß. Leider reicht mein Lettisch nicht aus um Wegbeschreibungen zu geben. Es riecht sehr gut nach Kiefern hier. Ich lag am Seestrand und habe die Stille genossen.

Jetzt sitze ich am Picknicktisch, schreibe bei schöner Aussicht und esse gleich mein Buchweizenmischmasch irgendwas.

Eine Entenmutter die vorbeischwimmt und 10 kleine Entlein, die auf ihren Rücken hüpfen und sie als Speedboot benutzen. Zwei Kinder die Angeln, ein paar Letten, die nen Salto ins Wasser machen, ein Ausflugsboot Kapitän, der sein Boot säubert. Ein richtiger Urlaubstag.

Bald kommt Mama. Morgen ist ein Festival in Jurmala. So lange bin ich gar nicht mehr hier. Ganz schön seltsam. Zurück in ne andere Realität. Habe definitiv ein paar Lieblingsorte hier, aber so langsam habe ich mich auch darauf eingestellt bald zu gehen und nicht mehr groß Sachen, die ich noch entdecken will. Ich freu mich auf Mama und ein paar Museen mit ihr abzuklappern, das Meer noch ein paar Mal zu sehen und das schöne Wetter zu genießen.

Kann man nicht früh genug sagen. Keine Stunde später geht hier ein kalter Wind. Wenn man so durch Riga fährt, dann merkt man, dass hier echt überall Baustelle ist. Wie Stuttgart… Es ist voll schön, dass ich mich jetzt hier zurechtfinde und Riga Normalität geworden ist. Ohne Google Maps herumlaufen, Straßennamen wissen und Lieblingsspots.

Gerade war ich noch im Kunstmuseum Rigaer Börse. Stillleben mit Pilzen. Das ist lettische Kunst. Die Bilder der Ausstellung leuchten förmlich. Richtig starke Farben. Ab und zu ein paar Bildern mit Kühen drauf. Mag ich sehr! Es gab auch eine Porzellanausstellung. Ich als Porzellanexpertin muss sagen das hässlichste Porzellan kommt aus Deutschland. Entweder wir übertreiben richtig, oder es sind einfach ganz schlichte Sachen. Auf den österreichischen Tellern waren immer Nackte drauf. Find ich seltsam davon zu essen. Aber das macht man ja wahrscheinlich nicht. Zierteller, ich weiß. Und das skandinavische Porzellan war sehr stylish, aber auch manchmal dunkel. Auf jeden Fall verschiedene Eindrücke. Ein tolles Gebäude, tolle Böden und eine Südostasienausstellung. Was ich gut finde: keine Raubkunst, sondern Geschenke der letzten Jahre von Botschaftern und anderen Leuten. Ein Wayang Puppentheater. Indonesisches Weltkulturerbe. Das war sehr spannend.

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