Die Shumenshow

Neue Eindrücke, Bewusst Sein in Latvija

Saying goodbye with an open heart, letting go full of joy

Die letzten Tage in Weingarten. Sentimentale WG Momente in einer Konstellation, die es in Zukunft nicht mehr geben wird. Die letzte Prüfung, packen. So viele Abschiede. Ich realisiere es gar nicht richtig. Gefangen zwischen zwei Leben. Vorfreude auf das Unbekannte, Sehnsucht nach dem Bekannten.

Gestrandet im Schnee

Zum ersten Mal Flixtrain fahren. Das ist ja das komplette Gegenteil der DB. Ständig sind wir zu früh am nächsten Stop. Mit einem riesigen Fladenbrot eindecken. Zug nach Warschau. Erinnerungen an die letzte Reise nach Polen. Gut 10 Jahre her und in der brühenden Hitze. Kostenlose Getränke werden auch im Winter verteilt. Ich schaue den polnischen Sinnenuntergang an und lese fast ein komplettes Buch auf der Fahrt. Nur noch einen Umstieg muss ich schaffen. Das geht fit, denke ich. Ein bisschen zu vorschnell. 40 km vor Warschau kommt der Zug zum Stehen und fährt auch nicht mehr weiter. Meine polnischen Mitfahrer übersetzen mir die Durchsage: alle aussteigen. WIr steigen also aus, in die Kälte, den Schnee. Was nun? Auf den nächsten Zug warten. Zum Glück nur 10 min. Und dann mit dem Regio nach Warschau rein. Ein Mann erklärt mir den Weg zum Busbahnhof und macht mir Mut den Umstieg rechtzeitig zu schaffen. Und tatsächlich, ich habe sogar noch Zeit am Busbahnhof umherzuirren und den richtigen Bus zu finden. Die letzte Etappe. Niemand sitzt neben mir. Sehr praktisch wenn man nicht so groß ist. In Embryonalstellung kann ich sehr gut auf zwei sitzen schlafen. Zwischendurch wache ich einmal auf. Litauen. Das erste was ich sehe sind riesige, klobige Bauten und extrem große Bildschirme. Total fremd. Wir biegen um die nächste Ecke und dort stehen riesige Kreuze am Straßenrand. Mich überrascht nichts. Ich schlafe nochmal ein und werde wach, weil es so hell ist. Weite Ebenen voll Schnee. Gleich sind wir in Lettland. Latvija klingt viel schöner. Schon seit Berlin sehe ich viele Birken und Kiefern. Die ziehen sich hoch bis nach Latvija. Die Menschen, die vorne am Panoramafenster waren sind schon ausgestiegen. Also beschließe ich dort meinen Frühstücksplatz einzurichten.

Aussicht auf so eine Weite. Wälder, am Straßenrand Holzhäuser, die so zerbrechlich aussehen, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es darin warm ist. Neben uns ein LKW. Was für ein wundervoller Anblick dort ins Fahrerhäuschen zu schauen und zu sehen, wie der Fahrer in sein Wurschtweckle beißt. Wir nähern uns Riga. Nach 29h Fahrt steige ich aus dem Bus. Es ist krass was möglich ist, wenn man sich darauf einstellt. Sobald es weniger als 24h waren dachte ich mir: easy.

Erstes Anzeichen für Riga

Riiiiiga

Am anstrengendsten ist es jetzt sich ein Busticket zu besorgen. Doch auch das schaffe ich. Ich fahre vorbei an der Merkela iela und als ich aussteige werde ich direkt vom ersten Second Hand Laden gegrüßt. Ankommen, Zähne putzen. Herrlich! Die Vermieterin zeigt mir zuerst das falsche Zimmer. Nachdem ich mich dort eingerichtet und erfolgreich im Hinterhof eingeschlossen habe, ziehe ich nochmal um. In das richtige Zimmer. Deckenhöhe etwas höher als ich. Viel Spaß an alle, die mich besuchen kommen. Aber wir haben ein paar leere Zimmer mit hohen Decken, keine Sorge! Vorteil an der niedrigen Decke: es fühlt sich an wie in einem Geheimversteck zu wohnen. Und: nach den ersten Tagen wird es tatsächlich ein bisschen warm im Zimmer!

Bruno, mein Mitbewohner weist mich ein in die Welt der Second Hand Läden und warnt mich vor den vielen Verführungen. Klar, dass ich gleich losziehe. Kann mich am ersten Tag aber noch zurückhalten. Abends essen wir drei WG Mitglieder Bruno, Joseph und ich Pelmeni und spielen UNO. Ich freue mich so auf mein Bett.

Süddeutschlandversammlung in Riiiiga

Was darf in keiner Stadt fehlen? Eine free walking tour. Nachdem ich mir ein Monatsticket für die Öffis besorgt habe nehme ich gleich an einer Teil. Wer auch? Na klar, eine Studentin aus Weingarten. Zufälle gibts… Wir lernen wie sehr Riga von Deutschaldn geprägt, ja sogar von einem Deutschen gegründet wurde. Rote Backsteinkirchen sind die Überbleibsel. Wenn über einem Vokal ein Strich ist, dann bedeutet das, dass man ihn in die Länge zieht. Riiiiiiga. Richtig schön. Auch hier wird mein Name mit einem rollenden R ausgesprochen. Das klingt toll! Die Bremer Stadtmusikanten schauen hier durch den eisernen Vorhang nach Westen, Partnerstadt Bremen.

1989 gab es eine Menschenkette durch Estland, Lettland und Litauen als stillen Protest gegen Russland. Dieses Ereignis wurde vom Berliner Mauerfall verschluckt. Auf den Straßen hört man sehr viel Russisch. Jede zweite Person ist Russisch. Vor dem 2. Weltkrieg war Latvija sehr Wohlhabend, gebildet und immernoch die größte Stadt im Baltikum. Dann mussten viele gebürtige Deutsche zurück nach Deutschland, zahlreiche Menschen wurden deportiert und in den vergangenen Jahren verlassen immer mehr Menschen das wirtschaftsschwache Land. Mal sehen wie sich das ganze in der Zukunft entwickelt. Der Februar ist der kälteste Monat. Aber ich erfahre, dass man hier im Moment den Klimawandel deutlich spüren kann. Und zwar an den Winden. Eigentlich sollten es Nordostwinde sein, die die Kälte bringen. Im Moment gibt es aber Südwestwinde, die es „wärmer“ machen. Ein bisschen wärmer ist es tatsächlich geworden in den letzten Tagen. Ich habe aber auch aufgehört gegen die Kälte anzukämpfen. Wenn man sie hinnimmt, dann kann man ganz gut mit ihr leben. Es ist auch nicht wirklich kälter als in Deutschland. Nur die Luftfeuchtigkeit ist viel höher, weshalb es sich kälter anfühlt.

Das Freiheitsdenkmal von Riga

DIe Dunkelheit macht mir zu schaffen. Ich bin sehr müde. Am Freitag habe ich zum ersten Mal die Sonne gesehen! Man hat das was an meiner Stimmung geändert.

Unimäßig ist alles noch sehr chaotisch. Vorlesungen 5 einhalb Stunden!!! Und eine richtige Routine habe ich noch nicht. Aber es macht großen Spaß die Stadt zu erkunden. Ich war in einem sehr süßen Kino. Lettischer Film mit Untertitel. Ich will unbedingt lettisch lernen. Morgen gehts los. Der Film, vorallem die Kälte im Film hat mich sehr beeindruckt. Die Alberta iela habe ich auch schon erkundet. Prachtvolle Bauten im Jugendstil. Riga hat die höchste Jugendstildichte in Europa oder so.

Und einen georgischen Imbiss habe ich entdeckt. Jetzt muss ich nur noch herausfinden wann der geöffnet hat.

In der WG über mir war ich jetzt auch schon. Süddeutschland die zweite und dritte. Zwei Studentinnen aus Konstanz. Zu Besuch Cathy aus Luxemburg, die in Friedrichshafen studiert. Das ist ja wie zuhause! Wir haben trotzdem auf Englisch geredet, wegen einem spanischen Mitbewohner. Die ehemaligen Mitbewohner hatten auch eine starke Secondhand Sucht und haben einiges an Kleidern dagelassen. Das habe ich gleich alles durchstöbert und ein paar tolle Sachen abgegriffen.

Am Freitag habe ich mich verabredet um auf den Markt, in die Markthallen zu gehen. Kurz auschecken, wo wir uns treffen und herausfinden, dass wir im gleichen Haus wohnen! Riga ist ja fast ein Dorf. Oder alle Deutschen wohnen an einem Fleck. Also war ich mit Marius, Marek, den ich auch schon am Tag vorher kennengelernt habe und Marcel auf dem Markt und danach in secondhand Läden unterwegs. In einem Secondhand Laden habe ich eine stumme Unterhaltung mit einer Frau, die mir einen Neonpinken Pullunder vor die Brust hält und ihn mir anbietet. Sehr nett, dass sie anscheinend denkt der würde mir stehen, aber ist nicht so ganz mein Ding. Ich bedanke mich trotzdem. Marek und Bruno sind kulturweit Freiwillige, gleich eine Gemeinsamkeit. Zusammen mit Lina aus Konstanz habe ich mich spontan angeschlossen ins Schokoladenmuseum von Laima zu gehen. Wir haben flüssige Schokolade zu trinken bekommen und mehr über die Geschichte von Laima erfahren. Danach haben wir Cabo, oder Cambio gespielt. Typisches kulturweit Spiel. Ich habe mich in mein Zimmer zurückgezogen um ein paar Sachen für die Uni zu machen. Lange war ich aber nicht allein. Marek, Bruno und Marius haben sich kurzerhand zu mir gesetzt und wir haben zusammen Pläne geschmiedet und Quatsch geredet. Nochmal abends ins Kino. Diesmal auf Englisch mit lettischem Untertitel. Dann habe ich nochmal eine neue Hose von Bruno bekommen. Ich glaube ich muss gar nicht selbst einkaufen gehen. Eine sehr schöne Zeit zusammen mit meinen HausbewohnerInnen.

Offenheit und Spontanität

Am Samstag habe ich mir vorgenommen ans Meer zu fahren. Regenschauer als ich aufgewacht bin. Egal. Ab zum Bahnhof. Natürlich knapp den Zug verpasst. Die Zeit habe ich genutzt um Stalins Geburtstagstorte, ein Gebäude, dass dem Empire State building ähnlich sieht, von nahem zu betrachten.

Wieso ist es eigentlich so, dass man in jedem Land Tickets im Zug kaufen kann nur in Deutschland nicht?

In Majori bin ich ausgestiegen und voller Vorfreude im Nieselregen ans Meer gelaufen. Oh wie schön und kalt und frei! Am Strand entlang. Typischer Tourikurort. Im Winter wunderschön trostlos. Im Sommer suche ich mir wohl einen naturbelasseneren Strand. Die hässliche Fußgängerzone entlang, tolle russische Kirche und süße Holzhäuser. Vor einem grünen bleibe ich stehen. Kaue auf meinem Marmeladenbrot und überlege. Meine Haare nerven mich total. Ich will unbedingt zum Friseur und hier stehe ich nunmal vor einem. Soll ich es einfach machen? Ich beschließe, dass heute der Tag der Intuition und des Gefühls ist und betrete den Laden. Haishop, lauter Shampooflaschen. Zwei Frauen, ein wenig Russisch und Englisch im Mix. Ich werde nach oben begleitet. Friseursalon. Ich soll später wiederkommen. Ich frage ob ich dort warten kann. Schon ziemlich kalt darußen. Ich mache es mir auf einem geblümten Sofa bequem und bekomme ein Frisurenbuch aus dem letzten Jahrtausend in die Hand gedrückt um mir eine Frisur herauszusuchen. Ich nutze die Zeit lieber um Tagebuch zu schreiben. Dann bin ich an der Reihe. Ich zeige an wie kurz ich meine Haare abgeschnitten haben möchte. Erster Schnitt: „oh wow beautiful“. Kommentar der Friseurin. Ich fühle mich geborgen und entspannt. Im Hintergrund tudeln zwei verschiedene Radiosender. Die Sonne kommt heraus und wärmt mich. Paldies, danke für die neue Frisur. Noch ein bisschen Mousse hier und Spray da. Ich verlasse diese andere Welt, rieche aber noch den ganzen Tag danach. Die Sonne ist da! Ich muss nochmal zum Strand. Überall Pfützen, aber ich bin so glücklich und singe die ganze Zeit. Es ist schön Zeit alleine zu verbringen und endlich mal wieder zur Ruhe zu kommen. Die ganzen Reize der letzten Tage zu verarbeiten. Der Regen ist zwar weg, aber der Wind ist so stark und wechselt ständig die Richtung. Ich werde hin und hergeschubst und torkele am Strand entlang. Den Zug sehe ich gerade noch davon fahren. Ein bisschen dehnen und ein paar Sprachnachrichten anhören. Auf den Fluss schauen. Dann ist auch schon der nächste Zug da.

Triathlon ala Karla

Gestern, am Sonntag holt mich morgens Liga (Liiiiga) ab. Ich bin einer Gruppe zum Wandern beigetreten. Wir fahren eine Stunde lang raus aus Riga. Richtung Nordosten. Elche eingezäunt, kleine Dörfer. Unterwegs holen wir noch Renate ab. Insgesamt sind wir zu sechst. Es ist spannend mit fremden zu wandern. Ich merke, wie sich mein Bild von den 5 auf der Wanderung immer wieder verändert, je nachdem welche Informationen ich bekomme. Generell war ich mit einer Gruppe berufstätiger Mittvierziger Teilzeit PsychologiestudentInnen unterwegs. Sehr spannend. Die verschiedenen Charaktere zeichnen sich immer deutlicher ab. Mein Bild nach der Wanderung:

Liga: Sieht aus wie meine Tante Irina. Erst schüchtern, dann sehr witzig. Wohnt am Meer, hat Söhne. Ist ein bisschen chaotisch, sehr hilfsbereit.

Renate: die coole, elegante, stille Renate. Findet immer den trittsichersten Weg, redet nicht viel, ist selbstbewusst und strahlt unglaublich viel Gelassneheit aus.

Rihards: einen Rucksack voller Energydrinks und Schwarztee voll. Schwerer als mein Rucksack, den ich mit nach Latvija genommen habe. Ist unmenschlich schnell, wie eine Gazelle. Sehr viel Humor, ein lautes Organ und weiß so tendenziell alles. Ein Lexikon auf zwei Beinen.

Anda: sehr still, läuft immer hinten und passt auf, dass ich nicht ausversehen einen Abhang hinunterrutsche. Sehr fürsorglich.

Jana: Deutsch- und Englischlehrerin, hat zusammen mit Anda 6 Söhne. Jetzt studieren die beiden noch nebenher Psychologie. Meinen Respekt. Sie ist ein wenig pessimistisch, aber auch sehr witzig. Natürlich hat auch sie eine Freundin am Bodensee die sie öfter besuchen.

16 km, wobe wir für die ersten 4 circa die Hälfte der Zeit brauchten, sind wir durch den Schnee gelaufen. Oder besser gesagt, die 5 sind gelaufen. Nicht, dass ich Vorurteile oder so hatte, aber ich war doch sehr beeindruckt, dass die 5 so schnell und trittsicher unterwegs waren. Niemand ist hingefallen. Das habe ich dafür ausgeglichen. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich den Boden aus dem Liegen betrachtet habe. Meine Docs sind im Sommer sehr gute Wanderschuhe, aber auf Eis ist es dann doch schwieriger. Ich bin sehr verwundert, dass ich mich nicht verletzt habe. Wie ein tollpatschig, frischgeborenes Rehkitz habe ich einen neuen Triathlon entwickelt. Bestehend aus Klettern auf allen vieren, laufen und die meiste Zeit Poporutschen. Oder auch auf einem Fuß, das andere Bein gestreckt. Hat sehr viel Spaß gemacht, aber es war auch ziemlich anstrengend immer wieder rauf und runter. Gefroren habe ich nicht, obwohl wir den ganzen Tag draußen waren.

Into the wild

Die Landschaft ein Traum. Rote Klippen an zugefrorenen Flüssen mit Kiefern on top. Das habe ich mir gar nicht so vorgestellt. Wasserplätschern, Stille. Das Geräusch unserer Schritte auf dem Schnee, im Schnee. Die unterschiedlichen Schnee Konsistenzen. Ausgelassene Tänze auf Eisflächen. Lachanfälle mit 40-jährigen Letten. Wie schön, es kommt nur darauf an wie offen man gegenüber neuen Situationen ist.

Walking on water

Mein Highlight: auf einem zugefrorenen Fluss laufen. So cool! Spuren von Elchen sehen und von einer großen Raubkatze. Ein paar Geocaching Funde unterwegs. Ein paar Gespräche über die Kinder. Jana wollte mir schon ihren Sohn schmackhaft machen. Irgendwann waren meine Schuhe dann am Ende. Durchgeweicht, schrumpelige Zehen. Trotzdem noch nicht kalt. Doch es war dann doch ganz schön wieder an den Autos anzukommen.

Auf der Rückfahrt geröstete Nüsse, lettische Msuik, AnnenMayKantereit und Sonnenuntergang. Der Tag hat mich echt geschlaucht. Überall Muskelkater. Aber eine wundervolle Erfahrung. Beim Laufen ganz inspiriert geworden für die nächste Zeit. Es gibt so viel was ich machen will. Ein bisschen stresst mich die Uni. Will natürlich alle Prüfungen bestehen. Habe jetzt schon meinen Wortschatz erweitert, aber muss mich noch ein wenig einfinden.

In der Stadt finde ich mich ganz gut zurecht. Ist aufgebaut wie ein Schachbrett. Ich wohne sehr zentral. Sehr cool, aber mich zieht es doch raus aus der Stadt. Ich höre gerne den Möwen zu und schaue morgens aus meinem Fenster auf die Straße.

Es ist interessant, wie schnell man sich an einen neuen Ort gewöhnen kann. Ich nehme Sachen hin, weil sie auf Zeit sind. Nicht perfekt, aber okay. Ich freue mich, dass die Tage länger und heller werden.

Ich freue mich auf den Sommer. Aber dieser Winter ist auch sehr schön!

 

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