Bulgarien ist eine einzige Pfütze (Tag 242-252)

Meine letzte Arbeitswoche hat begonnen. Die Woche vor den Ferien. Vor eineinhalb Wochen wurde ich noch von Hunden verfolgt und hatte ziemlich Angst. Jetzt fühle ich mich auch gehetzt. Zwar nicht so stark und nicht vor Hunden, aber von der Zeit. Wie kann es sein, dass die letzten Monate so schnell vergangen sind?

Seit gestern laufe ich also ein bisschen sentimental durch die Straßen, präge mir nochmal gut die Häuser ein, die Menschen mit ihren Karl Lagerfeld Tshirts, oder auch Karla Gerfeld, grüße die Kassiererin bei Billa ein letztes Mal, gehe zum letzten Mal auf den Markt, na ja vielleicht auch nicht, Wer weiß… Doch bald ist der Alltag vorbei. Ich freue mich auf sommerliche Abenteuer, mein vorübergehendes Zuhause wird mein Rucksack sein, aber es fällt mir wirklich schwer mich zu verabschieden.

Das letzte Wochenende habe ich nochmal sehr gut ausgenutzt. Der Regen konnte Simon und mich nicht davon abhalten in unseren FlipFlops durch die Straßen, oder eher Flüsse Shumens zum Busbahnhof zu laufen um ans Meer zu fahren, nach Balchik. Hut ab an die Kanalisation in Deutschland, die hat es echt drauf!

Mit Verspätung und Stau kamen wir am Freitagabend im trockenen Balchik an. Im Bus wollten wir eigentlich schlafen, aber die Filme in den Bussen hier sind einfach zu herrlich schlecht. Da kann man nicht anders, als hinzuschauen. Balchik ist in zwei Teile geteilt. Im oberen wohnen die Einheimischen, dann folgen 2 km Pampa und am meer ist das Touri-Balchik. Eine Frau im Bus hinderte uns mehrmals daran auszusteigen, weshalb wir uns mehr und mehr von unserer Unterkunft entfernten und zu einem Abendspaziergang gezwungen wurden. Balchik liegt am Hang, weshalb wir einen wunderschönen Blick auf die Stadt hatten. Verwirrende kleine Straßen und Sackgassen, dazwischen bewaldete Ebenen und Wege voller Minischnecken. Bei jedem Schritt hat es sehr laut unter unseren Füßen geknirscht. Eine Schande! Die Delikatessensammler hätten wirklich Glück gehabt auf den Straßen in Balchik. In Didis Guesthouse angekommen, hat sie uns unser Zimmer mit Meerblick, mit meerblick für 17€ für 2 Nächte!!!, gezeigt und wir haben uns auf Nahrungssuche begeben. Natürlich Shopska Salat.

Eigentlich ist Balchik eine Tourihochburg, aber weil so schlechtes Wetter war und vorallem durch Covid, waren ziemlich wenige Touristen unterwegs, wir fast alleine am Strand, die Restaurants alle geöffnet aber ziemlich leer. EIn bisschen traurig, aber auch schön so ohne Menschenmassen. Ein abendlicher Hafenspaziergang, einmal hochklettern auf einen Minileuchtturm und schlafen.

Vergleichsweise zu Shumen haben wir sehr wenige Möwen gehört, und da es in Shumen auf den Straßen unmengen von Wasser gibt konnten wir nun das schwarze Meer mit dem meer von Shumen vergleichen. Balchik gewinnt! Der Ausblick vom Balkon traumhaft. Zum Frühstück gab es, man glaubt es kaum, Baniza, aber in nicht fettig! Sehr lecker! Dann ging es im Starkregen Richtung Sommerresidenz der rumänischen Königin Maria. Samstag war unser Rentnertag, Sonntag dann der Abenteuertag. Komplett durchnässt standen wir dann im Palast.

Eine Ausstellung von Bildern vom Meer, Informationen über den Palast, der ziemlich schlicht für eine Königin gehalten ist und ich habe besonders gerne die Zeilen gelesen mit denen die Köigin den Ort, ihr Paradies, beschrieben hat. So konnte ich mir trotz Regenwetter die Residenz in vollem Glanz vorstellen. Da es sich um eine rumänische Königin handelt, war es auch nicht verwunderlich, dass wir plötzlich mitten in einer rumänischen Reisegruppe waren. Scusa! War nicht unsere Absicht! So viele Rumänen habe ich noch nie in Bulgarien gesehen. Ständig wurden wir auf rumänisch angesprochen, alle Informationen standen auch auf Rumänisch und die Rentergruppe wurde in einem Affentempo durchgeschleust. Umgeben von Senioren ging es dann den terrassenförmigen botanischen Garten rauf. Mittlerweile ohne Regen, konnten wir die riesige Anlage genießen. Weinverkostung und Süßigkeiten, ein Wasserfall, zahlreiche Villen für die Angestellten, Rosenbeete, die Kapelle, in der das Herz der Königin aufbewahrt wird, davor die Stände in denen man Kerzen für Lebende und die Toten entzünden kann. So viele Wege verwirren mich immer, aber letztendlich haben wir es zur anscheinend zweitgrößten Kakteensammlung Europas geschafft. Mediterranes Klima, sehr einschläfernd. Es gibt Kaktusleder. War mir neu. So ein Haus mit riesigem Garten am Meer, hat schon was.

Ein paar deutsche Touristen sind uns auch begegnet. Eine mittagliche Snackrunde, ein Spaziergang durch die Stadt und dann der Entschluss schwimmen zu gehen. Am Strand zwei Kinder im Wasser. Alle anderen in Pullovern, die Strandbar mit lauter Musik lag leergefegt hinter uns und es hat mich schon ein wenig Überwindung gekostet ins Wasser zu gehen. Aber wer im November schwimmen geht, der sollte auch im Juni ins Wasser gehen. Und so wie immer, wenn man mal drin ist, ist es gar nicht mehr so schlimm. Und auch gar nicht tief. Also ein bisschen das Wasser genießen und dann sind wir zum Hafen gelaufen.

Auf der Mauer standen zahlreiche Angler, an den Angeln mehrere Fische, alle paar Minuten wurde die Angel neu ausgeworfen. Angeln ist also ziemlich stressig. An die schräge Hafenmauer gelehnt standen wir da und haben das Spektakel im Abendlicht beobachtet.

Beim Kochen haben wir Fußball geschaut. Ich bin dieses Jahr wirklich schlecht bei kicktipp… Dann haben wir noch Pläne geschmiedet für den nächsten Tag.

Ausgecheckt und wunderbar hässliche Magnete bekommen. In der schwülen Hitze wieder in den oberen Teil von Balchik und weiter ortsauswärts gelaufen. Da standen wir dann, neben einer Tankstelle und haben 20 Minuten lang den Daumen rausgestreckt. So lange musste wir noch nie warten. Dann endlich hält ein Auto! Unser Ziel ist das Kap Kaliakra. Ein Ziel, dass eigentlich nur Touristen ansteuern. Also fragen wir, ob er uns ins nächste Dorf mitnimmt, damit wir von dort aus weitertrampen können. Wir fangen an zu reden. Er sagt, dass wir unbedingt als Kap sollen, wir sagen, dass das unser Ziel ist und er fährt uns hin. Richtig lieb! So haben wir extrem viel Zeit gespart und fahren kurz darauf durch Kavarna, Rockhauptstadt Bulgariens, und weiter über eine flache Ebene mit zig Windrändern. Mit 130 über die Straße. Auf meinem FInger ein blinder Passagier, ein Marienkäfer.Wir bedanken uns und steigen aus. Als erstes sehen wir ein Monument, dahinter ein Rahmen aus Säulen, Balken an denen Glocken hängen und das Meer wird eingerahmt. Es fängt wieder stark an zu regnen und die Landschaft erinnert mich sehr an Irland.

Wir laufen durch das Tor der Festung, die aussieht wie alle anderen Festungen, die ich in Bulgarien gesehen habe. Unter dem Torbogen sitzt ein Mann und spielt Akkordeon, vor uns läuft ein Mann in Badehose, so kann man auch seine Kleidung vor dem Regen schützen. Eine Frau läuft an uns vorbei und schützt ihren Kopf vor dem Regen mit einer Lidltüte, ein Auto fährt durch den Torbogen und hält um aus dem Auto dem Akkordeonspieler Geld zu geben. Hinter dem Tor geht es einen steilen Hügel hinauf. Die Klippen links und rechts sind rötlich gefärbt, der Himmel ist diesig, die Luft schwül, das Meer leuchtet in verschiedenen Blautönen. Je länger man darauf schaut, umso mehr sieht es aus wie ein flimmernder Fernseher oder wie animiert. Wir laufen an Souvenirständen vorbei, vor uns Militärschutzgebiet. Vorbei an einem Restaurant bis ganz nach vorne ans Kap. Neben einer kleinen Kapelle geht es Stufen hinunter. Wir stellen uns auf den vordersten Felsen in die Sonne und halten Ausschau nach Delfinen. Das Meer liegt still unter uns.

Nach einer Weile machen wir uns auf den Rückweg, füllen unsere Flaschen an einer Quelle auf und laufen die Straße entlang. An den Seiten bunte Wiesenblumen. Diesmal haben wir schneller Glück. Eine Frau hält an. Die Windradfrau. Ihren Spitznamen bekommt sie, da sie zweimal anhält um auszusteigen und die Windräder zu fotografieren. Wir versuchen nicht zu lachen, aber irgendwie ist es lustig wie sehr sie von ihnen fasziniert ist.

Im nächsten Dorf steigen wir aus und laufen wieder ortsauswärts. Überwinden Pfützen, in denen man nicht auf den Grund sehen kann, ziehen die Regenjacken aus und wieder an. Es ist eine wenig befahrene Straße. Wir überlegen, ob wir umkehren sollen und es auf der anderen Straße versuchen sollten. Um 21 Uhr müssen wir am Busbahnhof in Kavarna oder Shabla sein und wir haben es nicht wirklich in der Hand, wann wir dort ankommen. Wir beschließen noch eine halbe Stunde zu warten. Nach 10 Minuten hält Adrian, border police. Er nimmt uns mit, ist neugierig:“ Why are you hitchhiking? I don’t get it.“ Wir unterhalten uns mit ihm. Er muss nur ins nächste „Dorf“, ca 10 Häuser, seine Oma besuchen, aber er fährt uns netterweise ein „Dorf“ weiter, weil dort mehr Verkehr sei. Na ja, mehr als im Dorf davor. Ein Rentnerpaar hält an. Wir sagen, dass wir zum Leuchtturm von Shabla wollen. „Lighthouse?“ Sie haben keine Ahnung wovon wir sprechen, aber zum Glück ist er am Horiziont zu sehen und so bringen wir ihnen ein neues Wort bei, werden bis auf den Parkplatz gefahren, es regnet wieder und wir stehen vor der Häuseransammlung.

Im Umland lauter Güllewagen. So riecht es auch. Wir suchen einen unterdachten Vesperplatz hinter dem gescheiterten EU-Projekt Ferienresort und essen nemski chlab (Deutsches Brot) mit Aussicht aufs Meer. Neben uns ein kleiner verängstigter Welpe. Wir laufen zum Fischerhafen und dann den langen Strand entlang. Es liegt ganz viel zeug herum. Algenzeug. Der Strand weiter hinten sieht ganz schön aus. Wir sammeln eine ganze Tüte voll große Muscheln, das Wasser ist warm. Wir überlegen , ob wir noch genug Zeit haben um schwimmen zu gehen und entscheiden uns zum Glück dafür. Ein Strand ohne hässliche Hotels, keine Menschenseele, Aussicht auf den irgendwie schön heruntergekommenen Leuchtturm, das Wasser ist erfrischend und ich freue mich über die kleinen Wellen, schwimme weiter hinaus und sehe nur Meer. Mehr Meer.

Voller Meer und Sand laufen wir dann die letzten Kilometer Richtung dem Ort Shabla. Am Anfang ist die Straße leer, sieht aus, als ob sie ans Ende der Welt führt. Die Grillen zirpen, die Abendluft ist warm. Dann kommen viele Autos, aber wir haben Lust zu laufen und wollen nicht trampen. Plötzlich fängt es wieder an zu regnen. Kleine Frösche hüpfen über die Straße. Der Himmel hinter uns blau und vor uns grau. Wir laufen weiter und ein Auto hält. Ein Angler, der uns bedeutet einzusteigen. Wahrscheinlich sahen wir ziemlich mitleidserregend aus, wie wir da im Dauerregen an der Straße entlang gelaufen sind. Wir steigen in sein Auto, das richtig schön benutzt aussieht. Wir fahren langsam, er hat ein Boot auf seinem Anhänger. In Shabla dann ein Regenbogen. Wir spielen Mau Mau vor der Община (Obschtina), da dort der einzige trockene Platz ist, essen Pizza und steigen dann in den Bus ein.

Ein Tipp: Niemals Birnen in eine Tasche voller Muscheln werfen und dann drei Stunden vor sich hinmanschen lassen…

Der Himmel sieht faszinierend aus, auf dem Bildschirm läuft ein noch witzigerer bulgarischer Film, ich bin erschöpft, aber glücklich. Wir sind stolz, dass wir es tatsächlich geschafft haben an die abgelegensten Orte, am östlichsten Teil Bulgariens, zu gelangen. Ohne Auto und mit ganz vielel glücklichen Fügungen. Für uns ein Abenteuer und bestimmt haben wir den Tag von allen, die uns mitgenommen haben auch ein bisschen abenteuerlicher gemacht.

Es ist nach 0 Uhr und wir kommen wieder in Shumen an.

Die Flasche Himbeerwein, die Viki und ich vergangene Woche geleert haben steht noch auf dem Balkon. Mein Kühlschrank ist voller Käse, weil Käse und Wein ist ne gute Kombi.

Jetzt, nach meinem Abenteuer realisiere ich: es ist Zeit für den Abschied. Von der Wohnung, meinem Balkon, meinen Nachbarn, den Schülern und Lehrern und allen, die mir hier begegnet sind, zu nehmen.

In der Schule haben wir alte Bücher ausgelegt und zu verschenken geschrieben. Tatsächlich waren es heute schon weniger Bücher. Ich hoffe mal, dass ein paar wirklich in den Ferien lesen.

Der Regen hat aufgehört, es ist heiß. Heute habe ich mich von der 8. Klasse verabschiedet. Ein letztes Mal haben wir deutsche und bulgarische Zungenbrecher aufgesagt und unseren Spaß dabei gehabt. Meine letzte Stunde mit ihnen. Dann der Pausengong. Ein paar letzte Abscheidsworte, Umarmungen, wir werden uns sicherlich noch in der Stadt sehen. Trotzdem wurde mir das Herz schwer. Meine lieben Achtklässler.

Nach der Schule war ich kurz noch bei easypay um meine Rechnungen zu bezahlen, trete wieder auf die Straße und begegne zwei meiner Achtklässler, mit einem großen Blumenstrauß. Ich bin gerührt, sie sind verlegen.

Jetzt werden Pakete und Koffer gepackt, Pflanzen verschenkt und Lebensmittel aufgegessen. Auf die letzte Aufgabe freue ich mich besonders. Und zum Glück habe ich fleißige Helfer. Jasmin und Debora essen mit.

Ein bisschen überwältigt bin ich von der Situation, meine erste eigene Wohnung bald verlassen zu müssen und von so vielem Abschied zu nehmen. Aber wie gesagt, freue ich mich auf neue Abenteuer!