Die Shumenshow

Die Luft riecht nach Kartoffeln (Tag 184-195)

Wieder so viele Eindrücke, dass mein Kopf fast platzt, also höchste Zeit für einen neuen Blogbeitrag.

Von der Entstehung dieses Titels, ins bulgarische Dorfleben eintauchen, arbeiten, einer Grenzerfahrung und der bisher schönsten Wohnung Bulgariens, bis zum Sonnenbrand und entspannedem lauschen eines Bachs.

Immer tiefer tauche ich ein unter die Oberfläche des Eisbergs der bulgarischen Kultur und Mentalität.

Also, warum die Luft nach Kartoffeln riecht: nach einem langen Tag in der Schule beschlossen Soner und ich abends noch zum Monument zu laufen. Wie gesagt ist das Abendlicht hier magisch, die Wolken am Himmel waren wunderschön und nicht so viele Menschen unterwegs. Nachdem wir uns die 1300 Stufen hochgequält hatten, kurz die Aussicht genossen um dann schnell wieder runter zu rennen, damit wir noch im Hellen ankommen, war ich so euphorisch, weil mir nicht kalt war und ich das Gefühl hatte den Frühling zu spüren. Ja, ihn förmlich zu riechen. Das wollte ich natürlich Soner mitteilen. Ich: „Die Luft riecht nach Frühling!“ Soner:“Nein Karla, die Luft riecht nach Kartoffeln.“ So schnell wurde meine Euphorie zu nichte gemacht und ich musste mich mit der Realität abfinden. Frühlingsgeruch = Kartoffelgeruch.

Am Wochenende darauf fuhr ich zusammen mit Soner und seinem Opa ins Dorf Timarevo. Wenn Soner fährt etwa 30 min., wenn sein Opa fährt etwa 15 min. von Shumen entfernt 🙂

Mein erstes wirklich authentisches bulgarisches Dorf. Mit den typischen gelben Backsteinhäusern. Bei dem bewölkten Wetter haben wir die meiste Zeit drinnen verbracht. Der Kamin wurde zu meiner Freude entzündet, der Fernseher angeschaltet, auf Türkisch, und allerhand Maschinen wurden ausgepackt. Brotmaschine, Eiermaschine (Eierkocher) und fast auch noch ein Reiskocher. Meine mitgebrachten Paprika haben wir über einem Gaskocher in der Mitte der Küche auf dem Boden über die Flamme gehoben, um sie später für den Salat zu benutzen. Sehr cool. Während Soner in der Küche anfing zu putzen, wir gemeinsam Brötchen mit Käse machten und Gurken und Tomaten für den Chopska-Salat schnitten, hantierte sein Opa am Auto. Was genau er da machte wollte er mir natürlich auch zeigen. Also mithilfe von Zeichensprache ging das auch ganz gut: Rost abschleifen, so ne Paste drüber, wieder abschleifen und ansprühen. Dann ging es noch ab in die Garage. Dort habe ich die zahlreichen alten Drucker von Soner gesehen und endlos viele Radios, sowie die Rakia und Whiskey Sammlung. Was ich sofort verstanden habe: Rakia aus dem Laden schmeckt nicht, nur der selbstgemachte. Dan hat er mir noch zig verschiedene Kompottgläser gebracht, auf die Bäume gezeigt von wo welche Frucht kommt und ich stand da, ich, die sich nie entscheiden kann. Hab mich für Pflaume entschieden (glaube ich). Drinnen hat Soner den Salat fertig gemacht. Perfektes timing, denn ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen und brauchte unbedingt was im Magen, bevor die Rakia-Verkostung losging. Pfirsich und Trauben Rakia, hat sehr stark gebrannt, der Salat war himmlisch und ich habe danach etwas angetrunken Ostereier gefärbt für die Achtklässler und mich sehr über die bunten Farben gefreut. Die Käsebrötchen waren auch ein Traum.  Ich habe mich vor den Ofen gesetzt um ihnen beim Backen zuzuschauen. Auf einen ganz kleinen Hocker. Soner saß auf einem Hocker auf einer Bank. War bestimmt ein witziger Anblick. Wir haben Musik gehört und ausgetauscht. Das heißt, ich habe neue Lieder von Soner gezeigt bekommen. Meine Musik ist zu uncool 🙂 Wir haben Mousse au Chocolat gemacht und ich habe eine Haustour bekommen. Die Renovierungsarbeiten begutachtet und den Schatz von Soners Mutter. Allerlei Sachen unter dem Bett, die wie sich später noch herausstellen sollten wirklich nützlich sind.

Dann ging es raus mit den Hunden. Zara war ganz aufgeregt, wie ein Flummi und konnte es kaum erwarten. Ich habe sie liebevoll Sucuk getauft.

Die Wurst auf vier Beinen.

Matty war etwas ruhiger, allerdings zieht er ziemlich an der Leine. Wir haben uns abgewechselt, sind gerannt, gelaufen, gegangen, bis zur verlassenen Landebahn für Flugzeuge im Dorf. Ein paar Tropfen fielen vom Himmel und man hatte eine wunderschöne Aussicht auf das Panorama, in der Ferne das Monument. Ein sehr unscheinbarer Moment, aber wie wir da so gelaufen sind, das hat mich sehr an meine Kindheit erinnert. Gemütliches Wetter, Besuch bei Verwandten auf dem Land. So einen großen Unterschied gibt es nämlich gar nicht, wenn man mal das Aussehen der Häuser außen vor lässt. Und die Tatsache, dass es im Haus kein Klo gibt. Dafür muss man einmal durch den Garten laufen. Ein Stehklo. Außerdem ist jeder selbst für die Abwasserentsorgung verantwortlich. Soners Opa fuhr mit dem Fahrrad Milch holen. Die musste später noch abgekocht werden. Im Garten habe ich die wunderschön, von Soners Opa geflieste Außenküche bewundert und war begeistert von den upcycling Porjekten seiner Mutter.

Während Soner und ich in der Küche saßen kam sein Opa immer wieder rein um zu fragen, ob ich mich wohl fühle, ich etwas essen möchte, usw. Laut Soner führt er Buch über die Meinung der Gäste. War sehr lustig.

Ich habe gegessen ohne Ende und war irgendwann nur noch müde. So ein Tag im Dorf schlaucht. Apropos Schlau, der Duschschlauch war kaputt, aber unter dem Bett, in dem Schatz von Soners Mutter haben wir sogar zwei verschiedene Modelle gefunden und das Problem war gelöst. Soner hat also noch Milchreis gekocht und ich habe mich bettfertig gemacht. Und sehr gut geschlafen. Am nächsten Morgen ging das Essen weiter. Ich Langschläfer bin erst um 8 Uhr aufgestanden… Nudeln mit Dorfsoße, einer Joghurt-Knoblauch-Soße wurden mir serviert und dann ging es auch schon wieder zurück ins charmante Shumen. Den Sonntag habe ich mit putzen und YouTube schauen verbracht, Unterricht vorbereitet und gelesen.

Für die Achtkläsler habe ich Ostereier versteckt. Spielerisch Präpositionen lernen nennt man das. Auch, wenn ein Schüler vermutlich ne Ei-Überdosis hat, wenn das möglich ist. 7 Eier hat er gefunden und niemand sonst wollte sie essen, also rein damit!

Wir haben neue Mitglieder für unseren DeutschClub gewonnen, ich habe mein Müllprojekt weitergeführt und gemerkt, dass ich meine Schüler, trotz der immensen Lautstärke, echt vermissen werde, wenn ich wieder in Deutschland bin. Dadurch, dass ich in der Schule so in Interaktion mit vielen Menschen bin, habe ich ansonsten gar nicht so viel Motivation was mit anderen zu machen und bin lieber alleine.

Am Mittwoch morgen, als ich gerade das Haus verlassen habe und auf dem Weg zur Schule war, hielt plötzlich ein Auto an und eine Frau winkt mir wie verrückt daraus zu. Mein Hrin begann zu rattern, während ich unsicher meine Hand hob um zurückzuwinken. „Wer ist diese Frau? Kenne ich sie und haben es vergessen?“ Schon wurde die Tür aufgemacht, ich gehe näher um zu verstehen, was sie sagt. Sie bringt Licht ins Dunkel. Die Mutter eines Schülers. Sie bietet mir Pralinen an, hinter ihr hupen die Autos. Schnell nehme ich eine Praline, bedanke mich. Immer Süßes von Menschen annehmen, die man nicht wirklich kennt… „Have a nice day, Karla!“ Ja sehr nice. Mit diesem skurrilen Erlebnis, bin ich gleich etwas wacher weitergelaufen. Aber noch immer nicht wach genug um mit Jasmin, die auf der anderen Straßenseite lief, Smalltalk zu machen. Wir sehen uns, Lächeln, überlegen Beide kurz die Straße zu überqueren um zu reden, schütteln den Kopf und werfen uns stattdessen einen Luftkuss zu. So muss das sein!

Ich merke immer deutlicher, dass ich doch oft andere Interessen habe und mehr auf die Interessen der Schüler eingehen muss, herausfinden, was sie interessiert. Ziemlich schwierig, da ich oft keine Antwort bekomme. Meine Arbeit ist vielseitig, ich bin oft in verschiedenen Klassen, präsenz und online, wir spielen Spiele und lachen. WIe schön, dass Humor trotz unterschiedlicher Sprach funktioniert.

Ansonsten habe ich wieder viel im Park gelesen, bin süchtig nach meinem Buch. Zdrasdi. Ich schaue hoch und vor mir steht ein kleines Mädchen an einer Leine. Habe sie zurückgegrüßt und musste Lachen. Ich finde das sieht einfach nur seltsam aus. Ansonsten habe ich nochmal alleine einen Abendspaziergang zum Monument gemacht, in der Abendsonne Ananas gegessen und den Gedanken freien lauf gelassen.

Das Wochenende habe ich in Ruse verbracht. Vier Stunden Zugfahrt, ein Katzensprung. Dort habe ich mich mit zwei neuen Freiwilligen, Steffi und Sandra getroffen. Kennenlernen, die Stadt erkunden, an der Donau spazieren gehen. Die Stadt ist größer als Shumen und irgendwie gelange ich immer wieder an den Punkt, dass mich etwas an Frankreich erinnert. So also auch Ruse. Ich weiß echt nicht, was es ist. Die Mentalität der Menschen, die zahlreichen Quechua Rucksäcke, die Sprache oder doch die Architektur? Vielleicht alles zusammen. Vielleicht auch die Tatsache, dass Ruse eine Grenzstadt ist. Wenn man an der Donau entlang spaziert, kann man auf der anderen Seite Rumänien sehen. Meine Grenzerfahrung 🙂 Das hat mich sehr an die Grenze zu Frankreich, am Rhein erinnert, also die Landschaft. Die Uferpromenade ist sehr schick und auch ansonsten sieht die Stadt echt gut aus. An der Donau gab es einen nachmittäglichen Rave, zu dem ein paar Kinder total abgegangen sind. Ein weiteres Highlight der Stadt: ein Baum, den man umarmen muss, damit die Wünsche in Erfüllung gehen. Haben wir gemacht. War sehr schön. Im Park haben Sandra und ich noch einen viel zu süßen Eistee getrunken und geredet. Ich habe im Hostel eingecheckt. Vasil von der Rezeption war ein bisschen verplant. Meine Buchung hat er nicht gesehen, also habe ich ein Zimmer bekommen, dass noch gar nicht auf der Webseite steht. Die ganzen verschlungenen Treppen hoch, bis ganz nach hinten durch ins letzte Zimmer. Sehr schön. Das ehemalige inoffizielle Haus des früheren Premierministers.

Da es nen Stromausfall gab, haben wir für einen Salat eingekauft. Bei Steffi wurde der zubereitet, aber ich war die ganze Zeit abgelenkt von ihrer Designer-WG. Die Wandfarben, die Möbel, der Ofen, der Boden, das Bad. Traumhaft. Ich glaube das ist die schönste Wohnung Bulgariens und Deutschlands. Aus Müdigkeit und Faulheit haben wir den Sonnenuntergang, der so grandios sein soll an der Donau, aus der Wohnung aus betrachtet. Was ich im nachhinein echt bereue. Wir haben leckeres Eis Sorbet gegessen, übers Reisen und Studium gesprochen, ganz neue Konstellation, dass ich plötzlich die Jüngste am Tisch war. Nachdem wir noch ein bisschen mit Maria, Steffis Mitbewohnerin gesprochen haben, ging ich zurück ins Hostel um zu schlafen. Mit den hohen Decken, den alten Fenstern und Vorhängen ein wirklich schönes Zimmer.

Sehr zufrieden über meine erste Nacht alleine in einem Hostel, eine bereichernde Erfahrung, durch die ich mich sehr Erwachsen fühle, war es ein perfekter Start in den Tag. Auschecken, in der Sonne laufen, dem geplätscher vom Brunnen lauschen, Tagebuch schreiben. Gemeinsames veganes Frühstück an der Donau. Der Zug fährt direkt am Park vorbei und hupt immer sehr laut und oft, damit auch ja alle Kinder angerannt kommen um ihm zu winken. Ein wahres highlight. In der Sonne zu sitzen und die Donau entlang spazieren, genau das richtige für einen Sonntag. Wir saßen am Wasser, neben uns eie Mutter mit Sohn beim Angeln. Dann ging es ein wenig schneller Richtung Bahnhof.

Schienenersatzverkehr, also sehr hektisch einen Bus gesucht und zum Glück in letzter Minute gefunden. Typisch Deutsch, dass ich mir da so einen Stress gemacht habe. Zeit, Zeit, Zeit. Über dieses Thema haben wir morgens noch beim Frühstück philosophiert und auf der Rückfahrt sollte mir der unterschiedliche Umgang mit Zeit bewusst werden. Ich liebe es so sehr in einem Bus voller Bulgaren zu sitzen, ohnen einen wirklichen Plan, ob ich richtig bin. Aber irgendwie kümmern sich alle immer so rührend um mich, dass ich mittlerweile darauf vertraue am richtigen Ort anzukommen. Wir brettern durch eine Landschaft, die wäre sie auf einem Foto abgedruckt, viel zu kitschig wäre. Aber in echt einfach wunderschön. Schafe, Kühe, Pferde grasen ohne Zaun. Die wellenförmigen Acker, Rapsölfelder, 2000er Popmusik aus dem Radio. Plötzlich vor uns ein anderer Bus am Straßenrand mit einem Motorproblem. Sofort wird mit einer Selbstverständlichkeit angehalten, die ich so nicht aus Deutschland kenne. Ein paar steigen aus. Um zu helfen oder zu rauchen. Mein erster Gedanke: Oh nein. Ich verpasse meinen Anschlusszug! Was ne deutsche Art zu denken. Der Kontrolleur telefoniert, ruft bei der Bahn an, sie sollen auf uns warten. So regelt man das hier. Ich werde gelassener, schäme mich, für mein egoistisches Denken. Nachdem dem Busfahrer geholfen wurde steigen alle wieder ein. Im Radio läuft der Ketchup-Song. Es geht weiter. Und tatsächlich steht am Bahnhof der Zug bereit, wartet auf uns. Das ist eine andere, sozialere Art, mit der Zeit umzugehen. I like it.

Auf der Zugfahrt google ich Lavendel Bulgarien. Soner hatte mir erzählt, dass hier viel Lavendel angebaut wird. Und tatsächlch! Ich kann es kaum glauben. Neuer fact für alle: Bulgarien ist weltgrößter Lavendelproduzent und hat die Provence vor einigen Jahren abgehängt, nachdem die Lavendelbauern dort mit einem Schädling zu kämpfen hatten.

Seitdem wird im Nordosten von Bulgarien Lavendel angebaut. Lavendel und Rosen. Arbeitsplätze werden geschaffen, die Wirtschaft wird angekurbelt und meiner Recherche nach auch Projekte im Bildungssektor unterstützt. Tatsächlich habe ich in einem davon schon einmal eine heiße Schokolade getrunken. The social Teahouse, ein Café in dem Waisenkinder, die jetzt Erwachsen sind als Baristas arbeiten und Seminare und workshops abgehalten werden. Echt interessant, dass man immernoch so viel neues lernen kann.

Ich lege mein Handy weg. Mein Kopf schmerzt. Sonnenstich. Mein Gesicht ist rot. Wie soll das nur im Sommer werden…

Auch heute, nach meinem Waldspaziergang mit Rumy glüht mein Gesicht wieder. Trotz Sonnencreme. Naja. Der Frühling ist da, die Bäume und Blumen blühen, die Stimmung wird besser, mein Wochenplan ist geschrieben. Ich hoffe ich habe nichts vergessen.

Gerade beim Einkaufen habe ich mich noch mit der Kassiererin darüber unterhalten was Süßkartoffel heißt und schon wieder vergessen…Jetzt genieße ich noch den Abend.

Лекар! (Lekar) Guten!

 

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