Die Shumenshow

Neues vom Nachbarbalkon (Tag 134-140)

здравейте!

Ich habe gerade so viele Aufsätze/Erörterungen korrigiert, dass ich tatsächlich selbst Lust bekommen habe eine zu schreiben, meine ehemaligen Deutschlehrer vieeeel besser verstehen kann, weil man echt irgendwann gar nicht mehr weiß, was man da eigentlich gerade liest und zu guter Letzt habe ich deshalb jetzt das Bedürfnis diesen Text hier besser zu strukturieren.

In diesem Beitrag möchte ich über drei Ereignisse der Woche schreiben und natürlich noch einfach so ein paar Quatschgedanken.

Also als Erstes ein paar Impressionen meines Wochenendausflugs mit Schülern der 8. Klasse nach Preslav, der ersten Hauptstadt Bulgariens. Die Stadt ist etwa 30 Minuten von Shumen entfernt und eine Famlienfreundin einer Schülerin war so freundlich uns dort hinzukutschieren. Treffpunkt war am sonnigen Samstag um 10 Uhr vor der Schule. Maria war schon da und Danelia, samt Auto kam auch pünktlich. Dann noch Nesche und wir waren so gut wie vollständig. Nur auf Gabriel mussten wir noch warten. Unser Gespräch war ein bisschen stockend, smalltalk, aber ein bisschen Bulgarisch habe ich auch verstanden. Wir haben Witze gemacht, dass alle Schüler der Klasse entweder mit nach Preslav kommen, in Varna shoppen sind, oder in der dominikanischen Republik Urlaub machen (ein Schüler). Wir haben Gabi angerufen und waren uns sicher, dass er noch am fortnite spielen war. Doch dann hielt ein Auto hinter uns – der langersehnte Gabi? Nein, eine Frau mit zwei Mädchen, die uns fragte, ob wir nach Preslav fahren, ja. Die anderen waren sichtlich genauso irritiert wie ich und hatten keine Ahnung wer diese Fremden sein könnten. Dann kam endlich noch ein Auto: Gabi samt Bruder und Eltern. Aufklärung: die drei im anderen Auto sind Familienfreunde und die beiden Familien sind im Anschluss nach Varna weitergefahren.

Also bei strahlendem Sonnenschein ab nach Preslav. Mit Danelias Hilfe ging es einmal im Carré um ein Wohnviertel mit ziemlich steilen Straßen. Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung was wir dort gesucht haben. Jedenfalls ging es dann aus der Stadt raus und ins nahegelegene Kloster Patlejna. Unterwegs nochmal ein kurzer Stopp, bis die nun vier Autos alle beieinander waren. Eine weitere Schülerin plus Mutter übernahmen die Rolle der Reiseleiter. Am Kloster angekommen – Totenstille. Außer ein paar Vögel, absolut idyllische Urlaubsstimmung. Dann habe ich erstmal ein Kompliment für meine Docs bekommen von Gabis Mutter. Da war sie mir natürlich sofort sympathisch. Vorallem weil es dann später noch superleckeres Käsegebäck gab. Im Kloster habe ich dann ne Runde Kerzen ausgegeben und dann ging es auch schon weiter zur Festung (крепоцт Krepost) von Veliki Preslav. Gabis Vater hat mir auf Englisch ein bisschen über Bulgariens Geschichte, Tempelritter usw. erzählt. Echt spannend. Dann haben sie sich verabschiedet für ihren Wochenendtrip, natürlich nicht ohne mich einzuladen mitzukommen in ein Spa mit heißen Quellen. Ich habe dankend abgelehnt und gesagt ein anderes mal gerne.

Also Tschüss Hälfte der Gruppe, und nur noch der weibliche Teil blieb übrig. Es gab eine Einführung über das Gelände auf Bulgarisch und einen Anruf der Deutschlehrerin, die sich vergewissern wollte, dass die Schüler auch ganz viel Deutsch sprechen. Klaro. Geschichtliche Ereignisse in einer Fremdsprache zu erklären, die man gerade mal ein halbes Jahr lernt, ganz schön anspruchsvoll, aber mittlerweile habe ich so halb nen Durchblick über die ganzen Zare und Khane.

Die goldene/runde Kirche

Dann ging es noch weiter ins Museum mit Tresorraum in dem ein Goldschatz aufbewahrt wird. Das Museum ist voll mit Scherben, Schmuck und Werkzeugen. Funfact aus der Region: überall wo gebaut wird findet man irgendetwas von den Römern, Thrakern, Goten oder einem anderen Volk. Das geht so weit, dass manche Privatleute einfach wieder alles zuschütten, bevor sie eine Ausgrabungsstätte im Vorgarten bekommen.

Das Panorama in der Region ist traumhaft. Ich dachte, dass ich im Flachland wohne, dabei sind die Berge gar nicht mal so weit entfernt.

Aus dem Souvenirshop wurden mir gleich noch ein paar Andenken gekauft. Sehr süß. Und die Mädchen bringen mir bald ein paar bulgarische dancemoves bei.

Dann wurde ich gefragt, ob ich nicht noch nach Pliska, die zweite Hauptstadt Bulgariens möchte. Klar! Zwei Hauptstädte an einem Tag und damit war ich jetzt in allen Hauptstädten Bulgariens. Pliska liegt 20 Minuten auf der anderen Seite von Shumen. Also ging es auch dort noch ins Museum.

Die Sonne hat mich ganz träge gemacht, obwohl es erst 16 Uhr war, als wir zurück in Shumen angekommen sind, war ich echt fertig von den viele Infos, aber auch echt beeindruckt, wie gut man sich doch verständigen kann mit einem noch kleinen Wortschatz.

Auf dem Heimweg bin ich durch eine volle Fußgängerzone voller Martinitsi Stände gelaufen, dazu gleich mehr.

Ich habe ein paar Nachrichten auf dem Handy beantwortet und plötzlich auf Facebook eine Meldung bekommen: ein Foto von meinem Ausweis. Geschockt bin ich stehengeblieben.

Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich meinen Ausweis verloren habe, kurz darauf aber festgestellt, dass mein kompletter Geldbeutel nicht mehr da ist. Kurz hatte ich richtig bammel. Die Nachricht, die ich bekommen habe war auf Bulgarisch und nachdem klar war, dass der Geldbeutelfinder nur Russisch als Fremdsprache kann, war ich gezwungen die Angelegenheit auf Bulgarisch zu klären. Ich habe den Geldbeutel in Pliska verloren, aber zu meinem großen Glück wohnt der Typ in Shumen um die Ecke.

Also hatte ich meine Sachen nach 4 Stunden wieder zurück. Meine ganzen Karten waren sogar nochmal extra gesichert in meinem Münzfach verstaut worden. Ihm war wohl klar, dass mir öfter was aus dem Geldbeutel fällt. Ich bin echt sehr erleichtert, dass alles so gut gegangen ist. Er wollte mich sogar noch nach Hause fahren, aber ich wollte mein Glück nicht noch mehr herausfordern an diesem Abend.

What a day. Ereignisreich, voller chaotischer und schönen Momente.

Am Sonntag bin ich dann mal wieder mit Viki zusammen Rumy besuchen gegangen. Wie schon vermutet, gab es wieder Baniza, Tee und Obst. Viki hat ihre Martinitsi Materialien ausgepackt und kurz darauf waren wir beide auch schon im meditativen Jenseits des Knüpfens verschwunden, während Rumy für die richtige Stimmung gesorgt hat. Entspannungsmusik, noch mehr Tee und Kekes und später auch noch Wein mit Kräutern. So eintspannt habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Rumy hat ihr komplettes Haus auf den Kopf gestellt und von überall noch mehr Material gebracht. Einzelne Ohrringe, Steine, Muscheln, Wolle, Perlen, …Viki hat uns ihre verschiedenen Techniken gezeigt und kurz darauf war Rumy klar, dass wir das perfekte Team bilden und einen workshop machen sollten.

Unser eigentlicher Grund für den Besuch war ein Waldspaziergang um die Frühlingsblumen zu sehen. Von Rumy wurde ich gleich mit einer ganzen Auswahl an Mützen konfrontiert, nachdem ich ihr erzählt hatte, dass ich meine verloren habe. Nora und Sara (Rumys Hunde) waren auch mit von der Partie. So ging es rauf aufs Plateau. Die friedlich Stille wurde nur von zwei Mopedfahrern gestört, die die Waldwege unbedingt matschig machen wollten. Da war es dann vorbei mit der Beobachtung von Rehen. An Rumys und mittlerweile auch meinem Lieblingsplatz angekommen, haben wir die Aussicht auf die Festung und die in der Sonne liegende Stadt genossen. Rumy im Gras liegend, wir auf einem Baumstamm sitzend. Vitamin D dankend und friedlich schweigend. Immer wieder habe ich es hier im Gefühl: an diesen Moment werde ich mich erinnern. Und diese Momente kommen so viel öfter und spontaner als gedacht.

Auf dem Rückweg hat Rumy noch Müll eingesammelt, die gute Waldfee. Dann haben wir noch ein bisschen gebastelt und geredet, über die große Leidenschaft, die uns drei verbindet: Zeit alleine mit sich zu verbringen. Genau das habe ich dann abends gemacht.

Ästhetik a la Karla: zerflossenes Wachs auf einem Arbeitsblatt mit Reflexivpronomen, der Tisch wurde nicht ganz gerettet…
Noch mehr ramontische Kerzenästhetik

Süßkartoffel-Spinat Curry Kombi gekocht, YouTube videos geschaut, Yoga gemacht und mal wieder realisiert, wie cool es doch meistens ist, alleine zu wohnen.

So nach diesem erholsamen Wochenende war gestern Честита Баба Марта (Glückliche Großmutter März). Ein bulgarisches Fest, dass ich jetzt noch ein bisschen erklären möchte. Nach einer Internetrecherche und nachfragen bei allen möglichen Leuten, denke ich, dass ich es jetzt verstanden habe.

Am 1.März schenkt man hier Freunden und Familie die typischen weiß-roten Armbänder (Martenitsi). Die Armbänder sollen baba marta milde stimmen, damit sie es nicht schneien lässt. Außer Armbänder gibt es auch noch Broschen, die man an diesem Tag trägt. Der Tag wird auch verkörpert von den zwei Figuren Pischo und Penda.

Ob als Whatsappgruß…

 

…auf dem Kreisverkehr…
…oder von den Nachbarskinder gebastelt im Flur, begegnen einem die Figuren überall.

Man wünscht seinen Lieben Gesundheit und Glück für das kommende Jahr. Sie stehen für Fruchtbarkeit. Oft werden sie beim ersten Frühlingszeichen, bspw. einem Storch, an einen Baum gehängt, oder unter einem Stein versteckt. Oder nach einem Monat, also am 1.April. Wenn man das Armband abmacht/aufhängt, darf man sich etwas wünschen. Das ist der Grund warum hier eigentlich überall das ganze Jahr über rote und weiße Armbänder in den Bäumen hängen. Am Anfang habe ich mich schon sehr gewundert.

Kleiner Scherz, der zwischen mir und Sophia entstanden ist. Das ist natürlich keine festliche Dekoration

Also meine Google-Recherche hat ergeben, dass es diese Tradition auf dem ganzen Balkan gibt. Der Ursprung ist nicht eindeutig. Für uns ist Baba Marta am ehesten mit Frau Holle gleichzusetzen, die nochmal den letzten Schnee bringt und dann kommt der Frühling.

Ich habe mich sehr auf mein erstes bulgarisches Fest gefreut, doch gestern war irgendwie überhaupt nicht mein Tag. Wie das manchmal so ist hat einfach nichts so geklappt wie ich wollte. Da war es umso schöner den ganzen Tag beschenkt zu werden. Vorallem mit meiner großen Armbandleidenschaft. Sogar vor meiner Tür lagen Armbänder von meinen Nachbarn. Das hat meinen Tag definitiv gerettet.

Ein typisches Handgelenk am ersten März
Die weniger ästhetische, dafür umso nervigere andere Seite

Aus Umweltgründen werde ich natürlich nicht alle meine Armbänder in der Natur verteilen, aber eins muss schon sein, um der Tradition willen.

In einem Päckchen mit Armband war auch dieser kleine Zettel. Ich dachte es wäre eine Glückskeksweisheit, aber nachdem Soner es für mich übersetzt hat wurde ich doch ein bisschen enttäuscht.

Dort steht: „Richte deinen Pony/deine Frisur, denn du wirst in den Spätnachrichten gezeigt“ Erstmal ziemlich stupide, aber dann auch wieder doch ganz passend, weil der Zettel offenbar in die Zukunft schauen kann. Soner hat mir dann nämlich erzählt, dass er am Mittwoch, Bulgariens Nationalfeiertag, ein Interview mit mir aufzeichnen möchte, also wird es höchste Zeit für mich meine Frisur zu richten, oder mir einen Pony zu schneiden.

So, das war mein Wochenupdate. Fehlt nur noch das update vom Nachbarbalkon. Ich mach so ein clickbaiting, aber da der Balkon so gut ankommt, musste es sein. Aus Datenschutzrechtlichen Gründen möchte ich nicht von meinen Nachbarn dabei beobachtet werden wie ich ihren Balkon fotografiere. Außerdem möchte ich nicht die Fantasie von jedem zerstören, der sich diesen wundersamen Balkom vorstellen möchte.

Also werde ich mal wieder einfach nur mit Worten beschreiben, was sich nun auf dem Balkon abspielt. Wurst und Kuscheltiere wurden ersetzt von einer Bulgarienflagge. Ich denke, die wurde passend für den morgigen Nationalfeiertag gewaschen und hängt dort nun zum Trocknen.

Gestern war mein erstes bulgarisches Fest. Die Armbänder waren wirklich überall, eine wichtige Tradition. Ich bin aber gespannt, wie viele Menschen die Armbänder auch eute noch wirklich tragen. Morgen gibt es dann schon die nächsten Zeremonien, Reden, Blumen an Statuen und Feuerwerke zu sehen. Schulfrei, aber trotzdem eine Veranstaltung an der Schule. Ich bin gespannt.

хубов ден! (schönen Tag noch 🙂

 

 

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