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Drei Wochen kunterbunte Karussellfahrt

An sich sind drei Wochen nicht viel Zeit. Und wenn ich so darüber nachdenke, dann fällt mir auch nach langem Grübeln kein Zeitabschnitt ein, in dem sich mein komplettes Leben so schnell so stark verändert hat, wie in der jüngsten Zeit.

Wenn ich mir die letzten drei Wochen vor Augen führe, dann wird mir klar, dass ich in noch nie so viel Umbruch erlebt habe, wie es in den letzten 25 Tagen seit meinem letzten (und ersten) Blogeintrag der Fall war.

Ich sehe mich noch immer gemütlich Zuhause auf dem Sofa sitzen, den Koffer geöffnet aber noch nicht gepackt, wie ich den besagten ersten Blockeintrag schreibe.

Und nun sitze ich hier in meinem kleinen, aber super gemütlichen, pinken Zimmer bei meiner Gastfamilie im siebzehnten Bezirk im Budapester Osten: Mein Koffer ist schon wieder geöffnet, diesmal jedoch ausgepackt und leer, verbannt in die Abstellkammer. Alles ist verstaut, soweit es der Platz eben zulässt. Meine Zimmerwände sind dekoriert und der Kühlschrank bereits ein wenig an mich angepasst (ganz ohne Erdbeermarmelade und Nutella geht es dann doch nicht ?).

Langsam dreht sich das Karussell in meinem Kopf ein wenig langsamer, die erlebten Eindrücke sammeln sich und ich kann sie für mich sortieren. Mein vorläufiges Fazit für die letzten drei Wochen: Eine jetzt schon unglaubliche Zeit, aber gleichzeitig auch Input pur. Ich fühle mich, wie gesagt, wie in einem Karussell, auf dem ich durch mein Leben rausche. Dabei immer die mir komplett unbekannte Sprache wie eine nie endende Hintergrundmusik im Ohr, die Gesichter immer neuer Menschen, die an mir vorbeirauschen und gleichzeitig auch unzählige andere Eindrücke, die ich noch gar nicht alle sammeln und aufschreiben kann. Ja, in den letzten drei Wochen ist einfach unglaublich viel passiert:

Am 1. September bin ich schon relativ früh morgens mit dem Bus von Rheine in Richtung Hamm gefahren und von dort nach Berlin. In der Hauptstadt, genauer gesagt am Werbellin-See, habe ich mich mit etwa 320 weiteren Freiwilligen auf meine Zeit im Ausland vorbereitet. In Seminaren, Workshops, und den sogenannten „Homezones“ (dessen Mitglieder ich schon ein wenig vermisse) hat uns kulturweit eine ganze Reihe an Tipps, Tricks und Denkanstößen mit auf den Weg gegeben, von denen ich den ein oder anderen auch schon benutzt habe.

In diesen 10 Tagen am Werbellin-See hatte ich persönlich noch das Gefühl, ich würde nur auf eine große Klassenfahrt fahren. Eine Klassenfahrt mit über dreihundert Leuten, die ich noch nie gesehen hatte. Aber das war vielleicht auch der Grund, warum man einfach so schnell Anschluss gefunden hat und man nun das Gefühl hat, man würde einige der Leute schon seit Langem kennen.

Als eine der wenigen hatte ich mich entschieden, schon direkt am 10.09. im Anschluss an das Seminar von Berlin aus nach Budapest zu fliegen (wo ich wahrscheinlich einen der letzten, noch nicht gecancelten Air-Berlin-Flüge erwischt habe…). Die Reise verlief ohne Komplikationen, die Flugzeit war sogar kürzer als vorher angekündigt. Als wir gegen dreiundzwanzig Uhr landeten, erwarteten mich schon meine Gasteltern Zsuzsi und Raul. Obwohl ich nach acht Stunden Flughafen und Flugzeug doch ziemlich erschöpft war, ließen es sich Zsuzsi und Raul nicht nehmen, mir Budapest bei Nacht zu zeigen. Und ich muss sagen, dass ich die Stadt im Dunkeln beleuchtet fast noch schöner finde, als am Tag. Dass mein Handy-Akku um Mitternacht endgültig seinen Geist aufgegeben hatte, war wirklich ein Jammer.

Das ungarische Parlament um Mitternacht, etwa eine Stunde nach meiner Ankunft in Budapest

 

Gegen zwei Uhr am nächsten Morgen erreichten wir dann endlich mein neues Zuhause für die nächsten drei Monate: Eine gemütliche Doppelhaushälfte direkt neben einer Wiese in einer Spielstraße. Mein Schlafzimmer liegt direkt neben der Haustür, deshalb musste ich meine Koffer – zum ersten Mal seit zehn Tagen – nicht noch über irgendwelche Treppen und durch das halbe Haus schleppen. Ich bekam noch in der Nacht eine Kurzeinweisung in Sachen Küchengeräte, Fernseher, Dusche und Alarmanlage. Im Anschluss drückten meine Eltern mir auch direkt meinen eigenen Hausschlüssel in die Hand.

Denn den nächsten Tag verbrachte ich auch direkt alleine Zuhause, da meine Gasteltern arbeiten und meine Gastschwester Karolina und mein Gastbruder Richi in der Schule waren. So hatte ich dann wenigsten Zeit, mich in Ruhe einzurichten und die Küche auszuprobieren, was sich bei einem Touchscreen-Herd und einer Hightech-Mikrowelle als ganz schönes Abenteuer entpuppte.

Als meine Gastmutter dann am späten Nachmittag von der Arbeit kam, bot sich mir auch schon die Gelegenheit, meinen neuen Arbeitsplatz, die Grundschule in der Ujlak utca, zu besichtigen. Denn wie Zsuzsi mir erklärte, war dort an diesem Tag Elternsprechtag und das Gebäude deshalb geöffnet.

Ich hatte mir die Schule immer ein wenig wie meine eigene Grundschule vorgestellt, vielleicht ein wenig größer, da die Grundschulen in Ungarn schließlich bis zur achten Klasse gehen. Was ich dann allerdings besichtigte, stellte sich eher als riesiges, buntes Labyrinth heraus und in diesem Augenblick habe ich mich ernsthaft gefragt, wie ich am nächsten Morgen auch nur den Weg ins Lehrerzimmer im ersten Stock am anderen Ende des Gebäudes finden sollte, ganz zu schweigen von den Klassenräumen.

Mit etwas gemischten Gefühlen machte ich mich deshalb am nächsten Morgen mit meinen Gastgeschwistern auf den Weg. Dabei war mir das morgentliche Prozedere in meiner Gastfamilie direkt sympathisch, da mich das etwas hektische Gerenne direkt an Zuhause erinnert hat. Ein ordentliches Zeit-Management werde ich mir also auch hier nicht direkt zulegen müssen ?

Kurz vor acht Uhr kamen wir dann in der Schule an und ich wurde im Lehrerzimmer von meiner Ansprechpartnerin Andi in Empfang genommen, mit der ich auch noch einmal einen Rundgang durch die Schule unternahm, und die mir dann meinen ersten provisorischen Stundenplan für meinen ersten und den kommenden Tag erklärte.

Seit dem letzten Mittwoch habe ich nun einen festen Stundenplan, der alle acht Jahrgangsstufen abdeckt. Dazu muss man vielleicht kurz erklären, dass jeder Jahrgang sechs Klassen hat, wobei nur die d- und e-Klassen deutschgeprägten Unterricht haben, und ich deshalb auch nur in diesen Klassen arbeite. In den d-Klassen wir beispielsweise neben Deutsch als erster Fremdsprache auch Mathe, Naturkunde, Geographie, Literatur, Geschichte und Volkskunde auf Deutsch unterrichtet. Und wer nun, wie ich, dachte, dass es im Fach Landeskunde um Ungarn geht, der irrt sich, wird genauso überrascht sein wie ich. Denn im Volkskunde-Unterricht geht es um Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein. Wer hätte das gedacht?

Neben solchen Dingen erstaunt es mich nach über einer Woche an der Grundschule doch immer wieder, wie gut in allen Klassen Deutsch gesprochen wird. Dabei erwische ich mich zwangsläufig immer dabei, wie ich die Deutschkenntnisse der Schüler hier mit meinen eigenen Englischkenntnissen in deren Alter vergleiche.

Da meine erste Stunde in jeder Klasse eine offene Fragenrunde an mich war, war ich umso verblüffter, dass mir schon die Zweitklässler Fragen in relativ fließendem Deutsch stellten, wie „Wie alt sind deine Geschwister?“ oder „Hast du ein Lieblingsbuch?“. Nachdem ich mich also in den ersten zwei, drei Tagen weder im Klassenraum noch im Lehrerzimmer vor der Bombardierung mit Fragen retten konnte, durfte ich schon am Ende der ersten Woche eine halbe Stunde selbst halten. Ich glaube man kann generell sagen, dass sich die Lehrerinnen sehr auf meine Ideen einlassen und mir vor allem in den oberen Klassen die Möglichkeit geben wollen, möglichst viel mitzugestalten, worüber ich mich natürlich sehr freue.

Neben der Schule habe ich aber auch genügend Freizeit, um ein wenig meine Umgebung auszukundschaften: Deshalb ging es am Samstag auch direkt ins Stadtzentrum, wo ich mich mit einigen anderen kulturweit-Freiwilligen getroffen habe. Und obwohl ich fast zehn Stunden in der Stadt war, reichte die Zeit nur aus, um hier und da ein wenig hineinzuschnuppern, wie etwa in die Váci-utca, die bekannteste Einkaufsstraße Budapests, die Donau-Promenade, den Rosenhügel oder das Vigadó, ein Konzerthaus. In den kommenden Monaten gibt es auf alle Fälle noch eine Menge zu sehen und zu entdecken!

U-Bahn-Station am Vörösmarty-tér

Blick auf das Parlament bei Tag

Treppe in der Eingangshalle des Vigado

Blick auf die Donau von der Panorama-Terrasse des Vidago

Obwohl es, Dank meiner tollen Gasteltern, kaum Verständigungsschwierigkeiten gibt (nicht einmal beim Zahnarzt, den ich auch schon aufsuchen musste), habe ich mir jetzt für die kommende Woche vorgenommen, endlich einen richtigen Sprachkurs zu finden, damit ich wenigstens ein wenig mit den Leuten in ihrer Landessprache sprechen kann!

So viel erstmal von mir. Ihr seht, ich bin nicht nur körperlich gut angekommen, sondern lebe mich hier auch langsam aber sicher ein. Ich denke, ich werde jetzt auch die Zeit finden, ein wenig öfter ein paar Zeilen zu schreiben und ein paar Fotos mit euch zu teilen.

Und bis dahin…

Szia!

Eure Carolin

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