„No russki!“ – Ankommen in Chambarack

Die Fahrt am Dienstag von Yerevan zu meinem Einsatzort, Chambarack, führt uns durch die kaukasische Landschaft und am Sevan-See vorbei, wo wir einen Sight-Seeing-Zwischenstopp einlegen, einen armenischen Kaffee trinken und ich mich für ein paar Fotos auf ein fremdes Boot vor dem See stellen soll. Wir haben Glück mit dem Wetter, für Mitte September ist es noch sehr sonnig und angenehm warm.

Chambarack selbst ist ein kleiner Ort zwischen den Bergen, nahe der aserbaidschanischen Grenze.
Mein erster Eindruck: Es ist seehr ländlich. Auf dem Schulhof laufen Hühner und Gänsescharen, manchmal begegnet man einem Kalb auf der Straße und Kühe, Schweine und andere Tiere sind nicht hinter Gattern und Zäunen, sondern laufen einfach frei auf den Feldern herum.

Die Sprachbarriere bekomme ich jetzt in voller Wucht mit, oft werde ich auf Russisch oder armenisch angesprochen („no russki“ und „ees tsheem hayastan chossum em“ sind wahrscheinlich die Ausdrücke, die ich die letzte Woche am häufigsten verwendet habe). Ich versuche zwar, so viel wie möglich auf Armenisch zu antworten, doch meistens verstehe ich nicht einmal die Frage.

Die Schule macht einen sehr freundlichen Eindruck auf mich, auch wenn alles ein wenig schäbig aussieht, ist es voller Leben und ich bin mir sicher, dass ich mich hier sehr wohl fühlen werde. Als ich am nächsten Tag gegen 10Uhr wieder dort ankomme, werden mir im Lehrerzimmer Äpfel, Süßigkeiten und armenischer Kaffee angeboten, in bruchstückhaftem deutsch fragen meine neuen Kollegen nach meiner Familie und bringen mir ein paar Wörter armenisch und russisch bei.

Der Eingang der Hauptschule No. 1

Neben dem Hospitieren habe ich auch schon die erste Aufgabe bekommen: Ich soll den Lehrern einer Bremer Schule, die am 30.September kommen werden, ein Konzept für eine Projektwoche zum Thema „Müll“ vorstellen. Sollte eine Partnerschaft zwischen den Schulen entstehen, wird das Projekt im Frühling mit den Schülern beider Schulen hier in Chambarack durchgeführt werden. Zwischen den Stunden, die ich im mit im Deutschunterricht sitze, arbeite ich hieran.

Eline, eine der Deutschlehrerinnen, stellt mich auch einigen Schülern vor, erst einer Gruppe 9.Klässler (die höchste Klasse dieser Schule) mit sehr komplizierten Namen, von denen ich die meisten in der Sekunde vergesse, in der ich sie höre, danach einigen Siebtklässlerinnen, die nach einer Unterrichtsstunde zu mir kommen. Als ich, auf die Frage nach meinen Hobbys, erzähle, dass ich gerne zeichne, werden sie aufgeregt und bitten mich, sie heute Nachmittag in die Kunstschule zu begleiten. Emma schärft ihnen (auf Armenisch) noch ein, mir ein bisschen den Ort zu zeigen und mit mir zum Supermarkt zu gehen, dann wuselt die aufgedrehte Gruppe wieder davon, um mich am Nachmittag abzuholen.

Der Besuch der Kunstschule macht sehr viel Spaß; gleichzeitig ist es auch etwas merkwürdig, da ich mich nicht verständigen kann, sondern meine ganze Kommunikation in die Hände zwölfjähriger lege. Sie stellen eine Tafel vor mir auf, pinnen ein Blatt dran und drücken mir einen Bleistift in die Hand, dann sind wir mehr oder weniger beschäftigt, ab und zu kommt eines der Kinder zu mir, schaut mein Bild an und sagt etwas zu den anderen Kinder, die teilweise ebenfalls von ihren Plätzen aufstehen und herüberlaufen.
Da ich, außer im Kunstunterricht in der Schule, nie etwas gemalt habe, bin ich sehr langsam und werde nicht fertig mit meiner Aufgabe, als die Stunde zu Ende ist und meine kleinen Stadtführerinnen mich an der Hand wieder nach draußen ziehen. „Schnorrhakalutsjun“ – danke, kann ich den Lehrern noch zurufen, für mehr reichen meine Sprachkenntnisse leider noch nicht aus. Bevor wir die Stadt anschauen, bringen die Mädchen noch ihre Kunstmappen nach Hause, dabei ruft eine von ihnen, Goharik, ihre Mutter ans Fenster, um mich vorzuführen. Ich begrüße sie, den Rest des Gesprächs übernimmt Goharik, beantwortet Fragen nach meinem Alter und meiner Herkunft, dann ruft die Mutter ihren Sohn ans Fenster. „Das ist mein Bruder, er ist 17!“, sagt meine Übersetzerin aufgeregt, dann, nach einem weiteren Zwischenruf ihrer Mutter: „Willst du ihn heiraten?“

Nein danke, ich habe einen Freund in Deutschland, schlage ich das Angebot aus und zeige das silberne Armkettchen, dass Lorenzo mir vor meiner Ausreise geschenkt hat. Die Mutter lacht nur und wirft noch ein paar Süßigkeiten zu uns herunter, bevor sie wieder in der Wohnung verschwindet.

Freitagnachmittag gehe ich mit einer Gruppe 9.Klässler, die ein Projekt zum Thema „Biodiversität nebenan – Vielfalt im Kaukasus“ vorbereiten sollen, in den Wald spazieren und genieße die wunderschöne Natur, die Chambarack zu bieten hat, während die Jugendlichen Fotos der Flora und Fauna machen und mir manchmal Kräuter zum Essen in die Hände drücken.

Oben auf dem Hügel machen wir eine kleine Pause, und ich komme in den Genuss einer der wunderschönen Aussicht über das kleine Städtchen.

Noch einen schönen Tag 🙂

Lucy