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Über die Gesellschaft, in der ich gerade lebe

Das kulinarische Erbe Litauens

Zur Feier des Lehrertages hatte die Schulleitung des Jesuitengymnasiums einen Ausflug zu einem Gutshof organisiert. Ich war positiv überrascht, als ich erfuhr, dass der Ausflug nicht nur für die Lehrer, sondern für alle Mitarbeiter des Gymnasiums war. So saßen in dem Bus Lehrer, Freiwillige, Putzfrauen und Mitarbeiter der Schulmensa. Vor der Abfahrt wurde gemeinsam ein Gebet gesprochen und dann wünschte jeder seinem Nachbarn „Good Luck“, begleitet von einer Umarmung.

Seit Montag bin ich nicht mehr die einzige Freiwillige an der Schule. Thibaut kommt aus Frankreich, hat bereits ein Studium abgeschlossen und unterstützt das Jesuitengymnasium beim Französischunterricht. Wenn eine Unterhaltung auf Französisch stattfindet, verstehe ich sogar den Großteil der Wörter, auch wenn ich mich noch nicht wieder an das Sprechen gewagt habe. Ich konzentriere mich erst einmal auf Litauisch. So unterhielten wir uns die Busfahrt über auf Englisch und tauschten Erfahrungen aus.

Am Ausflugsort unserer Reise angekommen, strömten wir aus dem Bus und wurden mit einem eindrucksvollen Blick auf den Gutshof begrüßt. Links neben dem Hauptgebäude befand sich die „Küche“, welche unser Ziel war.

An der Bar vorbei betraten wir einen abgetrennten Raum, in dem zwei lange Tafeln für unsere Gesellschaft gedeckt waren. Glücklicherweise formte sich an dem hinteren Ende des vorderen Tisches eine sogenannte „Deutschecke“, wo alle Deutschlehrer aufzufinden waren. Thibaut und ein Französischlehrer gesellten sich zu uns.

Als alle einen Platz gefunden hatten, begrüßte uns der Inhaber der Gutshofküche und gab uns einen Einblick in die Geschichte des Anwesens. Hier zeigte sich der logische Vorteil unserer Anordnung, weil die Deutschlehrer neben mir gerne seine Worte übersetzten. Gegenüber von mir wurde auch Thibaut konstant eine Übersetzung ins Ohr geflüstert.

Den Gutshof gibt es bereits seit dem 15. Jahrhundert. Vor der Öffnung des Restaurants wurde einiges restauriert. Die Pflastersteine im ersten Raum, wo die Theke ist, sind zum Beispiel noch original. In unserem Raum sind ebenso die Ornamente an der Wand und ein Geschirrschrank erhalten. Die traditionelle Uniform der KellnerInnen wurde sogar eigens von einer Designerin für das Restaurant entworfen. Da die Designerin kein Internet nutzt, sind sie umso einzigartiger.

In der Räucherei sind noch drei Karten des Anwesens erhalten. Die erste ist aus dem  17. Jahrhundert und die dritte Karte ist aus dem Jahre 1924, wo der Gutshof gekauft wurde. Im Laufe der Jahre hat der Gutshof verschiedenen Nutzen gefunden. So war er einmal ein Krankenhaus, ein Priesterseminarium und der Wohnsitz Adliger. Eine Besonderheit ist, dass der Gutshof niemals Sklaverei gesehen hat. Die einfachen Bauern bekamen Gehalt, manchen wurde sogar Land zugesprochen.

Heutzutage versucht der Gutshof nachzubilden, wie das Essen im 19. Jahrhundert war. Wir erlebten sozusagen eine kulinarische Expedition in das 18. – 19. Jahrhundert und aßen dieselben Speisen, die damals den vornehmen Herren vorgesetzt wurden. Zu dieser Zeit wurde oft Alkohol zum Kochen verwendet. Aus diesem Grund fragen Besucher heutzutage häufig nach der Mahlzeit, ob sie noch Autofahren dürfen. Auch alte Gewürze werden bei der Zubereitung der Gerichte verwendet.

Die traditionelle Reihenfolge der damaligen Zeit ist wie folgt: Es beginnt mit einem Snack, das zweite Gericht ist eine Suppe, darauf folgt eine Salat und dann wird die Hauptspeise serviert. Das ganze wird mit einer sogenannten Aufmunterung abgerundet.

Wir hielten die Reihenfolge nicht perfekt ein. Ein Grund dafür war, dass wir – um das kulinarische Erbe Litauens ganz zu erfaheren – nicht fünf, sondern volle zehn Gänge serviert bekommen würden.

Es begann mit dem Snack. Dieser bestand aus Brot mit Kräuterbutter. Das Brot war nicht das typisch litauische Brot, welches sehr süßlich schmeckt. Im Gegensatz war es ohne jegliche Süße und eher herb mit verschiedenen Kräutern. Da das Gutshof seine eigenen Bäckerei zum Brot und Kuchen backen hat, kann man dieses Brot auch in keinem Supermarkt kaufen.

Darauf folgte das zweite Gericht, Brotpfannkuchen mit Estragon. Pfannkuchen erfreuen sich generell einer großen Beliebtheit in Litauen. Meine Gastfamilie isst oft Pfannkuchen zum Frühstück und ich habe sie in meiner kurzen Zeit hier bereits so oft gegessen, dass ich keine genaue Anzahl zu nennen fähig bin. Litauische Pfannkuchen unterscheiden sich sehr stark von deutschen. Was bei uns meist groß, flach, süß und fettig ist, ist in Litauen ein handflächengroßer, leicht fruchtig, wie Banane gesüßter, Pfannkuchen.

Zu den Gerichten wurden zwei verschiedene Weine serviert. Der erste war ein Rotwein aus sechs Beeren und der zweite war ein Weißwein, ein sogenannter Löwenzahnwein.

 

Das dritte Gericht bestand aus Pastarnokas. Diese sehen aus wie runde Kroketten. Pastarnokas bedeutet übersetzt „weiße Rübe“ und ist eine Art von Gemüse.

Als viertes Gericht wurden uns gebackene Kartoffeln mit einer Heeringsfüllung vorgesetzt.

Als fünftes Gericht gab es dann einen sehr leckeren Spinat-Apfel-Salat, Rotkohl und gebackenen Karpfen auf einem Kohlblatt und Buchweizen. Dazu bekamen wir eine sogenannte Juckasauce, welche die intensive gelbe Färbung hatte, die typisch für Safran ist.

Das sechste Gericht war ein Süppchen und wäre traditionell das zweite Gericht gewesen. Die kalte Suppe war eine Gemüsebrühe mit roter Bete und wurde in einem Stielglas serviert, aus dem man sie getrunken hat.

Das siebte Gericht war der Höhepunkt der zehn Gänge. Es gab Pastarnokaspüree, Kartoffelchips und gebratene Taube mit Kirschsauce. In Litauen war man im 16. – 17. Jahrhundert der Ansicht, dass das Wild, welches man im Wald jagen konnte, Fleisch für die einfachen Bauern war und nicht für Adlige. Denen wurden ausgefallenere Fleischarten, wie Taubenfleisch, serviert. Auf dem Gutshof wurden folglich nicht so viele Gerichte mit Wild zubereitet.

In Litauen gibt es fünf Regionen: Dzūkija, Aukštaitija, Žemaitija, Suvalkija und Mažoji Lietuva, was so viel wie „kleines Litauen“ bedeutet. Alle Gerichte, die wir während unserer mehrstündigen Mahlzeit gekostet haben, sind typisch für Zanavikia, welches ein Teil von der Region Suvalkija ist.

Das achte Gericht präsentierte uns dann aber doch ein rares Stück Wildfleisch. Es gab Reh mit Johannisbeersauce und Buchweizen.

Als typisches Dessert nennt man in Litauen Lebkuchen von Torun. Dieser ist eine nationale Spezialität Polens. Dennoch wurde uns mitgeteilt, dass der Lebkuchen von Torun ein litauischer Lebkuchen ist, der nach litauischer Rezeptur vorbereitet wird.

Bevor wir zu den letzten Gängen kamen, wurde das Lehrerlotto aufgelöst. In dieses konnten die Lehrer ihren Namen geben und einen Preis gewinnen, der von Sponsoren gestellt wurde. Der Preis war ein Wochenende an einem Kurort namens Palanga an der Ostsee für zwei Personen. Pater Aldonas war hocherfreut, als sein Name aus der Bowle gezogen wurde.

Das neunte Gericht war Ente in Brot und gebratener Apfel mit französischen Mohrrüben. Ente in Brot ist eine ganz typisch litauische Spezialität.

Als zehntes und letztes Gericht wurde das Dessert angerichtet. Dieses war eine Art Stracciatella Eis, nur gab es nicht nur Schokoladen- sondern auch Limettenstückchen im Eis. Darüber waren Baumkuchenkrümel gestreut und schwarze Johannisbeersauce rundete das Ganze ab. Die schwarzen Johannisbeeren wurden für die Sauce in Wein gekocht und das Dessert war köstlich.

Insgesamt war die kulinarische Expedition ein voller Erfolg. Da ich Vegetarierin bin, habe ich auf Fleisch und Fisch verzichtet, aber ich habe trotzdem einen tollen Eindruck bekommen! Alles war liebevoll zubereitet und schmeckte ausgezeichnet. Selbst der Wein hat mir gemundet, auch wenn ich sonst nicht so affin für das alkoholische Getränk bin.

Nach dem zweistündigen Speisen besichtigten wir anschließend noch das Hauptgebäude und die angrenzenden Gebäude des Gutshofes, die als Kunstausstellung dienen, bevor es mit dem Bus wieder zurück nach Kaunas ging.

Welttag der Lehrer

Der 05. Oktober ist internationaler Lehrertag. Der Welttag der Lehrer wurde das erste Mal im Jahre 1994 von der UNESCO ausgerufen. Es ist eine Erinnerung an die Stellung der Lehrer und ihrer bedeutende Rolle für qualitativ hochwertige Bildung. Das Ziel des Welttags ist, auf die verantwortungsvolle Aufgabe von Lehrern aufmerksam zu machen und das Ansehen der Lehrer weltweit zu steigern.

Das Jesuitengymnasium feiert den internationalen Lehrertag einen Tag später, am Freitag, den 06. Oktober. Schon ab Montag laufen die Vorbereitungen, an welchen hauptsächlich die Zwölftklässler beteiligt sind. So kamen am ersten Tag der Woche Gruppen älterer Schüler in die Klassenzimmer, mit den Armen wedelnd und wie Tauben gurrend und übergaben den Lehrern einen weißen Luftballon mit der Aufschrift „pato karvelis“, auf Deutsch „Brieftaube“. Am Luftballon war ein kleiner Zettel befestigt. Dieser war eine Einladung der Zwölftklässler zu dem Fest anlässlich des Lehrertages mit anschließendem Bankett in der Lobby der Schule. Darunter war noch ein Zitat Friedrich Schillers, oder Fryderichas Šileris, wie er auf Litauisch genannt wird, abgedruckt.

Im Laufe der Woche fanden wir ebenfalls einen Kürbis im Lehrerzimmer. Das Thema dieses Lehrertags ist „Märchen“ und ich erkannte das Cinderella-Thema bei den Motiven ganz deutlich. Im ausgehöhlten Kürbis fanden wir einen silber-glitzernden Pump, der sogleich anprobiert wurde. An einem anderen Tag stand auf dem Tisch im Lehrerzimmer eine Büste mit aufgesetzter Krone. Die Lehrer hatten in der Woche auf jeden Fall sehr viel Spaß.

 

 

Am Freitag war es dann soweit. Obwohl ich morgens keinen Unterricht hatte, wurde mir geraten, früh in die Schule zu kommen. Diese war wie verwandelt. Wo sonst Schüler beschäftigt umhereilten, tummelten sich jetzt fröhliche Gestalten. Die Lobby und auch der Rest der Schule waren dem Thema entsprechend geschmückt. So hingen Spielkarten an den Wänden und ein kleines Schloss war aufgebaut, wo man Getränke und Speisen erwerben konnte.

 

Im Lehrerzimmer wurde groß aufgetischt. Ein Tisch voller Rosen und ein anderer voll mit Kuchen und anderem leckeren Essen. Ich selbst habe auch eine Rose von den Schülern erhalten. ^^

 

 

Die meisten Lehrer waren im Lehrerzimmer versammelt und aßen zusammen. Nachdem auch ich alle Kuchen gekostet hatte – welche sehr lecker waren – machte ich mich auf den Weg, die Schule zu erkunden. In dieser kenne ich mich mittlerweile relativ gut aus. 😀

 

 

 

Die Zwölftklässler hatten den ganzen Tag frei und holten nacheinander verschiedene Klassen aus ihren Klassenräumen, damit diese an dem Event teilnehmen konnten. In der Lobby war die Hauptveranstaltung, wo sich meistens auch die Kostümierten aufhielten und zur Disney Musik tanzten. Wenn es aber zum Abholen der nächsten Klasse ging, erlaubte sich der ein oder andere jedoch gerne Mal einen Spaß, rannte in den Klassenraum, schnappte sich den Lehrer oder die Lehrerin und fing mit ihr/ihm – unter lautem Beifall der Klasse – zu tanzen an. Man konnte unter anderem auch König und Prinzessin beim Basketballspielen beobachteten, wobei viele der Jungen als Frauen verkleidet waren, in diesem Fall die Prinzessin.

 

 

Aber nicht nur die Zwölftklässler wollten sich bei ihren Lehrern bedanken, sondern auch die unteren Stufen. So sah man nicht selten einen Lehrer eine Rose und ein Schreiben erhalten, in dem ihnen die Schüler ein paar persönliche Worte widmeten.

 

Ich nutzte meine freie Zeit, um mit den Schülern zu reden und zu tanzen und einfach Spaß zu haben. Es kommt schließlich nicht oft vor, dass in der Schule so eine ausgelassene Atmosphäre herrscht.

 

 

 

 

 

 

 

Um kurz nach elf wurden dann alle aus der Lobby gebeten, weil die Zwölftklässler Generalprobe hatten. Dann gingen alle Lehrer gemeinsam nach unten, gespannt und mit einem Lächeln im Gesicht. Die Schüler hatten einen breiten Gang hin zur Bühne gebildet. Neben der Bühne stand ein Klavier. Zum Hochzeitsmarsch schritten Braut und Bräutigam die Bühne empor, wo sie feierlich getraut wurden, indem ihre Hände mit einem roten Band zusammengebunden wurden. Dann strömte der Rest der Zwölftklässler auf die Bühne und sie fingen gemeinsam an „Hakuna Matata“ auf Litauisch zu singen, gefolgt von „Can you feel the love tonight“.

 

 

Nach der Gesangseinlage versammelten sich alle vor der Bühne und es wurde ein riesiger Gruppentanz zu dem Lied „I’m a Believer“ von Smash Mouth aufgeführt, in dem Thibaut und ich mittendrin steckten und versuchten, wenigstens halbwegs nachzuahmen, was auf der Bühne vorgetanzt wurde. Spaß hatten Tänzer und Publikum.

Im Anschluss an den aktiven Teil wurde dann die Torte angeschnitten und jedem Lehrer ein Stück in die Hand gedrückt.

 

Dabei erklang entspannter Jazz im Hintergrund, dank zwei engagierter Schüler, denen am Ende heftig applaudiert wurde.

Insgesamt war es ein wunderschöner Schultag und ich bedauere es sehr, dass dieser in Deutschland – zumindest an meiner alten Schule – nicht gefeiert wird. Lehrer haben keinen einfachen Beruf und ich finde es eine exzellente Idee, ihnen einen Tag zu widmen, an dem wir unsere Dankbarkeit und unseren Respekt für sie ausdrücken.