Zittern und Zwiebeltürme

Am 19.01. feiert die russisch-orthodoxe Kirche einen der wichtigsten Feiertage des Jahres: „крещение“ (Kreschtschenie: Taufe).

An diesem Tag wird der Taufe Jesu im Jordan gedacht und Wasser wird in riesigen Metallwannen  geweiht. Über den ganzen Tag verteilt kommen nun zahllose Christen, um sich etwas davon in selbst mitgebrachte Plastikflaschen abfüllen zu lassen.

Und welchen Sinn hat das?

Das Weihwasser wird das gesamte Jahr lang aufbewahrt und morgens auf den nüchternen Magen getrunken. Es soll die Seele vor Krankheiten schützen und Sünden bereinigen. -Und einem gesunden Geist folgt ja bekanntlich ein gesunder Körper.

Ich habe an diesem Tag Besuch von einer Freundin aus dem Süden des Landes, die sich diese Tradition ebenso wenig entgehen lassen möchte wie ich. Wir reihen uns also –ausgerüstet mit einer 0,5L-Flasche in ihrem und einem 6L-Kanister in meinem Fall (sicher ist sicher)- in die Schlange vor der kleinen Kirche im Zentrum der Stadt ein und beobachten zunächst, wie durchgehend etwa fünf Leuten gleichzeitig das Wasser mittels kleiner Plastikschaufeln in ihre Behältnisse gefüllt wird, während niemand spricht. Die Szenerie folgt ganz offensichtlich einem scheinbar eintrainierten und stumpfen Mechanismus: Flasche hinstellen-Flasche auffüllen-Flasche zuschrauben.

Das macht sie deutlich weniger feierlich und sakral als erwartet,  aber ich glaube, wir hatten einfach anderes erwartet und die bisweilen sehr bewundernswerte Nüchternheit der Slaven vergessen.

Wir hatten vorher extra noch gegoogelt, wie man sich richtig bekreuzigt (Protestantinnen am Werk) und was mich angeht, so hatte ich trotz leckender und eher halbherziger Religiosität immer eine gewisse Ehrfurcht vor Weihwasser. Mir ist vollkommen bewusst, dass das sicher keiner Logik folgt, aber jetzt zu sehen, wie ebendieses in Massen, ohne Bekreuzigen und ohne Segensspruch in einfache Plastik-Container  gefüllt wird, ist ungewohnt.

Trotz dieses Eindrucks bin ich überzeugt, dass vielen gläubigen Orthodoxen dieses Ritual sehr wichtig ist und habe gerade deswegen seither ein latentes schlechtes Gewissen, wenn ich den Wasserkanister in meiner Küche sehe, weil  ich natürlich nicht aus meinem tiefen Glauben sondern –um ganz ehrlich zu sein- auch zu großen Teilen aus Sensationsgeilheit an dem Feiertag teilgenommen habe.

Ich finde, das ist bis zu einem gewissen Punkt auch okay und verständlich, solange man es nicht übertreibt, eine gewisse Achtung wahrt und sich nicht lustig macht, wovon ich euch ebenfalls abzusehen bitte. Ich bin nämlich sicher dass fast alle von euch irgendetwas habt, das euch wichtig ist, vielleicht sogar auf spirituelle Art und Weise, von dem auch ihr nicht wollt, dass man euch von oben herab belächelt.

Vielleicht übertreibe ich auch und es ist einfach ein normativer Akt, der aus ebendieser halbherzigen Religiosität erfolgt wie mein alljährlicher Kirchgang an Weihnachten?

Und wo wir gerade bei Sensationsgeilheit sind: Der beste Teil der Tradition kommt noch: Abends fahren wir zu einer bestimmten Stelle am zugefrorenen Fluss, wobei: nicht ganz zugefroren… an dieser einen bestimmten Stelle ist ein Loch in Kreuzform in die Eisdecke geschlagen. Oh ja. Das Fest heißt nicht umsonst „Taufe“. Wir entkleiden uns also bis auf die Unterwäsche, ignorieren geflissentlich den Krankenwagen, der am Ufer schon bereitsteht, und die Tatsache, dass wir unsere Füße schon jetzt nicht mehr spüren und klettern nacheinander über die wackelig-provisorische Holztreppe ins eiskalte Wasser. Hier ist der Spaß aber immer noch nicht vorbei, denn der Glaube verlangt, gemäß einer ordentlichen Taufe, dreimal unterzutauchen. Wir beschließen nach dem ersten Mal aber, dass es vollkommen ausreicht, erstmal nur im Namen des Vaters getauft zu sein und verlassen das Eisloch endlich (nach wahrscheinlich 10 Sekunden).

Wieder an der Luft, rafft keine von uns beiden, dass wir immer noch in Unterwäsche und immer noch nass bei Minusgraden und nachts draußen stehen, weil der Schock das Wasser erstens erstaunlich erträglich gemacht hat und weil zweitens unsere gesamte Aufmerksamkeit unseren eiskalten Füßen gewidmet ist, von denen ich für meinen Teil schon verabschiedet habe. In unglaublicher Langsamkeit schlüpfen wir also wieder in Hosen, Pullis und Schuhe, bis wir uns daran erinnern, dass wir jetzt noch irgendwie nach Hause kommen müssen.

Kurzerhand drängen wir uns zwei jungen Frauen auf und bitten sie, ein Taxi für uns zu rufen, was sie  -Gott sei Dank- auch umgehend tun. Noch während der Fahrt beginnt sich die Kälte langsam durch den ganzen Körper zu ziehen, allerdings gelangt auch endlich ein bisschen Gefühl in die verlorengeglaubten Zehen zurück und ich bemerke, dass meine Schuhe so komisch sitzen, weil ich meine Socken in den Schuhen habe steckenlassen.

Mit Tee, Wein und einer Dusche entschuldigen wir uns bei unseren Körpern und nach einem gewaltigen Schüttelfrost, schlafe ich zufrieden ein.

Ich hoffe, ihr vollzieht meine Entscheidung, weder vom Weihwasser noch vom Eisloch Fotos gemacht zu haben. -Google möge Abhilfe verschafffen! 🙂

Bis dann und до свидания!

Eure Anna