Nicht nur die Schule läuft hier anders…

Die ersten zwei Wochen Belarus liegen hinter mir und es hat sich ziemlich viel Erzählstoff angestaut…

Aber alles der Reihe nach:

Montag, der 18.09.2017:

Ich soll an meinem ersten Schultag erst um 10 Uhr da sein und entweder den Bus der Linie 1 oder den der Linie 2 nehmen… beide halten angeblich direkt vor der Schule.

Also verlasse ich um halb zehn meine Wohnung und begebe mich zu der Haltestelle direkt vor meiner Tür, um mich darüber zu freuen, schon einen kleinen grünen Bus mit der Nummer 2 zu sehen. Ich steige ein und zahle 50 Kopeken (das sind umgerechnet etwas weniger als 25 Cent).

Mich wundert es zwar, dass die Fahrt nicht, wie von den Lehrerinnen angekündigt, 45 Kopeken kostet und dass auch niemand im Bus herumgeht, um das Geld einzusammeln, weil man es direkt dem Fahrer gibt, aber ich denke mir nicht viel dabei und zähle die Haltestellen (ich muss an der achten aussteigen).

Kurze Zeit später fällt mir ein, dass Irina nicht nur Busse, sondern auch sogenannte „Marschrutkas“ erwähnt hatte, die etwas kleiner seien und mehr kosten… Im Endeffekt könne ich auch mit diesen fahren, wiel sie größtenteils dieselben Strecken wie die Busse fahren, aber für den Anfang hat sie davon abgeraten, weil man an der richtigen Haltestelle kommunizieren muss, dass man aussteigen möchte. Da mein Russich sich auf „Ja nje pa-russki“ beschränkt, versetzt mich das in leichte Panik. Ich habe keine Ahnung, ob dieses Ding an den gleichen Haltestellen hält, wie der Bus und erst recht nicht, wie ich hier rauskommen soll.

Für’s Erste beschließe ich, weiter bis zur achten Haltestelle zu zählen und dann zu hoffen, dass nicht nur ich aussteige und tatsächlich; es funktioniert. Das nächste Problem ist jetzt aber, dass das definitiv nicht die richitge Haltestelle ist… Ich rufe Irina also an und sie schickt eine Leherin, die mich abholt… Mit der Marschrutka hätte ich noch eine Station weiter fahren müssen.

Beflügelt von meinem großartigen ersten Eindruck betrete ich also die Mittelschule Nr. 20. Sie ist die größte in Orscha und besteht aus zwei mtieinander verbundenen Gebäuden. Im Nebengebäude wird die Grundschule unterrichtet (genau wie bei uns Klasse eins bis vier) und im Hauptgebäude, in dem ich mich im Moment befinde, sind die Räume der älteren Schüler und Schülerinnen (hier hat man den Abschluss unabhängig von Gymnasium und Mittelschule immer nach 11 Jahren).

Am Eingang sitzt eine Sekretärin, die ich freundlich grüße, während ich mich frage, was genau sie dort eigentlich tut (ich habe es bis jetzt immer noch nicht herausgefunden; vielleicht schreibt sie die Schüler auf, die kommen und gehen? Aber das wären mit knapp 1000 ziemlich viele für eine Person oder?).

Vorbei an einem ziemlich großen Aquarium geht es für mich zunächst in den ersten (und den belarussischen zweiten) Stock, wo sich der Deutschraum -ich werde von dem Schwarz-Rot-Gold fast erschlagen- mit einem kleinen Lehrerzimmer nur für die offensichtlich sehr beliebten Deutschlehrerinnen befindet. Hier habe ich einen eigenen Platz, an dem ich meine Sachen lassen darf, bevor es runter in die vierte Klasse geht, in der Irina bereits unterrichtet.

Die Kinder hier können sich nur für eine Fremdsprache entscheiden, die sie ab der dritten Klasse lernen und nur ein paar Wenige mehr als die Hälfte entscheiden sich an meiner Schule für Englisch. -Der Rest lernt Deutsch.

Natürlich sprechen die Viertklässler*innen dementsprechend auf sehr niedrigem Niveau, aber es reicht für eine kleine Vorstellungsrunde, in der jeder seinen Namen, sein Alter und sein Lieblingsfach oder -essen nennt.

Was mir allerdings sofort aufgefallen ist, ist die starke hierarchische Struktur. Es ist selbstverständlich, dass alle aufstehen, wenn Lehrer*innen den Klassenraum betreten, was mir sofort ein seltsames Gefühl bereitet; ich bin ja ohnehin noch nie auf der Lehrerseite gewesen…

Außerdem herrscht eine Art Dresscode, und zwar für alle: Selbst oder gar besonders die Jüngsten sind  Hemd und Hose bzw. Bluse und Rock oder Kleid plus schicke Schuhe gekleidet.

Auch die Lehrerinnen tragen Kleider, Blazer und Stoffhosen. -Bis jetzt ist mir noch nie einer der Lehrer begenet, aber ich wage zu bezweifeln, dass die in Jogginghose und Bomberjacke den Unterricht leiten.Ich selbst habe mich -dem Hinweis meines Vorgängers folgend- für einen Rock, eine Bluse und hohe Schuhe entschieden, obwohl mir schon vor Verlassen der Wohnug klar gewesen ist, dass ich das niemals eine halbes Jahr lang durchziehen werde.

Nach der ersten Stunde (hier dauert jede Unterrichtsstunde genau wie bei uns 45 Minuten, allerdings gibt es keine Doppelstunden und zwischen allen Stunden gibt es 15 Minuten Pause) lerne ich noch einige weitere Klassen kennen, was zur Folge hat, dass ich am Ende des Tages gefühlte 100 Mal erklärt habe, wie ich heiße, woher ich komme, was ich hier mache und wie alt ich bin.

Bevor ich gehe, zeigt Irina mir noch die Mensa; dort bekomme ich fleischfreie Suppe mit Buchweizenbrei, Brot und Salat für 60 Kopeken.

Nach dem Essen begleitet sie mich zur Haltestelle und wartet, bis ich in den richtigen Bus eingestiegen bin…

Der zweite Tag verläuft ähnlich (allerdings muss ich heute schon pünktlich um neun zur ersten Stunde da sein und habe es geschafft, eigenständig den richitgen Bus zu nehmen): Ich stelle mich vor, die Schüler und Schülerinnen stellen sich vor und dann sitze ich nutzlos herum. Selbst die Älteren, die schon relativ gutes Deutsch sprechen, unterhalten sich nicht freiwillig mit mir (was ich einerseits nachvollziehen kann, aber andererseits ziemlich unangenehm ist).

Nach der Schule fahre ich mit Irina ins Amt, um mich registrieren zu lassen (nach fünf Tagen ist das Plicht). Das funktioniert bis auf die üblichen Bürokratie reibungslos und macht es mir vor allem möglich, endlich eine neue SIM-Karte zu kaufen, mit der ich nicht nur im WLAN Internet habe. Auch dabei hilft mir Irina; Ich bekomme eine Flat für acht Rubel pro Monat, mit der mir unbegrenztes Highspeedvolumen und 400 Freiminuten zur Verfügung stehen.

Mittwochs muss ich immer erst später zur Schule (wegen der hohen Schülerzahl wird in einem Vormittags- und einem Nachmittagsblock unterrichtet). Heute lese ich, wann immer es der Unterricht erfordert, deutsche Texte vor, was mich ungewöhnlich unter Druck setzt, weil von mir logischerweisedie ultimativ perfekte Aussprache erwartet wird.

Überhaupt weiß ich nie, wie schnell und wie deutlich ich sprechen kann bzw. muss, um einerseits verstanden zu werden und andererseits niemandem das Gefühl zu geben, vollkommen unterbelichtet zu sein.

Heute bekomme ich endlich das erste mal die Aufgabe, etwas vorzubereiten: die neunte Klasse behandelt zurzeit das Thema Wetter und ich soll in der nächsten Stunde kurz etwas über das Klima in Deutschland erzählen. -Nicht das Spannendste, aber wenigstens etwas.

Donnerstag lerne ich Lisa, eine Schülerin eines Gymnasiums kennen, deren Mutter einen Job als Dolmetscherin in Östereich gefunden hat, und die nun auch dorthin ziehen möchte. Ich werde ihr die nächsten drei Monate bis zu ihrer Ausreise noch ein wenig mit Deutsch helfen, denn sie lernt in der Schule Englisch (was aber trotzdem sehr nützlich für unser Vorhaben ist!).

Ihr Deutsch ist schon ganz gut, weil sie bis zu ihrem sechsten Lebensjahr in Detuschland gelebt hat, bevor sie nach Belarus kam. Ihre Aussprache ist perfekt, während ihre Grammatik- und Rechtschreibkentnisse sowie ihr Vokabular noch einige Lücken aufzeigen.

-Ich frage mich, wie viel von den im Kindesalter erlernten Strukturen zurückkehren wird, wenn sie wieder von Muttersprachlern umgeben ist und ich bin ziemlich zuversichtlich. Vor allem aber ist sie sehr nett und mein erster Kontakt hier… 🙂

Abends treffe ich Andrey, meinen Russischlehrer; er ist Chirurg und möchte unbedingt nach Deutschland kommen, weil er sich davon einen höheren Lebensstandard verspricht.

Es ist also ein zweifacher Lerneffekt: Ich lerne Russisch, während er durch das Gespräch mit mir sein Deutsch verbessert.

Freitag fahre ich in das Goethe-Institut, weil dort das erste Kulturmittlertreffen mit vielen anderen deutschen Institutionen (DAAD, ZfA etc.) und vor allem mit den anderen Freiwilligen ist. Dort werden Informationen über anstehende Projekte und Aktionen ausgetauscht und auch wir Freiwilligen bekommen die Möglichkeit, an einigen teilzunehmen und uns selbst mitzuengagieren.

Abends besuchen wir ein Bar- und Partyviertel, wo ich feststelle, dass die Musik, die hier gespielt wird, sich teilweise schon von der Partymusik in Deutschland unterscheidet, weil sie viel energischer zum Feiern animiert und viel lauter ist. Was ebenfalls auffällt, ist dass die normalerweise sehr zurückhaltenden und stillen Menschen plötzlich sehr gesprächsbedürftig sind und einem sehr nahe kommen, was aber wahrscheinloch auch auf den Alkohol zurückzuführen ist.

-Übrigens düfen wir uns vor dem Feiern spontan ein Hotel suchen, weil unser gebuchtes Apartment plötzlich doch nicht mehr verfügar ist.

Am nächsten Tag besuchen wir erst ein kleines Theaterstück einiger Schüler*innen, das in Anbetracht einer fünftägigen Vorbereitungszeit wirklich gut ist -Es handelt übrigens von Romeo und Julia 😉 – und dann spazieren wir noch etwas durch Minsk, wobei wir uns unter anderem eine Straße anschauen, deren Plattenbauten jedes Jahr von Künstlern bunt angemalt werden. -Ich werde in den nächsten Tagen eine Galerie anfügen! 🙂

 

Nachdem ich Montag vollkommen erkältet in die Schule komme, werde ich wieder nach Hause geschickt und für den nächsten Tag krankgeschrieben. Mittwoch darf ich dann meinen Vortrag über das Wetter halten und auch sonst bin ich jetzt mehr integriert: Ich darf den Fakultativunterricht selbst leiten und helfe einem Schüler bei seinen Vorbereitungen auf die Deutscholympiade.

Nächste Woche werde ich etwas über das Schulsystem und das Weihnachsfest in Deutschland berichten, bevor ich am Wochendene nach Baranowitschi zu einer Veranstaltung der Deutschen Wochen fahre.

Das Wetter ist übrigens trotz meiner östlichen Lage noch relativ gemäßigt und erst dann ziemlich frisch, wenn die Sonne untergegangen ist… aber ich bin sicher, dass der Winter früher oder später kommen wird.

Gleich treffe ich noch Andrey, der mir trotz der Tatsache, dass er keinen Alkohol trinkt (Übrigens ist das keine Ausnahme; anders als das Klischee vieleicht vermuten lässt, spielt Alkohol hier keine große und wenn dann eher negativ behaftete Rolle, was unter anderem mit der hohen Alkoholimusrate im Land zu tun hat.), versprochen hat, mich den belarussischen Vodka probieren zu lassen und ich bin sehr gespannt.

Übringens ist er auch der erste, mit dem ich Diskussionen über Hitler und die Akzeptanz von Homosexualität geführt habe.

Ich werde hier nicht mein Gastland beschimpfen oder mich über die mir in diesem Fall sehr fremden Werte echauffieren; ich möchte nur anmerken, dass es mir viel schwerer fällt, mich in solchen Gesprächen diplomatisch zu verhalten, als ich dachte.

-Allein deshalb, weil ich sie eigentlich noch nie geführt habe.

Ich gebe mir aber die größte Mühe und versuche, meinen Standpunkt -und damit wahrscheinlich auch den der meisten Deutschen (wobei ich mir in Sachen Hitler nach den fantastischen Wahlergebnissen nicht mehr so sicher bin)- verständlich deutlich zu machen, während ich versuche, seine Vorstellungen nachzuvollziehen. In der Theorie klingt das einfacher als es ist (vor allem, weil ich hitzige Diskussionen mit meinen Freunden über die winzigsten Unterschiede unserer politischen Überzeugungen gewohnt bin), aber irgendwie wird es schon gehen und falls nicht, dann lenke ich in Zukunft einfach mehr von politischen Themen ab…

Ich nehme mir jetzt mal vor, mich spätestens in einer Woche wieder zu melden; ich hoffe, ich halte es ein!

 

Bis Bald und До свидания!

Eure Anna

 

Ein Gedanke zu “Nicht nur die Schule läuft hier anders…

  1. Hey Anna;
    wie schön dass es bei dir mit der Integration klappt!
    Solche „Gespräche“ habe ich auch schon geführt und weiß dementsprechend genau was du meinst-das wird schon. Grade im nicht-schulischen Bereich kann man sich durchaus ein bisschen in kritische Themengebiete vortasten, denn viele junge Menschen sind gar nicht so nationalistisch und konservativ und suchen ein „Aufklärungsgespräch“ 🙂 Ansonsten Stimme ich dir völlig zu; hoffe aber sehr dass die „fantastischen“ Wahlergebnisse ein Produkt deiner Ironie waren – fantastisch ist definitiv was anderes!
    Ansonsten lese ich fleißig mit und freue mich auf Minsk in 3 Wochen 🙂

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