Permalink

off

Meine Straße. Mein Zuhause. Mein Block.

Kurz nach meiner Ankunft in Ghana laufe ich durch die Straßen Accras. Ich schaue nach links und rechts, sehe viel, nehme aber kaum Details wahr. Ich bin überrumpelt von den Eindrücken, dem Lärm, von allem was anders und von allem was gleich ist. Die ersten Tage fühle ich mich fremd und fehl am Platz. Jetzt ist das nicht mehr so.

Mittlerweile bin ich in der Okodan Road im Haus mit der orangenen Mauer zuhause. Ich nenne es das Haus mit der orangenen Mauer, weil es hier keine Hausnummern gibt und ich so einfach beschreiben kann, wo ich lebe. Meine Nachbarn nennen das Haus anders. „Lebst du auch im Obroni-Haus?“, fragt mich die Nachbarin von gegenüber. Obroni ist das Twi-Wort für eine weiße Person. Sie betreibt einen kleinen Laden, bestehend aus einer Holzhütte mit Blechdach, bei dem ich alles kaufen kann. Die gesamte Okodan Road besteht aus solchen Läden. Meine Nachbarn sind alle Verkäufer. Doch obwohl ich schon so oft bei Ihnen eingekauft habe, weiß ich gar nicht wer sie sind. Neun Tage vor meiner Abreise nehme ich mir vor, bei einer Einkaufstour am Abend herauszufinden, wer neben mir wohnt.

„Du kannst mich immer alles fragen“ – Naa Edoh, 40

Vor dem ersten Kiosk stapeln sich rechts fünf Liter Wasser-Bottiche neben großen und kleinen Trinkflaschen. Links häufen sich die Plastiksäcke, in denen sich das sogenannte „Pure Water“ befindet: Ein Sack beinhaltet 30 kleinere Plastikverpackungen die jeweils mit 500 Milliliter Wasser gefüllt sind. Es ist die billigste Art in Ghana an Trinkwasser zu gelangen.

In einem Zwischenhof zwischen Kiosk und Haus sitzt meine Nachbarin auf einem roten Stuhl an einem roten Plastiktisch. Eine Freundin sitzt neben ihr mit einem Kleinkind auf dem Schoß, dass sie mit Avocado füttert. Als mich die Verkäuferin sieht, steht sie sofort auf und kommt mit einem Lächeln auf mich zu. Es ist ein Lächeln, dem anzusehen ist, dass sie sich freut mich zu sehen. Ich bestelle wie immer den Zwölferpack à 750ml-Wasserflaschen. Als ich bezahle, frage ich, ob ich noch ein paar Fragen stellen könnte. „Na klar, du kannst mich immer alles fragen, was du möchtest“, sagt die Wasser-Verkäuferin und lacht. Sie bittet mich ebenfalls auf einem der roten Plastikstühle Platz zu nehmen.

Ihr Name ist Naa Edoh. Ich darf sie Naa nennen. Sie lebt mit ihrer Familie im Haus hinter dem Kiosk. Bei dem Wasser-Kiosk handelt es sich um ihr Geschäft. „Pro Tag verkaufe ich etwa 20 bis 25 Säcke an Pure Water. Und von dem Wasser in den Flaschen sicherlich dreißig Packungen.“ Das Wasser bestellt sie bei einer größeren Firma und bezahlt es im Voraus. Einmal pro Woche kommt ein Lastwagen, der dann das Wasser in Säcken, Flaschen und Bottichen liefert. Und warum wollte Naa Wasser verkaufen? „Ich wusste einfach, dass ich Wasser verkaufen will“, sagt sie. „Hilf mir mal, noch eine bessere Begründung zu finden!“ Sie schaut flehend ihre Freundin an. „Weil Wasser leben ist, hat sie sich dazu entschieden den Menschen leben zu geben“, sagt die Freundin. „Das stimmt,“ sagt Naa. Beide lachen. Aber die Aussage, die nach Werbespot klingt, die meinen sie Ernst.

“So jetzt bin ich dran!“, sagt die Freundin. „Wohnst du denn auch hier?“, frage ich. Sie ist mir noch nie zuvor in der Okodan Road aufgefallen. „Ja, ich wohne im gleichen Haus wie Naa und mir gehört der Kleiderladen da drüben.“ Sie zeigt auf einen kleinen Pavillon, bestehend aus Metallstäben und mit einer blau-weiß gestreiften Plastikplane als Dach. Unter der Plane sind verschiedene Kleidungsstücke mit Kleiderbügeln befestigt. Ich denke mir warum nicht. Ich wollte meine Nachbarn besser kennenlernen, jetzt habe ich die Chance eine neue Bekannschaft zu machen.

Kleidung bezahlbar machen – Linda Mensah, 32

Monatlich bekommt Linda Mensah neue Klamotten aus England. „Ich habe eine Schwester die dort in einer Boutique arbeitet. Ich schicke ihr Geld und sie kauft aus dem Angebot ein.“ Wenn eine neue Ladung in Accra ankommt, greift Linda Mensah zum Telefon: „Ich habe die Nummern von allen meinen Kunden. So kann ich sichergehen, dass sie bekommen was sie wollen.“ Die Klamotten, die dann übrig sind, hängt sie auf, um damit neue Kunden neugierig zu machen.

Bevor sie den Laden eröffnete war Linda Mensah fest bei einer Firma angestellt: “Als ich dann schwanger wurde, war für mich klar, dass es schwierig wird, gleichzeitig zu arbeiten und für die Familie da zu sein.“ Deshalb entschied sie sich zu Hause zu bleiben und ihr eigenes Geschäft auf zu machen. „Mein Ziel ist es Kleidung für diejenigen bezahlbar zu machen, die sich die teuren Klamotten in Accra nicht leisten können.“

Susanna Menu, die „Bottles-Lady“

„Wo sind meine Flaschen?“ ruft mir eine weitere Nachbarin zu, als ich den Wasserkiosk verlasse. Damit steht auch meine nächste Station fest: Links von meinem Zuhause steht ein kleiner gelber Container, der auf einer Erhebung aus Ziegelsteinen steht. Steht der Container offen, sind die beiden riesigen Pepsi-Flaschen aus Pappe, die an den Türen befestigt sind, nicht zu übersehen. Die Innenausstattung besteht aus mehreren leeren Kisten und einem einzelnen Kühlschrank. Obwohl ich in Accra schon seit September wohne, habe ich erst im vergangenen Januar rausgefunden, dass ich dort sämtliche Softgetränke von Sprite, Cola, Pepsi und Miranda bis hin zum Club, das in Ghana produzierte Bier, alles eisgekühlt bekomme. Normalerweise werden in solchen Getränkeläden die Glasflaschen nicht verkauft: Heißt, ich muss eigentlich alles was ich dort kaufe, direkt austrinken.

Mit meiner Nachbarin habe ich aber einen besonderen Bonus ausgehandelt: Ich darf die Flaschen mit nach Hause nehmen, wenn ich sie auch wieder zurückbringe. Meine Mitbewohnerin und ich sprechen, deshalb nur von der „Bottles-Lady“, wenn wir dort einkaufen. Wie ich heute erfahre lautet ihr richtiger Name Susanna Menu. „Es ist wichtig, dass ihr mir die Flaschen zurückbringt, weil ich mit den leeren Flaschen wieder neue, gefüllte beim Getränkehändler bekomme.“ Pro Tag verkauft Susanna Menu ungefähr einen Kasten an Getränken. „Am besten verkauft sich Pepsi.“

Den Laden führt sie bereits in der zweiten Generation: Ihre Mutter hat ihn eröffnet und jetzt verkauft sie täglich Getränke. Ihr Alter will sie mir nicht verraten. „Sie ist zwanzig das siehst du doch“, mischt sich ein anderer Kunde in unser Gespräch ein. Susanna Menu lacht laut, während sie für mich zwei Cola-Flaschen in eine Tüte packt. „Denk aber dran, mir die Flaschen so schnell wie möglich zurückzubringen,“ sagt sie zum Abschied.


Info: Dieser Artikel ist im Rahmen einer Bewerbung entstanden und wurde deshalb zuerst auf Medium veröffentlicht. Da es aber eine Accra-Geschichte ist, darf der Artikel auch hier nicht fehlen.

Kommentare sind geschlossen.

Zur Werkzeugleiste springen